Der Schriftsteller Pierre Drieu la Rochelle (1893-1945).

Waren die Nationalsozialisten tatsächlich Sozialisten? Und hat die Sowjetunion unter Joseph Stalin tatsächlich einen „kommunistischen“ Kampf gegen Tradition und Familie geführt? Das sind Fragen, über die heute (zurecht!) immer noch gestritten wird – und zwar nicht nur unter Historikern. Interessant ist, dass dies keineswegs neue Fragestellungen sind, sondern diese Themen schon die Zeitgenossen der 1930er-Jahre bewegten. Ein neues Buch gibt Einblick in das Europa dieser Zeit: zwischen den Kriegen, zwischen den Fronten, zwischen Faschismus und Kommunismus.

Pierre Drieu la Rochelle war jemand, den man heute vielleicht als „rechten Hipster“ und früher als Dandy bezeichnet hätte. Der französische Schriftsteller kam desillusioniert aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause, doch seine Heimat, das „alte“ Europa, gab es da schon nicht mehr. Aber statt in Resignation stürzt er sich jetzt ins Abenteuer – und geht auf Spurensuche.

„Heimat Europa“ heißt treffenderweise das neue Buch aus dem Jungeuropa Verlag. Es versammelt die Reiseberichte Drieu la Rochelles aus der spannenden und konfliktreichen Zeit zwischen 1931 und 1942, die durch den Verlag recherchiert, gesammelt und erstmals übersetzt wurden. Der scharfe Beobachter und politisch interessierte Drieu la Rochelle erkundet die Länder, die der Erste Weltkrieg so verändert hat. Natürlich besucht er dabei auch Hitlers Deutschland; allerdings nicht, um das Brandenburger Tor zu besichtigen oder Schloss Neuschwanstein in Augenschein zu nehmen. Nein, der Franzose ist vor allem an den Menschen und der herrschenden Politik interessiert. Völlig unvoreingenommen unterhält er sich mit einem SA-Mann und fragt ihn nach dem Gehalt des Wortes „Sozialismus“ im Begriff „Nationalsozialismus“. Die Antwort könnte auch heutige Leser überraschen!

Wer sich ein wenig mit französischer Literatur auskennt, der weiß natürlich um Pierre Drieu la Rochelles spätere Rolle als Kollaborateur im von Deutschland besetzten Frankreich. Mitte der 1930er-Jahre sieht die Welt aber noch anders aus und Drieu bereist sie als Beobachter, nicht als ideologischer Festungshäftling. Zu seiner Berufung gehört es auch, dem ideologischen Kontrahenten des Deutschen Reichs einen Besuch abzustatten. Im Kreml herrscht zu dieser Zeit Joseph Stalin mit eiserner Hand – für Drieu, der sich später zum Faschismus orientieren sollte, ein Problem? Die Antworten sind im Buch zu finden; aber einfach macht es sich der Autor bestimmt nicht.

Richtig knifflig wird es bei den Ländern, die zwischen Berlin und Moskau stehen. Die Donaumonarchie Österreich-Ungarn war bekanntlich nach 1918 in mehrere Teile zerbrochen, die sich nun erst als Staaten, Nationen und Völker konstituieren müssen. Vielleicht auch deswegen sucht Drieu la Rochelle gleich mehrmals die Tschechoslowakei (unter dem sicherlich nicht unumstrittenen Präsidenten Edvard Beneš) auf und auch das Königreich Ungarn wird zum Ziel der Reisen des Lebemanns aus Frankreich. Wieder geht es in Drieu la Rochelles Artikeln aus diesen Ländern nicht um die Anfertigung eines Reiseratgebers, sondern um die zentralen Fragen dieser Zeit: Was wollen diese Völker? Und wie gedenken sie ihre Unabhängigkeit gegen Deutschland und die Sowjetunion behaupten? Der Autor kommt nach seinen Besuchen und Gesprächen zu einem ganz eigenen Ergebnis; er glaubt an ein geeintes Europa. Eine passende Antwort auf unsere Zeit? Die Schwäche der EU lässt uns daran zweifeln.

Nur wenige Jahre später würde sich dieser Wunschtraum aber im Pulverrauch des nächsten Krieges auflösen. Pierre Drieu la Rochelle wählt am 15. März 1945 den Freitod, vielleicht nun restlos resigniert vom Aufeinanderprallen der großen Ideologien und Mächte, die dieses – sein! – Europa ein weiteres Mal in Schutt und Asche legen. Die Beobachtungen, die er zuvor in seinen Artikeln niederschrieb und die wir nur in Form von „Heimat Europa“ vor uns haben, überdauern aber die Zeit und sind weiterhin aktuell. Denn: Wieder einmal treffen mitten in Europa zwei Machtblöcke aufeinander, wieder einmal sind die kleinen europäischen Staaten zwischen den Fronten eingekeilt (wieder die Tschechen! Wieder die Ungarn!), wieder einmal steht der Krieg vor unserer Haustür. Wie antwortet Europa auf die Urgewalten, die sich gerade in der Ukraine entladen? Das ist die Frage unserer Tage; wir selbst müssen sie beantworten, aber dieses neue Buch wird bei der Suche nach Worten zu helfen wissen.

