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Abgeordnete – wirtschaftspolitisch inkompetent und ignorant

Unsere Abgeordneten im Bundestag werden von den Parteien nicht nach spezifischen Kompetenzen ausgewählt, sondern nach Kriterien, die den Parteien in ihrem Bestreben nach Macht von Nutzen erscheinen. Gelegentlich sind da auch helle Köpfe dabei, doch das sind Ausnahmen. Das gilt für nahezu alle Themenbereiche, doch besonders ausgeprägt ist die Inkompetenz unserer Politiker und Abgeordneten in wirtschaftlichen Fragen. Bernd Ziesemer vom Handelsblatt [1]zeigt eines der schwerwiegendsten Versagen der deutschen Politik auf.

In Deutschland hat die ökonomische Vernunft keine schlagkräftige Lobby. Es gibt so gut wie keine Quereinsteiger, die aus einem Topjob in der Wirtschaft in die Politik wechseln. In den Parlamenten fehlt es deshalb dramatisch an wirtschaftlichem Urteilsvermögen aus der Praxis – von theoretischen Kenntnissen ganz zu schweigen. Die große Koalition liefert ein gutes Beispiel dafür.

Wer eine kurze Geschichte der ökonomischen Unvernunft in Deutschland schreiben will, kommt nicht umhin, den Umgang der Politiker mit dem ökonomischen Sachverstand in der Republik zu analysieren. Die Politik beschäftigt sich nicht mit der ökonomischen Wissenschaft, schon gar nicht mit ihren neueren Erkenntnissen und Empfehlungen. Sie ignoriert auch die schnellen Entwicklungen auf den Märkten, vor allem auf den Finanzmärkten.

Krasser Kompetenzmangel in Wirtschaftspolitik

Die ökonomischen Grundkenntnisse des Durchschnittsabgeordneten darf man getrost als dürftig bezeichnen, obwohl doch alle Parlamentarier ständig über wichtigste ökonomische Fragen entscheiden. (…)

Das parlamentarische System in Deutschland kennt so gut wie keine Quereinsteiger, die aus einem Topjob in der Wirtschaft in die Politik wechseln. In den Parlamenten fehlt es deshalb dramatisch an wirtschaftlichem Urteilsvermögen aus der Praxis – von theoretischen Kenntnissen ganz zu schweigen. Lediglich einige wenige pensionierte Manager fanden in den letzten fünfzig Jahren den Weg in den Bundestag – die meisten mit eher dürftigen Ergebnissen. In den Parlamenten fehlt es deshalb dramatisch an wirtschaftlichem Urteilsvermögen aus der Praxis, von theoretischen Kenntnissen ganz zu schweigen.

Wirtschaftskompetenz in den USA

Ganz anders stellt sich die Situation in den USA dar: Dort besteht ein reger Austausch zwischen Wirtschaft und Politik. Die meisten Gouverneure, Senatoren und Minister waren erfolgreich auf dem Privatsektor tätig, bevor sie ein Regierungsamt übernahmen. Finanzminister wie Robert Rubin oder Hank Paulson blickten auf eine überaus erfolgreiche Karriere an der Wall Street zurück, bevor sie in die Politik gingen. Natürlich können dadurch auch Probleme entstehen, etwa durch die Verquickung wirtschaftlicher und politischer Interessen. Mit dem Fachwissen amerikanischer Toppolitiker aus der Welt der Finanzmärkte kann aber auf jeden Fall keiner ihrer europäischen Amtskollegen mithalten.

Macht ohne Qualifikation

Die große Koalition unter Angela Merkel und Franz Müntefering liefert ein gutes Beispiel dafür. Von der Ausbildung her finden sich in der Bundesregierung unter der Physikerin Merkel fünf Juristen, drei Lehrer und Lehrerinnen, ein Verwaltungswirt, ein Ingenieur, ein gelernter Müller, ein ausgebildeter Industriekaufmann, eine Theologin. Nur ein einziger Volkswirt komplettiert die Riege: der sozialdemokratische Finanzminister Peer Steinbrück. CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen absolvierte neben ihrem Medizinstudium immerhin eine betriebswirtschaftliche Zweitausbildung.

