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Quo Vadis, AfD?

Der niedersächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Kestner (Foto) macht sich in einem Gastbeitrag für PI-NEWS Gedanken über den Zustand seiner Partei.

Von JENS KESTNER (MdB) | Dass die Alternative für Deutschland 2013 gegründet wurde, war angesichts katastrophaler Fehlentwicklungen im etablierten System der Altparteien der Bundesrepublik Deutschland bitter nötig. Als junge und schon sehr früh auch parlamentarisch erfolgreiche Oppositionspartei durchlebte sie zunächst eine längere Zeit der Selbstfindung, was bei Parteien in der schwierigen Aufbauphase verständlich erscheint. Das konzertierte Gegenfeuer von Mainstream-Medien und Altparteien gegen die AfD tat ihr Übriges, um die aufstrebende Kraft mit sowohl unfairen als auch – teilweise sogar – kriminellen Mitteln massiv zu bekämpfen.

Jüngst kam noch der parteipolitisch instrumentalisierte sogenannte „Verfassungsschutz“ dazu, der kurzerhand zu einem Altparteienschutz umfunktioniert wurde, mit dem Ziel, das weitere Erstarken der AfD mit allen Mitteln zu verhindern. Auftragsgemäß wurden Teile der AfD als verfassungsfeindlich deklariert. Die Beobachtung des inzwischen aufgelösten „Flügel“ scheint jedoch nur als Auftakt gedacht, um die gesamte Partei über kurz oder lang in das rechtsextreme Licht zu rücken und ihre Mitglieder, Sympathisanten und Wähler letztlich zu kriminalisieren.

Bilanz nach sieben Jahren AfD: Die Partei muss erwachsen werden

Wie ist die Situation sieben Jahre nach Gründung der AfD? Was ergibt eine kritische Bilanz? Und welche Konsequenzen sind angesichts der derzeitigen Ausgangslage zu ziehen?

Mit der AfD sitzt erstmals seit Jahrzehnten eine patriotische Partei im Deutschen Bundestag, und dies sogar als stärkste Oppositionskraft. In allen Bundesländern und im Europaparlament streiten ihre Abgeordneten für alternative Politikansätze. Mut zur Wahrheit, offene Worte und gesunder Menschenverstand sind endlich wieder in den Parlamenten zu finden. Den Kampf gegen die „political correctness“ hat sich die AfD ebenso auf die Fahne geschrieben wie das Aussprechen unliebsamer Realitäten in diesem Land. Allein deshalb sind sieben Jahre AfD auch sieben Jahre Revolution des Parteiensystems!

Doch bei allen Erfolgen darf auch Selbstkritik nicht ausbleiben. Richtungs- und Flügelkämpfe, persönliche Konflikte und falsche Schwergewichtssetzungen in Wahlkämpfen haben eine noch stärkere AfD im Westen Deutschlands verhindert. Nach interner Konsolidierung und Stabilisierung im Zuge der Rück- und Austritte führender AfD-Repräsentanten (hier seien beispielhaft die prominentesten Fälle Bernd Lucke und Frauke Petry genannt) war in den Jahren 2018 und 2019 ein wenig Ruhe eingekehrt. Die Zeit wurde zum kontinuierlichen Aufbau von Strukturen durchaus sinnvoll genutzt, in den Parlamenten fand intensive Sacharbeit statt und eine Art Burgfrieden der verschiedenen innerparteilichen Strömungen ließ die Zustimmungswerte der AfD stetig steigen.

Mit dem Kampfinstrument „Verfassungsschutz“ haben es jedoch die Altparteien im geschickten Zusammenspiel mit den Staatsmedien und linker „Zivilgesellschaft“ (die berüchtigten NGOs) geschafft, einen Keil in die AfD zu treiben. Leider haben einige führende AfD-Politiker den Ball des Gegners aufgenommen und ins eigene Tor befördert.

Als gewissermaßen „letzter Akt“ eines die AfD schwächenden „Gärungs-Prozesses“ sollte sich so der Vorstoß von Parteichef Jörg Meuthen erweisen, der mit der völlig abwegigen Vorstellung einer Spaltung der eigenen Partei [1] zwar zahlreiche AfD-Gegner erfreute, aber (fast) die gesamte AfD gegen sich – zu Recht – aufbrachte. Meuthens irrige Annahme, mit einer gemäßigt liberal-konservativen Partei im Westen und einer sozial-patriotischen Partei im Osten könne das Wählerpotential für eine nationale Opposition in Deutschland insgesamt gestärkt werden, verstörte selbst viele Anhänger seines inzwischen deutlich dahin schmelzenden Lagers in der AfD.

