[1]Der ZDF-Beitrag „Sterben für Jesus“ [2] vom 4. August, in dem Missionare mit islamistischen Selbstmordattentätern verglichen wurden (wir berichteten) [3], ist auch bei vielen PI-Lesern auf scharfen Protest gestoßen. Jetzt hat sich Frontal 21-Reporter Ulrich Stoll (Foto) zu Wort gemeldet: „Verstöße gegen die Grundsätze einer ausgewogenen Berichterstattung kann ich in dem Beitrag nicht erkennen.“
Hier sein ausführliches Rundschreiben an die ZDF-Zuschauer:
Sehr geehrte Damen und Herren,
da uns mehrere hundert Schreiben zu unserem Beitrag erreichten, bitten wir um Verständnis, dass wir Ihnen allen umfassend mit unserem folgenden Schreiben Antwort geben:
haben Sie Dank für Ihr Schreiben, in dem Sie sich kritisch mit einem Beitrag in der Frontal21-Sendung vom 04. August 2009 beschäftigen. Unter dem Titel „Sterben für Jesus“ berichtete das Magazin über die Arbeit bibeltreuer Missionare in islamischen Ländern.
Die Redaktion bedauert, dass bei Ihnen der Eindruck entstanden ist, der Beitrag habe evangelikale Christen verächtlich machen oder ihren Glauben herabsetzen wollen. Dies war nicht die Absicht der Redaktion. Im Beitrag ging es ausschließlich um fragwürdige Werbung für Missionseinsätze und um die Gefahren, in die Missionare sich selbst und andere bringen.
Insbesondere die Abmoderation zum Beitrag löste Kritik aus. Sie lautete: „Bereit sein, für Gott zu sterben: Das klingt vertraut – bei islamischen Fundamentalisten. Doch auch für radikale Christen scheint das zu gelten.“ Der Sinngehalt dieser Moderation setze, so wird der Redaktion vorgehalten, überzeugte Christen mit islamischen Terroristen oder Selbstmordattentätern gleich.
Von einer solchen Gleichsetzung kann keine Rede sein. Selbst ein fundamentalistischer Muslim wird nicht notwendig zum Täter, wie die Kritik unterstellt. Basis des Vergleichs war ein ideologisch begründetes Glaubensverständnis. Eine solche Haltung findet sich bei Christen und Muslimen, was, um es noch einmal zu betonen, keineswegs eine Rechtfertigung von Gewalt bedeuten muss.
Ein Vergleich aber zwischen christlichen und muslimischen Fundamentalisten ist legitim. Einen solchen Vergleich legen auch evangelikale Christen selbst nahe. So schreibt Christoph Morgner, Mitglied des Hauptvorstands der Deutschen Evangelischen Allianz, in seinem Aufsatz „Die Bibel zwischen Liberalismus und Fundamentalismus“: „Das fundamentalistische Verhältnis zur Bibel hat Parallelen zum muslimischen Verhältnis gegenüber dem Koran.“ Die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) ist die Dachorganisation der deutschen Evangelikalen. In deren Schriftreihe „Christ und Politik“ finden sich weitere Belege für jene von Herrn Morgner gezogenen „Parallelen“.
Zentraler Kritikpunkt des Beitrags war, dass Missionsarbeit für die Missionare und andere gefährlich werden kann, wenn humanitäre Hilfe und Mission vermengt werden. Die Missionsgesellschaft „Reach Across“ etwa erklärt einerseits, Mitarbeiter unterstützten „medizinische Projekte“ auch in islamischen Ländern. Auf der Internetseite von „Reach Across“ aber heißt es unter dem Stichwort Missionsstrategie: „Gott wird auch den Arabern … irgendwann so begegnen, dass … Gemeinden entstehen und dass aus diesen eine ganze Bewegung wird, die selbst durch Verfolgung nicht aufgehalten werden kann.“
Gegen eine solche doppelte Absicht wenden sich denn auch mit gutem Grund eine Reihe von Hilfsorganisationen. In dem Beitrag kommt unter anderem ein Caritas-Sprecher zu Wort: „Es ist für uns als Caritas international sehr gefährlich, wenn andere Organisationen humanitäre Hilfe und Missionen miteinander verwechseln bzw. vielleicht absichtlich miteinander vermischen. Das schädigt das Ansehen der Hilfsorganisationen.“
Hinzu kommt noch, dass etwa der Verein „Jugend mit einer Mission“ in seinen Videos weite Teile der Erde zum Missionsgebiet erklärt. Die Begründung: „In diesem Gebiet hat Satan einige seiner größten Festungen aufgebaut.“ Ein junger Missionar erklärt vor einem buddhistischen Tempel in Nepal: „An diesem Platz hier werden Dämonen und der Teufel angebetet.“
Die Redaktion ist der Auffassung, dass derartiger evangelikaler Fundamentalismus den Fundamentalisten der anderen Seite Argumente liefert beim ideologischen Kampf gegen den Westen.
