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Wolfgang Ockenfels: Marxistische Denkmalspflege

Ein Gespenst geht um die Welt und landet zu seinem zweihundertsten Geburtstag als monströser Bronzebrocken, als rocher de bronze ewiggestriger Linksprogressiver mitten in Trier. Zur hellen Freude der heimischen Tourismusindustrie und der chinesischen Gäste, die sich nun in der Heimat des heimatlosen Karl Marx wie zuhause fühlen können. Schon aus ästhetischen Gründen, aus Ekel vor dieser chinesischen Staatskunst meiden empfindsamere Zeitgenossen den Anblick des Denkmals: Nichts als groteske Herrschaftskunst, monumental und imperial. Dieser Brutalismus kennzeichnete freilich den gesamten marxistisch-leninistischen Kunststil, der nicht viel besser war als die Propagandakunst des Dritten Reichs. Hier wie dort beachte man also die politisch-ideologischen Auftragsgeber: Marx gilt in der politischen Diktatur Chinas immer noch als der große Prophet. Und die kann sich solche Geschenke locker leisten.

Einem Karl Marx, auf dessen „Schultern wir stehen“, wie es seinerzeit Oswald von Nell Breuning SJ allzu naiv zum Ausdruck brachte, können natürlich die millionenfachen Verbrechen, die im 20. Jahrhundert in seinem Namen begangen wurden, „nicht angelastet werden“, wie Malu Dreyer oder auch Jean-Claude Juncker bei einem Festakt in Trier treuherzig behaupteten.

Ach was, diese kolossalen Menschheitsverbrechen hatten sich schon bei Karl Marx himself angekündigt. Bei ihm finden sich viele extremistische Rechtfertigungen revolutionärer Gewalt. Marx legitimierte den blutigen „antikapitalistischen Klassenkampf“, dem über hundert Millionen Menschen zum Opfer fielen. Natürlich kann sich nicht jedes einzelne dieser Verbrechen, begangen von Lenin, Stalin, Mao, Ho Chi Minh, Pol Pot und Fidel Castro, auf Marx berufen. Leider sind aber die meisten dieser Massenmörder, ihre Helfershelfer und die linken Schreibtischtäter bis heute nicht vor ein ordentliches Gericht gestellt worden. Und den marxistischen Intellektuellen, Journalisten und Politikern blieb eine „Vergangenheitsbewältigung“ weithin erspart. Die Opferverbände, die sich jetzt auch in Trier gemeldet haben, werden leider nicht angehört.

Nach Frau Sahra Wagenknecht war das noble Ziel von Marx „die Demokratie“, weshalb er auch als Vorbild für „junge Menschen“ zu gelten habe. Allerdings spielt „die Demokratie“, wie wir sie heute auch kirchlicherseits verstehen, bei Marx überhaupt keine Rolle. Weder ist sie an das Mehrheitsprinzip noch an einen Rechtsstaat gebunden, der unveräußerliche Menschenrechte als vorstaatliche Naturrechte garantiert. Rechtsfragen sind bei Marx reine Machtfragen. Und die von ihm angestrebte „Diktatur des Proletariats“ führte nicht in ein „Reich der Freiheit“, sondern in eine kollektive Knechtschaft, wie sie die Weltgeschichte bis dato noch nicht gesehen hatte. Schon deshalb gehören seine Ideen verfassungsrechtlich unter Beobachtung gestellt. Und was seine Lebensführung, seinen Charakter betrifft, so ist er eher ein zynisches Vorbild für „junge Menschen“: Er machte Schulden, spekulierte an der Börse, diffamierte seine politischen Gegner und hetzte gegen die Juden. Dabei lebte er parasitär von seinem Kapitalistenfreund Friedrich Engels. Sehr aktuelle Verhaltensmodelle übrigens.

Was seine Wirkungsgeschichte betrifft, so zehrte Marx von seinen eigenen geschichtsmetaphysischen Prämissen, wonach seine soziologische Evolutionstheorie mit Notwendigkeit auf ein „Reich der Freiheit“ – ohne Privateigentum und staatliche Herrschaft – hinausläuft. Freilich behält sich die Weltgeschichte die Möglichkeit des nicht prognostizierten Irrtums offen. Nun ja, politisch erfolgreich war die marxistische Ideologie ganz gewiß. Für eine gewisse Zeit jedenfalls. Darin liegt ja gerade das Problem, vor allem für die Klasse opportunistischer Intellektueller, die sich der jeweiligen Macht willig unterwerfen – und sich nach deren Scheitern nur selten reumütig zeigen und zur Vernunft kommen. Das Rollenspiel „kritischer Intellektueller“ entpuppte sich im letzten Jahrhundert als peinliche Blamage. Und die erstreckt sich bis zur Gegenwart, wenn man die ideologische Zeitgeistaffinität, Erfahrungsresistenz und Geschichtsvergessenheit vermeintlich kritischer Geister betrachtet.