Meuthen ignoriert bei seinen regelmäßigen Fehltritten offenbar, wohin eine strategische Fehlorientierung [2] führen kann: nämlich in die parteipolitische Bedeutungslosigkeit. Dass Spaltungen, Abspaltungen bzw. Teil-Neugründungen von Parteien fast nie gewinnbringend für deren Initiatoren verlaufen, ist nicht nur in theoretischen Grundlagenwerken der Parteienforschung hinlänglich dokumentiert, sondern auch in der Geschichte der deutschen Rechtsparteien Legion. Gerade die aus der AfD heraus vorgenommenen Abspaltungen – seien es Luckes Liberal-Konservative Reformer, Petrys Blaue Partei oder Poggenburgs Aufbruch – haben deutlich gezeigt, daß der Wähler an rechten Kleinstparteien keinerlei Interesse zeigt, im Gegenteil.

Meuthen vermittelte zunächst den Eindruck, dies schlussendlich auch erkannt zu haben und ruderte formal zurück [3]. Die Frage, ob er nun vom versuchten Spalter zum engagierten Einigkeitsapostel der AfD geworden ist, hat er mit der Herbeiführung des Beschlusses im Bundesvorstand zur Aberkennung der Parteimitgliedschaft von Andreas Kalbitz [4] selbst beantwortet.

Die Reaktionen hierauf in der Mitgliedschaft fielen allerdings in weiten Teilen anders aus, als von Meuthen erhofft, der sich mit diesem erneuten Versuch, die AfD in eine Ost- und eine West-Partei zu spalten, einen massiven Vertrauensverlust der Parteibasis eingehandelt hat.

All dies zeigt: Einigkeit und Geschlossenheit sind das Gebot der Stunde, um die AfD für das Wahljahr 2021 zu wappnen. Im Oktober des nächsten Jahres muss die Alternative für Deutschland erneut mit einem starken zweistelligen Ergebnis in den Deutschen Bundestag einziehen. Von der Stärke dieser einzigen patriotischen Kraft im deutschen Parteiensystem wird es abhängen, die Zukunft Deutschlands positiv zu gestalten und die Weichen für eine politische Kehrtwende zu stellen.

Wie geht es weiter mit der AfD?

Die entscheidende Frage lautet nun: Was muss hier und heute, aber auch morgen getan werden, um ähnlich gelagerte Eigentore so gut wie möglich zu vermeiden und – damit einhergehend – die Einheit der Partei nicht nur zu wahren, sondern sie zu stärken?
Nach innen wie nach außen muss das Credo lauten: haltet zusammen, steht zusammen, kämpft zusammen. Es geht schließlich um unsere Heimat, unser Land und unsere Zukunft.

Was bedeutet dies konkret?

1. Anstatt sich auf den jeweiligen Landes- und/oder Bundesparteitagen programmatisch mit neuen Zielvorstellungen einzubringen, die das unumstrittene AfD-Grundsatzprogramm sinnvoll ergänzen sowie zielbewusst und zeitnah weiterführen könnten, wurden in den letzten Jahren parteiintern viel zu viele tendenziell spalterisch inszenierte Initiativen ergriffen. Kontroversen und Diskussionen blockierten die Partei und führten zu tendenziellen Frontstellungen wie: „Ihr oder Wir!“ Auf der gleichen Wellenlänge auch: „Unsere Vorstellungen und keine anderen!“ Mit diesen Einstellungen kann man aber keine wirkliche Volkspartei erfolgreich aufbauen, die sich ganz selbstverständlich aus mehreren Strömungen zur vereinten Stärke zusammenfinden muss.

