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Geschichte Südtirols 8 – Gegenwart

südtirol [1]Eigentlich ist es ein Wunder, wie sich Südtirol seit den Bombenanschlägen in den sechziger Jahren entwickelt hat. Es kam nicht zu einem Dauerkonflikt wie in vielen Teilen der Welt in solchen Fällen, sondern zu einem friedlichen Fortschritt. Es gab neue Autonomiestatute und gesetzliche Verbesserungen, darunter ein Proporzsystem, nach dem zum Beispiel Beamte und Wohnungen entsprechend dem Bevölkerungsanteil verteilt werden mußten. Gerade diese Proporzsysteme – die jetzt in Deutschland auch drohen – sind eigentlich des Teufels. In Südtirol gab es Streit unendlich zwischen Italienern und Tirolern und trotzdem: irgendwann haben sich zwei zivilisierte Kulturnationen geeinigt und leben nun friedlich zusammen.

Meran 18.Jhdt

Geholfen hat natürlich in diesen Jahren immer die Wirtschaft! Tourismus ohne Ende vom Norden her, aber genauso vom Süden, plus die anderen Vorteile des alten Kulturlandes verfehlten ihre Wirkung nicht. Und wenn es der Wirtschaft und damit den Menschen gutgeht, ist der Protest meist ziemlich stumm. Genau das hat sich aber in den letzten fünf Jahren geändert. Italien steckt tief in der Euro- und Finanzkrise, sucht nach Geld, und die Südtiroler merken, wie die Autonomie immer mehr ausgehöhlt wird und wie es von Rom um seine Einnahmen betrogen wird. Jetzt im Jahre 2013 will ein beträchtlicher Teil [2] der Südtiroler wieder weg von Rom!

Dazu kommt: Die Südtiroler Volkspartei (SVP), die jahrzehntelang mit absoluter Mehrheit umsichtig die Geschicke des Landes bestimmt hatte, drehte sich immer mehr in eine politkorrekte, rötlich-grüne Richtung, wie die Grünen auch – der Bergsteiger Messner aus dem Villnößtal ist z.B. so ein Öko-Yeti. Sprich: gegen die Einwanderung von Rumänen oder den Bau von Moscheen fällt der SVP zunehmend nichts Gescheites, Handfestes mehr ein! Andreas Hofer ist bei denen längst tot, die EUdSSR regiert in ihren Köpfen!

Dagegen wehren sich andere wie die getreue Eva Klotz und die Schützen zum Beispiel, siehe einen Stimmungsbericht vor den [3] Wahlen hier. Und so gingen die letzten Wahlen im Oktober auch aus. Der Trend „Los von Rom“ [4] wurde bestätigt!

Wie es weitergeht, wer will das prophezeien? Da aber unserer Ansicht nach die Euro-, Finanz- und Schuldenkrise anhalten wird und sich in Italien die Unruhen verstärken, dürften auch die Autonomiebestrebungen noch zulegen. Und sollte es etwa den Katalanen gelingen, weg von Spanien zu kommen – die Südtiroler beobachten andere Autonomiebewegungen genau -, dann wird das südlich vom Brenner Folgen haben.

Rosengarten

Es wäre ein glänzender Sieg der Gerechtigkeit, wenn dieses schöne Land, das vor beinahe 100 Jahren völlig rechtlos mit dem Segen der Alliierten von Italien annektiert wurde, wieder zum österreichischen Tirol käme oder frei und unabhängig würde. Mander, s’isch Zeit!

Vorangegangene Teile:

» Geschichte Südtirols 1 [5] – Prolog
» Geschichte Südtirols 2 [6] – Andreas Hofer
» Geschichte Südtirols 3 [7] – Der 1. Weltkrieg, Kriegserklärung Italiens
» Geschichte Südtirols 4 [8] – Gebirgskrieg 1915-1918
» Geschichte Südtirols 5 [9] – Faschistische Italianisierung durch Tolomei
» Geschichte Südtirols 6 [10] – Die Option
» Geschichte Südtirols 7 [11] – Feuernacht, Bomben

Finis!

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Geschichte Südtirols 7 – Feuernacht, Bomben

geschrieben von kewil am in Italien,Zeitgeschichte,Österreich | 28 Kommentare

Siegmundskron [12]Nach dem Zweiten Weltkrieg beanspruchte Österreich wieder das ganze Tirol, aber den meisten war vermutlich klar, daß sich die Grenzen Italiens im Norden nicht verschieben würden. Wie hätte denn den Siegermächten das Schicksal eines kleinen Volkes wichtig sein sollen. Gleich am 8. Mai 1945 wurde die Südtiroler Volkspartei (SVP) gegründet, christlich-sozial und konservativ aufgestellt, die von Anfang an nicht zwischen “Dableibern” und “Optanten” unterschied. Man sollte nicht vergessen, daß die Letzteren 1945 de jure ausgebürgerte Deutsche waren, und die Italiener zeigten wenig Neigung, sie wieder aufzunehmen – die Tiroler allerdings schon.

Es war ein Ziel, die Ausgewanderten wieder heimzuholen. Ansonsten wollten die Südtiroler soviel Selbstbestimmung wie möglich, die Italiener so wenig wie möglich. Immerhin kam es am Rande der Pariser Außenministerkonferenz 1946 zum sogenannten Gruber-De-Gasperi-Abkommen [13], in dem den Südtirolern (und Österreich) einige Rechte eingeräumt wurden – auf dem Papier, denn Italien hatte keineswegs Änderungen der Lage im Sinn, und es förderte nach wie vor den Zuzug von Italienern, speziell nach Bozen. Zudem war Südtirol verwaltungstechnisch mit dem italienischen Trentino zusammengelegt worden, was die Leute verärgerte und zunächst zur populären Forderung “Los vom Trentino” führte. Später hieß es dann ’Los von Rom’.

