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Hans Peter Raddatz zum Türkei-Besuch von Papst Benedikt XVI.

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk [1] hat sich Hans Peter Raddatz heute zum Türkei-Besuch von Papst Benedikt XVI. und zur dortigen Situation der orthodoxen Christen geäußert. Der Orientalist kritisiert darin unter anderem die weit verbreitete Phobie der Türkei vor einem vernünftigen, emanzipierten und kompetenten Dialog, der sich auch nicht scheut, unangenehme Wahrheiten anzusprechen.

Laut Raddatz müssen vor allem die liberalen Moslems unterstützt werden, denn es ist wichtig, dass die Türkei sich wegen ihrer geografischen Nähe zum Iran und dem starken Einfluss der saudischen Moslembrüder nicht vom Westen abwendet.

Was kann der Papst mit seiner Mission in der Türkei erreichen? Die Frage geht an den Türkei-Experten und Islam-Wissenschaftler Hans-Peter Raddatz, den ich jetzt am Telefon begrüße. Schönen guten Tag!

Hans-Peter Raddatz: Schönen guten Tag!

Herr Raddatz, im Vatikan hat es offenbar Überlegungen gegeben, die Reise des Papstes zu verschieben, auch aus Sicherheitsgründen. Wäre das eine sinnvolle Option gewesen?

Raddatz: Schwer zu beurteilen, weil wir natürlich letzte Informationen über die Sicherheitslage nicht haben. Auf der anderen Seite war es sicher auch wünschenswert, die Reise durchzuführen soweit möglich, und das ist jetzt der Fall.

Der Papst hat ja mehrfach Erklärungen abgegeben, wie seine Islam-Äußerungen zu verstehen gewesen sind, nämlich als Zitat innerhalb einer Vorlesung, von dem er sich dann auch distanziert hat. Hochrangige Muslime haben diese Erklärung akzeptiert. Wie sieht es da aus Ihrer Sicht in der Bevölkerung aus?

Raddatz: Na ja, in der Bevölkerung besteht gar nicht die Möglichkeit und das Wissen, auf die Vorlesung angemessen einzugehen. Das konnte man an den etwas undifferenzierten Reaktionen sehen. Und was ja überhaupt gar nicht berücksichtigt wurde waren Abschwächungen, die der Papst schon während der Vorlesung gemacht hat, indem er diese Äußerung dieses byzantinischen Kaisers selbst als schroff bezeichnet hat und im Grunde das Ganze zurückgeführt hat auf die Forderung, dass Religionen überhaupt auf Gewalt verzichten sollten. All das ist ja nicht berücksichtigt worden, und das war natürlich entsprechend bedauerlich.

Sollte der Papst das Thema bei seinem Besuch jetzt in der Türkei noch einmal ansprechen, sich direkt an die türkische Bevölkerung wenden aus Ihrer Sicht?

Raddatz: Das ist sicher eher Anlass zu neuen Missverständnissen und Schwierigkeiten. Ich würde aus rein diplomatischen Gründen schon darauf verzichten. Die praktischen Erfahrungen, die der Papst jetzt konkret gemacht hat, würden ihn sicher auch eher zur Vorsicht mahnen.

Ministerpräsident Erdogan hat zuvor angekündigt, dass er den Papst nicht treffen wird, und hat Termingründe dafür angegeben. Der Vatikan hat argumentiert, das sei von Anfang an klar gewesen. Im Mittelpunkt des Treffens stehe ohnehin das Zusammenkommen mit der christlich-orthodoxen Kirche. Jetzt kam es doch zu einem kurzen Treffen mit Erdogan. Ist die ganze Geschichte dennoch als Affront zu interpretieren?

Raddatz: Wir dürfen nicht vergessen, dass Erdogan eine islamistische Regierung vertritt, die einen klaren Contra-Kurs gegen das Christentum fährt. Auch der eben erwähnte Leiter der türkischen Religionsbehörde, Bardakoglu, hat ja nicht weniger behauptet, als dass Kritik am Islam den Weltfrieden stört und das auch ganz bewusst auf den Papst bezogen. Wir dürfen hier nicht vergessen, in welcher Tradition Herr Erdogan steht und welche Absichten auch die mit ihm verbundenen Organisationen, unter anderem auch solche in Deutschland, verfolgen. Die sind alles andere als auf den Ausgleich ausgerichtet.