Zu den Kritikpunkten im Einzelnen:
1. Kritik an der verdeckten Recherche
Trotz mehrerer Todesfälle bietet die „Arbeitsgemeinschaft evangelikaler Missionen“ Praktikanten, Freiwilligen und Helfern Kurz- und Langzeiteinsätze in muslimisch geprägten Ländern an, u. a. Marokko und Pakistan. Das Auswärtige Amt warnt vor Entführungen und Anschlägen in diesen Ländern. In beiden Staaten gilt das Missionierungsverbot. Auch Sektenexperten und andere – auch kirchliche Hilfsorganisationen – warnen vor gefährlichen verdeckten Missionstätigkeiten in islamischen Ländern.
Die Redaktion hatte Hinweise, dass Missionswerke die wahre Natur ihrer Einsätze mit humanitärer Katastrophen- oder Nothilfe bemänteln, so u. a. auf der Internet-Seite von „Reach Across“. Deren Vorsitzender, Roland Denner, lehrt an der „Akademie für Weltmission“ (AWM) in Korntal. Roland Denner leitet dort Kurse wie „Islam verstehen, Muslime erreichen“. Laut Seminarprogramm geht es darum, „die befreiende Wahrheit des Evangeliums effektiv zu vermitteln“, also um Missionstätigkeit, die „Reach Across“ in einer Stellungnahme an die Redaktion vom 6.8.2009 bestreitet.
Die Redaktion wollte herausfinden, welche Ziele diese Kurse verfolgen und wie die Teilnehmer auf ihre Arbeit in den gefährlichen Gebieten vorbereitet werden. Um die wirklichen Hintergründe des Seminarprogramms zu dokumentieren, wählte die Redaktion die legitime journalistische Methode der verdeckten Recherche. Zu diesem Mittel greift Frontal 21 nur selten und dann nur nach sorgfältiger Abwägung. In diesem Fall bot eine AWM-Mitarbeiterin den Reportern beim Besuch der Akademie an, Herrn Denner in der Kurspause kennen zu lernen. Die Bitte, am Seminar als Gasthörer teilzunehmen, schlug die Mitarbeiterin mit der Erklärung aus, die Inhalte seien zu „delikat“. Es seien schließlich „Untergrundleute“ in diesem Kurs. Ob diese Formulierungen bei einem regulären Interview gefallen wären, hält die Redaktion für zweifelhaft.
Damit bestätigte die Mitarbeiterin, dass dieses Seminar zum Ziel hat, Helfer für verdeckte Missionstätigkeit auszubilden. Den Begriff „Untergrundevangelisation“ verwendet auch ein Werbevideo des Vereins „Jugend mit einer Mission“, die ebenfalls junge Leute in Länder wie Pakistan und Marokko entsendet. In diesem Video wird die „Untergrundevangelisation“ werbend als Abenteuer dargestellt.
Am 26.07.2009, also zehn Tage vor Ausstrahlung der Sendung, versuchte die Redaktion, „Reach Across“ eine Email mit Fragen zu schicken. Nach einer Fehlermeldung wandte sich die Redaktion mit einer brieflichen Anfrage an „Reach Across“. Es wurde um Antwort per Mail oder Fax bis zum 30.07.2009 um 15 Uhr gebeten. „Reach Across“ reagierte bis zum Sendetag am 04.08.2009 nicht auf das Schreiben. Die Redaktion musste davon ausgehen, dass „Reach Across“ an einer Antwort nicht interessiert ist. Auch die Trägerorganisation AEM reagierte nicht auf eine Anfrage, die am 26.07.2009 parallel schriftlich gestellt worden war. Das Schweigen der Organisationen vor der Ausstrahlung widerspricht der von „Reach Across“ in einem an das ZDF gerichteten Schreiben vom 06.08.2009 behaupteten „Transparenz“.