Es kam zu Protesten und großen Demonstrationen, die bereits in den fünfziger Jahren – 57 auf Schloss Sigmundskron [14], verlangte unser Volk das Los von Rom (Foto oben) – vom späteren Landeshauptmann und Obmann der SVP, Silvius Magnago [15] (Foto), mit angeführt wurden, dem verdienstvollsten und überragendsten Südtiroler Politiker zwischen 1947 und 1991. Die Italiener blieben aber hart, an Autonomie oder irgendeine Selbstbestimmung war damals jedenfalls nicht zu denken. Die Unzufriedenheit im Land wuchs immer mehr. (Foto: Knüppelsonntag Bozen 1960)

Knüppelsonntag Bozen 1960 [16]

Schließlich wurde der Widerstand gewalttätig [17], einige Südtiroler legten Bomben, zunächst an Hochspannungsmasten und faschistische Denkmäler, dann gab es auch Tote.

Feuernacht [18]

Hier wäre zu nennen der Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) [19] mit Anführern wie Sepp Kerschbaumer [20] oder Luis Amplatz [21]. Es kam zur Feuernacht [22], bzw. der Herz-Jesu-Nacht [23], in der die Stromversorgung in die Industriezone Bozens lahmgelegt wurde. In Südtirol wurden 37 Hochspannungsmasten, zwei Hochdruckleitungen und mehrere Eisenbahnmasten gesprengt

Die Bombenserie dauerte hauptsächlich von 1956 bis 1969. Inwieweit der Terror genützt hat, ist geschichtlich umstritten. Aber das Südtirolproblem kam in dieser Zeit mehrmals bis vor die UNO nach New York. Ohne Bomben wäre das nicht geschehen. Wikipedia zählt [24] 21 Tote, davon 15 Staatsvertreter, 2 Zivilisten und 4 Freiheitskämpfer (auf Italienisch Terroristen), die bei der Vorbereitung einer Bombe zerrissen wurden, und 57 Verletzte: 24 unter den Staatsvertreter und 33 Zivilisten.

Südtiroler Freiheitskämpfer [25]

Auch die Italiener setzten verbotene Methoden ein, folterten Gefangene in den Carabinieri-Kasernen schwer und ermordeten drei, die Haftstrafen waren äußerst lang. In dieser verhärteten Situation, vor gerade mal 50 Jahren, hätte sich niemand die spätere Entwicklung des Landes vorstellen können.

Reschensee [26]

Exkurs: Daß die Hochspannungsmasten als erstes ins Visier der Südtiroler Bombenleger gerieten, ist kein Zufall. Die Südtiroler hat es immer geärgert, daß die in Strom verwandelte Wasserkraft ihres Landes  stracks in die oberitalienischen Industriezentren abgeleitet wurde. Ein Beispiel ist der Kirchturm am Reschenpass (Foto), der noch an das Dorf Graun erinnert, das um 1950 zwangsweise gesprengt und im Stausee ertränkt wurde. Auch wenn ich schon hundertmal in bester Stimmung und mit Urlaubsvorfreuden an der malerischen Stelle vorbeigefahren bin, die Geschichte des Stausees ist eigentlich traurig! [27] Die nächste Folge ist die letzte und geht bis in die Gegenwart. Vorangegangene Teile:

Geschichte Südtirols 1 [5] – Prolog
Geschichte Südtirols 2 [6] – Andreas Hofer
Geschichte Südtirols 3 [7] – Der Erste Weltkrieg, Kriegserklärung Italiens
Geschichte Südtirols 4 [8] – Gebirgskrieg 1915-1918 >
Geschichte Südtirols 5 [9] – faschistische Italianisierung durch Tolomei
Geschichte Südtirols 6 [10] – Die Option

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Geschichte Südtirols 6 – Die Option

geschrieben von kewil am in Geschichte,Italien,Österreich | 20 Kommentare

Hitler-Mussolini [28]Die Lage der Südtiroler unter dem Faschisten Ettore Tolomei blieb – wie im letzten Kapitel [9] beschrieben – schlimm. Österreich bemühte sich, ab und zu politisch zu helfen, das Land war aber zu schwach, um bei Mussolini nennenswerte Erleichterungen zu erreichen. Umso mehr fiel den Südtirolern der Aufstieg der zweiten faschistischen Macht in Europa auf: Deutschland unter Hitler. Hier war eine Partei und ein Diktator, der viel von deutschem Volkstum redete. Konnte es nicht sein, daß vielleicht er eine Änderung der Grenzen befürwortete? Speziell beim Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich 1938 stieg die Hoffnung, von Italien loszukommen, steil nach oben.

In der Tat hatte es in der NSDAP immer wieder Stimmen gegeben, welche Südtirol bei Österreich oder Deutschland sahen. Hitler hatte aber aus unerklärlichen Gründen für Südtirol von Anfang an nie etwas übrig, und er lehnte ein diesbezügliches Engagement immer ab. Mussolini auf der anderen Seite war jahrelang ein Freund der Franzosen und Engländer gewesen. Erst ab 1936 wendete er sich Deutschland zu. Hitler hatte im Gegenzug die Gültigkeit der italienischen Grenze am Brenner nie bezweifelt. Und keine zwei Monate nach dem Anschluß Österreichs besuchte Hitler am 3. Mai 1938 Italien und bestätigte die Grenzen noch einmal feierlich. Eine Enttäuschung für Südtirol! Dafür rückte aber ein anderer Gedanke wieder nach vorn: die Umsiedlung der deutschen Südtiroler ins Reich. Am 23. Juni 1939 (endgültige Übereinkunft am 21.10.1939) einigten sich Italien und das Dritte Reich, die Südtirolfrage ein für allemal zu lösen, indem die Einwohner optieren konnten, ob sie nach Deutschland auswandern oder in Italien bleiben mochten. Bis zum Jahresende mußte man sich entscheiden; der Zweite Weltkrieg verlängerte dann aber die Fristen.

Diese schlimme „Option“, [29] zwischen zwei faschistischen Staaten wählen zu müssen, führte zu viel bösem Blut und einer ganz tiefen Zerrissenheit im Land bis hinein in einzelne Familien und ist bis auf den heutigen Tag teilweise nicht vernarbt. Die „Optanten“, also die „Geher“, unterstützt vom Völkischen Kampfring Südtirol (VKS), wollten nicht länger italianisiert und drangsaliert werden, sondern deutsch bleiben, wobei auch Nazipropaganda verwendet wurde. Es gab zudem Gerüchte, daß die „Dableiber“ nach Süditalien zwangsumgesiedelt würden. Im Reich war Arbeit garantiert, in Italien Arbeitslosigkeit wahrscheinlich.

