[1]In der Blogosphäre sind PI und andere islamkritische Blogs eine der großen Erfolgsgeschichten. So erfolgreich, dass auch die Mainstreammedien Notiz davon nehmen müssen. Auf die deutsche Parteienlandschaft ist diese Erfolgsgeschichte bisher fast ohne Auswirkung geblieben. Keine der in Parlamenten vertretenen Parteien hat die Agenda der islamkritischen Bewegung aufgegriffen. Und keine der Parteien, die dieser Agenda offen gegenüberstehen, hat derzeit eine Chance, in ein Parlament einzuziehen. Woran liegt das?
(Von Sertorius)
Es liegt vor allem daran, dass die potenziellen Wähler islamkritischer oder auch Euro-kritischer Parteien letztlich unpolitisch denken und handeln. Wählerstimmen sind im Parteienstaat die Währung, die den Markt der Politik bewegt. Viele Wählerstimmen bringen Mandate, Einfluss, Macht, Medienpräsenz und vor allem Geld, Geld und nochmals Geld. Das sind die Voraussetzungen, um politisch etwas zu bewegen. Man sage nicht, durch Wahlen könne man nichts verändern! Die Linkspartei hat mit ihrer bundesweiten Ausbreitung das Gegenteil bewiesen. Zwar sind Hartz4 und Rente mit 67 (noch) nicht zurückgenommen. Aber die SPD würde derartige Reformen nicht noch einmal wagen. Ohne die Linkspartei wäre der Mindestlohn nicht auf die Agenda (fast) aller parlamentarischen Parteien gelangt. Das gesamte Parteienspektrum hat sich durch die Erfolge der SED-Nachfolger nach links verschoben.
Im liberal-konservativen Bereich (um ihn mal so zu nennen) gibt es nichts Vergleichbares. Die Wähler, die CDU und FDP abhanden gekommen sind, haben sich resigniert ins Lager der Nichtwähler zurückgezogen oder zersplittern sich unter einer Vielzahl von Kleinparteien. Wer die Währung des Parteienstaats nicht zu gebrauchen weiß, kann nichts verändern. In der jetzigen Situation kann es nur darum gehen, die politische Agenda neu zu definieren. Das bedeutet, taktisch zu wählen. Der treue Stammwähler lässt sich von seiner Partei für Ziele instrumentalisieren, die oft nicht die seinen sind. Der taktische Wechselwähler instrumentalisiert Parteien, um seine Agenda in der Politik zu verankern.
Was heißt das konkret? In der heutigen Situation hat der Wähler die Optionen
• Nicht zu wählen
• Eine etablierte Partei als kleinstes Übel zu wählen
• Eine Protestpartei zu wählen
• Eine Kleinpartei zu wählen, die seine Agenda zumindest teilweise vertritt.
Nichtwählen
Nichtwählen mag menschlich verständlich sein, ist aber völlig nutzlos. Wer nicht mehr konsumiert, weil ihm das Angebot auf dem Markt nicht gefällt, ist längst verhungert, bevor sich der Markt seinem Bedarf anpasst. Der Nichtwähler sendet überhaupt kein Signal an die Parteien. Selbst wenn sie an seinen Beweggründen interessiert wären, können sie nichts aus dem Wahlverhalten ablesen. Die Zahl der zu verteilenden Mandate hängt nicht von der Wahlbeteiligung ab. Lediglich die staatliche Wahlkampfkostenerstattung fällt etwas geringer aus, weil sie von der Stimmenzahl abhängt. Die Parteien sind aber bisher schon sehr findig gewesen, den Staatshaushalt für ihre Zwecke anzuzapfen. Sie würden dafür neue Wege finden, auch wenn die Wahlbeteiligung ins Bodenlose fällt. Hinzu kommt, dass die sinkende Wahlbeteiligung bisher keine Partei verschont hat, also die Parteienlandschaft nicht verändert.
Ich kenne Menschen, die ernsthaft glauben, durch Wahlabstinenz auf lange Sicht eine Veränderung zu erzwingen. Wenn das politische System nur noch von einer Minderheit getragen werde, müsse sich doch irgendwann etwas bewegen! Doch es gibt in unserer Rechtsordnung genügend Beispiele, die dagegen sprechen. Weder die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, noch die ASTAs an den Hochschulen noch die Industrie- und Handelskammern stört es auch nur im geringsten, dass ihre Gremien mit erschreckend niedriger Beteiligung der Wahlberechtigten zustande gekommen sind.
