[1]DIE FREIHEIT hält morgen in Frankfurt ihren ersten Bundesparteitag ab. Es ist völlig normal, dass nach der Wahlniederlage bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin über das Programm diskutiert wird. Im folgenden ein Brief vom Landesvorsitzenden in NRW, Andreas Pokladek (Foto), der die Partei verschieben will – in die linke Richtung. Wie weit?
Pokladek schreibt am 7. Dezember:
Sehr geehrte Mitglieder und Aktive der Partei DIE FREIHEIT,
am Samstag den 10. Dezember 2011 werden wir unseren ersten großen Bundesparteitag in Frankfurt abhalten. Neben einigen satzungsrechtlichen Fragen steht die Neuwahl des Bundesvorstandes auf der Tagesordnung. Wir reden über Richtungsentscheidungen, die anstehen. Eine wichtige Personaldebatte beschäftigt uns intern.
Ich selbst habe große Hoffnungen in das Entstehen der Partei DIE FREIHEIT gesetzt und würde gerne ein paar Gedanken hierzu mit Ihnen teilen:
Letztes Jahr sah mit Freude, wie sich eine neue bürgerliche, demokratische und freiheitliche Kraft anschickte, die Fesseln der politischen Korrektheit zu sprengen, ohne dabei extrem, volkstümelnd oder dümmlich-populistisch aufzutreten. Die progressive und konservative „Mischung“ Ihrer Gründer schien mir ein gutes Omen zu sein, nicht die Geburt der nächsten erfolglosen Initiative oder Splitterpartei zu erleben.
Unser Beginn auf einer Internetplattform war vielversprechend, der Idealismus vieler Gründer spürbar. Ich organisierte ab Mai 2010 verschiedene Treffen der Partei, nahm an der Veranstaltung mit Geert Wilders im Oktober teil und war überrascht: Angenehm überrascht von den Menschen, die sich von unserem Projekt, eine neue Partei aufzubauen, angezogen fühlten.
Eine Partei, die die Demokratie wiederbeleben möchte, die den politischen Gestaltungswillen und die Rechte der Bürger wieder in den Mittelpunkt rückt und für uns alle ihre Stimme erhebt – auch gegen die Umwandlung der EU in einen zentralistischen Euro-Superstaat. Eine Bewegung, die für direkte Demokratie eintritt und sich klar für unsere Werte einsetzt. Die für weniger Staat, weniger Schulden, mehr Initiative des Einzelnen und eine vernünftige Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik steht.
Eine Partei, die den immer irrationaler werdenden Multi-Kulti-Wahn sowie die schleichende Etablierung der Ziele des politischen Islam in unserer Gesellschaft kritisch thematisiert und diese Fehlentwicklungen korrigieren will. Ein Thema, dem ich persönlich große Bedeutung beimesse, von dessen schwerer Vermittelbarkeit ich aber auch ein Lied singen kann.
Was mir und vielen anderen genauso wichtig erschien: DIE FREIHEIT wollte eine Partei sein, die trotz gesellschaftlich umstrittener Ziele so klug ist, diese nicht den „Rechten“ zu überlassen, sondern diese Themen als zeitgemäße, bürgerliche und rational-aufgeklärte Kraft der Mitte in einen menschlich vertretbaren Kontext setzen. Die sich eindeutig zur offenen Gesellschaft und den unveränderlichen Freiheitsrechten des Individuums bekennt.
Ich schreibe Ihnen heute, weil ich mir Sorgen um unser Projekt mache. Wir haben gut begonnen, aber lassen Sie uns ehrlich zu uns selber sein: Wo stehen wir heute, ein Jahr später? Wir haben es nicht geschafft, auch nur in kleinen Teilen der Medienlandschaft ein halbwegs positives Image aufzubauen.
Tatsächlich nähern wir uns gesellschaftlichen Vorurteilen über „Rechte“ sogar selbst immer weiter an und riskieren damit, künftig zum Sammelbecken für chronisch Unzufriedene vom rechten Rand zu werden, die ein neues Trittbrett für ihre Ambitionen suchen.
Das letzte Jahr war geprägt von „Schuldkult“-Reden auf Parteiveranstaltungen, einem politischen Aschermittwoch in einer rechts-nationalen Burschenschaft, gemeinsamen Erklärungen mit bekannten national-konservativen Populisten, der Einladung von NPD-Funktionären zu öffentlichen Treffen, angeblichen Sondierungsgespräche mit dem Vorsitzenden der FPÖ und schließlich einem Briefwechsel mit der Pro-Bewegung.