Die Nazis hatten auch Pläne, die Südtiroler geschlossen auf der Krim oder sonstwo im Osten anzusiedeln, so daß sie unter sich gewesen wären, was die Gegner wiederum als Hirngespinste abtaten. Südtirols katholisch-konservative Politiker wie etwa Michael Gamper [30], sprachen sich jedenfalls gegen die Option aus, rieten zum Bleiben und redeten davon, daß auch die “Dableiber” Deutsche sein könnten. Die meisten Einwohner trauten aber den Italienern nicht über den Weg. So wählten schließlich in der Provinz Bozen 85% von 250.000 Menschen die Auswanderung nach Deutschland. Die Zahl der Optanten war so hoch, daß die italienischen Faschisten eine Entvölkerung der Alpentäler befürchteten und bremsen wollten. Nachdem sie aber deshalb Werbung fürs Dableiben betrieben, wählten gleich noch mehr mißtrauische Südtiroler die Abreise. Hauptgrund der Geher dürften die Erfahrungen der letzten 20 Jahre gewesen sein.

optanten-südtirolWie erwähnt platzte diese große Umsiedlungsaktion mitten in den Zweiten Weltkrieg, wodurch alles durcheinander und ins Stocken geriet. Insgesamt sind nur um die 70.000 Menschen abgewandert, wovon gleich die Hälfte in Nordtirol, andere sonstwo auf  österreichischem Gebiet (Ostmark) Halt machten. Die Männer mußten natürlich für Deutschland in den Krieg.

Als Mussolini 1943 gestürzt wurde, kam die Operation ganz zum Erliegen. Die Deutschen besetzten Südtirol und behielten es unter Verwaltung, auch nachdem sie Mussolini wieder in den Sattel gehievt hatten und die Republik von Salò [31] am nahen Gardasee gegründet worden war. Einige der oben erwähnten konservativ-katholischen Politiker (Andreas-Hofer-Bund) [32], die für Dableiben gestimmt hatten, wurden verfolgt und sogar ins KZ gesteckt.

Ansonsten geriet Südtirol in den letzten Kriegsjahren von 1943 bis 1945 wegen der wichtigen Verkehrswege bald ins Visier der alliierten Bomber. Und die deutsche Seite zwang nun die männliche deutschsprachige Bevölkerung der Dagebliebenen ebenfalls in die Wehrmacht und Polizeiregimenter, die der SS angegliedert waren. Das Verhältnis zwischen Italienern und Deutschen in Südtirol blieb aber in diesen zwei letzten Kriegsjahren durchaus erträglich. Es bildeten sich sogar Widerstandsgruppen gegen die Naziherrschaft im Land. Von irgendwelchen Massakern oder Racheakten auf Südtiroler Boden vor und nach Kriegsende, von welcher Seite auch immer, liest man nichts. Nach dem Krieg kehrten über 20.000 der “Optanten” wieder zurück nach Südtirol, das aber nach wie vor zu Italien gehörte.

Bozen im Krieg [33]Das Foto zeigt Bozen im Krieg.

Bisherige Beiträge:

» Geschichte Südtirols 1 [5] – Prolog
» Geschichte Südtirols 2 [6] – Andreas Hofer
» Geschichte Südtirols 3 [7] – Der Erste Weltkrieg, Kriegserklärung Italiens
» Geschichte Südtirols 4 [8] – Gebirgskrieg 1915-1918 >
» Geschichte Südtirols 5 [9] – faschistische Italianisierung durch Ettore Tolomei

(Der nächste Teil beginnt mit der Zeit nach 1945!)

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Geschichte Südtirols 5 – brutale faschistische Italianisierung durch Ettore Tolomei

geschrieben von kewil am in Geschichte,Italien,Österreich | 38 Kommentare

bergbauern [34]1918 erschien die Möglichkeit, daß der Brenner Italiens Grenze werden könnte, den Menschen in Tirol unvorstellbar. Das Londoner Geheimabkommen [35] von 1915 (Italy shall obtain the Trentino, Cisalpine Tyrol with its geographical and natural frontier) war zwar durchaus bekannt geworden, aber Woodrow Wilson, der Präsident der inzwischen mächtiger gewordenen USA, hatte am 8. Januar 1918 sein berühmtes 14-Punkte-Programm [36] bekanntgegeben, und in Punkt 9 stand dort, daß die zukünftigen Grenzen Italiens entlang klar erkennbarer Nationalitätslinien verlaufen sollten (A readjustment of the frontiers of Italy should be effected along clearly recognizable lines of nationality). Und diese Nationalitäts- und Sprachgrenzen waren im südlichen Teil Tirols, etwa an der Salurner Klause, völlig klar und überdeutlich. Weder Wilson noch die anderen Siegermächte hielten jedoch diese Punkte oder das mehrmals verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker ein.

Und wie beim Diktat von Versailles [37] die Deutschen absolut nichts zu sagen hatten, so ging es den Österreichern 1919 beim Vertrag von Saint-Germain [38]. Auch sie durften an den Verhandlungen nicht teilnehmen und mußten zwangsweise unterschreiben. Italien bekam mit dem Recht des Siegers Istrien, Südtirol, Welschtirol und das Kanaltal, wobei italienische Sozialdemokraten die Annexion Südtirols ablehnten. Eine Volksbefragung fand nie statt.

Dies war ein harter Schlag! Im eigentlichen Südtirol (ohne Trentino/Welschtirol) lebten zu der Zeit zirka 200.000 Deutsche und 10.000 Ladiner [39], der Anteil der Italiener lag unter 10 Prozent. Der italienische Staat ging sofort daran, dies zu ändern. Das Militär war bereits bei der Kapitulation 1918 eingeströmt. Zwar hatten die italienischen Abgeordneten und der König Viktor Emmanuel III. [40] feierlich versprochen, der anderssprachigen Bevölkerung autonome Selbstverwaltung einzuräumen, aber eingehalten wurde davon nichts. Im Gegenteil.

