Wie verpasst man eigentlich einem Islamkritiker einen Maulkorb? Falls Sie gegen Islamkritik allergisch sind und aus beruflichen oder ideologischen Gründen oder vielleicht einfach aus intellektueller Trägheit zur Verteidigung des Islam neigen, werden diese Gebrauchsanweisungen für Sie äußerst hilfreich sein: Wenn der Kritiker ein Nichtmuslim ist, haben Sie ein leichtes Spiel.
Zermürbungstaktik ist angesagt: Sie werfen ihm Mangel an Kenntnis des Islam vor, reden über die Heterogenität und Vielschichtigkeit der jüngsten abrahamitischen Religion und fragen ihn, von welchem Islam er denn nun rede. Bald verliert er die Übersicht im Labyrinth der islamischen Rechtsschulen und Strömungen, und die Debatte verläuft im Sande. Der Vorwurf der Islamophobie sollte nicht lange auf sich warten lassen.
Gebrauchsanweisung für Verteidiger des Islam
Sie sollten zwar das Wort „Rassismus“ nicht in den Mund nehmen, aber lassen Sie den Islamkritiker spüren, dass das genau das ist, was sie ihm unterstellen. Reden Sie über Stimmungsmache, den Applaus von der falschen Seite und das Wasser auf der Mühle der Fremdenfeindlichkeit. Und bevor er Ihnen widerspricht, erinnern Sie ihn an die schrecklichen Ereignisse vor 70 Jahren in Deutschland. Damals warnten die Antisemiten vor der Judaisierung Europas, genauso wie die Islamophoben heute vor der Islamisierung des Abendlandes warnen. Das Wort „Holocaust“ sollten Sie aber lieber nicht aussprechen.
Eine Erwähnung des Kalten Kriegs gehört ebenfalls zum Programm. Denn schließlich sei nach der „roten“ und der „gelben“ Gefahr nun das Feindbild Islam an der Reihe, um die Angstlust der Europäer zu stillen und die Konturen der europäischen Identität zu schärfen. Kaum einer wird merken, dass Ihre Argumentation verbohrt ist und dass sie die falschen Vergleiche ziehen, weil sie Ihre Gegner mit ihren eigenen Traumata die ganze Zeit beschäftigen und nie über das reden, worum es geht.
Bei islamischen Islamkritiker sind härtere Bandagen erforderlich
Diese Taktik funktioniert fast immer, es sei denn, der Islamkritiker ist selber ein Muslim und weiß, wovon er redet. Da haut der Vorwurf des Rassismus und des Mangels an Islamkenntnis natürlich nicht hin. Deshalb muss mit harten Bandagen gekämpft werden. Greifen Sie ihn in seiner Integrität an. Er muss ein pathologischer Selbsthasser sein, der durch seine Kritik am Islam eine Abrechnung mit seiner Kultur anstrebt. Stöbern Sie in seiner Biografie, ein Schandfleck lässt sich immer finden. Und wenn er eine Frau ist, dann ist sie natürlich emotional, sprunghaft und unsachlich.
Nach dem Minarettverbot der Schweizer und dem vereitelten Attentat auf Kurt Westergaard hatte ich die Hoffnung, dass endlich eine unverkrampfte Streitkultur entstehen würde, wo über die Themen Islam und Migration eine tiefgründige Debatte geführt werden könnte. Meine Hoffnung wurde durch einige Medienbeiträge in der islamischen Welt beflügelt, die diesmal nicht versuchten, die Wutindustrie anzukurbeln, sondern Besinnung und Zurückhaltung anmahnten. Die ägyptische Wochenzeitung „al-Youm al-Sabea“ fragte sogar in einem kritischen Bericht nach den Sünden der Muslime weltweit, die diese ablehnende Haltung gegenüber dem Islam in Europa verursacht hätten. Sogar die Beiträge eines „Häretikers“ wie mir wurden veröffentlicht. Dort hat die Islamkritik scheinbar Früchte getragen und einen Denkprozess unter Muslimen über die eigenen Versäumnisse ausgelöst.
Europa ist eine feste Burg für Islamversteher
Und in Europa? Zwar wurden einige äußerst seltene islamkritische Beiträge in den Mainstream-Medien veröffentlicht, doch bald hatte sich meine Befürchtung bestätigt: In Europa wird ein Maulkorb schneller gefertigt als jedes Gegenargument.
