Von MANFRED N. | Nicht alles, was im Spiegel steht – dem vermeintlichen „Sturmgeschütz der Demokratie“ (Rudolf Augstein) –, ist links oder irreführend. Angesichts der schweren Corona-Pandemie hat das Hamburger Magazin kritische Thesen des FDP-Bundestagsabgeordneten Marco Buschmann [1] abgedruckt. Es geht um Ängste, die mittlerweile besonders weite Teile der Mittelschichten beherrschen.
Buschmann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, sagt, der Zusammenhalt der deutschen Gesellschaft sei angesichts der Coronakrise zwar gegenwärtig insgesamt noch groß. Doch insbesondere Menschen aus der Mittelschicht [2] klagten über immer größere Belastungen. Aber „niemand sollte sich täuschen: Lange werden sich das die Leute nicht mehr gefallen lassen“. Dann spitzt der Abgeordnete zu: „Bald könnte Revolution in der Luft liegen, wenn das so weitergeht.“ Stelle „die deutsche Mittelschicht irgendwann fest, dass ihr Betrieb pleite, ihr Arbeitsplatz verloren oder ihr Aktiensparplan wertlos ist, dann wird sie sich radikalisieren“.
Mittelschichten haben schon in den 30er-Jahren für Umwälzungen gesorgt
Der FDP-Liberale aus Gelsenkirchen verweist auf den Soziologen Theodor Geiger [3], den Begründer der deutschen Mittelschichten-Soziologie. Dieser hatte schon sehr früh erkannt, dass die Radikalisierung in den 30er-Jahren im damaligen Deutschland im Kern eine Reaktion der Mittelschicht auf ihren gesellschaftlichen Absturz durch die Weltwirtschaftskrise gewesen ist.
Auch der US-amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington [4] habe die Ansicht vertreten, dass die Mittelschichten in den westlichen Demokratien „zur Radikalisierung tendieren, wenn sie die Sorge umtreibt, im Vergleich zu anderen Gruppen ihren gesellschaftlichen Status zu verlieren“. Und Buschmann erwähnt schließlich den US-Politologen Francis Fukuyama, der jüngst daran erinnert hat, „dass der gesellschaftliche Abstieg von Mittelschichten ein Treiber aggressiver Polarisierung sei“.
Die Mittelschicht ist das Rückgrat der bundesrepublikanischen Gesellschaft: Mittelschichtler tragen zum Beispiel als Kfz-Mechatroniker, Einzelhandelskauffrauen, Bauarbeiter, Pflegekräfte, Polizisten oder Lehrer sowie als mittelständische Unternehmer und Freiberufler jeden Tag wesentlich dazu bei, dass diese Gesellschaft funktioniert. Und „klaglos“ (Buschmann) sorgt die Mittelschicht dafür, dass der Staat Monat für Monat mit Steuern und anderen Abgaben auskömmlich dafür versorgt wird, dass Verwaltung und Gesellschaft funktionieren. Und damit ein riesiger Sozialhaushalt finanziert wird, der immer größer wird.
Die Belastungen treffen die Mittelschichten bis ins Mark
[5]Buschmann beschreibt die schweren Belastungen der Mittelschicht eher pauschal. In Wirklichkeit gibt es eine lange Latte von Gefahren, über die Mittelschichtler dann im Einzelnen sprechen, wenn man sie fragt, welche Entwicklungen sie als ernsthafte Bedrohungen der Gesellschaft und ihres eigenen klassischen Lebensmodells ansehen:
- Die Zukunftsängste sind durch die aktuelle Coronakrise noch wesentlich gestiegen: Die meisten Menschen hierzulande haben nicht den Eindruck, dass die gegenwärtigen politischen „Eliten“ in der Lage wären, die gewaltige medizinische und wirtschaftliche Krise mit kühlem Kopf und überzeugenden Kompetenzen zu beherrschen.
- Sehr viele Menschen fürchten sich davor, im Alter nicht genügend Geld zu haben. Tatsächlich „kann nur ein ganz kleiner Teil der jetzt noch arbeitenden Bundesbürger darauf hoffen, als Rentner seinen gewohnten Lebensstandard halten zu können“ (Cicero) [6].
- Auch die zunehmende Digitalisierung trägt dazu bei, dass viele Menschen nicht mehr sicher sind, ihre Arbeitsplätze im Zuge der wirtschaftlich-technischen Entwicklung auf Dauer behalten zu können.
- Es gibt heutzutage eine wahre Schwemme von Abiturienten und Hochschulabsolventen, deren Abschlussnoten oftmals nicht das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt stehen. Gleichzeitig fehlt es zunehmend an fähigen und gut ausgebildeten Fachkräften.
- Die Reichen werden immer reicher: Der Abstand zu den mittleren Einkommen ist in den vergangenen Jahrzehnten immer größer – und ungerechter – geworden.
- Die steuerlichen Belastungen und Sozialabgaben steigen ständig; die Möglichkeiten, für die Zukunft Gelder auf die hohe Kante zu legen, reduzieren sich.
- Die grenzenlose Zuwanderung aus aller Welt in diesen Sozialstaat führt zu der Frage, wie lange wohl diese Gesellschaft die immer umfangreicheren Abgabelasten tragen kann.
- Die millionenfache muslimische Zuwanderung vor allem aus dem Orient, aus Afrika und aus Asien, könnte unsere gewachsenen und bewährten Wertorientierungen und damit auf Dauer die Grundfesten dieses Systems erschüttern.
- Die Sicherheit im öffentlichen Raum nimmt ständig ab, viele Menschen wagen es nicht mehr, zu späterer Stunde öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.
- Richter sprechen oftmals nicht mehr Urteile im „Namen des Volkes“, sondern auf der Grundlage ihrer ausgeprägten linken Ideologie: Straftäter beispielsweise, insbesondere wenn es sich um Migranten handelt, werden sehr häufig völlig unzureichend sanktioniert.
- Die Entfremdung gegenüber dem „Monster EU“, das nicht mit dem ganzen Europa verwechselt werden sollte und das extrem viel Geld kostet, wächst. Das Riesengebilde ohne Transparenz ist offensichtlich nicht einmal im Ansatz in der Lage, auf wirkliche Bedrohungen – wie etwa durch den Coronavirus – effektiv zu reagieren.
- Die zentralistisch agierende EU vernachlässigt die eigentlichen Interessen der Menschen und gefährdet nicht selten die Funktionsfähigkeit besonders nationaler Regierungs- und Verwaltungsstrukturen. EU-Gerichte unterhöhlen mit ihrer „Rechtsprechung“ viele grundlegende nationale Rechtsnormen, die sich bewährt haben.
- Das Vertrauen in die allermeisten Medien ist in den letzten Jahren frappierend gesunken, die Massenmedien verkommen – allerdings gut getarnt – mehr und mehr zu Agit/Prop-Instrumenten, die versuchen, die Menschen im Sinne linksgrüner Theorien zu erziehen.
Alle Regierungen fürchten eine Rebellion der Mittelschichten. Ob die immer größer werdenden Befürchtungen und Frustrationen in der „Mitte“ der Gesellschaft allerdings dazu führen, dass sich Mittelschichtler zunehmend radikalisieren und gar bereit sind zu einer Revolution? Derzeit wohl noch nicht. Revolutionen bedürfen zielgerichteter Organisationen und objektiv berichtender Massenmedien. Beides gibt es zur Zeit nicht. Aber die derzeitige Coronakrise zeigt, dass gesellschaftliche Verhältnisse bisweilen – im Widerspruch zu allen Erwartungen – über Nacht auf den Kopf gestellt werden können.
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