Von JOHANN MILLER | Im Juli dieses Jahres begingen die Vereinigten Staaten von Amerika ihr 246-jähriges Jubiläum. Doch die Feierlichkeiten standen im Schatten der Spaltung des Landes. Massenweise erfolgten Absagen der Feuerwerke zum Tag der Unabhängigkeit sind zum Sinnbild der Spaltung und des Niedergangs der nationalen Einheit geworden.
In Incline Village, einem ländlichen Ort in Nevada, wurde das Feuerwerk zum 4. Juli widerrufen, um den Klimawandel zu verhindern.
In Phoenix, Arizona, musste die hundertjährige US-amerikanische Tradition aufgrund von Lieferschwierigkeiten bei der Pyrotechnik wegen der weltweiten Lieferstillstände abgebrochen werden.
In Akron, Ohio, wurde das Feuerwerk vor dem Hintergrund von BLM-Protesten abgesagt, nachdem die Polizei im Verlauf einer Verfolgung einen afroamerikanischen Ortsbewohner, Jayland Walker, mit über 90 Kugeln beschossen hatte.
Das letztgenannte Vorkommnis war nur einer von fast 414 Fällen von Straßenschießereien zwischen dem 2. und dem 5. Juli, in denen 198 Menschen getötet und 542 verletzt wurden, in verschiedenen Teilen der USA. Das berichtet das Gun Violence Archive, eine gemeinnützige Gruppe mit begleitender Website und Social-Media-Plattformen, die jeden Vorfall von Waffengewalt in den Vereinigten Staaten katalogisiert.
Diese Zahlen sind erschreckend hoch, sogar in der historisch gewachsenen Waffenfreundlichkeit in den USA. Laut den Erhebungen dieser Gruppe ist 2021 die Zahl der Massenschießereien um 50 Prozent über den Jahresdurchschnittswert zuvor gestiegen, in 306 Fällen mit Todesfolge.
Der Grund dieser Krise ist offensichtlich: Die US-amerikanische Gesellschaft ist so gespalten, wie seit dem Bürgerkrieg im 19. Jahrhundert nicht mehr. Nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 und dem Sturm aufs Capitol im Januar 2021 ist der Spalt zwischen den Republikanern und den Demokraten zu einem wahren Abgrund geworden.
Die Menschen in den Vereinigten Staaten sehen sehr enttäuscht und geradezu hilflos dem Verfall ihres politischen Systems zu. Es gibt kaum eine substanzielle politische Frage, in der es Einigkeit zwischen diesen verfeindeten Lagern geben würde.
Pro-life oder pro-choice?
Eines der bekanntesten Spaltthemen ist die Abtreibungsfrage. Am 24. Juni hat der Oberste Gerichtshof eine eindeutige Entscheidung hierzu gefällt. Einige Liberale behaupten, das Gericht hätte Abtreibungen verboten. Dabei haben die Richter lediglich die Ursprünge des US-amerikanischen Föderalismus beachtet und es jedem der 50 Bundesstaaten überlassen, zu bestimmen, ob er „pro-life“ oder „pro-choice“ ist.
Obwohl weniger als die Hälfte der Bundesstaaten – Großteils republikanisch regiert – tatsächlich Verbotsregelungen schaffen werden, haben Tausende von Abtreibungsbefürwortern große Demonstrationen in vielen US-amerikanischen Städten durchgeführt. Unterstützt wurden sie von den Massenmedien, die den Obersten Bundesgerichtshof deutlich aufgefordert haben, das Urteil zu widerrufen und die gleichzeitig andere große Verbände zur undemokratischen Beeinflussung der Richter aufgerufen haben.
