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Buschkowsky: Neukölln-Nord entwickelt sich zur Migrantenstadt

In einigen Bereichen des Berliner Bezirks Neukölln ist kein bisschen Deutschland mehr, und Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky malt ein düsteres Bild von seinem Bezirk [1]. Ein SPD-Mann mit Durchblick, der von den Gutmenschen aller Parteien und ihrem Geschwafel genug hat.

Herr Buschkowsky, wenn man Schüler in Neukölln fragt, was sie später werden wollen, antworten die: „Ich werd‘ Hartz IV” Was macht man da als Bürgermeister?
Zum Glück gibt es auch andere Antworten. Viele junge Migranten hier träumen von einer Kfz-Lehre, von einer hübschen Frau und Kindern. Ganz bürgerlich. Gegen das Hängenlassen kämpfe ich seit 15 Jahren.

Erfolgreich?
Leider nimmt besonders unter den Jugendlichen die Zahl derer zu, die Sozialleistungen als Selbstverständlichkeit verstehen, für die man nichts tun muß. Neukölln weist die höchste Hartz-IV-Dichte von ganz Deutschland auf. Auf 1000 Einwohner kommen 140 Bedarfsgemeinschaften. Jeder dritte Neuköllner lebt – ganz oder überwiegend – von öffentlichen Transfermitteln. Bei den unter 25jährigen ist es bereits jeder zweite. Diese katastrophale Entwicklung müssen wir stoppen. (…)

Bei Problembezirken wie Neukölln ist schnell die Rede von „No-Go Areas” und Pariser Krawallen. Ist das überzogen?
Von Pariser Verhältnissen sind wir meilenweit entfernt. Aber wir haben durchaus Gebiete in der Stadt, wo wir nicht mehr genau wissen, was dort eigentlich passiert. Delikte wie Raub und Körperverletzung sind in den letzten 15 Jahren nahe-zu explodiert. Und die Täter werden immer jünger und brutaler. Das sind ohne Zweifel Verwahrlosungserscheinungen.

Wer ist schuld an diesen Auswüchsen?
Alle. Wir haben vor 40 Jahren Analphabeten als Arbeiter ins Land geholt, uns nicht um ihre Bildung gekümmert und wundern uns heute, daß sie ihren Kindern nicht bei den Hausaufgaben helfen können. Und wir haben ein Sozialsystem, das Ehrgeiz und Aufstiegswillen der Menschen eher lähmt, als es sie weckt.

Wer Geld vom Staat erhält, legt sich aufs Sofa?
Die Menschen richten sich ein im Sozialstaat. Sie denken, der monatliche Scheck sichert ihre Zukunft. Wenn man so aufwächst, hat das fatale Folgen: Wer mit 16 die Schule verläßt und bis zum 25. Lebensjahr nie gearbeitet hat, ist für die Gesellschaft meist verloren. Vor einigen Jahren hat ein Pfarrer zu mir gesagt, das Asozialste in der Bundesrepublik sei der Sozialstaat. Damals hat mich das irritiert. Heute verstehe ich den Satz.

Was muß sich ändern?
Wir knüpfen die Leistungen zu wenig an Gegenleistungen. Ein junger Mann mit 700 Euro Stütze bekommt so viel wie eine Wäschereiarbeiterin im Akkord, eine vierköpfige Familie mit 1700 Euro den Lohn eines Facharbeiters. Der Fall, daß Arbeitslose eine Stelle deshalb einfach ablehnen, ist so selten nicht.

Die Bezüge sind also zu hoch, sagen Sie als SPD-Mitglied?
Auf jeden Fall dürfen wir die Menschen nicht einfach nur alimentieren. Die Grundregel der Entwicklungshilfe lautet: „Wenn ein Volk hungert, bringe ihm kein Brot, sondern lehre es, die Felder zu bestellen.” Für Neukölln bedeutet das: Bildung. Vom verpflichtenden Kindergarten bis zur Ganztagsschule. 70 Prozent hier verlassen die Schule mit Hauptschulabschluß oder ganz ohne Abschluß. Deren berufliche Zukunft ist fast schon vorbei. 30 Jahre lang haben wir unser soziales Gewissen damit beruhigt, Benachteiligten Geld zu geben. Das wahrt den sozialen Frieden, ist aber eine verfehlte Sozialpolitik.

Das können Sie nicht auf die politischen Gegner abwälzen

Nein, auch die SPD hat ihre Gutmenschentradition und tut sich schwer mit dem Thema. Begriffe wie Leistung, Disziplin, Kontrolle waren lange Zeit verpönt.

Und Sie kommen den jungen Arbeitslosen jetzt mit Disziplin?
Ja. Bei einigen müssen wir mit sozialem Basis Training beginnen: Jeden Morgen aufstehen, sich waschen, anziehen, eine konkrete Aufgabe erledigen. Für die Hälfte ist selbst das zuviel, sie haben nicht durchgehalten. Das ist ein Punkt, an dem sich die Unterschichten-Debatte entfacht.

Von Unterschicht dürfen SPD-Mitglieder doch gar nicht sprechen.
So ein Quatsch. Jedem Soziologen ist der Begriff vertraut, jeder weiß, was damit gemeint ist. (…) Es ist an der Zeit, daß wir Klartext sprechen: Integration ist das existentielle Problem unserer Zukunft. In Neukölln ist bereits jetzt jeder dritte ein Migrant. Im Nordteil, wo 150.000 Menschen leben, ist es jeder zweite. Wir müssen den Leuten klarmachen, daß sie nicht ihre tradierten Dorfbräuche weiterleben können. Was meinen Sie, wie Neukölln-Nord in zehn Jahren aussieht?

Sagen Sie es mir.
In zehn Jahren ist das eine Migrantenstadt. Das ist an sich kein Problem aber es darf nicht passieren, daß dort eine archaische Gesellschaft ihre Renaissance erlebt, in der Frauen als minderwertige Wesen gesehen werden und Patriarchen über Leben und Tod herrschen. Wir müssen den Kurs angeben, damit das Schiff sicher in den Hafen kommt.

Schade, dass es Politiker mit Durchblick nur noch auf lokaler Ebene zu geben scheint. Vielleicht liegt das daran, dass sie sich noch einen Rest von Nähe zu dem Volk, das sie regieren, bewahrt haben.

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