Von CHRISTIAN JUNG | Meist wird die Kritik am Islam (oder einer anderen Religion) als unter dem Schutz der Meinungsfreiheit stehend betrachtet (Art. 5 Abs. 1 GG). Dies ist zu einem Gutteil allerdings zu kurz gegriffen. Vielmehr kann man sich bei seiner Kritik und oder Ablehnung einer Religion auf Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz berufen.
Dabei ist nicht unerheblich, auf welches Freiheitsrecht man sich bei seinen Äußerungen beruft bzw. berufen könnte. Zunächst die beiden Artikel im direkten Vergleich:
Art. 5
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.Art. 4
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Der Vergleich macht deutlich, dass Art. 5 unter anderem in Absatz 2 gewisse Einschränkungen unterliegt, während sich bei Art. 4 GG nur grundgesetzimmanente Schranken ergeben. Das heißt, dieses Grundrecht ist nur insoweit einschränkbar, als dies zum Schutz anderer Verfassungswerte notwendig ist. Daher ist der durch Art. 4 gewährte Schutz vor staatlicher Einmischung „hochwertiger“. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Meinungsfreiheit hinter der Religionsfreiheit zurücksteht oder gar, dass ein Anspruch besteht, seine Religion – mit staatlicher Unterstützung – vor Kritik zu schützen.
Hier soll es ausschließlich darum gehen, inwieweit Islamkritik (oder Religionskritik) dem Schutzzweck der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG unterfällt.
Jedes Freiheitsrecht trägt immanent das Recht in sich, davon in negativer Weise Gebrauch zu machen. Die Berufsfreiheit enthält somit keine Pflicht, einen (bestimmten!) Beruf auszuüben, was aber nicht den Anspruch gewährt, seinen Lebensunterhalt von anderen gewährt zu bekommen.
Ebenso gibt es keine Pflicht, eine Religion zu haben oder sich zu der Religion oder Weltanschauung zu bekennen. Zunächst hat die negative Religionsfreiheit damit das Recht zur Folge, sich einer oder überhaupt jeder Religion zu verweigern. Die negative Religionsfreiheit ist damit nicht (unmittelbar) das Recht zur Kritik an einer Relgion.
Allerdings enthält Art. 4 Abs. 1 GG auch die Weltanschauungsfreiheit. Die negative, also eine Religion ablehnende bzw. eine antireligiöse Haltung geht auf eine Weltanschauung zurück, die wiederum den selben Schutz genießt.
Die Rechte des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sind als klassische Abwehrrechte subjektive Rechte, die die Freiheit gewährleisten, sich zu einem Glauben oder einer Weltanschauung zu bekennen, dagegen Stellung zu beziehen oder darüber zu schweigen (Starck in: GG Kommentar v. Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian (Hrsg.), 5. Aufl. München 2005, RN 21 zu Art. 4).
Es ist daher Ausfluss der eigenen Religion oder der eigenen Weltanschauung, zu bezweifeln oder zu bestreiten, dass Mohammed als Massenmörder von Khaibar der Prophet eines (die Menschen liebenden) Gottes sein kann. Jeder hat aufgrund der Religionsfreiheit das Recht, das Menschenbild, das der jeweiligen Religion zugrunde liegt, aufgrund eigener religiöser oder weltanschaulicher Überzeugungen zutiefst abzulehnen und diese Ablehnung auch zu äußern und andere von der eigenen Sicht überzeugen zu suchen.
Es entspricht somit der Religionsfreiheit, einen Gott abzulehnen, der eine Infragestellung eines brutalen, raubenden und Frauen und Kinder versklavenden „Propheten“ verbietet und der Zweifel als Abfall von seiner Religion betrachtet und darin ein todeswürdiges Vergehen sieht. Diese Ablehnung darf auch geäußert werden.
Die Religionsfreiheit wird nach dem vorgenannten Kommentar zum GG (v. Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian (Hrsg.)) in drei Schichten gewährt. Die erste Schicht gewährt die Freiheit, eine eigene Vorstellung zu Religion und/oder Weltanschauung zu entwickeln.
Die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gewährleistet in ihrer ersten Schicht die elementare Freiheit der inneren Überzeugung, der Gedankenfreiheit in den Fragen des Glaubens, sei er religiös, areligiös oder antireligiös, (Starck in: GG Kommentar v. Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian (Hrsg.), 5. Aufl. München 2005, RN 34 zu Art. 4).
Die zweite Ebene ist die Bekenntnisfreiheit, die nach dieser Vorstellung auch das Recht gewährt, seine inneren Vorstellungen nach außen zu tragen.