Würden Sie denn sagen, dass die Reaktion des Vatikan, des Papstes, dann in einem angemessenen Verhältnis steht, geschickt ist, ein geschicktes Krisenmanagement betrieben worden ist?

Raddatz: Ja, das würde ich so sehen. Im Übrigen hat der Papst sich nicht von seinen eigenen Äußerungen distanziert, wenn ich das korrigieren darf, und er hat sich auch nicht entschuldigt, sondern er hat sein Bedauern darüber ausgedrückt, dass es in der vorliegenden Form missverstanden worden ist, denn auch die von Ihnen oder in Ihrem Bericht angesprochenen Imame, die ihrerseits darauf reagiert haben in dem berühmten Manifest der 38, wie man so schön sagt, sind auf den Punkt nicht eingegangen, nämlich die Forderung, dass alle Religionen auf Gewalt verzichten sollten. Ich finde, da sollte der Dialog ansetzen.

Er hat noch mal klargestellt, dass es sich nicht um seine Worte gehandelt hat, sondern um ein Zitat.

Raddatz: Richtig.

Ein Zweck der Reise des Papstes sollte ja auch sein, die Lage der Christen in der Türkei zu verbessern.

Raddatz: Ja.

Kann der Papst auf diesem Feld etwas erreichen jetzt vor diesem Hintergrund?

Raddatz: Das ist eine gute Frage, denn auch hier ist die türkische Reaktion etwas eigentümlich, wenn man berücksichtigt, auf welch winzigen Prozentsatz das Christentum in der Türkei abgesunken ist, im 20. Jahrhundert von 24 auf 0,2 Prozent. Auch der nämliche Bardakoglu wieder, der Leiter der Religionsbehörde, hat ja im letzten Jahr beispielsweise aufgrund des ihn offenbar sehr erschreckenden Umstandes, dass 368 Türken vom Islam zum Christentum übergetreten sind, sich dazu veranlasst gefühlt, in allen 70.000 Moscheen der Türkei Warnungen vor dem Angriff des Christentums auf die Sicherheit des türkischen Staates verbreiten zu lassen. Sie können daran schon erkennen, dass es eine weit verbreitete Phobie geradezu gibt vor einem vernünftigen, vor einem emanzipierten und kompetenten Dialog.

Die Religionsfreiheit ist auch ein Aspekt, der eine wichtige Rolle spielt bei den Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei.

Raddatz: Allerdings.

Sie würden also auch sagen, dass dort, in der Türkei, Einiges noch im Argen liegt?

Raddatz: Da gibt es eine Menge Nachholbedarf und Gott sei Dank gibt es auf der anderen Seite natürlich auch Türken, die liberal denken und die genau das auch mit anstreben, aber die wir leider Gottes bisher nicht hinreichend unterstützt haben. Auch hier haben wir selbst Nachholbedarf, und es ist dringend wünschenswert, dass wir hier zu einer aufgeklärten und gelassenen Gesprächsform zurückkehren.

Seit gestern sind die Beitrittsgespräche in einer tiefen Krise. Der Zypern-Streit ist weiterhin nicht beigelegt. Sehen Sie die Gefahr, dass die Türkei sich abwendet vom Westen, wenn dort jetzt auf die Bremse getreten wird?

Raddatz: Das ist eine sehr, sehr wichtige Frage und mündet auch in die globale Situation, denn die Türkei kann ihrerseits auch nicht isoliert gesehen werden. Sie steht in engem Kontakt zu Russland, zum Iran, insbesondere zu den saudi-arabischen Moslem-Brüdern. Das sind connections sozusagen, die man auf gar keinen Fall unberücksichtigt lassen darf und die ihrerseits stark auf die Türkei in den nächsten Jahren einwirken werden. Wir sind also alle miteinander gehalten, wenn wir Wert darauf legen, die Türken an Europa heranzubringen, dann auch eben aufgrund des immer wieder anzusprechenden offenen und kompetenten Dialogs, der auch nicht sich scheut, unangenehme Wahrheiten anzusprechen, mit den Türken zu einem Auskommen zu kommen, denn letztendlich sind sie tatsächlich der einzige Staat im gesamten islamischen Raum, der den Versuch gemacht hat, sich zu säkularisieren, aber leider nach Atatürk das so genannte follow up, also die konkreten Maßnahmen, um diesen Anfang weiter zu entwickeln, nicht richtig verfolgt hat, so dass wir ihnen eigentlich dabei helfen müssten. Die EU hat meines Erachtens hier zu undifferenziert immer wieder nur Reformen angefordert, aber die Türken dabei nicht hinreichend unterstützt.

