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Jelena Tregubova: offener Brief an den G8-Gipfel

putin-c.gif [1]Jelena Tregubova: Warum ich aus Putins Russland geflohen bin und warum der Westen aufhören sollte, Putin Zugeständnisse zu machen.

Ich habe meine persönlichen Erfahrungen mit Wladimir Putins Regime und der Handlungsweise des russischen Präsidenten gemacht. Ich wurde gezwungen in Großbritannien Asyl zu suchen, weil ich als unabhängige Journalistin den Kreml kritisiert habe. Ich musste erkennen, dass meine Rückkehr in meine Heimat einem Selbstmord gleichkommen würde.

Dieser Brief [2] ist allerdings nicht über mich. Ich schreibe ihn aus Angst vor einer sich in Russland abzeichnenden Tragödie, weil sich dort die Beschränkungen der politischen und individuellen Freiheiten von Tag zu Tag verschlechtern. Nachdem er mit der inneren Opposition aufgeräumt hat, hat Putin sich nunmehr am Vorabend des G8 Gipfels entschlossen, sich mit den äusseren Feinden zu beschäftigen.

Er droht, die russischen Raketen wieder, genau wie zu den Zeiten des Kalten Krieges, auf Ziele in Europa zu richten und warnt vor einem neuen Nuklearwaffenwettrüsten. Es wird nun deutlich, dass die erhöhte Aggressivität des Kremls eine direkte Folge der Beschwichtigungspolitik der westlichen Führer ist, welche in den sieben Jahren der Putinschen Regentschaft, dessen Ausschaltung der Opposition, der Presse, der Nichtregierungsorganisationen und aller demokratischer Institutionen in Russland ignoriert haben.
Es gibt kein einziges Beispiel in der Geschichte, wo ein Diktator, früher oder später, nicht zur Gefahr für seine nahen und weiter entfernten Nachbarn wurde.

Das Ziel ist nicht das “Wiedererwachen Russlands” oder das “Wiedererwachen des russischen Nationalstolzes”, wie es Putin und die Kremlpropaganda versuchen darzustellen. Hier handelt es sich um eine grossangelegte Vergeltung durch den Geheimdienst und des autoritären Regimes mit all seinen alten Methoden und Tricks. Putin hat alle unabhängigen Fernsehstationen geschlossen, eine strenge Zensur eingeführt, der demokratischen Opposition den Zugang zur Presse blockiert, russischen Menschenrechtsaktivisten und Nichtregierungsorganisationen als westliche Spitzel beschuldigt und die grösste russische Ölfirma Yukos unter seinen Freunden im Geheimdienst aufgeteilt. Ermutigt durch Euren fehlenden Widerstand, ist Putins Regime jetzt so stark und unverfroren, dass es unverhüllt seine direkten Nachbarn, Polen und die Tschechische Republik bedroht, ehemalige Kolonien der Sowietunion, geht man jetzt wieder mit ihnen wie mit Vasallen um. In den letzten Monaten waren drei Botschafter – die von Estland, Schweden und Grossbritannien – betroffen durch Handlungen von extremistischen, durch den Kreml kontrollierten, Organisationen.

Und jetzt haben die Ereignisse eine neue, logische Entwicklung genommen: der Kreml droht dem Westen mit Raketen-rasseln. Der entscheidende Unterschied zwischen jetzt und der Sowjetära liegt im Fakt, dass Ihr damals genau wusstet, auf welcher Seite der Barrikaden Ihr gestanden habt – als Ihr den Gegnern der Diktatur moralische Unterstützung geleistet habt.

Heutzutage und durch die günstige Situation auf dem Öl- und Gasmarkt, hat Putin die Resourcen um Eure Zustimmung und Euer Schweigen zu erkaufen.

Ihr habt geschwiegen, als Putin im letzten Sommer ein Gesetz unterschrieb, welches die Ermordung von Russlands Feinden im Ausland autorisierte. Jeder der sicht traut, Putin zu kritisieren, wird auf die Liste der Feinde gesetzt.

Ihr habt jetzt erkannt, dass Putin Euch nicht so einfach wieder aus der Öl –und Gasfalle rauslassen wird, in welche er Euch gezwungen hat. Dem Kreml sind Eure Worte vollkommen egal, das einzige was ihn interessiert ist Euer Geld.

Der Kreml hat bereits offen gezeigt, dass er brutale Macht gegen friedliche Demonstranten einsetzen wird, dies mit dem einzigen Ziel: zu verhindern, dass die Wahlen im nächsten Jahr frei und fair stattfinden werden. Putin und seine nahestehenden Unterstützer planen die Wiederherstellung einer clan-artigen Diktatur in Russland, ähnlich dem ehemaligen Sowjet-Politbüro. Bald ist dies nicht mehr zu verhindern.

Wenn Ihr, nach dem Gipfel von Heiligendamm, weiterhin so als ob nichts geschehen sei, Putins Hände schüttelt, werdet Ihr Putins Gefühl seiner absoluten Unverletzlichkeit weiterhin verstärken. Putin sollte vor eine einfache Wahl gestellt werden: entweder stellt der Kreml demokratische Freiheiten wieder her oder Russland wird vom G8 und anderen internationalen Clubs ausgeschlossen.
Alle freidenkenden Russen schämen sich für Putins Handlungen. Ihr müsst entscheiden, ob Ihr die Freiheit in Russland für Gas und Öl opfern wollt.

Über die Autorin:

Jelena Tregubowa begann ihre berufliche Laufbahn in den 90er Jahren, als sie unter Jelzin zum Kreis jener Journalisten gehörte, deren Arbeit nicht behindert wurde. Seit 2000, dem Beginn der Präsidentschaft von Putin, waren ihre Arbeiten nicht mehr so weit verbreitet – bis Tregubowa 2003 mit einer Veröffentlichung hervortrat, in der sie Putins Medienpolitik kritisiert (auf Deutsch teilweise in Die Mutanten des Kreml erschienen).

Nach dem Erscheinen des Buches explodierte in der Nähe ihrer Wohnung eine Bombe. Ein Anschlag, der, nach ihrer Vermutung, auf das Konto des russischen Geheimdienstes geht. Die Moskauer Miliz wertete den Vorgang als „schweres Rowdytum“ beziehungsweise den Versuch eines „schweren Diebstahls“ und erklärte, es bestehe kein Grund an einen politisch motivierten Anschlag zu glauben.

Sie hat in Großbritannien politisches Asyl beantragt.

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