Die beherrschende Gestalt in Südtirol wurde für die nächsten zwanzig Jahre Ettore Tolomei [41], italienischer Irredentist, Nationalist und Faschist. Seit der Jahrhundertwende hatte er die Brennergrenze im Visier gehabt. Auf dieses Ziel arbeitete er in wechselnden Posten und Gremien Tag und Nacht unermüdlich hin. Dazu suchte er unablässig und bienenfleißig wissenschaftlich zu beweisen, daß dieses Land eigentlich schon immer italienisch gewesen sei.

Seine schärfsten Waffen waren Geschichte, Geographie und Sprache. Überall suchte er bereits vor und während des Ersten Weltkrieges nach Spuren des Italienischen in Tirol. Und er fand und erfand die Italianità auch buchstäblich hinter jedem Stein. So bestieg er beispielsweise einen Berg, sagte wahrheitswidrig, er sei Erstbesteiger, und gab ihm einen italienischen Namen. Und Tolomei schrieb und verfaßte Bücher und Abhandlungen und Artikel. Und die fanden dankbare Leser, besonders bei Irredentisten und Faschisten.

PfitschSchon vor Mussolinis Marsch auf Rom 1922 war es zu faschistischen Übergriffen in Südtirol wie dem Bozner Blutsonntag [42] gekommen. Nachdem aber Mussolini herrschte, brauchte Tolomei keine pseudowissenschaftlichen Bücher mehr, nun konnte er als faschistischer Senator regieren und befehlen. „Ein Schrei genügt und wir haben diesen schweinischen Abschaum eines überständigen Österreich hinweggefegt“, ließ er verlauten, nachdem er mit seinen Schwarzhemden das Bozner Rathaus gestürmt hatte. Schließlich wurde am 15. Juli 1923 sein schon lange ausgearbeitetes 32-Punkte-Programm [43]zur Italianisierung des deutsch besiedelten Gebietes verkündet. Tolomei sah als wichtigste Maßnahmen vor:

Einführung der italienischen Amtssprache, Italianisierung aller Ortsnamen und Aufschriften, großzügige Förderung des italienischen Schulwesens und der Einwanderung von Italienern, Verstärkung der in diesem Raum stationierten Militär- und Carabinierieinheiten, Ernennung italienischer Gemeindesekretäre und Entlassung bzw. Versetzung deutscher Beamter und Lehrer nach Reichsitalien, Ausschaltung der von Einheimischen kontrollierten Wirtschaftseinrichtungen (Banken, landwirtschaftliche Genossenschaften) sowie Auflösung der Verbände und Vereine (Deutscher Verband, Alpenverein).
Das von Tolomei formulierte Programm wurde in den folgenden fünf Jahren mit wenigen Modifizierungen verwirklicht. Der öffentliche Gebrauch des Namens Tirol und aller damit zusammengesetzten Begriffe (Südtiroler usw.) wurden untersagt. Provisorisch tolerierte man die Bezeichnung Alto Adige (Hochetsch); Es durften nur noch die zum größeren Teil von Tolomei erfundenen italienischen Ortsnamen verwendet werden. Mit Beginn des Schuljahres 1923/24 wurde stufenweise ab der 1. Klasse die italienische Unterrichtssprache in den Volksschulen dekretiert und zur gleichen Zeit die italienische Amtssprache eingeführt.

Dementsprechend kam alsbald eine größere Zahl italienischer Beamter und Lehrer ins Land, die weder imstande waren, sich mit den Kindern zu verständigen, noch für die besondere Lage der Deutschen Verständnis aufbrachten. Private deutsche Schulen wurden verboten, ja sogar der private Deutschunterricht seit 1925 strengstens verfolgt. Nachdem zuerst überall italienische Gemeindesekretäre eingesetzt worden waren, verloren die Gemeinden den Rest ihrer Autonomie, als 1926 an die Stelle der gewählten Bürgermeister ein Podestä als staatlicher Beamter. (Josef Riedmann, Geschichte Tirols, Wien 2001, S. 241)

Selbstverständlich wurde auch die deutschsprachige Presse erledigt, einzig und allein die kirchlichen Predigten in Deutsch und den deutschsprachigen Religionsunterricht, der privat in Pfarrhäusern gegeben wurde, konnten die Faschisten nicht unterbinden! Siehe auch ‘Katakombenschulen’! [44] Ansonsten war Widerstand gegen den Totengräber Südtirols [45] unmöglich. Verhaftungen und Verbannung waren die Folge.

Eine weitere Methode der Faschisten bestand darin, möglichst viele Italiener ins Land zu holen. Neben den allgegenwärtigen Beamten dachte man auch an Süditaliener als Bergbauern, ein Experiment, das kläglich scheiterte. Viel erfolgreicher war die Ansiedlung von Industrie in den dreißiger Jahren, vor allem in Bozen. Ohne Rücksicht darauf, ob es wirtschaftlich sinnvoll war, wurden Firmen mit Prämien nach Südtirol gelockt und dazu Süditaliener als Arbeiter. Das Gelände für Fabriken und Wohnsilos wurde rücksichtslos enteignet. Ab ungefähr 1937 war auf diese Weise die Mehrheit der Bozner Bevölkerung italienisch!

Gossensass

Exkurs 1: Die Italianisierung der deutschen Namen

Wie kein anderer hat der Faschist Ettore Tolomei bis heute Südtirol verändert. Interessant ist sein System bei der Umwandlung deutscher Namen für Berge, Flüsse, Wälder, Vornamen, Familiennamen und Ortsnamen. Nichts blieb verschont. Vieles in der Geographie ist heute amtlich! Seine Methoden waren einfallsreich: [46]

  1. Übernahme bereits vorhandener italienischer Namen wie Bolzano für Bozen, Merano für Meran.
  2. Suche nach alten, zum Beispiel lateinischen Namen: Sterzing hieß als römisches Lager Vipitenum. Daraus wurde italienisch Vipiteno.
  3. Phonetische Wortfindung: Brennero für Brenner, Brunico für Bruneck, Castelrotto für Kastelruth.
  4. Übersetzung, Etymologie: Lago Verde für Grünsee, Villabassa für Niederdorf.
  5. Schutzpatron oder andere Namen mit Ortsbezug: San Candido für Innichen.
  6. Geografische Ableitung: Colle Isarco (wörtlich Eisack-Hügel) für Gossensaß. (Was aber, niemand weiß es genau, Gotensitz oder Knappensitz bedeuten soll. Henrik Ibsen [47] hatte hier einst Urlaub gemacht.)