Die konservativen Bundesstaaten rechnen nun mit zahlreichen Fällen, in denen Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch in einen liberalen Bundesstaat reisen. Noch ist offen, wie ein solcher Abtreibungstourismus vermieden werden kann. Auf der anderen Seite versprechen bereits verschiedene Unternehmen in den demokratisch regierten Bundesstaaten, alle Kosten im Zusammenhang mit einer Abtreibung für ihre weiblichen Angestellten zu übernehmen. Je länger die Spannungen in der Gesellschaft anhalten, desto mehr kapseln sich die beiden gegnerischen Gruppen jeweils ab. Genau wie 1861 stehen sie sich feindlich gegenüber, haben immer weniger gemeinsame Werte – es bleibt ihnen nur der aufkommende gegenseitige Hass.
Selbst wenn 2022 bei den midterm elections die Republikaner wieder stärker würden, zeichnet es sich bereits ab, dass die Menschen den Institutionen, von nationalen Medien bis zur Regierung nicht mehr vertrauen.
Wirtschaftlicher Niedergang
Zu der gesellschaftlichen und politischen Krise kommt nun die neue wirtschaftliche Depression. Im ersten Halbjahr 2022 hat die Inflation in den Vereinigten Staaten von Amerika das Hoch der 1980er Jahre wieder erreicht. Der prognostizierte jährliche Rückgang liegt bei minus zwei Prozent. Die Ölpreise sind explodiert, während Inflation und Lebensmittelknappheit zunehmen.
Die verantwortlichen Politiker können „die russische Aggression“ oder „den chinesischen Virus“ als Schuldige an diesen Problemen benennen. Doch auch wenn sie selbst ihren eigenen Worten tatsächlich glauben, so ist es in Wahrheit so, dass sie schlicht unfähig sind, diese Probleme zu lösen. Und dabei sind die dunkelsten Zeiten noch nicht einmal angebrochen.
Von Problemen im Inneren lenkt die Politik gerne mit Aktivitäten im Ausland ab. Das Weiße Haus nutzt diese Option bisher noch nicht offen. Voriges Jahr sind die US-Truppen aus Afghanistan unrühmlich geflüchtet. Und dieses Jahr haben die Vereinigten Staaten zwar die Ukraine zu der Konfrontation mit Russland angestachelt, sind jetzt aber nicht in der Lage, dem Land effektiv zu helfen noch ihren von Gas-, Öl- und Getreideknappheit betroffenen transatlantischen Verbündeten zu helfen.
Partnerschaft?
Jahrzehntelang war Washington ein exklusiver Partner der Alten Welt und der Garant für die Sicherheit in der EU. Aber dieses gehört nun einer Vergangenheit an, in der der US-amerikanische Staat mit sich einig war und seinen ursprünglichen Werten folgte, gleichgültig welche Partei auf dem Hügel in der Hauptstadt saß.
Während Europa derzeit dringend Energie und Lebensmittel benötigt, liefern die Vereinigten Staaten von Amerika proaktiv lediglich Angriffswaffen über den Atlantik an die Ukraine. Wenn es um wirtschaftliche Krisen geht, ist Washington unfähig seine eigenen zu lösen, geschweige denn jene Europas. Trotz gleichberechtigter Partnerschaft fordert es immer nur. Das Land will anderen seine sogenannten „liberalen Werte“ aufdrängen, seine Vorgaben sollen beachtet werden, die militärischen Ausgaben sollen auf zwei Prozent des BIP gesteigert werden, obwohl eine echte Freundschaft keine Einbahnstraße ist.
Der derzeitige US-amerikanische Ansatz erinnert an die Diktate des sowjetischen Moskau im Osteuropa während des Kalten Krieges. Der Zusammenbruch des Ostblocks und der pro-sowjetischen Regime auf dem europäischen Kontinent fing mit der Unfähigkeit des Kremls an, wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme seiner Verbündeten zu lösen. Zu dieser Zeit, Ende der 80er Jahre, war die UdSSR dem jetzigen US-Amerika in vielerlei Hinsicht ähnlich: Doppelmoral, Zensur der Medien, Lebensmittel-knappheit, ethnische Konflikte sowie eine alte, ineffiziente und korrupte Elite.
Sollten die europäischen Nationen der gleichen selbstmörderischen US-Agenda folgen – oder ihren eigenen Weg gehen?
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