Für das angebliche Opfer gab es einen Preis für Zivilcourage. Für die Täter – der Einfachheit halber gleich für alle Einwohner von Mittweida – Beleidigungen und das Versprechen eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders, den Fremdenverkehr zugrunde zu richten. In einem der peinlichsten Zwischenfälle im Kampf gegen Rechts, steht jetzt eine junge Frau vor Gericht, die sich zum gefeierten Opfer einer erfundenen rechtsradikalen Straftat hochlog. PI weiß, wie man das Ding noch retten kann.
Eine junge Frau huscht in den Bau des Amtsgerichts Hainichen in Sachsen. Fragen, das hat ihr Anwalt Axel Schweppe klar gemacht, will sie nicht beantworten – weder im Gerichtssaal noch draußen. Rebecca K., 18, die ehemalige Heldin von Mittweida, möchte keine Öffentlichkeit mehr. Der Prozess gegen sie, der am Dienstag mit neun Zeugenvernehmungen fortgesetzt wurde, findet ohnehin hinter verschlossenen Türen statt, weil nach Jugendstrafrecht verhandelt wird.
Im November 2007 erschütterte der Hakenkreuz-Fall von Mittweida ganz Deutschland und machte die damals 17-jährige Rebecca K. zur modernen Heldin. Am 3. November 2007, so schilderte Rebecca K. das angebliche Ereignis, habe sie vor dem Norma-Markt in Mittweida beobachtet, wie vier Skinheads ein Spätaussiedler-Mädchen herumschubsten, und sei couragiert dazwischen gegangen. Kleinstadt im medialen Sturm
Daraufhin hätten die Rechtsradikalen sie zu Boden gerungen und ihr mit einem „skalpellartigen Gegenstand“ ein Hakenkreuz in die Hüfte geschnitten. Als die Polizei den Fall Ende November bekannt gab, brach ein medialer und politischer Sturm über die sächsische Kleinstadt herein. Dutzende Kamerateams filmten den angeblichen Tatort, Hunderte Mails fluteten das elektronische Gästebuch der Stadt, die als „braunes Rattennest“ beschimpft wurde. Eine Mitarbeiterin des bayerischen Rundfunks schrieb an Bürgermeister Matthias Damm, sie werde künftig alles tun, um Westdeutsche vom Besuch seiner Stadt abzuhalten.
Das Berliner „Bündnis für Demokratie und Toleranz“, hochkarätig besetzt mit Vertretern aus allen Bundestagsfraktionen, zeichnete Rebecca K. am 1. Februar 2008 mit einem eigens geschaffenen „Preis für Zivilcourage“ im Rathaus von Mittweida aus. Zu diesem Zeitpunkt war Rebecca K. allerdings schon längst selbst zum Fall für die Staatsanwaltschaft geworden. Denn von Anfang an strotzte die Geschichte von der vermeintlichen Heldentat vor Ungereimtheiten.
So war die Jugendliche erst neun Tage später mit ihrer Geschichte zur Polizei gegangen. Die Schnitte auf ihrer Haut verliefen auffällig gerade und parallel – was kaum zu ihrer Erzählung passt, sie hätte sich wild gegen die Skinheads gewehrt, und sich schließlich losreißen können. Vor allem meldete sich kein Zeuge, der an diesem frühen Samstagabend im November mitten in einem Wohngebiet von Mittweida etwas gesehen hatte – und das, obwohl die Polizei eine Belohnung von 5000 Euro aussetzte, und ein regionales Unternehmen noch einmal die gleiche Summe.
Zwar fand die Polizei ein fünfjähriges Kind, das vage bestätigte, geschubst worden zu sein. Dann stellten die Ermittler allerdings fest: Das Kind war an dem angeblichen Tattag nach den Aussagen seiner Eltern überhaupt nicht in Mittweida gewesen, sondern zusammen mit seinem Vater bei einem Handballspiel im Nachbarort.