Anders jedoch Schachtschneider, der die Bekenntnisfreiheit wie folgt versteht [1]:
Schachtschneider entfaltete eine rechtsdogmatische und rechtsphilosophische Fundierung des Grundrechtsbereichs der Religionsfreiheit und legte überzeugend dar, warum die Religionsfreiheit nicht – wie bisher durch das Bundesverfassungsgericht geschehen – als einheitliches Grundrecht mit breiigen Konturen und unabsehbaren Abwägungen begriffen werden sollte, sondern als Mehrheit von Grundrechten, wie dies bereits im Gesetzestext selbst angelegt ist. Art. 4 GG: “Absatz 1: Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Absatz 2: Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.”
In dieser Formulierung liegt eine Unterscheidung begründet: Die Bekenntnisfreiheit ist unverletzlich, d.h. jeder kann und darf ohne jede Einschränkung glauben, was und an was und wie er will. Die Religionsausübungsfreiheit ist jedoch nur innerhalb der von Art. 140 GG in Verbindung mit dem fortgeltenden Art. 136 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung gewährleistet: “Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.”
Hier soll jedoch weiter entlang der bisher (!) durch das Bundesverfassungsgericht angewandten Rechtsdogmatik argumentiert werden. Zumal sich letztlich ohnehin nichts anderes ergäbe. Daher gilt:
In der Bekenntnisfreiheit, die sich auf Religion und Weltanschauung in gleicher Weise bezieht, ist das Recht enthalten, „zu sagen, was man glaubt oder nicht glaubt, und zu verschweigen, dass und was man glaubt, (Starck in: GG Kommentar v. Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian (Hrsg.), 5. Aufl. München 2005, RN 36 zu Art. 4).
Somit hat man die Freiheit, eine Religion abzulehnen und die Ablehnung öffentlich zu begründen. Es enthält somit auch das Recht, einen anderen von der eigenen religiösen, areligiösen und antireligiösen Sicht zu überzeugen. Somit hat auch der Atheist ein Recht auf friedliche Mission.
Es gibt keinen Anspruch, von anderen nicht durch Beispiel oder Verkündung in seinem Glauben verunsichert zu werden (Herzog in: Maunz und Dürig, 8. Auflage, München 2009 RN 74 zu Art. 4 GG).
Es kommt dem Staat nicht zu, von seinen Bürgern ein bestimmtes Denken in religiösen oder weltanschaulichen Fragen zu fordern und es ist ihm erst recht versagt, durch Einsatz staatlicher Sanktions- oder auch nur Lenkungsmittel Nachdruck zu verschaffen. Dabei kann es keine Pflicht des Bürgers sein, alle Religionen gleichmäßig negativ zu beurteilen, da dann die Freiheit mit einer Pflicht einherginge, die der Staat nicht verlangen darf. Zwar ist es am Staat, jede Religion und Weltanschauung gleich zu behandeln, dies geht allerdings nicht soweit, vom Bürger eine Nichtdiskriminierung zu verlangen.
Dies bedeutete, die Religions- und Weltanschauungsfreiheit an sich in Frage zu stellen, da es dem einzelnen obliegt, sich für die aus seiner Sicht „bessere“ oder gar „beste“ Religion zu entscheiden.
Allerdings findet der Gleichbehandlungsgrundsatz dort sein Ende, wo die Religion auf die Abschaffung der freiheitlich demokratische Grundordnung abzielt. Die Freiheit beinhaltet nicht das Recht, diese abzuschaffen. Auch hierzu sei auf die Ausführungen Prof. Schachtschneiders [1] verwiesen.
Dabei kann die Ablehnung der Religion sich jedes beliebigen Arguments bedienen. Die Religion abzulehnen, da sie die Vorgabe macht, Tiere betäubungslos ausbluten zu lassen und somit für den Verzehr unnötigerweise aufgrund uralter Vorschriften zu quälen, ist durch die Religionsfreiheit geschützt.
Es mag den einzelnen Gläubigen (verständlicherweise, wie wir finden), in seinem Glauben verunsichern, weil es der ein oder andere als lächerlich empfindet, dass ein Prophet Gottes auf einem geflügelten mit einem Mädchengesicht ausgestatteten Pferd durch die arabische Nacht geflogen sein soll.
Es gilt aber dennoch zu unterscheiden, ob eine Ablehnung eines Glaubensbestandteils dem Recht auf freie Religionsausübung oder der freien Meinungsäußerung unterfällt. Als Beispiel solle hier die Einführung der Scharia betrachtet werden, die unauflöslicher Teil des islamischen Glaubens ist (was z.B. nicht für die alevitischen Muslime gilt, die allerdings von einem nicht unerheblichen Teil der Umma [Gemeinschaft der Gläubigen/Muslime] als Ungläubige betrachtet werden).