Aber kann das ein Grund sein, bei der Wichtigkeit der Türkei geopolitisch gesehen keine Konsequenzen zu ziehen, wenn wichtige Voraussetzungen nicht erfüllt werden?

Raddatz: Das ist ganz sicher nicht der Grund, das zu tun. Da haben Sie vollkommen Recht. Auf der anderen Seite ist nicht nur die Rolle der Türkei im globalen Rahmen zu sehen, sondern darüber hinaus selbstverständlich auch die Rolle der USA und die ständig schwächer werdenden Verbindungen Europas zu den Amerikanern, die natürlich mit der bekannten Politik der letzten Jahre Richtung Islam zu tun hat. Also alles in allem befindet sich auch der Westen in einer schwierigen Situation, die gefährdet ist durch ein Auseinanderdriften der Amerikaner und der Europäer. Und die radikalen Muslime sind im Moment sehr gezielt und sehr geschickt dabei, diesen Keil weiter zwischen diese beginnende Trennung hineinzutreiben. Man kann da wirklich nur Sorgen haben. Und deswegen müssen wir, oder sind wir alle gemeinsam aufgefordert, diese beginnende Trennung wieder zu schließen und uns gemeinsam an einen Tisch zu setzen und uns darüber zu unterhalten, wie wir dieses Interesse gemeinsam verfolgen können und dabei natürlich auch die liberalen Muslime ins Boot zu nehmen.

Der Türkei-Experte und Islam-Wissenschaftler Hans-Peter Raddatz war das. Besten Dank für das Gespräch.

Raddatz: Nichts zu danken. Wiederhören.

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Kommentare sind deaktiviert Empfänger "Hans Peter Raddatz zum Türkei-Besuch von Papst Benedikt XVI."

#1 Kommentar von Joachim am 28. November 2006 00000011 22:30 116475305610Di, 28 Nov 2006 22:30:56 +0200

tja, ich hab einen serbischen Freund. Der hasst die Amerikaner aber seit spätestens 1999 auch. Herr Raddatz hat es auf den Punkt gebracht: es wird ein Keil zwischen Europäer und Amerikaner getrieben …. das ist bitter, immerhin ist Serbien immer ein Bollwerk gegen die Tataren gewesen.

#2 Kommentar von Al_Gore am 28. November 2006 00000011 22:31 116475311210Di, 28 Nov 2006 22:31:52 +0200

Ich bin ja richtig erstaunt! Mit dem Umzug auf den neuen Server ist offensichtlich auch die Sachlichkeit zurückgekehrt?

#3 Kommentar von Mir am 28. November 2006 00000011 22:57 116475467810Di, 28 Nov 2006 22:57:58 +0200

>> Wir dürfen nicht vergessen, dass Erdogan eine islamistische Regierung vertritt…

Das sollten wir wirklich nicht vergessen. Für einen großen Teil der deutschen Bevölkerung gilt aber wohl: Was man noch gar nicht weiß, kann man auch nicht vergessen.

#4 Kommentar von BIslamophob am 28. November 2006 00000011 23:04 116475507811Di, 28 Nov 2006 23:04:38 +0200

Also ich glaube daran, dass man mit kleinen Versprechern zeigt, was im Hinterkopf steckt. Hier:

„Raddatz: Wir dürfen nicht vergessen, dass Erdogan eine islamistische Regierung vertritt“

eine islamistische Regierung – sagt er: islamistisch

#5 Kommentar von BIslamophob am 28. November 2006 00000011 23:08 116475532711Di, 28 Nov 2006 23:08:47 +0200

lol Mir
gleich dasselbe gesehen

#6 Kommentar von gw-outcut TV am 29. November 2006 00000011 01:03 116476223401Mi, 29 Nov 2006 01:03:54 +0200

die türkei hat natürlich durch ihre strategisch günstige lage eine grosse bedeutung für die nato. so ist auch die amerikanische unterstützung für den eu beitritt zu sehen. ich halte das allerdings für blauäugig. der irakkrieg hat gezeigt, dass sie kein verlässlicher partner ist. die verhinderung der nordfront war schon ein starkes stück. auch ursprünglich bestehende pläne, den irak aufzuteilen, was viel von dem gegenwärtigen schlamassel verhindert hätte, sind am einspruch der türkei gescheitert, die um jeden preis einen kurdenstaat an ihrer ostgrenze verhindern wollte.
je mehr der islam da wieder oberhand gewinnt, desto gefährlicher wird die illusion, man könne sich auf einen natovertrag mit der türkei verlassen.

#7 Kommentar von Thatcher am 29. November 2006 00000011 05:02 116477654105Mi, 29 Nov 2006 05:02:21 +0200

Das türkische Militär ist zuverlässig, auch im Sinne der NATO. Es ist auch der Gralshüter des westkompatiblen Kemalismus in der Türkei.
Der Fehler, den die Amerikaner machen, ist der, das Militär mit dem türkischen Volk und der momentanen Regierung in einen Topf zu werfen. Die Türkei ist ein Obrigkeitsstaat, der von oben zusammengehalten und straff geführt werden muss, um für den Westen von Nutzen sein zu können. Lockert man die Kontrolle und stärkt die demokratischen Kräfte, reagiert die Türkei wie jede islamische Gesellschaft: Sie radikalisiert sich.
Die NATO ist ein strategisches Bündnis, da kann man es sich leisten, nur das Militär zu berücksichtigen. Die EU ist aber als mehr gedacht: als kulturelle Einheit, nicht nur als Handelsraum. Und da passt die Türkei in Jahrhunderten nicht hinein. Es sei denn, man wollte nicht nur der EU, sondern ganz Europa (und insbesondere Deutschland als zukünftiges „zweites Nordzypern“) eine tödliche Dosis Islam verpassen.

#8 Kommentar von FreeSpeech am 29. November 2006 00000011 10:38 116479673910Mi, 29 Nov 2006 10:38:59 +0200

die weit verbreitete Phobie der Türkei vor einem vernünftigen, emanzipierten und kompetenten Dialog
Und aufrichtig muss der Dialog sein. Aber das bleibt Illusion

Denn offensichlich leidet die Türkei immer noch an [11]

#9 Kommentar von Nuke da Cube am 29. November 2006 00000011 13:08 116480568101Mi, 29 Nov 2006 13:08:01 +0200

@ #Mir
Für einen großen Teil der deutschen Bevölkerung gilt aber wohl: Was man noch gar nicht weiß, kann man auch nicht vergessen.

Ich glaub der goße Teil der deutschen Bevölkerung weiss das! Die Mehrheit ist ja auch strikt GEGEN den EU-Beitritt der Türkei!
Das sind ja unseren sogenannten „Volksvertreter“, die das kollektiv verdrängen und nicht das Volk selbst!

#10 Kommentar von gespenstvonslobodan am 29. November 2006 00000011 15:46 116481519203Mi, 29 Nov 2006 15:46:32 +0200

„Was man noch gar nicht weiß, kann man auch nicht vergessen.“
Von Mir | 28.11.06 22:57

Der Spruch ist Klasse, ich werde die Frechheit besitzen ihn für gedruckte Propaganda zu benutzen…gelle?

#11 Kommentar von Klugscheisser am 30. November 2006 00000011 01:14 116484926901Do, 30 Nov 2006 01:14:29 +0200

IRAN
Schöne Schande
Von Dieter Bednarz

Ein Schmuddel-Video bricht in Teheran alle Verkaufsrekorde – und lässt einen attraktiven TV-Star vor dem Karriereende und Peitschenhieben zittern.

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TÜRKEIREISE
Extremisten bezeichnen Papst als Kreuzfahrer
Ein Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida hat Papst Benedikt XVI. in einer Erklärung im Internet der Kreuzfahrerei bezichtigt. Der Pontifex sei in die Türkei gekommen, um dort den Islam auslöschen, hieß es. Die öffentliche Meinung im Land allerdings scheint eine andere zu sein.

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