Hubert N. war noch nicht im Saal, da ließ das Gericht die Aufnahmen der U-Bahn-Überwachungskamera von jenem Tag im Dezember an die Wand projizieren: Wie die beiden Angeklagten ihr Opfer hinterrücks niederschlagen, dann auf Hubert N. eintreten, ihm schließlich noch den Rucksack klauen. Es waren diese Tat und dieser Film, die schließlich den Wahlkampf des Hessen Roland Koch (CDU) prägten (mehr…).
Ein Raunen geht durch den Zuschauerraum, als die finale Tritt-Szene von Spyridon L. kommt. Die schildert Hubert N. kurz darauf so: „Sie haben meinen Kopf als Fußball benutzt und sind schön darauf herumgetrampelt. Dann bin ich weg gewesen.“
Die Folgeschäden des Überfalls beeinträchtigen den Pensionär bis heute: „Ich kämpfe jeden Tag um mein Leben, wenn ich aufstehe.“ Ihm werde schwindlig, er müsse sich dann hinsetzen. Früher habe er „einen ganzen Krimi am Tag gelesen“, nun sei dies nicht mehr möglich: „Nach 20 Seiten wackelt alles.“
Die beiden Angeklagten zeigen kaum eine Regung. Spyridon L. hat die Arme gekreuzt vor der Brust, Serkan A. stützt sich mit seinen Ellbogen auf dem Tisch ab. Hubert N. berichtet ausführlich von dem Abend, „an dem mein Schicksal begann“ – so wie er es zuvor schon auf SPIEGEL ONLINE getan hat (mehr…): Vom ersten Zusammentreffen im letzten Waggon der U-Bahn-Linie 4, als ihm „der da“ – N. zeigt auf Spyridon L. – Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen habe; wie er selbst dann seinen alten Spruch, in der Schule werde nicht geraucht, variiert habe: „In der U-Bahn wird nicht geraucht.“ Und wie er daraufhin beschimpft worden sei: „Deutsches Arschloch, scheiß Deutscher.“ Dann habe er sich weggesetzt.
„Da wusste ich, die schlagen mich tot“
Nach Aussage von Serkan A. soll Hubert N. noch gesagt haben: „Ihr seid das Volk, wegen dem wir Probleme haben.“ Doch Hubert N. bestreitet dies. Er habe auf die beiden gar nicht mehr geachtet. Bis er nach dem Aussteigen, oben im Zwischengeschoss der Station Arabellapark, nur 200 Meter von seiner Wohnung entfernt, die Schritte hinter sich hört: „Richtig schnell.“ Das Video – Hubert N. nennt es den „Hauptzeugen“ – zeigt, wie es weiter geht: Serkan A. schlägt ihn nieder, tritt zu. Spyridon L. setzt zu mehreren Faustschlägen ins Gesicht an, schließlich tritt er mit Anlauf zu. Man sieht, wie Spyridon L. weghumpelt – so sehr schmerzt ihn der Fuß vom Tritt. „Da wusste ich, die schlagen mich tot“, erinnert sich Hubert N. Und er fügt an: „Warum eigentlich, warum eigentlich?“
Weil sie betrunken waren? Das zumindest hat Spyridon L. in der Verhandlung am Vortag zu Protokoll gegeben: Sie hätten jeweils acht Bier getrunken. Und er werde „immer aggressiv, wenn ich trinke“. Deshalb könne er sich nicht mehr erinnern: „Ich war so dicht.“
Hubert N. will das nicht so empfunden haben: Zwar habe man „gemerkt, dass die gebechert haben, dieses Hinlümmeln auf die U-Bahn-Sitze, der Schaum auf den Lippen“, aber Alkohol habe er aus drei Metern Entfernung nicht gerochen. „Sie haben nicht soviel getrunken, dass sie umgefallen wären, davon waren sie noch weit entfernt.“ Zudem seien die beiden „sportlich beieinander“ gewesen, „muss ich schon loben“. Später stimmt Hubert N. dem Begriff „angetrunken“ zu.
„Die Entschuldigung ist eine leere Floskel “
Für Spyridon L., den Jüngeren der beiden Angeklagten, ist es kein guter Tag. Hubert N. belastet ihn, wenn er sich – mit dem Finger auf den Griechen zeigend – erinnert: „Ich hatte den Eindruck, der da hat die Führung übernommen, der andere hat alles nachgemacht.“ Allerdings war es laut Video Serkan A., der Hubert N. den ersten Schlag versetzte.
Im Zentrum des Prozesstages steht auch die Frage der Entschuldigung. Entsprechende Briefe an Hubert N. haben schon beide Angeklagten aus der U-Haft in München-Stadelheim geschickt. Doch das Opfer nahm sie nicht an.
Auch eine von einer Zeitung arrangierte Versöhnungsszene schlug Hubert N. aus: „Ich bin kein Pop-Star, ich veranstalte keine Show.“ Selbstverständlich nehme er Entschuldigungen an, wenn sie ernst gemeint seien, erklärt er. „Ich weiß, wann etwas von Herzen kommt.“ Doch heute sei die Entschuldigung „zu einer leeren Floskel geworden“. Wenn die beiden Angeklagten es ernst meinten, „dann will ich erstmal die geklauten Gegenstände zurück – eine Entschuldigung fängt mit Kleinigkeiten an“.
Hubert N. vermisst ein Notizbuch und seinen Fotoapparat, die sich in dem Rucksack befanden, den Serkan A. damals mitgehen ließ. Das Stück wurde später in einem Garten gefunden – ohne die besagten Gegenstände. Spyridon L. hat jetzt einen roten Kopf, den er ärgerlich schüttelt. Die Verteidigung argumentiert, dass der Fotoapparat „rein theoretisch“ auch von anderer Seite entwendet worden sein könnte. Hubert N. sagt: „Herr Verteidiger, das sind jetzt aber viele Spekulationen auf einmal.“