Die Vorstellung über das Rechtssystem und der Meinungskampf hierzu würde im Allgemeinen dem Recht, seine Meinung frei äußeren zu dürfen, unterfallen. Allerdings wäre eine Forderung nach Einführung der Scharia der Sphäre des Religiösen zuzuordnen, da sie auf dem durch die Religion vermittelten Weltbildes fußt. Daher könnte man die Überlegung anstellen, inwieweit – so man hinsichtlich des Islam überhaupt davon ausgeht, dass er dem Schutz des Art. 4 GG unterfällt – diese Forderung unter dem Schutz der Religionsfreiheit steht. Oder aber man betrachtet dies als eine politische Forderung und unterstellt sie somit dem Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Dies zu entscheiden ist nicht dem einzelnen überantwortet, sondern muss anhand objektiver Kriterien entschieden werden. Allerdings ist es in unserem Zusammenhang letztlich unerheblich.
Die ablehnende Haltung und die Äußerungen hierzu folgt der Forderung schon aufgrund der Vorüberlegungen „in den Schutzbereich“. Auch deshalb, da das Neutralitätsgebot des Staates es schlichtweg verbietet, die Forderung und politische Vorstellung der einen Seite einem weiterreichenden Schutz zu unterstellen als die Wertvorstellungen der Gegenseite. Es steht dem Staat nicht zu, für eine Seite letztlich dadurch Partei zu ergreifen, als dass er eine Forderung mit einem höherwertigen Schutz versieht als die Ablehnung ebendieser Forderung. Daher ist es insoweit unerheblich, welchem Bereich man eine Forderung und deren Ablehnung zuordnet. Keine verdient einen höheren Schutz als die andere und man begegnet sich damit zunächst auf Augenhöhe.
Es gibt allerdings Bereiche, die eine Unterscheidung nach Schutzbereich notwendig macht. So ist es im Beamtenrecht nicht unerheblich, ob eine Äußerung im Bereich der freien Meinung nach Art. 5 oder der Religionsfreiheit nach Art. 4 GG zuzuordnen ist.
Während der Beamte der dienstlichen Pflicht zur Mäßigung beim politischen (!) Engagement unterliegt, darf seine Religiöse Freiheit keine Einschränkung erfahren, es darf ihm auch kein Nachteil aus der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit erwachsen, Art. 33 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG [2].
Diese auf den staatlichen Dienst bezogene Bestärkung der Glaubensfreiheit stellt klar, dass der Eintritt in den öffentlichen Dienst und die Tätigkeit in ihm die volle Glaubensfreiheit wahrt (Starck in: GG Kommentar v. Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian (Hrsg.), 5. Aufl. München 2005, RN 116 zu Art. 4).
Einschränkungen der Glaubensfreiheit, was das Reden und Handeln anbelangt, lassen sich nur mit der verfassungsrechtlich gebotenen religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates und der für ihn handelnden Beamten begründen. So kann ein Bewerber für eine Beamtenstelle zurückgewiesen werden, der aus religiösen Gründen – welcher Glaubensgemeinschaft er auch immer angehört – nicht bereit ist, sich jederzeit und uneingeschränkt für die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik einzusetzen. Auslöser für die Ablehnung des Bewerbers ist nicht dessen Religion, sondern dessen fehlende Bereitschaft, sich für die Grundordnung einzusetzen (Starck in: GG Kommentar v. Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian (Hrsg.), 5. Aufl. München 2005, RN 117 zu Art. 4).
Dem Beamten kann verboten werden im Dienst oder in Uniform zu missionieren. Außerhalb des Dienstes steht dem Beamten die Glaubens(ab)werbung zu und zwar auch dann, wenn er als solcher erkannt wird und wenn sich die Angesprochenen nicht frei fühlen, ihm zu widersprechen oder ihn abzuweisen (Starck in: GG Kommentar v. Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian (Hrsg.), 5. Aufl. München 2005, RN 118 zu Art. 4). Soviel zu dem Sonderfall des Staatsdieners.
Zudem darf nicht übersehen werden, dass das christliche Weltbild die Wurzel der Gesellschaftsordnung war und ist (der Autor dieser Zeilen ist im übrigen Atheist mit einer leichten Tendenz zur Agnostik. Es ist somit nicht Sinn und Zweck dieses Beitrages, das Christentum zu propagieren). Das christliche Weltbild als Wurzel ist letztlich auch durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt. Aus dem Kruzifix-Urteil [3]:
Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit umfassend gewährleistet und sich damit selber zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtet, kann die kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Einstellungen nicht abstreifen, auf denen der gesellschaftliche Zusammenhalt beruht und von denen auch die Erfüllung seiner eigenen Aufgaben abhängt. Der christliche Glaube und die christlichen Kirchen sind dabei, wie immer man ihr Erbe heute beurteilen mag, von überragender Prägekraft gewesen. Die darauf zurückgehenden Denktraditionen, Sinnerfahrungen und Verhaltensmuster können dem Staat nicht gleichgültig sein.
Insgesamt bleibt festzuhalten: Wer sich gegen die Kritik am Islam wendet, der greift damit das Recht des einzelnen an, eine Religion abzulehnen und dies auch mitzuteilen. Er wendet sich damit gegen die Religionsfreiheit selbst – oft mit der Behauptung, diese schützen zu wollen.
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