Eine Methode funktionierte immer, Fehler eingeschlossen, notfalls mit Brecheisen! Hier eine kleine Sammlung aus Wikipedia [48]! Und da das ganze alphabetische  PRONTUARIO DEI NOMI LOCALI DELL’ALTO ADIGE [49]. Klicken Sie hinein! Kein Dachziegel und keine Pfütze war sicher vor Umbennennung! Siehe auch Die gewaltsame Italianisierung der Familiennamen in Südtirol [50] hier!

Exkurs 2: Die Ladiner

In abgelegenen Alpentälern blieben an mehreren Stellen kleinere und größere Gruppen und Stämme von Menschen und Gemeinden übrig, isoliert und manchmal vergessen, zumindest aber von anderen Sprachen ziemlich abgeschlossen über Jahrhunderte, wie zum Beispiel die 13 Gemeinden bei Verona [51]. So ähnlich muß man sich auch die Rätoromanen in der Schweiz und die Ladiner in Südtirol, etwa im Grödnertal und Gadertal, vorstellen. Ihre Sprache ist [52] eindeutig romanisch und kommt aus dem Lateinischen.

So könnte der Unbedarfte denken, die Ladiner hätten sich bei den erwähnten Auseinandersetzungen um die Annektierung schnellstens den ihnen sprachverwandten Italienern angeschlossen, doch dem ist nicht so. Die Ladiner Südtirols wollten eigentlich schon unter dem Kaiser Autonomie. Im Vertrag von Saint-Germain wurden sie aber nicht einmal erwähnt. Die Faschisten rissen sie in drei Provinzen auseinander, die geschaffen worden waren, um Südtirol leichter zu italianisieren. Ansonsten wurden die Ladiner von Tolomeis Faschisten als “Beweise” benutzt, daß sie eigentlich Italiener seien und das ganze Land seit Kaiser Augustus deshalb italienisch. Italienisch sei auch ihre Sprache, wenngleich in einer heruntergekommenen Form. Diese Töne gefielen den Ladinern absolut nicht.

Langkofel-Gruppe

Die Ladiner gibt es natürlich auch noch heute – runde 30.000 Menschen. In diesem Link beklagen sich einig [53]e über den schwindenden Einfluß des Ladinischen. Mein Eindruck ist, daß Ladinisch gerne benutzt wird, wenn sie unter sich sind oder von den Touristen nicht verstanden werden wollen. Hier die Homepage der Ladiner-Union! [54] Und auf dem Foto sieht man zwei ladinische Berge, links den Langkofel [55] und rechts den Plattkofel [56]!

Vorangegangene Folgen:

Geschichte Südtirols 1 [5] – Prolog
Geschichte Südtirols 2 [6] – Andreas Hofer
Geschichte Südtirols 3 [7] – Der Erste Weltkrieg, Kriegserklärung Italiens
Geschichte Südtirols 4 [8] – Gebirgskrieg 1915-1918

(Der nächste Teil behandelt die „Option“.)

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Geschichte Südtirols 4 – Gebirgskrieg 1915-1918

geschrieben von kewil am in Geschichte,Italien,Österreich | 38 Kommentare

ortler [57]Durch die italienische Kriegserklärung am 23. Mai 1915 war auf einen Schlag eine über 1000 Kilometer lange, neue Front von Triest an der Adria über 300 Kilometer Tiroler Berge hinweg bis zum 3.900 Meter hohen Ortler (Foto) am Stilfser Joch neben der Schweizer Grenze entstanden. Die Italiener hatten bewußt einen Zeitpunkt gewählt, zu dem die aktiven, wehrfähigen Streitkräfte der Österreicher im Osten, im Balkan standen. So einfach, wie sich die Italiener die Eroberung Tirols vorstellten, verlief diese aber nicht. Die Tiroler wehrten sich – wieder einmal!

Gleich am ersten Tag besetzten 38.000 Standschützen – Jugendliche und ältere Männer – Gipfel, Grate, Bänder und Pässe. Dazu kamen Gendarmen. Diese wenigen Kräfte wechselten oft in schneller Folge als Patrouillen ihre Positionen auf den vertrauten Bergen und gaukelten so den italienischen Alpini eine höhere Mannschaftsstärke vor. Ein bekannter Kämpfer aus dieser Phase war der Sextner Bergführer und Wirt der Dreizinnenhütte, Sepp Innerkofler [58], der am 4. Juli 1915 im Kampf um den Gipfel des Paternkofels fiel.

Die Strategie der Standschützen war überaus erfolgreich, sodaß die Stellungen im Gebirge solange gehalten werden konnte, bis im Herbst Hilfe kam: die Kaiserjäger [59], die Landesschützen [60], der Landsturm [61] und das Deutsche Alpenkorps [62]. Und diese Strategie blieb erfolgreich. Wer einmal die Bergspitzen und Grate besetzt hatte, konnte fast nicht mehr vertrieben werden. Eine Luftwaffe, die in 3000 Meter Höhe entscheidend hätte agieren können, existierte damals nicht. Während unten im Tal die österreichischen Festungswerke und Forts die Zufahrtswege sicherten, entwickelte sich oben bald ein Stellungskrieg mit gefährlichen Patrouillen und Stoßtrupps, wie etwa auf dem Monte Piano [63].

