Jemand hat mal gesagt, wer die Geschichte vergisst, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. Am Ende dieses ereignisreichen Jahres, das mit dem Brexit, der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten und den AfD-Wahlergebnissen eine politische Wende einläuten könnte, gibt es ein paar einfache Dinge, an die man sich dauerhaft erinnern sollte, damit die Versuche des Establishments keinen Erfolg haben, das Ruder zu seinen Gunsten wieder herumzureißen.
(Von Peter M. Messer)
1. Wenn man uns bösen Populisten jetzt oder in Zukunft politische Versprechungen macht, dann sollten wir uns daran erinnern, wann man sie nicht gemacht hat: nicht bei Erkennbarkeit zukünftiger Probleme, nicht als Reaktion auf eingetretene Schäden wie die Migrassoreninvasion, noch nicht mal in Reaktion auf die Silvesternacht in Köln. Sondern nur als Reaktion auf die Wahlergebnisse im In- und Ausland, nur wegen des drohenden Machtverlustes.
2. Das, was man uns anbietet, werden notwendig Änderungen des Rechts sein. Darum sollten wir uns daran erinnern, wie das Recht während der Euro- und Flüchtlingskrise hinweggespült wurde. Das ist nicht erstaunlich, denn Recht und Gesetz müssen angewandt und vollzogen werden, und ob das wirklich geschieht, hängt eben immer von den Machtverhältnissen ab, und wenn diese das nicht hergeben, dann läuft das Recht leer. Recht kann eine politische Entwicklung bestenfalls verzögern, aber nicht verhindern, denn Recht selbst ist das Produkt von Politik. Um ein bestimmtes Recht zu stützen, muss man darum politisch argumentieren und handeln, und das heißt: den Herrschenden ihren Machtverlust in Aussicht stellen. Ständig nur das Recht zu beschwören nützt gar nichts.
3. Wir sind ja schon oft genug Artikeln in den Mainstreammedien wie der FAZ begegnet, die die Bemerkung auslösen, da sei wohl „jemand aufgewacht.“ Wenn wir von uns oder anderen diesen Satz hören, sollten wir uns daran erinnern, wie oft wir das in den vergangenen Jahrzehnten – in diesen Zeiträumen müssen wir mittlerweile denken – schon gesagt haben. Und jedesmal ist man wieder eingeschlafen. Das entspricht ja auch unserer Alltagserfahrung: Aufwachen selbst bedeutet gar nichts. Man kann sich auch einfach auf die andere Seite drehen. Das „Aufwachen“, das sich in den seitenlangen, oft durchaus inhaltsreichen euro- oder einwanderungskritischen Artikeln etwa in der FAZ angeblich zeigte, war eher mit dem durch den Druck in der Blase verursachten Aufstehen in der Nacht zu vergleichen: Nachdem man sich angesichts des Drucks der tatsächlichen Verhältnisse innerlich erleichtert hatte, kroch man wieder im warmen Bett der Wohlanständigkeit unter die Decke der etablierten Institutionen. Es gilt endlich einzusehen, und nie zu vergessen, dass dieses Bett voller Milben, Wanzen und Schimmel ist und uns keine Heimstatt geben kann.
4. Und so ist die Lehre aus allen drei Punkten, dass wir uns auf nichts verlassen können, dass wir keine Zugeständnisse machen, kein Vertrauen an die Etablierten aufbringen dürfen, dass unsere einzige Chance darin liegt, konstanten politischen Druck aufzubauen und das soziale und politische Kapital, von dem das Establishment zehrt, soweit möglich zu zerstören. Dies ist verzweifelt wichtig, weil die Zeit weiter für die Globalisten arbeitet, sie dies wissen und auf Zeit spielen. Der ECONOMIST [1], eines der zentralen Sprachrohre der Globalisten, schrieb: „Die neuen Nationalisten haben Erfolg mit dem Versprechen geschlossener Grenzen und der Wiederherstellung der Gesellschaften zu einer vergangenen Homogenität. Aber wenn die nächste Generation standhaft bleibt, kann die Zukunft wieder kosmopolitisch sein“. Die überwiegend globalistische Haltung der Jugend und die fortschreitende Einwanderung würde den Nationalisten mittelfristig die Basis entziehen. George Soros ist bereits eifrig dabei, die Grundlagen dafür zu legen. In der FINANCIAL TIMES [2] beschreibt Simon Kuper, wie Soros Open Society Foundation bereits Studien über die weiße Arbeiterklasse betreibt mit dem Ziel, sie den etablierten Parteien wieder zuzuführen. Jeder Glaube an etablierte Institutionen und vor allem der Irrglaube, jetzt sei die „Realität“ endlich erkannt worden und werde sich schon in ihr Recht setzten, ist darum das, was er schon in der Vergangenheit war: absolut tödlich.