Das kleinste Übel wählen
Hier sendet der Wähler ein Signal, aber es kommt bei der Partei falsch an. Wenn die Probleme, die den Wähler bewegen, in der Partei nicht mehr offen diskutiert werden, wenn das Führungspersonal kritische Meinungen nicht mehr widerspiegelt, Abweichler zum Schweigen gebracht werden, dann ist es für eine Erneuerung meistens zu spät. Würde beispielsweise Norbert Röttgen in NRW einen Wahlerfolg erzielen, so würde er das als Bestätigung für seinen Kurs der „Modernisierung“ werten – oder als Beweis dafür, dass die treuen Stammwähler auch durch noch so viele Schläge ins Gesicht nicht zu beirren sind.
Eine Protestpartei wählen
Das heißt in der derzeitigen Situation vor allem: die Piraten wählen. Wer eine Partei wählt, die gerade als Protestpartei zum Schrecken der Etablierten wird, sendet ein starkes Signal. Hier gehen Mandate verloren, und das schmerzt. Leider ist das Signal ebenso undeutlich, wie es stark ist. Solange nicht klar ist, wofür eine Protestpartei eigentlich steht, erhalten die etablierten Parteien nur eine sehr diffuse Rückmeldung. Der Protestwähler kann allenfalls hoffen, dass sich die neue Partei im Zuge eines inneren Klärungsprozesses seiner Anliegen annimmt. Ob das bei den Piraten der Fall sein wird, ist noch nicht abzusehen. Aus meiner Sicht sprechen zwei Erwägungen dagegen: die Partei wird durch den Druck von Medien und etablierten Parteien eher nach Links gedrängt, zur Distanzierung von politisch inkorrekten Themen und Personen. Zum anderen sind Personen aus dem linken Spektrum erfahrungsgemäß fleißiger und besser erfahren im Infiltrieren und Umpolen von politischen Organisationen. Die Geschichte der Grünen ist hier lehrreich.
Eine Kleinpartei wählen
Hier ist das Angebot fast unüberschaubar groß: AUF, BIW, Freie Wähler, Die Freiheit, Konservative, Partei der Vernunft, PBC, Pro-Parteien, Republikaner, … Alle Gruppierungen, die ich vergessen habe, bitte ich um Verzeihung. Immerhin stehen diese Parteien der Agenda der PI-Gemeinde näher als die Etablierten. Wer sie wählt, sendet ein klares Signal. Doch wenn seine Stimme im 0,x-Prozent-Ghetto landet, ist das Signal so schwach, dass es nicht gehört wird. Der taktisch kluge Wähler wählt daher diejenige Kleinpartei, die die besten Chancen hat, die Aufmerksamkeitsschwellen zu überwinden.
Die Wahlentscheidung für eine Kleinpartei setzt voraus, dass ich die Erfolgsfaktoren der Parteienkonkurrenz verstanden habe. Bei vielen Wählern ist das nicht der Fall. Sie entscheiden nach dem Programm („Punkt Nr. 73 gefällt mir gar nicht“), nach den Führungspersonen („Hat Müller nicht mal mit der NPD sympathisiert?“) oder nach irgendwelchen Verlautbarungen („Da hat sich neulich einer frauenfeindlich geäußert!“). In der derzeitigen Lage sind diese Kriterien völlig irrelevant. Keine der genannten Kleinparteien hat eine Chance, kurzfristig in Regierungsverantwortung zu kommen oder gar die Macht zu übernehmen. Niemand muss befürchten, morgen Eva Hermann, Jan Timke, Markus Beisicht, Rolf Schlierer oder René Stadtkewitz als Bundeskanzler oder Minister auf der Mattscheibe zu sehen. Als die Grünen in den 80er-Jahren auftraten, waren sie als unmögliche Chaotentruppe verschrien. Wer sie wählte, bekannte sich oft nur hinter vorgehaltener Hand dazu und fügt hinzu, dass sie ja sowieso keine Chance hätten, an die Regierung zu kommen. Genau so begann der Aufstieg der Grünen.
Erfolgskriterien
Wenn es einer der Kleinparteien gelingt, Aufmerksamkeitsschwellen zu überwinden, kann sich die politische Agenda verändern. Wie diese Partei dann in drei Jahren personell und programmatisch aussieht, ist völlig offen. Mit dem Zustrom neuer Mitglieder und dem Übertritt von Mandatsträgern der Etablierten ist alles möglich. Vorausgesetzt, man hat einmal bestimmte Schwellenwerte überwunden:
• Die Fünf-Prozent-Hürde (bei Zweitstimmen! – gilt übrigens nicht bei Kommunalwahlen und – seit neuestem – auch nicht bei Europawahlen). Wer im Parlament vertreten ist, hat Einfluss, Propagandamöglichkeiten, Medienaufmerksamkeit und vor allem Geld.