aufstiegDer Krieg in den Alpen und Dolomiten war aber auch aus anderen Gründen ungemütlich! Unter größten Anstrengungen mußten Gewehre, MGs, Munition, Holz, Stacheldraht, Essen, Kleidung, Ausrüstung und sogar Mörser und Kanonen auf die Höhen befördert werden. Kilometerlange Unterstände, Kavernen, Tunnel und Stellungen wurden in Felsen und Gletscher gehauen, Leitern, Eisenstege und Materialseilbahnen gebaut. Teilweise haben die Frauen den Nachschub aus dem Tal nach oben befördert. Der Abtransport der Verwundeten war schwierig. Dazu die Absturzgefahr, die eisige Kälte im Winter, der Schnee, das Eis, Felsbrüche, Steinschlag! Alleine durch Lawinen kamen mehr Menschen um als durch direktes feindliches Feuer! Berühmt-berüchtigt wurde die Methode, die Gipfel zu unterminieren und samt Besatzung in die Luft zu jagen wie auf dem Col di Lana [64]. Dazu grub und bohrte man Stollen und Gegenstollen, Maultiere transportierten Tonnen von Dynamit, um sie zu füllen.

Im Sommer waren die Aktivitäten umfangreicher, im Winter hielt man die Stellung. Erst im Jahre 1917 gelang den Österreichern nach der zwölften Isonzo-Schlacht [65] der Durchbruch ins Tiefland bis zur Piave [66], wodurch die Frontlinie in den Dolomiten keine Rolle mehr spielte.

Besonders irr, aber sicher auch hinterlistig, gestaltete sich an dieser Front das Kriegsende 1918. Kaiser Karl I. befahl am 3. November seinen Truppen die sofortige Einstellung der Kampfhandlungen. Erst später erfuhr man, daß der Waffenstillstand im endgültigen Vertrag auf den 4. November um 15 Uhr festgelegt worden war. Die Österreicher hatten bereits die Waffen abgelegt, und die Italiener “eroberten” mit ihren bewaffneten Truppen noch schnell einige Kilometer zurück, für die vorher drei Jahre gekämpft worden war. Auch politisch hatten die Österreicher Fehler gemacht, zum Beispiel mit der Hinrichtung von Cesare Battisti [67].

Für diese Entwicklungen konnten aber die Tiroler sicher nichts. Sie hatten ihre Grenzen tapfer und absolut erfolgreich verteidigt, niemand im Land glaubte, konnte in den schlimmsten Alpträumen glauben, was folgen würde! Deutschtirol (Nord-, Ost- und Südtirol) beklagte circa 20.000 Tote, das waren 3,5% der Bevölkerung, eine Zahl, die einiges höher lag als der Durchschnitt im übrigen Österreich oder in Deutschland. Und dafür wurde Tirol mit der von den Italienern ersehnten Grenze am Brenner abgestraft. Internetquellen:

Gebirgskrieg 1915–1918 [68]
Gebirgskrieg [69] mit Fotos
Der Gebirgskrieg in den Dolomiten [70]
Österreichische Heeresberichte [71] über die Ereignisse an der italienischen Front (unten jeweils weiter klicken!)

Touristischer Exkurs: Es muß an dieser Stelle erwähnt werden, daß die Gebirgsfront von 1915 bis 1917 viele Spuren hinterlassen hat und heute abgegangen werden kann. Wer etwa mit der Seilbahn vom Falzarego-Paß auf den Kleinen Lagazuoi hochfährt und die darunterliegenden Geröllhalden sieht (Foto unten), – das ist

falzarego-seilbahn nicht die natürliche Erosion, das sind Steine aus den Stollen, Tunneln und Sprengungen des Dolomitenkriegs. Luis Trenker [72] stand einst in diesem Abschnitt. Genauso sieht man auf vielen Höhenwegen noch Stacheldraht, Holz, Mauerreste, Kavernen, Unterstände und Konservendosen aus dieser Zeit. Viele der sehr beliebten Klettersteige [73] (vie ferrate) haben ihren Ursprung in diesem Krieg gehabt. Fragen Sie, wenn Sie in Südtirol Urlaub machen! Hier eine umfangreichere Fotosammlung [74], die einen Eindruck gibt! Vorangegangene Folgen:

Kleine Geschichte Südtirols 1 [5] – Prolog
Kleine Geschichte Südtirols 2 [6] – Andreas Hofer
Kleine Geschichte Südtirols 3 [7] – Der Erste Weltkrieg, Kriegserklärung Italiens

(Nächste Folge: Südtirol wird italienisch!)

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Kleine Geschichte Südtirols 3 – Erster Weltkrieg, Italien wechselt die Seiten

geschrieben von kewil am in Geschichte,Italien,Österreich | 17 Kommentare

salurner-klause [75]1914 ernährte die Land- und Forstwirtschaft immer noch über die Hälfte der Tiroler Bevölkerung, daneben gab es Handel, viel Handwerk, etwa die Schnitzer aus dem Grödnertal, aber durchaus auch Fabriken. Dazu kam eine beispiellose Entwicklung der Verkehrswege, speziell der Eisenbahn. Und in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich bereits ein nennenswerter Tourismus.

Politisch ging das Leben in Tirol ohne bedeutsame Ereignisse weiter, bis am 28. Juli 1914 Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärte, was schließlich in den Ersten Weltkrieg mündete. Und wie überall mußten nun auch die wehrfähigen Tiroler als Untertanen des österreichischen Kaisers an die Front, vornehmlich in den Osten nach Serbien und Galizien. So kam es, daß im Land Tirol, als Italien ein knappes Jahr später, am 23. Mai 1915, Österreich-Ungarn den Krieg erklärte und am Isonzo [65] den ersten Angriff startete, zunächst in vielen Orten nur ältere Männer und wenig Militär zur Verteidigung bereitstanden. Die einheimischen Kaiserjäger kämpften derweil in der Fremde.