5. Die Versuchung, den Etablierten doch wieder zu glauben, ist natürlich groß, weil sie über Herrschaftswissen verfügen und die Apparate von Gesetzgebung und Verwaltung bedienen können – was bei den „Populisten“ eher nicht der Fall oder noch nicht erwiesen ist. Hier gilt es sich daran zu erinnern, dass man nicht ein Amt innehaben muss, um politische Wirkung zu haben: Von der Einführung der Sozialversicherungen im Kaiserreich als Reaktion auf die Sozialdemokraten bis zur Etablierung der Umweltpolitik als Thema durch die Grünen gibt es reichlich Beispiele dafür, dass politischer Druck zu Resultaten führen kann, auch ohne an der Regierung zu sein.
6. Und dann ist ja noch die Merkel, die angeblich die CDU entkernt hat. Immer, wenn Merkels Name fällt, muss man sich dazu zwingen, sich an einen anderen Namen zu erinnern: Helmut Kohl. Es gibt keine Handlung oder Entwicklung, die man Merkel anlastet, die es nicht schon unter Kohl gegeben hätte, egal ob die Niederknüppelung der Meinungsvielfalt in der Partei, das sportliche Verhältnis zum Recht, die Aufgabe konservativer Positionen oder der absolutistische Führungsstil, denn Kohl hatte sich ja bei der Einführung des Euro nach eigenen Worten wie ein Diktator [3] verhalten. Merkel ist in allem Kohls Mädchen. Wie Kohl kann sie kann sich so verhalten, weil ihre Partei sie lässt und stützt und mit 90% Zustimmung wählt. Das darf man nie vergessen, und man darf darum auch nicht vergessen, dass sämtliche CDU Mitglieder Kohl wie Merkel ihr ach so anständiges Gesicht mindestens als Maske leihen, hinter denen sie sich notfalls verstecken können, und dass sie jeder persönlich für diese Politik mitverantwortlich sind.
7. Diese Liste von Erinnerungspunkten ließe sich noch verlängern. Aber mal nicht ausschließlich auf die Linken zu schimpfen und anzuerkennen, dass bürgerliche und konservative Institutionen, ob CDU, FAZ und die Amtskirchen sich nicht bloß „dem Zeitgeist angepasst“, sondern die aktuellen Zustände selbst aktiv mit herbeigeführt haben, wird natürlich vielen schwer fallen, und hier hört die Erinnerung dann auch auf, eine einfache zu sein. Wer sich aber dagegen sträubt, möge sich bitte daran erinnern, warum er eigentlich der Meinung ist, dass der Sozialismus gescheitert sei. Doch wohl deshalb, weil die Erfahrung gezeigt hat, dass er die von ihm beherrschten Länder zugrunde richtet. Aber es gibt nur eine Art von Erfahrung, die eben auch gezeigt hat, dass die „bürgerlichen“ Parteien die heutigen Zustände tatsächlich herbeigeführt haben. Tatsächlich hat Kohl den Euro eingeführt, tatsächlich hat Merkel die Grenzen aufgemacht, nicht die Linke, was immer sie gewollt haben mag, eine Linke, die seit ihrer Prägung durch die 68er im Übrigen ebenfalls einen bürgerlichen Ursprung hat, denn die Studentenrevolte war eine Revolte von Bürgerkindern. Wer das leugnet oder für unerheblich hält, der muss sich auch von Linken entgegenhalten lassen, dass der Sozialismus nur noch nicht richtig umgesetzt worden sei (aber vielleicht schaffen das ja die Christdemokraten).
8. Und schließlich muss man sich daran erinnern, dass man sich erinnern muss. Erinnerung ergibt sich nicht von selbst, sie erfordert immer Arbeit, die mit dem Abheften eines Belegs oder einem Tagebucheintrag beginnt und gesamtgesellschaftlich mit dem endet, was Jan Assmann das „kulturelle Gedächtnis“ genannt hat. Ansonsten wird man Opfer des Vergessens. Die „Linke“ dürfte ihre Durchsetzungsfähigkeit auch daher haben, dass sie sich politisch aktiver erinnert. Dabei kommt es nicht auf das Vorhandensein von Büchern, sondern auf das Vorhandensein im politischen Arbeitsgedächtnis an: Während Kohl als Urheber vieler gegenwärtiger Übel unter Konservativen weitgehend vergessen ist und kaum erwähnt wird, ist „Genosse der Bosse“ Gerhard Schröder allen Linken als Totengräber der Sozialdemokratie präsent. Aus der Asylkrise Anfang der 90er Jahre sind die Anschläge von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda ins kollektive Gedächtnis übergegangen, während die Krise selbst keine vergleichbare Präsenz in der Erinnerung hat und nur noch Bücherwissen zu sein scheint. Wie anders hätte die Reaktion auf den Ansturm des Jahres 2015 sein können, wenn dieser erste Ansturm noch im Gedächtnis vorhanden gewesen wäre, wenn man den Herrschenden hätte entgegenhalten können, dass sie aus der Geschichte nichts gelernt haben und nicht nur das Recht gebrochen haben, sondern vor allem die politischen Zusagen, wegen der man damals die Republikaner hatte fallenlassen. Es ist also noch viel Erinnerungsarbeit zu leisten, wenn man verhindern will, dass sich die Geschichte der nur scheinbaren Politikwechsel wiederholt.
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