Dabei galten Mehrwert- und Verelendungstheorie wie auch viele weitere Annahmen von Marx seit langem schon als empirisch falsifiziert. Das schließt nicht aus, daß manche seiner Prognosen von einer erstaunlichen Aktualität geblieben sind. Zur Erhellung der gegenwärtigen „Globalisierung“ eines uneingeschränkten Kapitalismus eignen sich beispielsweise einige Passagen seines „Kommunistischen Manifests“, wenngleich seine Problemlösungsvorschläge eben gerade nicht die Probleme lösten, sondern verstärkten. Seine Analysen, Prognosen und Therapien sind nicht wertfrei, sondern unterliegen weltanschaulichen Implikationen und Dogmen, die seinen wissenschaftlichen Anspruch erheblich in Zweifel ziehen. Nicht ablösbar von seiner „wissenschaftlichen“ Theorie ist das ideologische Dogma einer atheistischen Auffassung, die auf die Gebote Gottes, des Glaubens wie der Vernunft verzichtet – und deshalb auch das Recht auf Eigentum negiert. Marx hat sich nie mit Thomas von Aquin auseinandergesetzt, er ignorierte ihn einfach. Geschichtsphilosophisch gebildet war der Hegel-Schüler jedenfalls nicht. Er hat die Welt – als Gesellschaft und Geschichte -, die er verändern wollte, einfach nicht verstanden und deshalb auch falsch interpretiert.

Die 68er Bewegung kulminierte in der terroristischen Baader-Meinhof-Bande, also der RAF, der „Roten Armee Fraktion“. Dazu hat Bettina Röhl, die Tochter der Ulrike Meinhof, aus eigener Anschauung kürzlich ein erschütterndes Buch geschrieben. Hier wird der Zusammenhang zwischen Marxismus und Terrorismus deutlich beschrieben. Davon haben sich die Neomarxisten der „Frankfurter Schule“ bis heute zu wenig distanziert. Und es gibt immer noch viele Kollaborateure dieser Gewaltentwicklung, etwa im Straßenterror der „Antifa“. Formen dieser menschenfeindlichen Revolution zur Herstellung des „neuen Menschen“ finden sich heute besonders im Feminismus, der Gender-Bewegung und dem Multikulturalismus: Neue Gesellschaftsexperimente, die sich leicht in die marxistische Denkmalspflege einfügen und immer neue Opfer hervorbringen.

(Aus dem Editorial der „Neuen Ordnung“ [1] Nr. 3/2018 Juni)

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Wolfgang Ockenfels: Lust und Recht auf Heimat

geschrieben von dago15 am in Altparteien,Deutschland | 94 Kommentare

Seltsam, wie schnell ein konservatives Sehnsuchtsthema wie „Heimat“ wieder das Licht der Tagesordnungen erblickt. Und wie eifrig, aber lustlos sich regierungsamtliches Handeln an diesem Thema reibt und entzünden möchte. Das kommt nicht von ungefähr. Denn die Heimatfrage ist zu einer politischen Haupt- und Streitfrage geworden, seitdem sich alternative Parteien und identitäre Bewegungen ihrer angenommen haben, und zwar europa- und weltweit und mit wachsendem Erfolg. Das empfinden die lokalen Machteliten, die als Kosmopolitiker herumschwärmen, zurecht als Bedrohung, denn es droht ihnen heimatlicher Machtverlust. Ei, warum nicht gar? In Demokratie und Marktwirtschaft ist Konkurrenz immer schon als Gefährdung jeweiliger Machtmonopole empfunden worden. Gerade deshalb sind ja diese freiheitlichen Ordnungen erfunden worden: Damit es überhaupt zu gewaltlos-friedlichen Machtwechseln kommen kann.