Italien hatte trotz gegenteiliger Abmachungen im Dreibund [76] diesen Krieg im “sacro egoismo” [77] mit dem offensichtlich imperialistischen Ziel herbeigeführt, die Situation auszunutzen und die Grenzen nach Norden bis zum Brenner zu verschieben. Dazu muß man wissen, daß Tirol 1914 in der Donaumonarchie noch bis nach Ala [78] in den italienischen Sprachraum hineinreichte. Man sprach von Welschtirol, während die Italiener das Gebiet bereits damals Trentino [79] nannten. Schon im vorigen Jahrhundert hatten aber Politiker wie Giuseppe Mazzini [80] den Alpenhauptkamm als “natürliche” Grenze Italiens im Sinn. Die Irredentisten [81] wollten alle italienischsprachigen Gebiete „erlösen“! Nun, 1914, verlangten die Italiener vom österreichischen Kaiser als Dank für ihre Neutralität das ganze Trentino, und als der sich weigerte, bzw. zu spät nachgab, hatten die Westmächte in Geheimgesprächen in London [82] 1915 Italien längst das ganze Gebiet vertraglich bis zum Brenner (und noch viel mehr) versprochen für den Fall des Kriegseintritts auf ihrer Seite.

Dieses hinterhältig versprochene Gebiet war aber keineswegs von „unerlösten“ Italienern besiedelt, sondern seit urdenklichen Zeiten hatte die Salurner Klause [83] (der Durchgang rechts im Foto zwischen Bozen und Trient, wo die Felsen eng zusammenrücken) eine ganz deutliche deutsche Sprachgrenze gebildet. Nördlich davon waren die Tiroler in einer erdrückenden Mehrheit. Italien machte sich nun also völlig bewußt und ungeniert daran, fremdsprachige Gebiete zu erobern. Und die Tiroler, die vom Londoner Geheimabkommen der alliierten Westmächte bis 1917 gar nichts wußten – verraten hat es später übrigens Lenin -, verteidigten ihr Land erneut im Geist der Freiheit und in der Erinnerung an 1809! (Der nächste Teil handelt von dieser Verteidigung, dem Gebirgskrieg 1915-1917 bis zum Kriegsende 1918.)

» Kleine Geschichte Südtirols 1 [5] – Prolog
» Kleine Geschichte Südtirols 2 [6] – Andreas Hofer

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Kleine Geschichte Südtirols 2 – Andreas Hofer

geschrieben von kewil am in Geschichte,Italien,Österreich | 12 Kommentare

Villnößtal [6]Am 10. September, 1786, fuhr Johann Wolfgang Goethe per Kutsche auf seiner berühmten italienischen Reise [84] von der Paßhöhe des Brenner hinunter nach Südtirol und hielt kurz vor Bozen folgendes fest:

Auf dem Lande, nah am Fluß, die Hügel hinauf, ist alles so enge an und in einander gepflanzt, daß man denkt, es müsse eins das andere ersticken: Weingeländer, Mais, Maulbeerbäume, Äpfel, Birnen, Quitten und Nüsse. Über Mauern wirft sich der Attich lebhaft herüber. Efeu wächst in starken Stämmen die Felsen hinauf und verbreitet sich weit über sie; die Eidechse schlüpft durch die Zwischenräume, auch alles, was hin und her wandelt, erinnert einen an die liebsten Kunstbilder. Die aufgebundenen Zöpfe der Frauen, der Männer bloße Brust und leichte Jacken, die trefflichen Ochsen, die sie vom Markt nach Hause treiben, die beladenen Eselchen, alles bildet einen lebendigen, bewegten Heinrich Roos [85]. Und nun, wenn es Abend wird, bei der milden Luft wenige Wolken an den Bergen ruhen, am Himmel mehr stehen als ziehen, und gleich nach Sonnenuntergang das Geschrille der Heuschrecken laut zu werden anfängt, da fühlt man sich doch einmal in der Welt zu Hause und nicht wie geborgt oder im Exil…

Aber nicht überall im Land herrschte Wohlstand wie in Bozen, und in den Seitentälern der Alpen mußten die Bauern ihr Brot meist beschwerlich erarbeiten; aber sie hingen alle an diesem Flecken Erde, und die Tiroler waren äußerst konservativ und wehrhaft. Das erfuhren die Franzosen, als sie 1796/1797 Tirol zunächst erfolglos angriffen. Auf dem Bild unten sieht man Katharina Lanz [86] bei der Schlacht von Spinges 1797!

katharina-lanzNach Napoleons Siegen überall in Europa wurde Tirol aber im Frieden von Pressburg [87]1805 an die Bayern abgetreten, deren Herrschaft und deren staatliche, kirchliche und militärische Reformen den Tirolern so sehr gegen den Strich gingen, daß es schließlich im Jahr 1809 zum Volksaufstand, zum Freiheitskampf für Gott, Kaiser und Vaterland kam unter den heute noch bekannten Anführern Hofer, Speckbacher [88], Mayr [89] und Haspinger [90]. Vor allem daß in Südbayern, wie Tirol nun heißen sollte, von den Besatzern nach Aufhebung des Landlibell [91] Rekruten ausgehoben werden konnten, führte zur Erhebung. Mander, es isch Zeit, soll Hofer gesagt haben, und die Schützen folgten!

andreas-hoferInsbesondere Andreas Hofer [92] (Abb.), der Sandwirt aus St. Leonhard [93] im Passeiertal, wurde ein Nationalheld und erregt bis heute die Phantasie [94]. Vier Schlachten wurden am Bergisel [95] (das ist da, wo heute die Olympiaschanze von Innsbruck steht) gegen Bayern und Franzosen geschlagen, drei gewonnen, die letzte verloren. Der Kaiser in Wien, auf den die Tiroler gesetzt hatten, war nie eine Hilfe gewesen! Hofer – durch Verrat gefangen – wurde 1810 zu Mantua in Banden [96] erschossen! Er ist mit Speckbacher und Haspinger in der Hofkirche zu Innsbruck begraben.