Vom Apell der 100 bis zum Kalbitz-Rauswurf: Spaltungsversuche allenthalben

Anstatt das Gemeinsame zu betonen, wurde Trennendes bzw. vermeintlich Trennendes hervorgehoben. Der überflüssige „Appell der 100“ gegen Björn Höcke von Mitte 2019 [5] gehört hier an erster Stelle und beispielhaft genannt. In ihm hatten sich unter anderem die AfD-Landesvorsitzende Niedersachsens Dana Guth und der AfD-Fraktionsvorsitzende im Rheinland-Pfälzischen Landtag, Uwe Junge, gewohnt negativ hervorgetan. Dabei soll gar nicht verschwiegen werden, dass auch von Björn Höcke manchmal missverständliche Töne zu hören waren. Weitgehend ausgeblendet wurde beim ewigen Höcke-Bashing jedoch, dass gerade er, trotz mancher kritikwürdigen, aber keineswegs verfassungswidrigen Äußerung, mit für AfD-Verhältnisse herausragenden Wahlergebnissen (23,4 Prozent) den Wiedereinzug in den Thüringer Landtag schaffen konnte. Von derlei Prozentzahlen können nämlich seine parteiinternen Kritiker, die vorwiegend aus Westdeutschland kommen, nur träumen. Und wohlgemerkt hat Björn Höcke als einer der wenigen AfD-Politiker bereits zum zweiten Male als Spitzenkandidat und Landeschef den Einzug in den Landtag bewerkstelligt.

2. Dem von außen und von dafür offenen Teilen der AfD in die Partei hineingetragenen Dauer-Destruktionskurs mit spalterischen Tendenzen muss entschieden entgegengetreten werden. Stattdessen bedarf es einer strategischen Grundsatzentscheidung über den weiteren inhaltlich-programmatischen Weg der AfD. Hierzu ist es notwendig, strömungsübergreifend und kraftvoll auf einen einheitlichen Kurs einzuschwenken, den alle Kräfte, Mitglieder und Richtungen in der Partei dann entschlossen und einig nach außen vertreten müssen – ohne wenn und aber!

Dabei darf als entscheidende Richtschnur nur das gültige Parteiprogramm den Ausschlag geben. In ihm sind alle patriotisch bedeutsamen Grundsatzpositionen geklärt. Offene Punkte wie zum Beispiel das Rentenkonzept der Partei haben zukünftige Programmparteitage zu klären, ebenso Detailfragen aus der praktischen Sachpolitik im parlamentarisch-politischen Alltagsbetrieb.

Kritische Debatten zu strategischen wie taktischen Verhaltensweisen und Inhalten sollten intern in Fraktionen, Verbänden und Parteigremien geführt und nicht über die Öffentlichkeit ausgetragen werden.

Das Abwehrkonzept gegen den „Verfassungsschutz“: Roland Hartwig unterstützen

Zur Auseinandersetzung mit dem Inlandsgeheimdienst kann der Partei nur die geschlossene Unterstützung der juristisch schlüssigen Abwehrstrategie des Verfassungsschutzbeauftragten der AfD-Bundestagsfraktion, Dr. Roland Hartwig, empfohlen und ans Herz gelegt werden. Dabei wird auf die von der AfD eingerichtete Seite „Wir sind Grundgesetz“ verwiesen, worauf Dr. Hartwig seine „Informationen und Handreichungen zum Thema Verfassungsschutz“ [6] zugänglich gemacht hat. Bei allem Verständnis und Anraten für eine mäßigende Rhetorik hält Dr. Hartwig hierin auch fest: „Die Partei darf sich durch fragwürdige Anhaltspunkte in keiner Weise daran hindern lassen, die für richtig gehaltene und mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbare Politik umzusetzen“. Für die AfD heißt dies: Hart in der Sache, wohl überlegt in den Worten!

Krisenherd Landesverbände: Die Partei braucht neue Führungsimpulse auf allen Ebenen

Zunächst gilt festzustellen, dass die vielbeschworene Einigkeit nicht gleichzusetzen ist mit Obrigkeitshörigkeit oder gar Unterwerfung. Vorstände und Mandatsträger (mich eingeschlossen) sind nicht erwählte, sondern gewählte Repräsentanten der AfD. Dies kam auf vielen Ebenen in der Vergangenheit und Gegenwart in der Debatte viel zu kurz.

