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Der klügste Linke rechnet mit Merkel ab

Von WOLFGANG HÜBNER | Es heißt, unter den Blinden sei der Einäugige König. Doch Wolfgang Streeck [1], der frühere Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, ist unter den Heerscharen totalblinder Linken in Deutschland mindestens zweiäugig. Das hat Streeck erneut mit seinem ganzseitigen Text bewiesen, der unter dem Titel „Merkel – Ein Rückblick“ [2] im Feuilleton der FAZ vom 16. November erschienen ist und über den PI-NEWS am Freitag [3] schon kurz berichtete. Es ist eine ebenso brillante wie gnadenlose Abrechnung mit dem „System Merkel“, das nun am Ende, aber noch nicht Vergangenheit ist. Streeck zeigt auf, welchen Schaden diese CDU-Kanzlerin angerichtet hat, er vergisst aber auch keineswegs, die Komplizenschaft der politischen Klasse einschließlich einer realitätsverweigernden Linken ebenso anzuprangern wie das Versagen der Medien – auch der FAZ [4] – und Intellektuellen.

Der von Anfang bis Ende lesenswerte, von Ironie, Sarkasmus, aber auch dem Zorn eines Selbstdenkers geprägte Text identifiziert als eine der wichtigsten Folgen der Merkel-Ära die Entstehung und den Aufstieg der AfD. Für einen Linken wie Streeck, der erkennbar mit dem eigenen politischen Milieu hadert, deshalb jedoch bestimmt kein AfD-Wähler ist, ist es äußerst bemerkenswert, dass er die neue Partei an keiner Stelle in dem Artikel beschimpft, denunziert oder in linksüblicher Weise auszugrenzen versucht. Ein Textbeispiel: „Diese (die AfD) ist nun im Bundestag, als bleibende Hinterlassenschaft der Ära Merkel, wo sie die bis dahin als AfD-Fragen unbehandelt gelassenen Themen bohrend zur Sprache bringen kann, vorausgesetzt, dass eine neue Geschäftsordnung dies nicht verhindert und sie selbst lernt, halbwegs diszipliniert aufzutreten.“

Gleich anschließend folgt eine Formulierung, die an Schärfe kaum zu überbieten ist und den schäbig-verlogenen „Antifaschismus“ des „Merkel-Systems“ demaskiert: „Dabei speist sich die Existenz der AfD als Partei mehr als erwartet aus der Substanz von CDU und CSU. Um die Blutung zu stoppen, hatte Merkel die wichtigste moralische Ressource des Landes, das Erschrecken vor seinen historischen Verbrechen, ebenso bedenken- wie letztlich erfolglos eingesetzt – verbraucht zu Zwecken politischer Machterhaltung um den Preis einer Trivialisierung von Faschismus und Rassismus.“

Diese Formulierung beweist allerdings auch den überzeugten Linken in Streeck, mit dem sich gleichwohl in einen Dialog einzutreten für denkende Rechte unbedingt lohnen würde. Der 1946 geborene Autor des Buches „Die gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“ hat seit Mitte 2016 sowohl in der ZEIT wie in der FAZ bemerkenswerte Texte veröffentlicht, in denen er den Brexit verteidigt hat („Die Briten pfeifen zu Recht auf den Finanzinternationalismus ihrer Eliten“), die EU kritisiert hat („Wenn die EU untergeht, wird keiner weinen“) und den Nationalstaat verteidigt hat („Ob nun Frankreich, Großbritannien oder Polen: Die Europäer wollen ihre Identitäten nicht aufgeben. Nur die Deutschen träumen von neoliberaler Grenzenlosigkeit“).

Aus der SPD ist Streeck übrigens aus Protest gegen den Nicht-Ausschluss von Thilo Sarrazin ausgetreten, das soll nicht verschwiegen werden. Auch deshalb ist der renommierte Sozialforscher ein ausgesprochen unbequemer Kritiker der zum Dackel des „Merkel-Systems“ geschrumpften Linken, aber mehr noch des gesamten politischen Systems geworden. Es ist eine Ironie des politischen Elends in Deutschland, dass ein potentiell gefährlich denk- und sprachmächtiger Gegner der Neuen Rechten vollauf damit beschäftigt ist, das eigene linke Spektrum sowie die gesellschaftlichen und medialen Bewunderer der irrlichternden Kanzlerin mit vernichtenden Analysen ihres Versagens zu konfrontieren.

» Blog [5] von Wolfgang Streeck


Wolfgang Hübner. [6]
Hübner auf der Buch- messe 2017 in Frankfurt.
PI-NEWS-Autor Wolfgang Hübner [7] schreibt seit vielen Jahren für diesen Blog, vornehmlich zu den Themen Linksfaschismus, Islamisierung Deutschlands und Meinungsfreiheit. Der langjährige Stadtverordnete und Fraktionsvorsitzende der „Bürger für Frankfurt“ (BFF) legte zum Ende des Oktobers 2016 sein Mandat im Frankfurter Römer nieder. Der 71-jährige leidenschaftliche Radfahrer ist über seine Facebook-Seite [8] erreichbar.

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