Nach Karl R. Popper, dem das katholisch-soziale Denken ziemlich fremd war, besteht der Vorzug der Demokratie nicht darin, das vermeintlich Gute in der Politik beständig zu bestätigen, sondern darin, das erfahrbare Übel zu minimieren und abzuwählen. Darin liegt der Clou der Demokratie. Aus dieser kritischen Sichtweise finden gerade konservative Katholiken eine politische Heimat in der Demokratie, die neben dem formalen Mehrheitsprinzip besonders den natürlichen Menschenrechten verpflichtet ist. Wenn diese etwa zur willkürlich machtpolitischen Interpretation freigegeben sind, z.B. wenn ein „Menschenrecht“ auf Tötung ungeborenen oder „lebensunwerten“ Menschenlebens zeitgeistgemäß behauptet und europaweit durchgesetzt wird, hat die Stunde des demokratischen Widerstands geschlagen. Wachsame Christen müssen hier nicht erst auf die amtliche Genehmigung ihrer Oberhirtinnen und Oberhirten warten.

Die Demokratiekriterien mit einem emotionalen oder patriotischen Heimatbegriff, gar mit einem „Recht auf Heimat“ zu verbinden, dürfte für traditionsvergessene C-Parteien eine verrückte Verrenkung bedeuten. Aber was macht man nicht alles um der politischen Machterhaltung willen? Der Erfolg der anderen macht neidisch und gierig, und so überrascht es nicht, wenn sich im politischen Konkurrenzkampf die bisherigen Machtverwalter einige dicke Scheiben vom erfolgreichen Gegner abschneiden. Dieser soll natürlich den überkommenen Heimatbegriff „instrumentalisiert“ haben, während jene sich anschicken, den altehrwürdigen Begriff neu zu „besetzen“ und durch „soziale Konstruktion“ inhaltlich zu füllen: Eine altbekannte semantische Strategie, die nicht erst durch nominalistische Hermeneutik und den Begriffsschwindel der Achtundsechziger in Verruf geraten ist.

Bleiben wir lieber bei den Realitäten. Da ist zunächst die Folge einer chaotischen „Globalisierung“, die ihren „Kapitalismus“ ohne Rücksicht auf nationale, kulturelle, religiöse, ökologische und soziale Verluste mit allen Mitteln durchsetzen will. Aber auch auf europäischer Ebene stellt sich heraus, daß die heimatliche Identität und nationale Verantwortlichkeit nicht länger mehr von abstrakten kosmopolitischen Einheitsparolen verdrängt werden können. Vielmehr fragen immer mehr Europäer nach einer sozialökonomischen Politik, welche sie in Schutz nimmt vor einer anonym-kapitalistischen Macht, der die Begrenzung durch das personale Subsidiaritätsprinzip völlig zuwider ist. Obwohl gerade in diesem Prinzip der Beitrag der Katholische Soziallehre zur Konstitution Europas aufleuchtete. Aber Europa ist inzwischen zu einem zentralistischen Konstrukt verfallen, das nicht mehr nach seinen christlichen Ursprüngen fragt, sondern bloß noch nach kurzfristiger ökonomischer Effizienz eines „Solidarausgleichs“ zur Vergemeinschaftung der Schulden und zur „Rettung“ des Euros.

Was hat hier der Heimatbegriff zu suchen? Er bleibt zunächst ein Sehnsuchtswort, das sich sehr unterschiedlich identifizieren läßt. Abgesehen von sentimentalen Ergüssen, die sich in „kitschigen“ Heimatfilmen, in Freddy Quinn- und Heino-Gesängen trotz hinterhältigem Nazi-Verdacht gerne noch entfalten dürfen, bedeutet Heimat vor allem die verbindliche Erinnerung an die eigene Familie, an den eigenen Freundeskreis, an die eigene Glaubensgemeinschaft, an die eigene Sprach-, Kultur- und Rechtsgemeinschaft. Und an die ureigene Landschaft mit ihren Jahreszeiten und Klimazonen, in die man hineingeboren wurde.

Hier geht es also um die eigene Herkunftserinnerung – und damit auch um eine Zukunftserwartung, die es etwa einem Rheinländer, der vom eigenen Vater in das Vaterland und von einer westfälischen Mutter sprachlich auf hochdeutsch eingewiesen wurde, verbietet, die rheinische Assimilation an Glaubens- und Weltanschauungsfragen aufzugeben. Es gibt Gott sei Dank und nach wie vor eine nicht nur römische, sondern auch eine rheinisch-katholische Liberalität, die sich nicht den Zwängen universalistischer Machtansprüche ausliefert. Sie unterscheidet zwischen „de ming“ und „de sing“, was nicht auf chinesische Spracheinflüsse, sondern auf die Grunddifferenz zwischen „Mein“ und „Dein“ auch in den religiös-kulturellen Ansprüchen verweist.

