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Vereintes Tirol als „Europaregion“ – eine Schimäre

Von REYNKE DE VOS | Niemand fasste die Malaise in treffendere Worte als der Landeskommandant der Südtiroler Schützen: Dass er seit nunmehr hundert Jahren zum italienischen Staat gehöre, sei für den südlichen Teil Tirols negativ. Demgegenüber müsse, wer einen ungetrübten Blick auf die Geschichte werfe, das Positive darin erkennen, dass „wir nicht von italienischen Politikern, italienischer Verwaltung und italienischen Gewohnheiten, die wir uns angeeignet haben, abhängig waren, als Tirol noch eins war“. Major Elmar Thaler nahm die alljährlich  stattfindende Landesgedenkfeier für den Volkshelden Andreas Hofer in Meran zum Anlass, um „überbordende Gesetze, ausufernde Bürokratie, Schikanen gegenüber Betrieben, Beschlagnahme von Autos, nur weil ein ausländisches Kennzeichen drauf ist“, zu kritisieren, denen seine Landsleute unterworfen seien.

Nicht allein das – als unlängst 30 Zentimeter Neuschnee und einige Lawinen den Verkehr über den Brenner lahmgelegt hatten, sodass zwischen Innsbruck und Trient (vice versa) für nahezu 30 Stunden so gut wie nichts mehr ging, habe „jeder, egal ob in Nord- oder Südtirol, dem anderen die Schuld gegeben“, sagte Thaler. Zurecht fragte der ranghöchste Repräsentant des nach wie vor uneingeschränkt für die Tiroler Landeseinheit einstehenden Südtiroler Schützenbundes (SSB), wo denn in dieser winterlichen Notsituation die angeblichen Segnungen der seit einem Vierteljahrhundert in Sonntagsreden vielbeschworenen „Europaregion Tirol“ ihren Niederschlag gefunden hätten. Fehlanzeige – dieses Gebilde existiere lediglich auf dem Papier; es sei bei den Politikern, die stets davon sprächen, noch nicht angekommen, und beim Volk schon gar nicht, resümierte Thaler.

Ein niederschmetternder Befund

Das ist ein niederschmetternder Befund, der von der überwiegenden Mehrheit  aller Tiroler zwischen Kufstein und Salurn sowie aller Welschtiroler (Bewohner des Trentino) zwischen Kronmetz (Mezzocorona) und Borghetto geteilt werden dürfte, sofern diese überhaupt etwas mit diesem Begriff respektive dessen schlagwortartiger Verkürzung „Euregio Tirol“ anzufangen wissen.  Diese Skepsis sieht sich in der Umfrage „Jugend und Politik“ des Südtiroler Statistik-Instituts ASTAT  vom August 2017 bestätigt, welche ergab, dass sich lediglich 17,1 Prozent der Personen im Alter bis zum 30. Lebensjahr  für die „Euregio-Ebene“ interessier(t)en. Dies wiederum  ist Beleg genug dafür, dass besagtes Gebilde  ohne inhaltliche Tiefe ist und offenkundig weit unter dem bleibt, wofür es stehen und was es eigentlich  erbringen soll(te).

Am 1. Januar 1995 war Österreich der Europäischen Union (EU) beigetreten. Damit eröffneten sich neue Chancen und Möglichkeiten in der Südtirol-Politik. Die  Teilhabe am EU-Binnenmarkt sowie der 1997 vollzogene  Beitritt zum Schengener Abkommen beendeten trotz formellen Erhalts der Staatsgrenze zwischen den beiden Tiroler Landesteilen das zuvor gängige Grenzregime, womit die historisch stets als „Schandgrenze“ empfundene Teilungskonsequenz aus der aus dem  italienischen Seitenwechsel im Ersten Weltkrieg erlangten Kriegsbeute in ihrer Wirkung erheblich an Trennschärfe verlor. Wenngleich der institutionelle Abbau der Grenze eine erhebliche Erleichterung des Alltagslebens auf beiden Seiten  sowie eine Intensivierung des grenzüberschreitenden Verkehrs zur Folge hatte, ist das damit von der Politik beidseits des Brenners wie im Mantra  beschworene „Zusammenwachsen“ der Landesteile bisher allenfalls ein frommer Wunsch geblieben.

Zusammenwachsen der Landesteile?

