Schweizer haben die „gleiche“ Sprache und ticken ähnlich wie die Deutschen. Das macht die Schweiz für arbeitende und pensionierte Zuwanderer attraktiv zum Missmut des deutschen Staates. Im Grunde ist Deutschlands Fiskalstaat ein Unrechtsstaat und deshalb die Kapitalflucht ein Akt der Notwehr, findet Konrad Hummler, Teilhaber der St. Galler Privatbank Wegelin, im Interview mit der Weltwoche [15]. Hier ein Auszug:
Wie dramatisch sind die Fronten, die jetzt heraufziehen: deutsche Angriffe aufs Bankgeheimnis, Steuerstreit mit der EU?
Es geht ans Eingemachte. Oberflächlich haben wir keinen Handlungsbedarf aufgrund der rechtlichen Lage. Faktisch aber sieht es düster aus. Deutschland erlebt einen Linksruck. Der Angriff auf die Schweiz ist da hochwillkommen. Die scheinbürgerliche Regierung kann sich als Rächerin der Besitzlosen aufspielen.
Sie haben in einem Ihrer Anlagekommentare festgehalten, nicht hohe Steuersätze treiben Kapital in die Schweiz, sondern die Aussicht auf das kollabierende europäische Sozialmodell. Die Leute wollen ihren Sparbatzen in der Schweiz sicher vergraben.
Aufgrund der desolaten Situation des Sozialstaats wird sich der Druck verstärken. Es fehlt die Kraft, die Misere selber zu drehen. Mehr als 60 Prozent der deutschen Wähler leben vom Staat. Sie finden keine Mehrheiten für Staatsabbau mehr.
Was kommt auf uns zu?
Stellen Sie sich darauf ein, dass es sehr ungemütlich wird. Die Schweiz ist aufgrund der geografischen und handelspolitischen Situation angreifbar. Alle Symptome weisen darauf hin.
Woran denken Sie?
Man muss das große Bild sehen. Sie können ein Land auf drei Arten verlassen. Physisch, wenn Sie auswandern. Juristisch, wenn Sie Ihre Firma außer Landes bringen. Virtuell, wenn Sie Vermögensteile verschieben. Alle drei Bewegungen finden derzeit aus Deutschland Richtung Schweiz statt. Wir sind interessant. Wir haben die gleiche Sprache und ticken ähnlich. Vielleicht. Außerdem haben wir gute Steuersätze für arbeitende und pensionierte Zuwanderer. Als Firmenstandort sind wir sensationell attraktiv. Umgekehrt profitiert die Schweiz durch diesen Zustrom an Geld und qualifizierten Leuten.
Die DDR versuchte, solche Bewegungen durch eine Mauer zu beenden. Die Bundesrepublik versucht es mit juristischen Mitteln und politischem Druck. Subtiler Mauerbau.
So würde ich es sehen.
Wie muss man dem Problem begegnen?
Lassen Sie uns zuerst die virtuelle Wanderung genauer anschauen. Sie können Vermögen in liechtensteinische Stiftungen oder angelsächsische Trusts verschieben. Das ist die teure, aufwendige Variante mit Treuhändern und Anwälten. Daneben gibt es die sehr schlanke Schweizer Lösung. Wir haben eine andere Regelung des Steuerstrafrechts. Aufgrund der doppelten Strafbarkeit ist eine einfache Steuerhinterziehung kein Grund, Geld nicht anzunehmen. Gekoppelt mit dem Bankgeheimnis, ist das ein Schema, das selbst für kleine Vermögen eine Ersparnisbildung außerhalb der sich zuspitzenden Fiskalsysteme erlaubt. Das Schweizer Bankgeheimnis ist eine enorm soziale Institution.
Jetzt sagen Ihnen Deutsche, aber auch viele Schweizer: Das ist genau das Problem. Wir sind ein Fluchthafen für illegal am Fiskus vorbeigeschleuste Gelder aus dem Ausland.
Das ist der wesentliche Punkt. In dieser Diskussion hat man keine Chance, wenn man nur Legalität versus Legalität stellt. Rechtssysteme sind immer Ausdruck von Machtverhältnissen und Standpunkten.
Wie wäre zu argumentieren?
Man muss übergeordnet die Frage stellen: Ist es denn legitim, wenn ein System, das offensichtlich auf ein finanzpolitisches Desaster zusteuert, seine eigenen Bürger daran hindert, individuelle Vorsorge außerhalb dieses kollabierenden Systems zu treffen?
Überspitzt sagen Sie: Deutschlands Fiskalstaat ist ein Unrechtsstaat . . .
. . . genau, und deshalb ist die Kapitalflucht Notwehr.
Aber Sie können doch Deutschland nicht als Unrechtsstaat bezeichnen.
Bewegt sich denn ein Rechtsstaat noch auf der Grundlage der Legitimität, wenn er beispielsweise eine Staatsverschuldung produziert, die auf Generationen hinaus die Noch-nicht-Geborenen belastet? Für mich gibt es da keinen Zweifel.
Aber Steuerhinterziehung ist doch ein Problem.