Die Mitarbeiter des ZDF wurden zu keinem Zeitpunkt des Geländes in Korntal verwiesen. Der Vorwurf des Hausfriedensbruchs ist unbegründet.
2. Kritik an den Filmaufnahmen in Lemgo, Bibelschule BrakeDie im Film interviewten Jugendlichen wurden korrekt als „Kursteilnehmer“ insertiert, nicht als Bibelschülerinnen. Eine missverständliche Formulierung im Online-Text von Frontal 21 wurde umgehend korrigiert. Die mehrfach geäußerte Aussage, man sei bereit, sich für die Mission in Lebensgefahr zu begeben oder zu sterben, wurde korrekt wiedergegeben.
Die Bibelschule Brake wirft der Redaktion vor, dies falsch interpretiert zu haben und schreibt: „Mit ihrer Aussage ‚Ich bin bereit, für Jesus zu sterben’, wollen sie eher in der Tradition eines Martin Luther King oder eines Zinzendorf stehen, die bereit waren, ihr ganzes Leben für ihre christliche Überzeugung zu investieren.“ Indes bleibt die Frage, ob dies auch bedeutet, den Märtyrertod bewusst in Kauf zu nehmen.
3. AWM-Gebäude in Korntal und AEM:
Die Akademie für Weltmission (AWM) behauptet, dass der Film den falschen Eindruck erwecke, die „Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen“ (AEM) residiere ebenfalls in diesem Gebäude. Die AEM aber gibt genau diese Adresse an, sowohl auf der eigenen Internet-Seite als auch auf der Seite des „Evangelischen Forums entwicklungspolitischer Freiwilligendienst“ (EFEF) oder im Stadtbranchenbuch Korntal. Außerdem ist AEM Träger der Akademie AWM.
4. Angebliche falsche Darstellung des Friedhofs in Korntal
Auf dem Korntaler Friedhof „Begräbnisgarten“ sind Missionare wie Johannes Rebmann begraben. Es ist unstrittig, dass sie Vorbilder heutiger Evangelikaler sind. Mehr hat der Beitrag nicht behauptet. Die Formulierung „Für Gott als Märtyrer zu sterben“ bezieht sich auf die Aussage der ehemaligen Shelter-Now-Geisel.
5. Kritik an Georg Schmid von der Evangelischen Informationsstelle Zürich:
Herr Schmid ist Leiter dieser evangelischen Einrichtung und Experte für christliche Sekten. In dieser Funktion äußerte er sich in unserem Beitrag. Das Insert „Sekteninformationszentrum Zürich“ ist eine verkürzte, aber keineswegs irreführende Bezeichnung.
6. Angebliche „Rufmordkampagne“
Der Redaktion ging es nie um eine „Rufmordkampagne“ gegen Evangelikale. Die Redaktion wollte darauf hinweisen, dass das Auftreten evangelikaler Missionswerke in islamischen Ländern für die großen internationalen Hilfsorganisationen zunehmend zur Gefahr wird. Wenn westliche Missionswerke ihre Missionstätigkeit mit humanitärer Hilfe bemänteln, leidet auch das Ansehen der anderen christlichen oder weltanschaulich neutralen Hilfsorganisationen.
Verdeckte Mission verletzt das Neutralitätsgebot der Hilfsorganisationen und gefährdet die internationalen Beziehungen auch auf politischer Ebene. Effektive Hilfe für Notleidende wird in vielen Ländern zunehmend schwieriger, weil das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Organisationen durch das Auftreten der Missionswerke untergraben wird. Dies ist auch die Auffassung des in dem Beitrag zitierten Caritas-Sprechers.
Verstöße gegen die Grundsätze einer ausgewogenen Berichterstattung kann ich in dem Beitrag nicht erkennen.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Stoll
» stoll.u@zdf.de [4]
» Das Video zur ZDF-Sendung [5]
» Manuskript des Beitrags [6]
(Spürnase: Chester)
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