Bestellinformation:

» „Heimat Europa“ kann beim Jungeuropa Verlag bestellt werden und kostet 24 Euro.
» Eine kurze Einleitung findet sich hier.
» Im Podcast haben Benedikt Kaiser, Volker Zierke und Philip Stein über Buch und Autor gesprochen.

Like
Beitrag teilen:
 

4 KOMMENTARE

  1. Wie antwortet Europa auf die Urgewalten,
    die sich gerade in der Ukraine entladen?

    Europa teilt sich in Politiker und Menschen,die
    um ihre Exstenzen bangen.
    Die Politverbrecher in der Brüsseler Schwurbelbude sind
    sich einig,dieses Europa muss verelendet werden.
    Es liegt nun an uns diesem Bestreben ein Ende zu setzen,
    Die Bauern in den Niederlanden und Spanien machen es uns vor.
    Freiwillig wird die Politik der Zerstörung und Vernichtung nicht aufgegeben,
    es müssen Aktionen her.
    Die von Menschen Seite Gewaltfrei verlaufen,aber von den
    Bütteln mit Gewalt beantwortet werden,weil sie dieser
    Menge sonst nicht Herr werden können.
    Schaut Stuttgart 21 oder die Coronaproteste,das sind „schlagende Beweise“,
    des Totalitarismus.
    Was nutzt auch das beste Embargo ,wenn die falschen darunter leiden müssen !

  2. Wie ist Europa bisher mit Konflikten umgegangen? Wieso ist gerade Europa resp. seine Völker so anfällig für Diktaturen? Nicht nur Deutschland? Heimat Europa ist so gut wie zerstört. Es liegt an seinen Bürgern, egal, in welchem Land, den endgültigen Untergang zu verhindern, und zwar alle zusammen, die noch an Freiheit, an Selbstbestimmung, an die früheren abendländischen Werte glauben und nicht an Faschismus, an Ideologien, der Klimareligion anhängen und sich am liebsten vor Corona in ein Loch verkriechen würden und ihre Identität, sofern vorhanden, eintauschen.

  3. Drieu la Rochelle arbeitete für André Gides Literaturzeitschrift Nouvelle Revue Française (NRF) und verkehrte in Kreisen des französischen Surrealismus. André Malraux, Louis Aragon oder auch Antoine de Saint-Exupéry zählten zu seinen Freunden. Von 1917 bis 1925 war er mit der Jüdin[4] Colette Jéramec verheiratet; später rettete er sie und ihre beiden Kinder aus zweiter Ehe aus dem Sammellager Drancy vor dem Weitertransport in Todeslager[4]. Danach hatte er zahlreiche Affären, u. a. mit Victoria Ocampo und Christiane Renault, der Ehefrau des Großindustriellen Louis Renault.

    Drieus Schreibstil zeichnet sich durch eine akribische Beobachtung menschlichen Verhaltens aus. In der Zwischenkriegszeit kritisierte er in seinen Romanen das dekadente* Leben* der französischen Oberschicht…

    Am 15. März 1945 beging La Rochelle, dem die Verhaftung drohte und der „vor Gericht […] dem Todesurteil sehr wahrscheinlich nicht entgangen“ wäre,[4] Selbstmord durch Gas – nicht ohne zuvor dem Kommunismus den Sieg gewünscht zu haben. Dem Suizid waren zwei weitere Selbstmordversuche vorausgegangen.[6] Der Récit secret trug zu einer gewissen Rehabilitation Drieus im Frankreich der Nachkriegszeit bei.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Pierre_Drieu_la_Rochelle#Leben

    *Aber war sein Leben als Lebemann
    nicht auch dekadent? Wer hat es
    finanziert? Seine Geliebten mit dem Geld
    ihrer Ehemänner? Oder war seine erste Frau,
    die Jüdin, reich? War er neidisch auf sie u.
    ihren Wohlstand? Weshalb erfährt man nichts
    über seine Eltern bei Wiki? Ist das Leben eines
    Intellektuellen, also Bleistift- oder Federhalters,
    nicht eh dekadent, insofern er sich die Finger
    höchstens am Tintenfaß beschmutzt(e)?

    Ah, voilà, hier erfährt man mehr:
    Der sexsüchtige Gigolo ließ sich aushalten
    u. unterschwellig schwul oder bi war er
    vermutl. auch…
    https://de.frwiki.wiki/wiki/Pierre_Drieu_la_Rochelle#Biographie

  4. OK, kenne den Mann nicht. Interessiert mich auch nicht. Die nationalen Sozialisten waren von der Sozialistischen Idee auf Volksebene überzeugt. Daran kann es unter Historikern keinen Streit geben, denn es gibt mehr als genug Belege. Auch das der Kampf gegen das Bürgertum sozusagen sozialistische DNA ist ist nicht Diskussionswürdig. Was soll denn der Quatsch? Sozialismus ist in seiner Definition der „Klassenfeind“ des Bürgertums. Wie kann man das in Frage stellen?

    Sonderbarer Text. Wahrscheinlich bin ich zu blöd um Ihn zu verstehen…..
    Blum

Comments are closed.