Das Leben ging natürlich auch nach 1810 weiter, Napoleon verschwand von der Bühne, Tirol kam wieder an die Habsburger, die den Tirolern und ihrer Freiheitsliebe jedoch durchaus mißtrauten. Die Überführung Hofers nach Innsbruck war eine Nacht- und Nebelaktion der Kaiserjäger, aber gar nicht im Sinne Seiner Majestät des Kaisers selbst, der vor allem Ruhe im Land wollte. Zweimal noch in den nächsten 50 Jahren drohte Tirol Gefahr – diesmal aus  dem Süden. Um 1848 drängten Freischärler – Stichwort Giovane Italia [97]– aus der Lombardei heran und wollten die Grenzen verschieben, und 11 Jahre später war es Garibaldi [98], der im Krieg Österreichs gegen Piemont-Sardinien im Norden aktiv wurde. Beide Male wurde in Tirol der Geist von 1809 wachgerufen, und beide Male die Gefahr abgewendet.

Das tägliche Leben blieb während dieser Zeiten in vielen Teilen Tirols wie überall in den Alpen ein schweres. Armut war weit verbreitet. Nicht jeden ernährte ein Bauernhof oder ein Handwerk. Es gab ledige Kinder, Zweit- und Drittgeborene, die als Tagelöhner, Melker, Knechte und Mägde, Wildschützen, Krämer, Vogelhändler, Schmuggler und Hausierer ein Auskommen suchen mußten. Viele zogen ganz weg und wanderten aus bis nach Brasilien [99] und Peru. Bekannt geworden sind auch die sogenannten Schwabenkinder [100], die aus Armut alljährlich im Frühjahr durch die Alpen zu den Kindermärkten hauptsächlich nach Oberschwaben wanderten, um dort als Arbeitskräfte für eine Saison an Bauern vermittelt zu werden. Erst nach 1920 verschwand das Schwabengehen endlich ganz!

Auch war Tirol nicht überall streng katholisch, wie man vermuten könnte. Im Zillertal etwa hatten sich lange Protestanten gehalten [101], die man aber vor die Wahl stellte, zu konvertieren oder auszuwandern, was die meisten 1837 taten. Die geistigen und politischen Strömungen des 19. Jahrhundert machten an den Landesgrenzen natürlich keinen Halt, können in diesem kurzen Abriß aber nicht ausgeführt werden.

» Der Tiroler Freiheitskampf [102] und dessen Mythos
» Tiroler Freiheitskampf 1809 [103]
» Das Landlibell von 1511 [104]
» Kleine Geschichte Südtirols 1 – Prolog [5]

(Auf dem Foto ganz oben sieht man das Villnößtal mit den Geisler Spitzen, dem Sass Rigais und der Furchetta. Der nächste Teil der Serie handelt vom Ersten Weltkrieg in Südtirol und erscheint demnächst.)

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Kleine Geschichte Südtirols 1 – Prolog

geschrieben von kewil am in Geschichte,Italien,Österreich | 49 Kommentare

schloss-tirol [105]Jahr für Jahr fahren Hunderttausende von Touristen über den Brenner [106] nach Italien, die meisten auf der Autobahn, von der aus man nicht viel sieht von den wunderbaren Bergen und anmutigen Tälern, andere bleiben gleich hinter der Grenze irgendwo zwischen den Flüssen Etsch, Eisack, Rienz, Passer und Talfer hängen und verbringen dort ihren Urlaub. Aber auch Italiener zieht es im August in Scharen aus dem heißen Rom und den oberitalienischen Städten hinauf in die höhergelegenen Bergregionen der Alpen und Dolomiten zur Sommerfrische. Gemeinsam dürfte allen sein, daß sie wenig davon wissen, was sich in diesem Landstrich alles abgespielt hat und warum dort bis heute Deutsch gesprochen wird.

Die Gegend ist seit vielen tausend Jahren besiedelt, der “Ötzi” [107] war Tiroler, und weil der Brenner mit 1375 Metern der niedrigste Nord-Süd-Paß über den Alpenhauptkamm ist, war der Verkehr meist beträchtlich. Die Kimbern fielen von dort in Italien ein, der römische Feldherr Drusus überquerte ihn, die Goten zur Zeit Theoderichs des Großen zogen von Süden heran. Deutsche Könige überquerten den Brenner von Norden und kamen als Kaiser aus Rom zurück. Die Bajuwaren [108] (Baiern) zogen ins Land, und irgendwann entstand im 12. Jahrhundert die Grafschaft Tirol, ausgehend vom Schloß Tirol (Foto) [109] nördlich von Meran. Alte Sagen berichten aus längst vergangenen Zeiten vom Zwergenkönig Laurin im Rosengarten [110] hoch oberhalb von Bozen und von Dietrich von Bern [111]. Der letzte Minnesänger und Ritter Oswald von Wolkenstein [112] zog im Alter von 10 Jahren aus Südtirol in die Welt hinaus:

Es fuegt sich, do ich was von zehen jaren alt,
ich wolt besehen, wie die welt wär gestalt.
mit ellend, armuet, mangen winkel haiss und kalt
hab ich gepaut pei cristen, kriechen, haiden.
Drei pfenning in dem peutel und ain stücklin prot
das was von haim mein zerung, do ich loff in not…

Und er kam weit bis

Gen Preussen, Littwan, Tartarei, Türkei, uber mer,
gen Frankreich, Lampart, Ispanien, mit zwaien kunges her…

Natürlich war der Brenner immer auch eine wichtige Handelsstrasse gewesen. Händlerkarawanen zogen auf dem Weg vom Fondaco dei Tedeschi [113] in Venedig ins Augsburg der Fugger durch Tirol. Andere Routen führten bis an die Ostsee. 1363 fiel Tirol von den Baiern schließlich an die Habsburger, wo es mit einigen kürzeren Unterbrechungen bis nach dem Ersten Weltkrieg verblieb! Vom Dreißigjährigen Krieg, der in Deutschland so schwere Verheerungen angerichtet hatte, wurde das ganze Tirol [114] übrigens ziemlich verschont! Trotz der immensen strategischen Bedeutung des Landes gibt es in der Geschichtsschreibung immer wieder Lücken, und es kann natürlich nicht jedes Ereignis zur Sprache kommen.

(Der nächste Teil der Serie behandelt die Jahrzehnte in Tirol vor und nach 1800 und erscheint demnächst. Habe den Text in meinem alten Blog vor über fünf Jahren veröffentlicht, er ist angesichts des letzten Wahlergebnisses in [4] Südtirol höchst aktuell!)

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