Die jüngsten Äußerungen führender SPD-Politiker auf Veranstaltungen zum 1. Mai haben einen mehr als bitteren Beigeschmack. So meinte Manuela Schwesig, SPD-Sozialministerin von M-V und stellv. Bundesvorsitzende der SPD, „Rostock, Mecklenburg-Vorpommern, ja ganz Deutschland muss nazifrei bleiben.“ Die NPD müsse verboten werden. Zudem sei es abscheulich, dass Rechtsextremisten so täten als hätten sie etwas mit dem 1. Mai gemeinsam.
Frau Schwesig ist zu fragen: Sind wir denn schon „nazifrei“? Was soll mit den Nazis in Rostock, M-V und ganz Deutschland geschehen? Was heißt „nazifrei“?
Aus der Geschichte dürfte der Ministerin bekannt sein, wie ein „frei von“ in Verbindung mit Substantiven umgesetzt wurde. Die Rechten benutzen zudem längst den Gegenbegriff „linkenfrei“. In „national befreiten Zonen“ haben Linke nichts mehr zu suchen und werden einfach fertig gemacht. Heißt „nazifreies Rostock, M-V, Deutschland“ auch „nazifreie Zone“? Sprache ist verräterisch. Selbst wer „Gutes“ meint, muss sich den Gebrauch genau überlegen, sonst verschwindet der ethische Unterschied. Was als vermeintlich „politische Korrektheit“ daherkommt, offenbart mehr als nur Unkenntnis. Der politische Ansatz ist bereits in Frage zu stellen, es sei denn Politik wird lediglich als Populismus in Anspruch genommen.
Mit welchen Mitteln sollen Rostock und M-V nazifrei werden? Verstärkte Sozialarbeit und konkrete Finanzhilfen für Problemgebiete – davon war keine Rede. In Rostock wird zudem gerade die universitäre Sozialpädagogik abgebaut. Durch ein Verbot der NPD? Verschwinden aber Nazis und ihre Gesinnung durch Verbot einer ihrer Organisationen? Wohl kaum.
„Nazifrei“ ist wie „Nazis raus“ schlicht Unsinn. Wohin sollen wir denn Nazis exportieren? In unsere Nachbarländer? Nein, Frau Schwesig. Es sind „unsere“ Nazis, mehr noch: Es sind „Ihre“ Nazis, denn Sie tragen ganz persönlich erhebliche Mitverantwortung für das Problem, das mit populistischen Slogans nur verwässert wird. Nazis kommen aus unserer Gesellschaft. Falsche Parolen sind auch dann nicht richtig, wenn sie „anders gemeint“ sind!
Und selbstverständlich haben Nazis etwas mit dem 1. Mai zu tun: Der Versuch der Weimarer Nationalversammlung den 1. Mai zum Feiertag zu erheben, scheiterte 1919. Den gesetzlichen Feiertag „verdanken“ wir den Nationalsozialisten, die ihn 1933 einführten – bei gleichzeitigem Verbot von Gewerkschaften, SPD und KPD. Geschichte ist stets vielschichtig, Plattheiten bieten offene Flanken und schaden den Anliegen.
Wolfgang Thierse erklärte zur Blockade gegen einen Rechtenaufmarsch in Berlin: „Die Bürger haben das gute Recht, ihre Straße gegen Missbrauch zu verteidigen.“
Welche Bürger – die Guten? Gibt es andere Bürger, denen die Bürgereigenschaft abgesprochen wird, weil es „schlechte“ Bürger sind? „Ihre“ Straße? Besitzen jetzt einige Bürger öffentliche Straßen? Oder sind gar Anwohner einer Straße gemeint, welche die Nutzung „ihrer“ Straße durch Nichtanwohner verhindern sollen? Welcher Missbrauch der Straße ist hier gemeint, etwa der einer Benutzung zu Demonstrationszwecken? Das steht jedem Bürger hoffentlich frei! Oder wird es demnächst wieder verboten? Das in nur einem Satz offenbarte undemokratische Denken erschüttert!