Parallel zu den grundstürzenden Veränderungen, welche nach dem Kollaps des Kommunismus, dem Fall der Mauer in Berlin und der Beseitigung des Drahtverhaus quer durch Europa sowie dem Untergang der Sowjetunion und er Auflösung Jugoslawiens die politische Geographie neu zeichneten, stellte man in den Landtagen Tirols und Vorarlbergs sowie Südtirols und des Trentino Überlegungen an, wie man sich möglichst in institutionalisierter Form zunutze machen könnte, was sich – über die nach dem Pariser Vertrag von 1946 zwischen Österreich und Italien mühsamen errungenen sogenannten Accordino-Vereinbarungen  (geltend für Tirol, Süd- und Welschtirol) hinaus – an „regionaler Subsidiarität“ bot, wie sie schon EG-Europa begrenzt zuließ. Insbesondere der 1992 errichtete Vertrag von Maastricht (aus der EG wurde die EU) schuf mit seinem inkorporierten – aber nie politisch konsequent verwirklichten – Konzept eines „Europas der Regionen“  die Voraussetzungen für das inhaltlich und institutionell nur rudimentär ausgefüllte Projekt der „Euregio Tirol“.

Die Idee dazu  war am 21. Mai 1991 im Rahmen einer gemeinsamen Sitzung der Landtage der österreichischen Bundesländer Tirol und Vorarlberg sowie der beiden (seit De Gasperis Verwässerung des Pariser Vertrags von 1946 im 1. Autonomiestatut 1948  in einer Region zwangsvereinigten)  italienischen Provinzen Südtirol und Trient geboren worden. Obwohl sich Vorarlberg nach der zweiten gemeinsamen Sitzung am 2. Juni 1993 daraus  zurückzog, begannen die entsandten Delegierten, das Konzept sukzessiv weiterzuentwickeln. Im Mittelpunkt stand dabei insbesondere die weitere Ausgestaltung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Dies schlug sich im 1996 vorgestellten Statut über die künftige politische Marschroute sowie die institutionelle Ausgestaltung der Europaregion Tirol nieder.

Rom legt sich quer

Um den von Beginn an vorherrschenden römischen Vorwurf der Sezession zu entkräften, bewegte sich die institutionelle Ausgestaltung strikt innerhalb geltender verfassungsrechtlicher Rahmenbedingungen sowie auf dem völkerrechtlichen Grundsatz des am 21. Mai 1980 getroffenen Madrider Rahmenübereinkommens bezüglich grenzüberschreitender Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften. Zur Vermeidung von Problemen mit der italienischen Regierung nahm man  – zunächst – Abstand von der ursprünglichen Idee, die Europaregion als öffentliche Körperschaft mit eigener finanzieller Ausstattung und Völkerrechtssubjektivität  einzurichten.

Die Initiatoren  erhofften, dass durch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Wirtschaft und Politik nicht nur die wirtschaftliche Prosperität der Regionen, sondern damit auch eine Stärkung des Autonomie- und Föderalismusprinzips auf nationaler und EU-Ebene einhergehen würde.  Und insbesondere in Innsbruck und Bozen verband man mit der Europaregion die Hoffnung, dass die Kooperation nicht nur dem soziokulturellen „Auseinanderdriften“ der Landesteile Einhalt gebieten würde, sondern sogar das Gefühl der gemeinsamen Identität wiederaufleben ließe.  So beriefen sich führende Politiker beider Landesteile verstärkt auf gemeinsame Herkunft sowie Identität und begrüßten zugleich den faktischen Abbau der trennenden „Unrechtsgrenze“ im Rahmen der Europaregion.

„Sezessionismus, Irredentismus, Pangermanismus“

Dies führte sogleich dazu, dass von den damaligen  italienischen Regierungsparteien nicht etwa nur die – aus dem neofaschistischen MSI hervorgegangene – Alleanza Nazionale (AN) unter Fini, sondern auch die von Ministerpräsident Silvio Berlusconi geführte Forza Italia (FI)  immer wieder den reflexartigen Vorwurf des Sezessionismus / Irredentismus erhoben.  Aus anfangs vereinzelten Vorwürfen entwickelte sich ein breiter Proteststurm in Rom, der  1995  in einen handfesten  politischen Konflikt mündete. Auslöser  war die Absicht der drei Europa-Regionisten, ein gemeinsames Verbindungsbüro  in Brüssel einzurichten, um selbständig und überzeugtermaßen effektiver die eigenen regionalen Interessen gegenüber den EU-Institutionen vertreten zu können.  Obwohl Innsbruck ebenso wie Bozen und Trient versicherten, dass man allein föderalistische  Absichten verfolge, da das Büro auf ausschließlicher Grundlage von EU-Rechtsbestimmungen geschaffen werde, geriet insbesondere die Südtiroler Landesregierung ins Kreuzfeuer Roms.