Und es gibt immer noch ein „Recht auf Heimat“. Dieses wurde schon im 15. Jahrhundert, zu Zeiten beginnender Kolonisierung proklamiert. In seiner Bulle „Dudum nostras“ von 1435 verurteilte Papst Eugen IV. die Versklavung, Enteignung und Vertreibung der Eingeborenen. Eine aktuelle Erinnerung an ein Heimatrecht, das jetzt vor allem in Afrika grausam mißachtet wird – etwa durch ökonomisch-militärische Interventionen – und Migrationsströme produziert, die ihrerseits das angestammte Heimatrecht der eingeborenen Europäer tangieren.

An ihrem Lebensende lassen sich Christen an eine ganz andere Heimat erinnern: „Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh‘, mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu.“ Man möge aber bitte nicht die ewige mit der weltlichen Heimat verwechseln. „Wir können nicht den Gang der Geschichte aufhalten“, meinte Wolfgang Schäuble jüngst mit Blick auf die Islamisierung.. Natürlich können wir den Gang der Wölfe aufhalten, wir müssen es sogar. Er ist jedenfalls nicht der Gang der Heilsgeschichte in die ewige Heimat.

(Editorial von Prof. Wolfgang Ockenfels in „Die Neue Ordnung“ [1])

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Wolfgang Ockenfels: Spaltung statt Versöhnung

geschrieben von dago15 am in Evangelische Kirche,Katholische Kirche | 124 Kommentare

Spaltungen in der Gesellschaft werden oft beklagt, nicht selten gerade von denen, die sie politisch herbeiführen. Und wer Spaltungen parteipolitisch zu überwinden beansprucht, folgt oft dem eigenen Machtstreben. Im Kampf um Machterwerb und Machterhalt laufen nationale wie internationale Einheitsparolen meist auf eine Minderung von freiheitlicher Demokratie und Souveränität hinaus. Diese Lektion haben deutsche Katholiken in den letzten Jahrhunderten, besonders seit dem auf Einheit autoritär pochenden Kulturkampf Bismarcks, gründlich gelernt: Sie profitierten von Demokratie und Toleranz, die Unterschiede voraussetzen und ertragen. Aber wo liegen die Grenzen?

Nicht daß der Parole „versöhnen statt spalten“, vor Jahrzehnten erfolgreich proklamiert vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau („Bruder Johannes“), dem späteren Bundespräsidenten, eine totalitäre Absicht zu unterstellen wäre. Aber seine fromme Phrase hat inzwischen viele Nachbeter gefunden, denen es kaum um den sinnstiftenden Zusammenhalt einer Gesellschaft geht, sondern um die Nivellierung und Vereinnahmung konkurrierender Werte und Interessen. Den Epigonen einer politisch-theologischen Allversöhnung, einer säkularisierten Irrlehre („Apokatastasis“), liegt die Funktionalisierung der Religion als nützlicher „Kitt“ einer zerstrittenen Gesellschaft sehr am Herzen.

Auf dem Spiel steht hierbei die elementare, biblisch gebotene Unterscheidung der Geister von Politik und Religion, wie sie bei Papst Leo XIII. im 19. Jahrhundert anklang: „Politik trennt, Religion eint“. Das erscheint heute eher als ein frommer Wunsch, der auf dem christlichen Hintergrund eines rationalen, religiös verbundenen Naturrechts verständlich erscheint. Dieser christlich-rationale Horizont hat sich inzwischen in der westlichen Welt weithin aufgelöst, jedenfalls hinsichtlich einer allgemein verbindlichen Moral und Ethik, die sich auch im politischen Kampf, in der demokratischen Ordnung zu bewähren hätte.

Leider hat sich mit der „Konstantinischen Wende“, nicht erst seit Martin Luther, die Religion stark den staatlichen Obrigkeiten angedient. Unangenehm aufgefallen sind beide Konfessionen in Deutschland, als sie vorschnell „Anschluß“ an die Merkelsche Flüchtlings- und Willkommenspolitik suchten. Andererseits streben die Kirchen auseinander, wenn es etwa um Abtreibung, Ehe und Familie geht. Aber sie wollen dann doch eine „gute Presse“ haben, assistieren beim Suizid der Nation und wirken mit am Niedergang des Rechts- und Sozialstaats.

