[1]Hallo liebes PI-Team, mit großem Interesse beobachte ich die Rubrik „Warum ich Deutschland liebe!“ und frage mich jedes mal, ob ich mich als osteuropäscher Jude den Beiträgen anderer Deutscher mit Migrationshintergrund anschließen kann. Ihr wisst schon, so richtig Hand aufs Herz legen und sagen „Ich liebe es auch!“.
(Gastbeitrag zur PI-Serie “Warum ich Deutschland liebe!” [2])
Meine Geschichte in Deutschland beginnt 1995, als ich und meine Familie aus der Ukraine in die BRD ziehen. In der ehemaligen UdSSR gab es schon immer Repressionen gegen Juden. Nachdem meine Eltern davon erfahren hatten, dass Deutschland unseresgleichen aufnimmt, haben sie nach langem Überlegen beschlossen auszuwandern. Viele Nachbarn und Bekannte hatten Bedenken, weil dieses Land sich geschichtlich nicht besonders judenfreundlich zeigte. Doch meine Eltern sahen in dem Umzug eine Möglichkeit, mir eine bessere Zukunft bieten zu können und dem Antisemitismus fern zu bleiben. Beim Ersten hatten sie Erfolg, beim Letzteren leider weniger.
Unsere Familie lebt nicht religiös, wir gehen nicht in die Synagoge und der Samstag ist bei uns nicht heilig. Deswegen habe ich es nie auf die große Glocke gehängt, jüdischer Abstammung zu sein. In der Schule besuchte ich sogar den ev. Religionsunterricht, um einfach so viel Zeit wie möglich unter den Deutschen zu verbringen und die damals noch fremde Sprache zu lernen. Für die Mitmenschen war ich immer der „Russe“, weil es ja „das Selbe“ sei, wie Ukrainer.
Mittlerweile habe ich mehr Zeit meines Lebens in Deutschland verbracht, als in meiner „ersten Heimat“. In all den Jahren habe ich alle möglichen schulischen Einrichtungen durchlaufen: Hauptschule, BVJ, Berufsschule, Berufs-Oberschule. Überall habe ich geschuftet, um mich zu integrieren und zum gleichwertigen Mitglied der Gesellschaft zu werden.
Doch egal, wo ich gerade die Schulbank gedrückt hatte, stoß ich auf die eine oder andere Form des Antisemitismus. Man stellte Behauptungen auf, Juden seien geizig, sie stänken und wüschen sich nie. Ich bekam zu hören, dass sie christliche Säuglinge töteten und mit ihrem Blut Matzen backten. Konkret den östeuropäischen Juden, die nach Deutschland gekommen waren, hat man öfters fabelhafte Begrüßungsgelder (10.000,- / 20.000,- DM) nachgesagt und vorgeworfen, sie würden Deutschland nur als Zwischenstopp nach Amerika nutzen. Sie seien nichts als Schmarotzer u.s.w.
Weil nichts davon auf mich und meine Familie zutraf, habe ich mich immer geoutet und gesagt, ich sei auch „einer von Denen!“. Die Menschen haben darauf stets konfus reagiert, wollten es mir nicht gleich glauben und brachten manchmal danach den Kontakt ab. Das Erschreckendste an der ganzen Sache ist, dass ein sehr großer Teil von diesen Menschen schon erwachsen war und trotzdem an solche absurde Dinge glaubte. In einer zivilisierten Gesellschaft eines europäischen Landes! Sogar auf der Uni, auf der ich mittlerweile Studiere, beschimpfen sich Studenten mit „Jude“ und halten sich zur gleichen Zeit für die „Elite Deutschlands“.
Bitte versteht mich nicht falsch! Ich verdanke diesem Land alles: meine Bildung, meine Freunde, meine Lebensqualität und die Persönlichkeit, zu der ich hier geworden bin. Doch obwohl ich seit vielen Jahren die deutsche Staatsbürgerschafft besitze, fühle ich mich manchmal sehr fremd, schutzlos und unerwünscht, wenn es bei gewissen Demos „Allahu Akbar! Tod den Juden!“ gebrüllt und nicht bestraft wird. Wenn deutsche Politiker den Extremisten laufen lassen, dem Demokraten den Mund verbieten und den kriminellen Ausländer nicht abschieben.
Deswegen würde ich die Frage „Liebst du Deutschland?“ nicht eindeutig bejahen können. Ich liebe es nicht insofern, dass ich alles hinnehmen kann – ich liebe dieses Land soweit, dass ich hier etwas verändern will!
MfG Boris aus FFM
Bisher erschienene Beiträge zur PI-Serie:
» “Ich hatte und habe nur eine Heimat: Bonn” [3]
» “Wir haben die deutschen Werte angenommen” [4]
» “Ich liebe Deutschland wegen den Deutschen” [5]