In früheren Bundesregierungen war das Bild nicht sehr viel anders. Nur zwei Bundeskanzler, Ludwig Erhard und Helmut Schmidt, verfügten über tiefere ökonomische Kenntnisse. Deutschland wird traditionell entweder von Berufspolitikern oder von Juristen regiert. Selbst unter den elf letzten Bundeswirtschaftsministern fanden sich nur drei studierte Volkswirte. Von den sechs Staatssekretären, die zu Beginn der Legislaturperiode unter dem Müllermeister Glos im Wirtschaftsministerium dienten, konnte nur ein einziger wissenschaftliche Meriten vorweisen.

Negative Haltung politischer und gesellschaftspolitischer Eliten gegenüber Wirtschaftswissen

Juristen gehen in den meisten Fällen völlig ohne ökonomische Kenntnisse ins Examen. Die amerikanische Juristenausbildung orientiert sich dagegen viel stärker an den Bedürfnissen der freien Wirtschaft. Mit der „reinen Politik“ hat die Ökonomie in Deutschland nichts zu tun, so lautet die überwiegende Meinung. Viele Intellektuelle in Deutschland prahlen sogar mit ihren fehlenden ökonomischen Kenntnissen und sind stolz darauf, dass sie in ihrem Leben noch niemals in den Wirtschaftsteil einer Tageszeitung geschaut haben. Trotzdem maßen sich im Feuilleton Schriftsteller und Theaterkritiker Pauschalurteile über den „Raubtierkapitalismus“ an. Diese intellektuelle Haltung strahlt tief in die gesamte politische Klasse hinein.

Ignorante Ablehnung wirtschaftlicher Kompetenz durch wirtschaftlich Inkompetente

Nur weil die Vorschläge der Hartz-Kommission ins politische Kalkül der damaligen Bundesregierung passten, schafften es die Empfehlungen einer Expertenkommission ausnahmsweise einmal (und noch dazu reichlich verzerrt) in die breitere politische Öffentlichkeit. Die Urteile vieler Wissenschaftler über den Dialog mit der Politik fallen denn auch verheerend aus. Der ehemalige Wirtschaftsweise Horst Siebert behauptet, die Politik schlage die Ratschläge der Ökonomen seit Jahrzehnten in den Wind, denn sonst müsse beispielsweise der Arbeitsmarkt in Deutschland seit langem ganz anders aussehen.

Kanzler Schröder tat ein unliebsames Gutachten des Sachverständigenrats schlicht als „Meteorologie“ ab. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement attestierte den Ökonomen verschiedentlich, sie wüssten offenbar nicht, worüber sie reden. Und der Vizevorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Ludwig Stiegler, polterte gleich bei mehreren Gelegenheiten, er wolle sich das „Professorengeschwätz“ des Sachverständigenrats nicht länger anhören.

Das beste Beispiel für die Missachtung wissenschaftlichen Rats lieferten wiederum die Hartz-Reformen: Die ersten Fehlentwicklungen waren bereits kurz nach dem Start der Programme erkennbar. Trotzdem ließen die Fachbeamten des Bundesarbeitsministeriums die so genannten Evaluierungsberichte über Hartz I bis Hartz III erst einmal für ein halbes Jahr unbeachtet liegen. Erst im Januar 2006 beschäftigte sich das Bundeskabinett nach heftiger Kritik der Medien mit Tausenden von Seiten, die von verschiedenen Experten zusammengetragen worden waren. Bereits vorher hatten die Politiker jedoch einzelne Änderungen an den Reformen beschlossen, bevor sie die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen überhaupt kannten.