Dazu die ausländerfeindlichen Gedichte eines stellvertretenden Bundesvorsitzenden, ergänzt um Thesen zu Arbeitslagern, die Rechtsextremen gut zu Gesicht gestanden hätten. Gepaart mit spießiger Rückwärtsgewandtheit einiger Mitglieder und lähmendem Zentralismus in der Berliner Parteizentrale. Hinzu kommen Intrigen, das Verprellen engagierter Mitstreiter und der mangelnde Wille, den vorhandenen Fachleuten Kompetenzen für effektives Arbeiten zu geben. Nur Kopfschütteln bleibt als Reaktion auf dilettantische Wahlkampfmaßnahmen, zu denen noch nicht einmal ein vorzeigbarer Internetauftritt gehört. Aktiven, die beträchtliche Summen vorgestreckt haben, werden trotz abweichender Vereinbarungen die Auslagen nicht ersetzt.
In letzter Zeit profiliert sich sogar ein „Aufklärer“ mit Thesen, die von mangelndem Verständnis unseres Grundgesetzes zeugen, die fanatische und radikale Kräfte ansprechen und somit die Arbeit unserer Partei nachhaltig schädigen. Ein stringentes, modernes, widerspruchsfreies und von Fachleuten ernstzunehmendes Parteiprogramm fehlt dagegen weiterhin.
Einige in unseren Reihen ignorieren diese dramatischen Fehlentwicklungen geflissentlich. Das zeigt, wie führungsschwach und arm an politischem Fingerspitzengefühl einige Mitglieder – sogar in einflussreichen Positionen – sind. Ist es unter diesen Umständen noch rational, sich über eine negative und angeblich „ungerechte“ Medienberichterstattung zu wundern? Sind unser schlechtes Image und die Einordnung als „rechts“ oder sogar „rechtsextrem“ wirklich so überraschend und unfair?
All dies zu ändern, liegt in unserer eigenen Verantwortung!
Daher bitte ich alle Parteimitglieder: Hören Sie auf, die Schuld für Misserfolge bei anderen zu suchen, zum Beispiel bei der „Systempresse“, der „linken Meinungsdiktatur“ oder „dem Mainstream“. Arbeiten wir uns inhaltlich, stilistisch und personell aus der Ecke heraus, in die uns einige Akteure manövriert haben. Hören wir auf, der Presse selbst das Futter hinzuwerfen, das uns schlecht aussehen lässt.
Werden wir modern und zivil, ansprechend und überzeugend. Kultiviert, vernünftig und trotzdem unbequem. Gegen das Establishment kämpfen nur die Dummen, weil dieser Kampf nicht zu gewinnen ist. Stattdessen sollten wir uns klug und mit den vorhandenen Gegebenheiten für das Gute und Richtige einsetzen. Auch „das Establishment“ ist nicht homogen, und ohne Öffentlichkeit werden wir schlichtweg nichts erreichen. Hierzu hat Holm Ay aus Hamburg kürzlich eine bestechende Analyse [2] veröffentlicht:
Auch der „Kampf gegen Rechts“ gehört zu unseren Aufgaben. „Was, Seite an Seite mit der Antifa?“ denken Sie vielleicht. Aber darum geht es nicht, sondern um unsere Positionierung gegen Extremismus jeder Art. Wollen wir uns in dieser Sache wirklich auf die falsche Seite stellen? Bereiten wir uns lieber darauf vor, mit anderen demokratischen Kräften zusammenzuarbeiten. Das geht nicht ohne ein ernstzunehmendes, lösungsorientiertes Programm. Ein Programm, das eine Vision davon vermittelt, wie Deutschland und Europa künftig aussehen sollen. Das sich nicht geradezu willentlich zur Diffamierung als „rechtsextrem“ anbietet.
Wir sind nicht allein: Überall gibt es Menschen, die für ähnliche Ziele stehen – ob Hans-Olaf Henkel, Frank Schäffler, Thilo Sarrazin, Friedrich März oder Joachim Gauck, ein herausragender Vertreter bürgerlichen Engagements. Dazu kommen zahlreiche vernünftige Vereine, Journalisten, Wählergemeinschaften und Initiativen. Bieten wir ihnen die politische Plattform, auf der sie ihr Engagement zusammenbringen können!