Heute sind es vor allem die Fürsten der Meinungspresse, die eine Vereinheitlichung auch in Glaubens- und Gewissensfragen betreiben. Ohne daß ihnen hinreichende Wahrheitskriterien der Vernunft und des Glaubens zur Verfügung stehen. Ganz zu schweigen von den Kenntnissen jener elementaren, unüberbrückbaren Unterschiede, welche das Christentum vom Islam trennen. Mit dem Islam ist durch massenhafte Zuwanderung, durch sonstige Vermehrung und Verbreitung eine Religion in Europa eingezogen, die den bisher gültigen Begriff von Religion und Religionsfreiheit sprengt. Abgesehen von Religionen, die Menschenopfer, Kannibalismus, Witwenverbrennung und Sklaverei praktizieren, haben wir es beim „politischen Islam“ (ein tautologischer Begriff, denn wer Mohammed folgt, muß machtpolitisch agieren) mit einer Religion zu tun, die in ihrer tradierten Unrechtsordnung (Scharia) eine Gefahr bildet, vor der sich besonders Christen und Juden, Frauen und Homosexuelle in acht nehmen müssen.

Bevor sich unser Rechtsstaat einer solchen Religion unterwirft, ist Widerstand geboten, aus naturrechtlicher Notwehr und Nothilfe. Sogar aus christlicher Pflicht – bei aller persönlichen Feindesliebe, die sich nicht auf eine „asymmetrische Demobilisierung“ des Gegners einlassen kann, dessen Positionen opportunistisch zu vereinnahmen wären. Die Merkel-Strategie funktioniert hier nicht auf Dauer, weder parteipolitisch noch kirchlich. Und die allgemeine Harmonie ist nicht der oberste Wert, sondern steht eher für einen faulen Frieden.

Für unsere demokratische Politik genügen das Mehrheitsprinzip, das Grundgesetz und die Menschenrechte, die mit dem islamischen Glauben nicht kompatibel sind. Willkommen wären hier – etwa in der Migrationspolitik – die sozial- und verantwortungsethischen Vorbehalte, die sogar europarechtlich festgeklopft sind. Aber was kümmert das die religiösen Enthusiasten, die wie manche kirchenleitende Politiker die endzeitliche Perspektive einer völligen Grenzöffnung für Migranten einnehmen, welche die grundgesetzliche Ordnung unterlaufen. Aber können religiöse Fanatiker ihre eigene Verfassungswidrigkeit offen zugeben, ohne ihre Eroberungsziele zu gefährden? Die Verfassungsrichter sind heute in der vertrackten Lage, über Religionsfreiheitsgrenzen zu entscheiden, ohne den Wahrheitsgehalt der Religionen sachgerecht einschätzen zu können.

Unterdessen polemisieren unverdrossen Universalisten gegen angebliche Nationalisten, selbsternannte Antifaschisten gegen vermeintliche Faschisten, sogenannte Antizionisten gegen Juden, Altfeministen gegen Gender-Kritiker. Gibt es hier keine Kompromisse ohne Anbiederung, ohne Appeasement? Der weltanschaulich neutrale und religiös ignorante Staat wird keine Rücksicht nehmen auf die qualitativen und traditionellen Unterschiede zwischen den religiösen und quasireligiösen Angeboten. Dann werden eben alle Religionen, auch die gewaltinfizierten, über denselben staatskirchenrechtlichen Leisten geschlagen. Auch wenn christliche Kreise auf ihre alteingesessenen rechtlichen Besitzansprüche pochen: Es ist vorbei. Vorbei die Hoffnung, man könne sich im Windschatten islamischer Gleichstellung dauerhaft in bisherige Privilegien bequem einrichten. Parteien und Kirchen negieren immer noch die realen Spaltungen, die sich nicht durch oberflächliche Harmonisierungen überbrücken lassen.

Im Luther-Jahr 2017 hat sich das Ideal einer glücklichen Verbindung von Kirche und Staat, von Thron und Altar, weiter aufgelöst. Objektiv vorhandene Spaltungen lassen sich nicht durch subjektiv gutgemeinte Versöhnungen überwinden. Aber vielleicht doch mäßigen. Und zwar durch allgemeine Ächtung von physischer Gewalt, von Psychoterror, Nötigung, Einschüchterung und Denunziation.


Dieser Text ist im Original als Editorial in der Dezember-Ausgabe der „NEUEN ORDNUNG“ [1] erschienen. Die Zeitschrift erscheint alle zwei Monate und ist direkt vom herausgebenden Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg e.V. [2] erhältlich oder bei allen gut sortierten Buchhandlungen. Ein Jahresabonnement kostet 25 Euro, ein Einzelheft 5 Euro zzgl. Versandkosten.

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