STATEMENT der Verantwortlichen auf die zahlreichen Reaktionen zum Banner ‚Bin ich auch ein Minarett?’ am Kirchturm der Kirche St. Jakob am Stauffacher
Drei Vorbemerkungen:
Im Gespräch bleiben: Wir haben zahlreiche Reaktionen auf die durch 20-minuten verbreitete Aktion unserer Kirchgemeinde erhalten. Das ist sehr erfreulich. Einige Zuschriften erfolgten anonym. Diese werden wir nicht persönlich beantworten – wir verweisen aber auf unsere Homepage. Ehrverletzende Zuschriften werden von uns ignoriert. Eine persönliche Antwort erhalten aber alle, die sich mit Namen und Anschrift auch zu ihrer Meinung bekennen.
Kein Protest: In aller Deutlichkeit haben wir gegenüber 20-minuten betont, dass die Aktion kein Protest gegen das Abstimmungsergebnis ist. Im Gegenteil: Wir nehmen es zur Kenntnis, fragen allerdings weiter, was es für uns bedeutet. Jetzt müssen wir aber protestieren: das ist unlauter und kann strafrechtlich verfolgt werden, wenn die klare Auskunft, es handle sich nicht um eine Protestaktion, in ihr Gegenteil verdreht wird.
Eine Prise Humor: Viele der Zuschriften, die wir erhalten haben, kommen aus dem benachbarten Ausland. Die Absender dieser teilweise besorgten mails können das mit unserem Banner verbundene Augenzwinkern gar nicht als solches erkannt haben: in Zürich fahren viele Busse oder Tramwagen mit dem Slogan „Ich bin auch ein Schiff“ durch die Strassen. Allen ist klar, dass der Bus ein Bus und das Tram kein Schiff ist – allen ist klar, mit diesem Slogan soll zum Ausdruck kommen: alle diese Fahrzeuge gehören den Öffentlichen Verkehrsbetrieben an und können mit ein und demselben Fahrschein benutzt werden.
Was also hat uns bewogen, das Banner ‚Bin ich auch ein Minarett?’ an unseren Kirchturm zu hängen?
1. Die Verantwortlichen der Kirchgemeinde waren vom Ergebnis der Abstimmung ebenso überrascht wie viele andere Menschen auch. Deutlich hatten sich im Vorfeld die Kantonalkirchen und der Schweizerische Evangelische Kirchenbund gegen die Annahme der Initiative ausgesprochen.
2. Mit einem ‚Augenzwinkern’ wollen wir reagieren auf diese verfahrene Situation: kein einziges der brennenden Probleme im Zusammenleben der Kulturen und Religionen ist durch das Minarettverbot gelöst.
3. Wie Bus, Schiff und Tram zwar unterschiedliche Arten der Beförderung durch die Stadt, alle aber den Verkehrsbetrieben zugeordnet sind, so wollen wir mit unserer Frage verweisen auf die Grundüberzeugung der Menschen: wenn es einen Gott gibt, dann ist es Einer für alle Menschen – die unterschiedlichen Religionen sind lediglich verschiedene Wege die Verbindung (religio) mit dieser letzten Instanz zu artikulieren.
4. Seit 125 Jahren leistet unsere Kirchgemeinde einen ausserordentlichen Beitrag zur Integration der in diesem Quartier zahlreichen Zugewanderten. Heute wird sie nicht nur für evangelisch-reformierte Gottesdienste am Sonntag genutzt. Sie ist die Woche über ein Ort der Begegnung und des gemeinsamen Suchens nach Gerechtigkeit für alle Menschen. Als City-Kirche hat sie sich den Respekt und die Unterstützung vieler Menschen erworben – auch von Menschen, die keiner Religion oder einer anderen als der christlichen angehören.
5. Ein Blick auf die Geschichte unseres eigenen Kirchturms führt uns zu einer gewissen Bescheidenheit im Urteil über andere: kurz bevor Kirche und Turm vor etwas mehr als 100 Jahren gebaut wurden, musste der Architekt die Pläne für den Turm nochmals ändern. Er sollte 20 Meter höher werden, um den Turm der benachbarten Katholischen Kirche St. Peter&Paul zu überragen. Noch heute ist die Korrektur der ursprünglichen Bau-Pläne am proportionalen Missverhältnis von Hallenkirche und Turm ablesbar.
6. Über 100 Jahre sind seither vergangen. Keinem würde heute mehr einfallen, unseren Kirchturm als Machtsymbol zu deuten. Auch uns nicht. Wir sehen darin vielmehr ein Symbol der Ermächtigung von Menschen unterschiedlichsten Herkommens, sich und ihre Begabungen zum friedvollen Miteinander in unserer Stadt einzubringen.
7. In aller Deutlichkeit halten wir fest: wir rechtfertigen keinen der vielen Übergriffe und Gewaltakte, die im Namen der Religion – gleich welcher – an Menschen verübt wurden und heute noch werden.
8. Wir laden dazu ein, beharrlich weiter den Weg des Dialogs und der gemeinsamen Suche zu gehen nach dem, was dieser Welt Heil und Frieden bringt.
9. Wir wissen uns dabei verbunden mit dem, der uns seine Massstäbe im Umgang mit anderen hinterlassen hat als er sagte:
Matthäus-Evangelium, Kapitel 5
43 Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.
44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen,
45 so werdet ihr Söhne und Töchter eures Vaters im Himmel; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
46 Denn wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr da
erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner?
47 Und wenn ihr nur eure Brüder grüsst, was tut ihr da Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?
10. Wir sind daher auch nicht der Meinung, dass die menschenverachtende Unterdrückung von Christen und Andersdenken in islamischen Ländern ein Gleiches in unserem Land rechtfertigt. Wir erinnern uns selbst und alle Menschen, mit denen wir zu tun haben, Christen und Nicht-Christen, an Seine Regel des Zusammenlebens, das Frieden sucht:
Matthäus-Evangelium, Kapitel 7
12 Wie immer ihr wollt, dass die Leute mit euch umgehen, so geht auch mit ihnen um!
Zürich, im Advent 2009
Pfarrer Anselm Burr
Jutta Müller, Präsidentin der Kirchgemeinde