Viele Bürger wünschen sich eine Partei, die man als unabhängiger Kopf wählen kann und für die man sich nicht schämen muss. Die für Ehrlichkeit und Vernunft, langfristiges Denken, Transparenz und Respekt vor dem Willen der Bürger steht. Was aber interessiert diese Menschen? Sind es wirklich Sure drei oder fünf des Korans, die den Untergang des Abendlandes heraufbeschwören oder doch eher ihr Arbeitsplatz, eine vernünftige Schule für ihre Kinder und die Sicherheit des Ersparten? Natürlich wollen wir uns weiter gegen die Islamisierung unserer Gesellschaft engagieren, doch die Menschen – unsere potenziellen Wählen und Unterstützer – müssen wir auch erreichen.
Ohne einen grundlegenden Stilwechsel können wir unser Projekt über kurz oder lang begraben. Unsere Inhalte brauchen wir dabei weder zu verraten noch zu verwässern. Aber wir brauchen ein Auftreten, das geeignet ist, breite Schichten anzusprechen. Einen Stil jenseits von Ressentiments und ewigem Kritisieren, sondern voll konstruktiver und praktischer Vorschläge.
Ich wünsche mir eine Partei, die sich für die Menschen einsetzt. Für die Bürgerrechte. Für den Wohlstand. Für die Vielfalt. Für die Integration, nicht die Ausgrenzung. Für die offene Gesellschaft. Kurz: für unser Gemeinwohl. Und dafür, dass Deutschland souverän bleibt und sich weiterentwickelt. Eine Partei, die schützt, was zu schützen ist; die anspricht, was anzusprechen ist und die ändert, was zu ändern ist. Eine Partei, die ein Netzwerk darstellt, eingebettet in eine Bürger-Bewegung des 21. Jahrhunderts. Das Potential für eine solche Partei ist groß.
In wenigen Tagen werden wir wichtige Richtungsentscheidungen für DIE FREIHEIT treffen. Lassen Sie nicht zu, dass dieses wichtige Projekt durch Überforderung oder Unfähigkeit scheitert und durch fanatisierte Autoren in Misskredit gerät. Mitglieder mit großem Potenzial werden austreten, wenn wir nicht einen Kurs- und Stilwechsel vollziehen. Auch die guten Mitstreiter, die wir uns wünschen, werden einen großen Bogen um uns machen.
Werden wir lieber demokratisch und dezentral im Inneren. Beenden wir die zentralistische Führung durch einen Bundesvorstand, der die verkrusteten Strukturen der etablierten Parteien auf uns übertrug. Was schon in der CDU zu Unzufriedenheit führt, bringt auch uns nicht voran. Inkompetenz, Führungsschwäche und zunehmend zentralistische Entscheidungen führen nur zur immer mehr Problemen. Wir brauchen einen Vorstand, der Verantwortung delegieren kann, Fachleute einbindet und die Gruppen vor Ort unterstützt. Der uns in der Öffentlichkeit angemessen repräsentiert und die innerparteiliche Kommunikation flüssig und transparent gestaltet. Der die Verantwortung mit den Ländern teilt, ihnen den Rücken stärkt und sich als Dienstleister der Mitglieder versteht.
Ich weiß, dass der amtierende Bundesvorstand bis an die Grenzen der Belastbarkeit gegangen ist und großen Dank für seine Arbeit verdient. Doch harte Arbeit allein bringt uns nicht weiter, auch Richtung und Vorgehensweise müssen stimmen. Ich verweise hier noch einmal auf das Essay von Holm Ay (s. o.) und wiederhole meine Forderung, dass wir umgehend eine hohe Arbeitsqualität sicherstellen und eine inhaltliche Vision entwickeln müssen, wohin die Reise gehen soll.
Auch auf der Internetseite „EuropeNews“ [3] findet sich eine gute Analyse des Thüringer Landesvorsitzenden Philipp Beyer über die Auseinandersetzung um die Thesen von Michael Stürzenberger. Ich halte ihren Inhalt für alarmierend. Radikale Ideen ohne Rücksicht auf Verluste in die Welt zu setzen, ist nicht nur unfair den eigenen Mitstreitern gegenüber, sondern auch der sichere Weg in die Erfolg- und Bedeutungslosigkeit.
Es steht viel auf dem Spiel. Ich wünsche unserer Partei den Erfolg, den sie verdient und den unser Land braucht. Eine Partei, deren Zeit gekommen ist und auf die wir stolz sein können. Ich wünsche uns allen viel Erfolg am 10. Dezember in Frankfurt!
Mit freundlichen Grüßen,
Andreas Pokladek
Landesvorsitzender NRW
Ob das der politische Kurs ist, den sich viele, die nach der Gründung der FREIHEIT euphorisch in die Partei eingetreten sind, erhofft haben? Der morgige Tag wird spannend…
» Citizen Times: Interview mit Marco Pino [4]
Like