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Unwort des Jahres 2006: „Freiwillige Ausreise“

Die gutmenschliche Jury bestehend aus dem emeritierten Frankfurter Germanistik-Professor Horst Dieter Schlosser, den Sprachwissenschaftlern Margot Heinemann (Görlitz-Zittau), Nina Janich (Darmstadt) und Martin Wengeler (Düsseldorf), sowie den Journalisten Mario Scalla (Hessischer Rundfunk) und Michael Sommer (ZDF) als „Vertretern aus der Sprachpraxis“ hat sich für den Begriff „freiwillige Ausreise“ als Unwort des Jahres 2006 [1] entschieden. Es wird mit der Wahl dieses Begriffes die Tatsache beklagt, dass viele abgelehnte Asylbewerber vor einer Abschiebung unter Zwang selbstständig in ihre Heimat zurückkehren würden.

„Unterschicht“ ist das in diesem Jahr am häufigsten vorgeschlagene Wort, gefolgt von „(abgehängtem) Prekariat“, „Gesundheitsreform“ und „Problembär“. Unter den seltener genannten Vorschlägen befand sich „Herr Professor Joschka Fischer“. Chancen haben auch Begriffe wie „kindgerechte Abschiebung“, „Kleinvoliere“ für Kleinstkäfige in der Massenhühnerhaltung, „Multikultischwuchtel“ zur Diskriminierung bestimmter Politiker und „Neiddebatte“ als Verhöhnung der Kritik an hohen Managergehältern. Hinter vielen Nennungen dieses Jahres steckt nach Schlossers Ansicht die Angst der Bürger vor dem sozialen Abstieg.

Bei der Politik, der wir seit Jahren ausgesetzt sind, kein Wunder. Aber die Angst der Bürger dieses Landes ist natürlich deutlich weniger wichtig, als die Tatsache, dass nicht alle Menschen der Welt bei uns und von uns leben können. Schließlich:

„Einige Begriffe sind hart an der Grenze zur Verletzung der Menschenwürde, und manchmal ist der Tatbestand bereits erfüllt.“

Wir sind zerknirscht! Erfreut zeigte sich der Niedersächsische Flüchtlingsrat [2]:

Er werte die Auswahl „als eine Kritik nicht nur am Begriff, sondern auch an der zugehörigen Praxis deutscher Ausländer- und Flüchtlingspolitik“, sagte Geschäftsführer Kai Weber am Freitag in Hildesheim.

Deutsche Ausländerbehörden, Verwaltungsgerichte und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hielten die „freiwillige Ausreise“ von Flüchtlingen in fast jeden Staat dieser Welt für möglich, erklärte Weber. Dies gelte auch für Länder wie Afghanistan, den Irak oder Sri Lanka, in denen Bürgerkriege und Gewalt herrschten. „Wer von der Möglichkeit der ‚freiwilligen Ausreise‘ keinen Gebrauch macht, dem droht entweder die Abschiebung oder er wird mit einer Duldung abgespeist.“

Endlich wissen wir wieder, wie schlecht wir sind! Und da gibt’s dann sogar noch eins drauf:

Nach Ansicht des Niedersächsischen Flüchtlingsrates ist die deutsche Flüchtlingspolitik eine „Produktionsstätte von Unwörtern“, die Begriffe mit politischer Absicht verbiege und umdeute. So seien Lager zu „Gemeinschaftsunterkünften“ geworden. Ein Gesetz, das Asylsuchenden einen Großteil der Sozialleistungen entziehe, werde „Asylbewerberleistungsgesetz“ genannt.

Gut, dass wir uns endlich mal wieder richtig schlecht fühlen können. Komisch aber, dass Deutschland trotzdem eine solche Anziehungskraft auf Menschen in aller Welt ausübt!

(Spürnase: Koltschak)

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