Es aus meiner Sicht auch geboten, der Partei neue personelle Führungsimpulse zu geben. Überall dort, wo AfD-Funktionäre in der Vergangenheit negativ-spalterisch gewirkt haben – ob bewusst oder unbewusst sei dahingestellt –, sollten im fairen und offenen Wettbewerb neuen Bewerbern für Führungsfunktionen eine Chance gegeben werden. Dabei sind – selbstverständlich – die satzungsmäßigen Spielregeln innerparteilicher Demokratie einzuhalten. Vor den Personal-Abstimmungen sollten die Bewerber in sogenannten „Antrittsreden“ ihren Kurs präzise darlegen, damit eine möglichst rationale Entscheidung der Delegierten bzw. Mitglieder erfolgen kann.

Kritiker werden einwenden, dies sei alles doch bislang auch möglich gewesen. Wer die besondere Arithmetik von Parteitagen kennt, weiß jedoch, dass oftmals nur die Bewerber Chancen auf Ämter und Listenplätze haben, die über ausreichend Hausmacht verfügen. Diese Zugehörigkeit zu dieser oder jener Strömung darf in Zukunft aber nicht mehr das Kriterium für die Wahl sein. Qualifikation, Verdienste für die Partei und Engagement für unser Land müssen die Messlatte sein, an dem sich ein Bewerber zu messen hat.

In Niedersachsen beispielsweise ist eine Neujustierung zum Erhalt und zur Festigung der Einheit besonders dringlich geboten. Der über weite Strecken unglücklich agierende Landesvorstand mit seiner Vorsitzenden hat hier zuletzt gar den von Meuthen angestoßenen Spaltungsversuch in eine Ost- und eine West-AfD aktiv in die Mitgliedschaft getragen und die Diskussionen weiter angeheizt.

Diese spalterischen Tendenzen in Zusammenspiel mit organisatorischen Unzulänglichkeiten sowie einem fragwürdigen Umgang mit den Finanzen haben dazu geführt, dass sich der Landesverband mehr mit sich selbst beschäftigt, als mit einer programmatisch und personell stark aufgestellten Verbandsstruktur. Die jüngsten Ergebnisse der Ratswahl in Walsrode, bei der die AfD unter vier Prozent rutschte, sind nur ein aktueller Warnschuss. Doch dieser sollte nicht überhört werden, eine neue Führung tut hier dringend not!

Aber was besonders wichtig ist und eine völlig neue Herangehensweise an die innerparteiliche Demokratie bedeutet, ist die Forderung, dass Abstimmungsergebnisse als rein demokratischer Akt und nicht mehr als persönliche Kränkung wahrgenommen werden. Es kann und darf nicht sein, dass der jeweils unterlegene Kandidat in den kommenden Monaten und Jahren bis zum nächsten Parteitag nur noch damit beschäftigt ist, die Reihen um sich zu scharen für den Gegenangriff. Dies ist leider der parteipolitische Alltag der vergangenen Jahre. Damit muss jetzt Schluss sein!

Was die AfD stattdessen braucht, ist ein neuer Korpsgeist. Auch die unterlegenen Kandidaten müssen sich zum Wohle der Partei einreihen und auf ihrem Posten weiter für die AfD und damit für unser Land kämpfen. In kollegialem Miteinander muss die AfD nach außen wie nach innen eine integrierende Volkspartei werden. Von dieser Einigkeit hängt die Stärke der Partei ab. Nur in der gebotenen Geschlossenheit wird die AfD bei den Bürgern als entschlossene und stabile Kraft wahrgenommen, die zu wählen es lohnt.

Mitglieder, vor allem aber Führungspersonal in Vorständen und Parlamenten, muss eines klar sein: Es geht auch um die AfD als Partei, in erster Linie aber geht es um die Zukunft unseres Landes. Deutschland braucht eine Partei wie die AfD, die sich offen und positiv dazu bekennt, mehr Patriotismus zu wagen!

Heimatliebe, Nationalstolz und Traditionsbewusstsein wurden von den Altparteien über Jahrzehnte an den Rand gedrängt. Die AfD hat diese den Deutschen so schmerzlich fehlenden Gefühle zurück ins Bewusstsein gebracht. Es ist nun an der Partei selbst, diese Fortschritte nicht zu zerstören, sondern ein Signal des Aufbruchs zu senden und ausrufen:

„Seid einig, einig, einig!“ (Werner II. von Attinghausen in Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“)

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