Allein am 14. Januar veröffentlichten die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) und der Berliner „Tagesspiegel“ zwei Beiträge, die von der gleichen Person hätten stammen können. In dem SZ-Beitrag mit dem Titel „Unsere Hassprediger“ vergleicht Thomas Steinfeld Islamkritiker wie Henryk Broder und Necla Kelek mit den von ihnen kritisierten islamischen Fundamentalisten. Der ganze Text scheint – zumindest im Tenor – eine Kopie des Beitrags von Claudius Seidl in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS) vom 10. Januar zu sein. Dort waren die Hassprediger sogar „heilige Krieger“. Besonders Seidls Schlusswort fand ich amüsant. In Anlehnung an ein Zitat von Voltaire schreibt er: „Ich mag Ihr Kopftuch nicht, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sich kleiden dürfen, wie Sie wollen.“ So resümiert er sein verkürztes Verständnis von Freiheit.
„Kopftuchmärtyrer“ in deutschen Zeitungen
Mit seiner eigenen Logik darf man Seidl eigentlich „Kopftuchmärtyrer“ nennen. Aber sonst würde er sein Leben ganz sicherlich nicht dafür opfern, damit eine muslimische Frau in Deutschland ein selbstbestimmtes Leben jenseits der strengen Moralvorstellung der muslimischen Communities führen kann. Er würde niemals über sie in der FAS einen Artikel schreiben, falls sie vom eigenen Bruder im Namen der Ehre ermordet würde, denn diese „orientalischen Verhältnisse“ sind seines feuilletonistischen Dschihads nicht würdig.
Im „Tagesspiegel“ vom 14. Januar wundert sich Andreas Pflitsch über die scharfe Islamkritik, die aus den muslimischen Reihen kommt, und nennt diese den „kalten Krieg der Aufgeklärten“. Die Beiträge einiger Islamkritiker wie des in den USA lebenden Islamwissenschaftlers Ibn Warraq, der Vorsitzenden des Zentralrats der Ex-Muslime, Mina Ahadi, und des Verfassers dieses Beitrags, sieht Pflitsch als „plumpes Aufwärmen alter Ressentiments“, das mit dem Programm der Aufklärung nicht zu verwechseln sei. Was Herr Pflitsch zwischen den Zeilen sagen wollte, ist meines Erachtens: „Was Kritik und was Aufklärung ist, das bestimmen immer noch wir. Muslime, die sich artikulieren können und das Heft in die Hand nehmen, gibt es nicht und darf es nicht geben, deshalb müssen wir Deutsche dies übernehmen, um Muslime vor sich selbst zu beschützen.“ Nein, danke, Herr Pflitsch, ich heile mich selbst!
Beiträge aus dem Nobelturm des schlechten Gewissens
Solche Beiträge mögen zwar gut gemeint sein, weil sie aus dem Nobelturm einer Kultur des schlechten Gewissens und nicht aus der Praxis stammen. Sie helfen uns aber weder, zu einer ehrlichen Debatte zu gelangen, noch helfen sie Muslimen, aus der eigenen Lethargie herauszukommen. Im Gegenteil, diese Vorwürfe bestätigen die hartnäckigen Verschwörungstheorien und zementieren die Opferhaltung vieler Muslime.
Man mag manche Islamkritik für überzogen oder provokativ halten. Ich persönlich bin nicht mit allem einverstanden, was Frau Kelek und Herr Broder sagen. Doch deren Islamkritik halte ich nicht für das Hauptproblem des Islam, sondern für einen Spiegel dieses Problems. Der Islam hat ein Problem mit sich selbst, mit seinen Ansprüchen und Weltbildern. Und ihm läuft die Zeit davon. Relativismus und Wundenlecken sind da die falschen Rezepte.
Relativismus und Wundenlecken sind da die falschen Rezepte
Ein altägyptisches Sprichwort sagt: „Der wahre Freund bringt mich zum Weinen und weint mit mir. Er ist aber kein Freund, der mich zum Lachen bringt und innerlich über mich lacht.“ Wer Muslime tatsächlich ernst nimmt, muss Islamkritik üben. Wer mit ihnen auf gleicher Augenhöhe reden will, sollte mit ihnen ehrlich sein, statt sie als Menschen mit Mobilitätsstörungen zu behandeln. Schlimm genug ist es, wenn jemand Menschen für Behinderte hält, die keine sind. Noch schlimmer ist es, wenn er anfängt, vor ihnen zu hinken, um eine Behinderung vorzutäuschen, in der Illusion, sich mit ihnen dadurch zu solidarisieren.