Heute fand an der Stuttgarter Uni das SPIEGEL-Gespräch von Redakteurin Barbara Supp mit Seyran Ate? über „Multikulti – ein Irrtum auf Kosten der Frauen?“ statt (siehe unsere Vorankündigung). Rainer Grell, Autor der Geschichte des „Muslim-Tests“ in Bad.-Württemb. und Pressesprecher des Landesverbandes von Baden-Württemberg des Vereins Pax Europa, war vor Ort.
Hier sein Bericht:
Seyran Ate? – Rechtsanwältin, Frauenrechtlerin, Autorin, unerschrockene Kämpferin gegen Zwangsheirat und Ehrenmorde, „Frau des Jahres“ 2005 und Teilnehmerin an der Deutschen Islamkonferenz. Was kann man über diese mutige Frau nicht noch alles sagen? Wie ernst sie es mit ihrem Engagement meint, zeigen nicht nur ihre Bücher und öffentlichen Äußerungen, sondern vor allem ihr Mut, dies alles nach dem Attentat im Kreuzberger Frauenladen TIO (Treff- und Informationsort für Frauen aus der Türkei) im Jahr 1984 zu machen, bei dem eine Klientin den Tod fand und Seyran Ate? lebensgefährlich verletzt wurde.
Ihr erstes Buch „Große Reise ins Feuer. Die Geschichte einer deutschen Türkin“ handelte vornehmlich von ihrer eigenen gefährlichen Reise zu sich selbst („ate?“ heißt auf Türkisch „Feuer“), machte aber deutlich, dass dies mehr oder weniger der Weg jeder in Deutschland lebenden Türkin ist, die sich entschließt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und von ihren grundgesetzlich garantierten Rechten Gebrauch zu machen. In Ihrem zweiten Buch, gerade auf den Markt gekommen (ein wunderbares Weihnachtsgeschenk übrigens), geht es darum, diesen Weg für diejenigen, die ihn gehen wollen, einfacher zu machen: „Der Multikulti-Irrtum. Wie wir in Deutschland besser zusammenleben können.“ Diese Themenstellung prägte auch das Spiegel-Gespräch in der Stuttgarter Uni, das die Reihe „SPIEGEL-Gespräch – live in der Uni“ im Wintersemester eröffnete.
„Deutschländerin“ Ates
Der Termin war gut gewählt: nur wenige Tage nach dem von den Vereinten Nationen deklarierten „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“, an dem weltweit seit dem 25. November 1981 zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder aufgerufen wird. Das Auditorium entsprach allerdings wohl nicht den Erwartungen: Der Saal hätte leicht mindestens die doppelte Zahl an Zuhörerinnen und Zuhörern gefasst.
Ate?, auf ihren nationalen Status angesprochen, bezeichnete sich selbst als „Deutschländerin“, wobei sich schnell zeigte, dass die vorhandene Terminologie keine(n) so richtig befriedigt: Migranten, Urdeutsche, Ausländer usw., weswegen Ate? versöhnlich von „Arbeitsbegriffen“ sprach. Barbara Supp wies einleitend auf ihr neues Buch hin und auf den Fall einer zwölfjährigen Importbraut, die ihrem rund zwanzig Jahre älteren Mann davon lief, nachdem sie ihm mit fünfzehn den ersten Sohn und danach noch zwei Kinder geboren hatte. Den Vorwurf, dass sie Einzelfälle aufbausche und darüber „reißerische Pamphlete“ (Die Zeit) schreibe, wies Ate? zurück: Wenn sich bei den Beratungsstellen rund tausend Mädchen meldeten, um sich vor einer Zwangsehe zu schützen, könne man nicht mehr von Einzelfällen sprechen. Die Frage, ob Ralph Giordano recht habe, wenn er vor einer „schleichenden Islamisierung“ warne, beantwortete sie ohne zu Zögern mit ja, machte aber gleichzeitig deutlich, dass „der Islam“ viele Facetten habe. In der Türkei habe man die gesetzliche Privilegierung des Ehrenmordes vor zwei Jahren abgeschafft, als Folge sei die Zahl der – vermutlich erzwungenen – Selbstmorde von Mädchen und Frauen gestiegen.