Außerdem kam der Hamburger Gerichtsmediziner Klaus Püschel in einem Gutachten zu dem Schluss, dass sich Rebecca K. die Schnitte selbst zugefügt hatte: Das Verletzungsbild spricht aus seiner Sicht eindeutig dafür. Eine weitere Merkwürdigkeit der Mittweidaer Heldensaga fällt auf: Schon einen Tag, nachdem die Polizei den angeblichen Überfall bekannt gegeben hatte, war in der Presse von einem kleinen „Spätaussiedlermädchen“ die Rede, das angeblich von den Neonazis attackiert worden sei. Nur: Kinder von Spätaussiedlern besuchen in Mittweida den deutschen Kindergarten, sprechen Deutsch, und sie unterscheiden sich auch äußerlich nicht von Kindern deutscher Eltern. Woher wollte also Rebecca K. wissen, dass es sich um ein Spätaussiedlermädchen gehandelt habe, zumal sie bei der Polizei auch betonte, sie habe das Kind vorher nie gesehen?
„Die kommen aus Weißrussland, da haben die Spätaussiedler schon einen asiatischen Einschlag“, antwortet Rebecca K.s Anwalt Axel Schweppe auf die Frage von FOCUS Online. Weißrussen mit einem asiatischen Einschlag? Weil ihm die Antwort dann selbst zu abenteuerlich vorkommt, mildert er sie ab: „Aber ein bisschen anders sehen die schon aus.“ Außerdem könne er gar nicht sagen, ob seine Mandantin etwas von Spätaussiedlern berichtet habe. Wer sollte es aber sonst gewesen sein, zumal es ja keine Zeugen gibt?
Kratzer im Gesicht
Auch auf die Frage nach einer anderen Ungereimtheit fällt seine Antwort ausweichend aus. Warum fanden sich auch in Rebecca K.s Gesicht Ritzungen in Form einer Siegrune – dem SS-Symbol -, allerdings nur als ganz oberflächliche Kratzer, die ausgerechnet an den schmerzempfindlichen Punkten am Tränensack enden? Sollten Rechtsradikalen ihr Opfer tatsächlich nur ganz leicht im Gesicht verletzt und außerdem noch schmerzhafte Stellen ausgespart haben, um ihr dann das stigmatisierende Zeichen in die Hüfte zu schneiden, also an eine Stelle, die normalerweise mit Kleidung bedeckt ist? Warum sollten Skinheads derart umständlich zu Werke gegangen sein? „Das müssen Sie die Täter fragen“, sagt Schweppe. „Aber die haben wir ja nicht.“
Freispruch aus Beweismangel?
Er ist davon überzeugt, dass seine Mandantin freigesprochen wird: „Ich muss doch nur eine In-dubio-pro-reo-Situation hinkriegen“, sagt er. „Es wird nie möglich sein, ihr nachzuweisen, dass sie sich die Schnitte beigebracht hat.“ Deshalb vermeidet Rebecca K. in der Verhandlung auch jede detaillierte Aussage zum angeblichen Tathergang. Am ersten Prozesstag hatte Schweppe lediglich eine Erklärung in ihrem Namen verlesen, in der die junge Frau noch einmal bekräftigt, es habe sich alles so zugetragen, wie sie es damals der Polizei erzählte.
„Auf Druck ihres Arbeitgebers“ erzählt Schweppe FOCUS Online, habe die Jugendliche ihre Lehre als Autolackiererin beendet. Jetzt arbeite sie im Betrieb ihrer Eltern. Ein Urteil in Sachen Rebecca K. wird für den 13. Oktober erwartet. Sollte sie tatsächlich verurteilt werden, verkündete die Ex-Innenstaatssekretärin Cornelie Sonntag-Wolgast vom Berliner „Bündnis für Demokratie und Toleranz“, müsse man über die „Rücknahme“ des Zivilcourage-Preises für Rebecca K. entscheiden. Für Andreas Nachama, Beirat in dem Bündnis und Direktor der Stiftung „Topografie des Terrors“, kommen diese Versuche der Schadensbegrenzung zu spät, selbst wenn die Ex-Heldin mit einem Freispruch mangels Beweisen davonkommt. „Das Bündnis“,sagt er, „hat nichts anderes als seine Glaubwürdigkeit. Und die ist irreparabel beschädigt.“
Was tun? Wir empfehlen: Wenn es dem Anwalt wider Erwarten nicht gelingt, einen Freispruch herbei zu schwätzen, bliebe noch die Möglichkeit, die Heldin mit dem selbstgeritzten Hakenkreuz wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Zeichen zu verurteilen. Dann bliebe wenigstens unter dem Strich eine rechtsextremistische Straftat für die Statistik.