Wirtschaftspolitik der frühen Nachkriegsjahre – Basis für unseren Wohlstand

Einen wirklich engen Kontakt zwischen ökonomischer Wissenschaft und praktischer Politik gab es nur in den Gründungsjahren der Bundesrepublik Deutschland. Während damals in den angelsächsischen Ländern der Keynesianismus dominierte, also die Idee einer staatlichen Nachfragepolitik zur Belebung der Wirtschaft, profilierte sich bei uns die Ordnungspolitik der so genannten Freiburger Schule. Ihr Kopf, der Nationalökonom Walter Eucken, lehnte jede punktuelle Wirtschaftspolitik als gefährlich ab. Statt „interventionistische Prozesspolitik“ zu betreiben, sollte sich der Staat seiner Meinung nach auf „Ordnungspolitik“ beschränken. Diese theoretischen Positionen der Freiburger Schule waren über weite Strecken deckungsgleich mit der Politik Ludwig Erhards, der als ehemaliger Professor der Nationalökonomie in engstem Kontakt mit seinen Kollegen stand.

Fatale Weichenstellung in den 70er, 80er Jahren

Vor allem in den siebziger und achtziger Jahren entwickelten sich beide Sphären in Deutschland immer weiter auseinander. Die Mitglieder des Sachverständigenrats gehörten 1976 zwar international zu den ersten Ökonomen, die nach Jahren der keynesianischen Konjunktursteuerung in der ganzen Welt für einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik plädierten.
Durchsetzen konnten die Professoren ihre Position damals jedoch nicht: Die marktwirtschaftliche Renaissance, die sie mit ihren Forderungen in Deutschland einleiten wollten, fand einige Jahre später in Ländern wie Großbritannien und den USA statt. Die wissenschaftlichen Vorkämpfer einer neuen Wirtschaftspolitik verstanden es niemals, in Deutschland die breite Öffentlichkeit für ihre Thesen zu gewinnen.

In Deutschland arbeitet man mit veralteten, unpassenden ökonomischen Konzepten

Erst in den letzten Jahren konnte die deutsche Ökonomie einen Teil des Rückstands wieder aufholen, der nach dem Krieg entstanden war und sich in den achtziger und neunziger Jahren weiter verstärkte. Der Amerikaner Dennis Snower, der seit Herbst 2004 das renommierte Kieler Institut für Weltwirtschaft leitet, hält jedoch viele heutige Beiträge in der ökonomischen Debatte in Deutschland immer noch für „Konzepte von gestern“. In der ökonomischen Politikberatung sind die neuen wissenschaftlichen Methoden noch nicht angekommen. Im Gegenteil: Deutschlands kreativste Ökonomen spielen in der öffentlichen Auseinandersetzung so gut wie keine Rolle.

In Deutschland hört man auf die falschen „Fachleute“

In der öffentlichen Debatte geben ganz andere Ökonomen den Ton an. Zu den Medienstars gehören Männer wie der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Bert Rürup (Platz 2), der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach (Platz 3) oder der Gewerkschaftsökonom Gustav Horn (Platz 7). Für sie alle gilt: In der Rangliste der Topforscher kommen sie überhaupt nicht vor. Sie alle arbeiten kaum noch wissenschaftlich und sind in der internationalen Scientific Community so gut wie unbekannt. Auf Platz eins schaffte es allerdings Hans-Werner Sinn, der sich auch als Wissenschaftler einen Namen gemacht hat.

Nur sehr wenige deutsche Ökonomen wie Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung halten sich sowohl in der Spitzengruppe der Wissenschaft wie in der Politikberatung. Doch damit wächst keineswegs ihre Durchsetzungskraft in der deutschen Politik. Sinn machte diese Erfahrung gleich mehrfach: 1991 warnte der Professor mit seinem spektakulären Buch „Kaltstart“ vor den verheerenden Folgen einer falschen Wirtschaftspolitik in den neuen Bundesländern. Die Privatisierungspolitik der Treuhand laufe auf eine „Konkursverwaltung mit Sozialplan“ hinaus, die Folgen der schnellen Angleichung der DDR-Löhne an Westniveau kämen einem „industriellen Arbeitsverbot“ gleich. Wie wir heute wissen, waren alle seine Warnungen vollkommen berechtigt.

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