„Deutsche gefallen sich darin, eigene Kultur schlecht zu machen“
Für Multikulti-Schwärmer fand Ate? kein gutes Wort. Der Auffassung von Supp, dass dieser Begriff heute nicht mehr „affirmativ“ gebraucht werde, widersprach sie, nannte aber wohl aus Höflichkeit keine Namen. Deutschland habe ein Problem, dass andere europäische Länder nicht hätten: Bestimmte Deutsche gefielen sich darin, die eigene Kultur schlecht zu machen und die fremde zu verklären. Wie soll man bei dieser Haltung, so fragte Ate?, junge Türken dafür begeistern, Deutschländer zu werden?
Aus deutscher Sicht erscheine es rätselhaft, so die Spiegel-Redakteurin, warum Mütter und vor allem Schwiegermütter bei der Unterdrückung junger Frauen mitmachten. Die Antwort von Seyran Ate? war so einfach wie einleuchtend: Sie hatten nie Gelegenheit, ein anderes Lebensmodell zu entwickeln. Dies zu ändern, erfordere „Kleinstarbeit“. Vor allem müssten die Frauen raus aus ihrer engen Welt, in der es nur Gleichgesinnte gäbe. Sprach- und Integrationskurse dürften nicht in türkischen Kulturzentren durchgeführt werden, weil hier wieder alle nur unter sich wären.
Für manchen überraschend mag ihre Aussage geklungen haben: „Dass der Islam besonders frauenfeindlich ist, würde ich nie sagen“, dies sei eben nur eine bestimmte Spielart des Islam. Sie selbst sehe sich durchaus als Muslimin, vertrete aber einen Islam, der ausschließlich Privatsache sei. Im Rahmen der Religionsfreiheit habe auch der konservative Islam eine Existenzberechtigung, nicht allerdings der extremistische und fundamentalistische. Die islamischen Verbände in Deutschland, mit denen sie in der Islamkonferenz von Innenminister Wolfgang Schäuble sitzt (neben dem Plenum in der Arbeitsgruppe „Recht und Verfassung“), stufte Frau Ate? als eher konservativ ein, während es weltweit durchaus modernere Richtungen gebe.
„Dritte Migranten-Generation auf keinen Fall aufgeben“
Abschließend bat Supp die Frauenrechtlerin um ein „Fünfpunkteprogramm“ für den Fall, dass sie die politische Macht hätte, zerstörte dann aber leider durch ständige Zwischenfragen diesen Ansatz, so dass Ate? über Punkt 1 ihres Programms – ein Einwanderungsgesetz, das Neubürger auch tatsächlich willkommen heiße – nicht hinaus kam. Wichtig sei, betonte sie, die dritte Migranten-Generation auf keinen Fall aufzugeben. Es müsse wesentlich mehr in deren Bildung investiert werden. Die Fragen aus dem Publikum wurden überwiegend von Muslimen gestellt, brachten aber keine neuen Aspekte.
„Die Schwäche unserer Gesellschaft liegt in unserer Gleichgültigkeit gegenüber unseren Frauen“ hatte schon Mustafa Kemal Atatürk, Gründer der türkischen Republik (gestorben 1938), vor über sechzig Jahren erkannt. Dass viele Türkinnen auch Opfer dieser Schwäche bleiben, wenn sie in einer freiheitlichen Gesellschaft wie die der Bundesrepublik Deutschland eine neue Heimat gefunden haben – darin liegt eine besondere Tragik. Menschen wie Seyran Ate? arbeiten unermüdlich dafür, dass sich dies ändert, während sich Politikerinnen, die „sonst bei jeder Demo gegen die Verletzung von Menschenrechten in Ozeanien ganz vorn dabei sind“ (Henryk M. Broder), im eigenen Land vornehm zurückhalten. Schließlich will sich niemand den allfälligen Vorwurf des Rassismus oder gar der „Islamophobie“ einfangen. Seyran Ate? hat dieses Verhalten in einem Interview mit Pax Europa so erklärt: „Weil es bequemer ist, von weitem Unrecht zu beklagen, als von Angesicht zu Angesicht.“ Sie nimmt diese Unbequemlichkeit in Kauf, die natürlich weit mehr ist als das (so hat die türkische Zeitung „Hürriyet“ sie wegen ihrer Behauptung, viele türkische Frauen würden wie Gefangene leben, als „verrückt“ diffamiert) – und dafür gebührt ihr unser Dank und unsere Bewunderung.