Steuerhinterziehung wird zum Problem hochstilisiert. Wenn man den Vorsorgegedanken außerhalb des Systems zu Ende bringt, ist Steuerhinterziehung ja nicht das Ziel, sondern lediglich Mittel zum Zweck der Vorsorgebildung. Man muss sich vor einem Fiskalsystem in Sicherheit bringen dürfen, ohne physisch auszuwandern, weil Fiskalsysteme falsch gebaut sein können. Das erfordert einen Bruch mit der Legalität. Es ist Notwehr.
Mit diesem Argument werden Sie das schlechte Gewissen vieler Schweizer nicht beseitigen.
Ich frage Sie: Wäre es moralisch vorteilhafter, die Schweiz würde sich zum Helfer dieses europaweiten finanzpolitischen Desasters machen? Die Alternative ist Beihilfe, damit die europäischen Staaten ihre eigenen Bürger noch mehr auspressen im Namen maroder Finanzsysteme. Ich habe das weitaus weniger schlechte Gewissen, wenn wir etwas Geld des produktiven deutschen Mittelstands aufbewahren, als wenn wir den Berliner Politikern die Taschen füllen. Wir sind nicht verpflichtet, das Desaster mitzumachen.
Zusammengefasst: Der deutsche Staat verstößt gegen Treu und Glauben, indem er seinen Bürgern vorgaukelt, durch Abgaben ihre Altersvorsorge zu sichern. Tatsächlich aber ist er dazu gar nicht mehr in der Lage, ergo leisten die Bürger ihre private Vorsorge in Notwehr außerhalb des eigenen Systems.
Genau.
Das ist doch eine amoralische Position. Die deutschen Politiker sagen: Wenn einem unsere Fiskal- und Vorsorgesysteme nicht passen, kann er sich politisch dagegen engagieren, oder aber er soll auswandern.
Es gibt doch weltweit unterschiedliche Rechtsauffassungen. Wir würden auch keine Rechtshilfe leisten, wenn ein zur Steinigung wegen Ehebruchs verurteilter Saudi-Araber in die Schweiz flüchtet.
Was empfehlen Sie dem Bundesrat?
Man soll Frau Merkel im April mit dem nötigen Respekt empfangen, aber immer mit dem Wissen im Hinterkopf, dass es sich um eine machtorientierte Verwalterin eines sozialstaatlichen und finanzpolitischen Desasters handelt. Mit diesem Mindset wird man keinen Fehler begehen.
Sind wir strategisch stark genug? Haben Sie Vertrauen in die Landesregierung?
Wir haben die Frage zu lange tabuisiert. Man war sich der strategischen Bedeutung unseres Bankgeheimnisses für Steuerhinterziehung als eine Art Notwehr nicht bewusst.
Gerade die Großbanken haben lange behauptet, Steuerhinterziehung sei für uns kein wichtiges Geschäft mehr.
Das ist Lug und Trug.
Auch für Großbanken?
Aber sicher. Meinen Sie denn, die enorme Platzierungskraft unserer Großbanken komme aus anderen Geschäftsfeldern? Die Antwort ist klar: nein.
Warum behaupten sie das Gegenteil?
Weil es für international tätige Banken natürlich eine heikle Position ist, Praktiken zu verteidigen, die im einen Land als schwer illegal gelten, im anderen aber nicht. Es ist eine angenehme Lebenslüge.
Das Bankgeheimnis bleibt ein Lebensnerv unseres Finanzplatzes?
Absolut.
Weil es Steuerhinterziehung deckt?
Nicht nur, es gibt noch andere wichtige Felder, aber natürlich ist die Eigentumssicherung wichtig. Nicht nur der Staat greift nach Privatvermögen, es können auch Verwandte sein oder kriminelle Banden.
Gehen wir richtig in der Annahme, dass Sie den Staat nicht ausschließlich als segensreiche Einrichtung empfinden?
Das sehen Sie richtig. Politökonomisch betrachtet, gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen der Mafia in Palermo, die Schutzgelder einsammelt, und einem Staat, der unter Gewaltandrohung Steuern einzieht. Für das Individuum sind das geringfügige Unterschiede.
Der Staat leistet immerhin Schutz und Sicherheit.
Das macht die Mafia auch. Bitte seien Sie vorsichtig, wenn Sie das zitieren. Es wird leicht falsch verstanden, vor allem wenn ich noch hinzufüge: Ich würde sogar meinen, dass die Hege und Pflege durch gewisse Mafiaorganisationen besser ist als durch den Staat. Der Fall Zumwinkel in Deutschland zeigt, wie das hirnrissige System die eigene Basis zerstört. Zumwinkel war ja ein guter Steuerzahler. Vielleicht ist das typisch deutsch. Die Deutschen haben Mühe mit dem Pragmatismus. Der Sozialstaat reagiert sehr unterschiedlich in Europa auf seinen drohenden Kollaps. Die Italiener flüchten sich ins Chaos, die Franzosen haben eine gewisse frivole Nonchalance. In Deutschland wird es sehr aggressiv. Im Fall Zumwinkel ging es um totale Zerstörung.
Die Zumwinkel-Verhaftung vor laufenden Kameras ohne Unschuldsvermutung hatte totalitäre Züge.
So empfand ich das.