• Ein Stimmenanteil von zwei bis drei Prozent (der Zweitstimmen!): keine rechtliche Hürde, aber faktisch von enormer Bedeutung. Wer in einem Flächenland oder bei Bundestagswahlen so weit kommt, hat sich von der Meute der „Kleinen“ abgesetzt und steht bei der nächsten Wahl weiter oben auf dem Wahlzettel. Für die Piraten reichten 2 Prozent bei der letzten Bundestagswahl, um von den Medien stärker beachtet zu werden. Für die Republikaner begann mit 3 Prozent bei der bayerischen Landtagswahl 1986 ihre zehnjährige Erfolgsgeschichte.
• Ein Stimmenanteil von 1 Prozent der Zweitstimmen (Landtagswahlen) bzw. 0,5 Prozent (Bundestagwahlen): hier setzt die staatliche Parteienfinanzierung ein, ohne die es Kleinparteien noch schwerer haben. Wer diese Werte nicht erreicht, sollte besser gar nicht mehr zu Wahlen antreten.
Wer wird Erfolg haben?
Wie erkenne ich die Kleinpartei, die das Zeug hat, diese Schwellen zu überwinden? Der erste Blick gilt den bisherigen Wahlergebnissen. Je älter eine Partei ist, und je weniger sie bisher in die Nähe dieser Schwellen kam, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch künftig erfolglos sein wird. Erfolglose Parteien verlieren gute Leute, und die Restmannschaft igelt sich oft in einer geistigen Wagenburg ein und hält starrsinnig an dem Kurs fest, der nur Niederlagen brachte.
Erfolgreiche Parteien richten sich auf Wahlteilnahmen ein, sie nehmen die Zulassungshürden für Wahlen (z.B. Unterstützungsunterschriften) schnell, sie sind vor Wahlen in der Öffentlichkeit präsent und gehen auf ihre Wähler zu. Allgemeiner gesprochen, wird die Kleinpartei Erfolg haben, die
• sich mit dem gesellschaftlichen Umfeld vernetzt und offen für neue Mitglieder und Kooperationen mit Gleichgesinnten ist und
• die professionelle und engagierte Wahlkämpfe und Öffentlichkeitsarbeit macht.
Vernetzung
Keine Partei kann ohne ein gesellschaftliches Vorfeld auskommen. Die islamkritische Bewegung oder die Initiativen gegen Euro-Rettungsschirme haben zwar (noch) nicht die Durchschlagskraft der ehemaligen Friedensbewegung oder der Anti-Atom-Kampagnen. Aber sie sind dennoch der Nährboden, auf dem Parteien wachsen können, wenn sie es denn wollen. Erfolgreiche Parteien sehen sich als Teil einer gesellschaftlichen Strömung. Sie versuchen nicht, außerparlamentarische Gruppen zu bevormunden oder zu dominieren, sondern nutzen sie als Verstärker und Rekrutierungsreservoir. Wer sich von allem und jedem distanziert (zum Beispiel von PI), bleibt meistens in der Nische stecken. Die Grünen sind aus einer Vielzahl von Kleinparteien mit unterschiedlichen Namen hervorgegangen. Aber sie haben sich immer als Teil einer Bewegung verstanden und waren letztlich bereit, zu kooperieren und Gemeinsamkeiten voranzustellen.
Professionalität und Engagement
Professionalität ist bei Kleinparteien oft sehr schwach ausgeprägt. Umso wichtiger ist Engagement. Das heißt vor allem: an die Öffentlichkeit zu gehen. Programmdiskussionen in Hinterzimmern bringen nichts. Wessen Wahlplakate nehme ich wahr? Wer ist mit Infoständen vertreten? Wessen Flyer landen in meinem Briefkasten? Wer nutzt das Internet und aktualisiert seine Seite täglich? Wer kann öffentliche Veranstaltungen auch gegen Widerstand durchsetzen? Wer kann die „Schweigespirale“ der Medien durchbrechen? Das sind die Fragen, die sich ein taktischer Wechselwähler stellen muss. Eine Partei, die für politisch wenig Interessierte nicht wahrnehmbar ist, wird auch am Wahlabend untergehen. Viele Kleinparteien beklagen sich über den „Boykott“ durch die Mainstreammedien. Die wenigsten aber haben eine Strategie, dem zu begegnen.
Wer den Überlegungen dieses Beitrages folgt, kann seine „Münze“, die Wählerstimme, effektiv ausgeben. Er kann auch als bloßer „Konsument“ den Markt der Politik vor sich hertreiben. Welche konkrete Partei zu wählen ist, wird der taktische Wähler vor jeder Wahl neu überprüfen. Es ist völlig in Ordnung, in der Gemeinde die Freien Wähler, bei der Landtagswahl die Bürger in Wut und bei der Europawahl die Republikaner zu wählen, wenn dies jeweils die erfolgversprechendsten Bewerber sind. Wer die hier genannten Kriterien nüchtern anwendet, dem fällt die Wahlentscheidung gar nicht so schwer. Und wenn mehr Parteien diese Kriterien beherzigen würden, wäre der Wahlzettel wohl etwas kürzer.
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