Die Straße als Ort der politischen Meinungsäußerung zu wählen – das trägt in erster Linie symbolische Züge. Das Recht darauf wurde in Jahrzehnten erkämpft und seit dem 18. Jh. in Verfassungen weltweit verankert. Die Demonstration als „Versammlung unter freiem Himmel“ ist eine grundlegende, ur-demokratische Form kollektiver Meinungsäußerung. Wird dieses Symbol durch braune Gesinnung „gebraucht“, ertönt sehr schnell der Ruf nach einem Verbot. Er wird um so lauter, je symbolischer die Orte politischer Propaganda sind, seien sie historischer Art oder der Lebensnerv einer Stadt.
Doch als nach einem Neonazi-Marsch mitten durch das Brandenburger Tor im November 2000 die Innenminister der Länder laut überlegten, Demonstrationen an „historisch oder kulturell bedeutsamen Orten“ nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen, erhob sich ein Aufschrei gerade unter Umweltschützern, Bürgerinitiativen und ähnlichen als „links“ eingestuften Bewegungen. Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (Atomkraftgegner) stellte damals zu Recht fest: „So widerwärtig auch Naziaufmärsche generell und an bestimmten Orten ganz besonders sind, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit darf nicht angetastet werden.“ Unter dem Vorwand polizeilicher Prävention dürfe nicht in Bürgerrechte eingegriffen werden.
Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie Demonstrationsrecht sind keine Exklusivrechte, sie gelten für alle. Ihre Einschränkung oder Abschaffung würde ebenfalls alle treffen. Diese Rechte bewähren sich gerade dort, wo der offiziellen Politik, dem Staat oder der Mehrheit einer Gesellschaft die freie Meinungsäußerung nicht genehm ist. In Zeiten zunehmender sozialer und politischer Auseinandersetzungen, sowohl national als auch international, wäre ein Angriff auf diese Rechte fatal. Das Versammlungsrecht gestattet lediglich, Demonstrationsrouten durch Auflagen zu verändern.
Fragen ganz anderer Art tun sich auf, zum Beispiel: Weshalb melden Braune so gut wie keine Gegendemos gegen Bunte an? Sollten Braune etwa längst erkannt haben, dass Gegendemos genau jene Aufmerksamkeit erzeugen, die man der anderen Seite gar nicht zugestehen will? Braune jedenfalls können sich einer hohen medialen Aufmerksamkeit durch die Anmeldung von bunten Gegendemonstrationen erfreuen, die zugleich erhebliche Polizeikräfte mit entsprechenden Kosten binden.
Eine weitere Frage: Liegt das braune Problem nicht tiefer? Wer demonstriert eigentlich gegen alltäglichen Rassismus, am Arbeitsplatz, in der Kneipe etc.? Sind braune Demos wirklich ein rechtliches Problem oder ist diese Sicht nur ein Zeichen für Hilflosigkeit?
Gerade diejenigen, die an dieser Stelle laut Ja zum Rechtsproblem und Nein zur Hilflosigkeit sagen, vertreten oftmals das Mittel der Gegendemo als einzige politische Antwort – womit wir wieder im beschriebenen Dilemma wären. Das Dilemma wird umso größer, je kleiner die Teilnehmerzahl ist. Damit eröffnen sich Fragen an die Gewerkschaften. Wenn nicht mehr Menschen Farbe bekennen wollen als üblicherweise zu einem ersten Mai kommen, dann ist vielleicht auch die Art der Maifeier zu überdenken.
Wie man auch immer im Einzelnen die Sache bewertet, eines dürfte klar sein: Einstellungen zeigen sich in erster Linie alltäglich, in der konkreten Lebensweise. Die Teilnahme an Demos im Sinne einer political correctness kann hingegen auch zur bloßen Selbstbestätigung werden.
Die Aktionsform der Phantasie, wie es sie in Rostock bereits gegeben hat, erscheint mir als wirksameres Mittel: Fotoaktionen, Nacht der Kulturen, Theaterstücke, Diskussionsforen, Beflaggen der Stadt mit den Fahnen von Bunt statt braun.
Die Antwort auf braunes Gedankengut muss politische Aufklärung, inhaltliche Auseinandersetzung und Beseitigung sozialökonomischer Probleme sein. Die Antwort auf braune Demos sollten symbolische Handlungen sein. In Abwandlung eines Spruches wünschte ich mir: Stellt Euch vor es ist Braunen-Demo und niemand geht hin!
Dr. Sybille Bachmann