Selbst von höchster Ebene wurden offene Vorwürfe oder gar Drohungen gegenüber der Landesregierung geäußert. So etwa von der Generalstaatsanwaltschaft in Trient, die die Südtiroler der „zunehmenden Staatsfeindlichkeit“ bezichtigte. Auch Staatspräsident Luigi Scalfaro drohte Bozen offen an, etwaige Sezessionsabsichten stellten einen evidenten Verstoß gegen die Verfassung dar und zögen schwerwiegende Konsequenzen nach sich. Im internen Jahresbericht des italienischen Innenministeriums wurde das Verbindungsbüro als „provozierend“ und „subversiv“ eingestuft, und zufolge von Anzeigen mehrerer rechter italienischer Parteien, besonders aus deren  Südtiroler Dependancen, wonach mit der Europaregion die „Zerstörung der Einheit Italiens“ oder „die Rückgliederung Südtirols nach Österreich“ angestrebt werde, wies Ministerpräsident Lamberto Dini die Staatsanwaltschaft in Rom an, den Vorwürfen nachzugehen. Wenngleich selbst  Büros von SVP-Abgeordneten durchsucht wurden, konnten die ermittelnden Staatsanwälte keine Indizien für den Vorwurf des Sezessionismus finden. Schließlich musste der italienische Verfassungsgerichtshof anno 1997 die Rechtmäßigkeit des Büros anerkennen.

Wien verharrt in Passivität

Trotz dieses zwischen 1995 und 1997 das politische Klima zwischen Rom, Trient, Bozen und Innsbruck vergiftenden Konflikts vermied es die österreichische Regierung, zugunsten der Europaregion Tirol  Partei zu ergreifen, sondern verharrte am Ballhausplatz in Passivität.  In internen Aktenvermerken der Regierungen Vranitzky/Mock bzw. Vranitzky/Schüssel wurde  kritisiert, Bozen und Innsbruck hätten  es verabsäumt,  Wien in ausreichendem Maße über das Vorhaben in Kenntnis zu setzen. Außenminister Alois Mock sowie sein Nachfolger Wolfgang Schüssel vermieden es, öffentlich Stellung zu nehmen. Ihre Partei ÖVP befleißigte sich der  Zurückhaltung, wohingegen  Grüne und Teile der in großer Koalition mit der ÖVP verbundenen Kanzlerpartei SPÖ  sogar offen vor angeblichen Gefahren eines Wiedererstarkens des „pangermanistischen Nationalismus“  warnen zu müssen glaubten. Lediglich die FPÖ sowie die Schützenverbände Tirols, Südtirols und Welschtirols  sprachen sich geschlossen und eindeutig zugunsten der Europaregion aus. Die  österreichischen Parteien spielten Italien faktisch  in die Hände, indem Rom das Projekt mit dem Hinweis darauf, dass FPÖ wie Schützen zuvor  offen das Recht auf Selbstbestimmung für Südtirol eingefordert hätten, als „Föderalismusprojekt von Rechtsaußen“ zu stigmatisieren trachtete, das  dem „sezessionistischen Pangermanismus“ diene.

„Aufstand gegen Gleichgültigkeit“

Da es seit der Initiierung eher durch Konflikte mit Rom denn durch signifikante politische Erfolge aufgefallen war, erlangte das Projekt erst mit der  nomenklatorischen Prägung  „Europaregion Tirol Südtirol Trentino” wieder ein wenig Auftrieb, zumal da sich die drei Landesregierungen verstärkt seiner Erweckung aus dem „Dornröschenschlaf” widmeten.  Ziel war die Stärkung der „Achse Innsbruck-Bozen-Trient“ auf kultureller Ebene sowie der  grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in  Politik und Wirtschaft. Im Kulturellen erhoffte man sich, den seit Jahrzehnten doch recht weit fortgeschrittenen Entfremdungsprozess südlich und nördlich des Brenners zu stoppen. Obwohl das postulierte Ziel eines „Aufstands gegen die Gleichgültigkeit“ – am 21. Februar 2009 auf Schloss Tirol begrifflich geprägt  vom damaligen Trentiner Landeshauptmann Lorenzo Dellai  während einer gemeinsamen Sitzung der Landeshauptleute –   an sich nicht neu war, erfuhr es  in Bozen  eine besondere Ausformung. In Anbetracht des Wählerzulaufs  zum oppositionellen  Lager der Selbstbestimmungsbefürworter, welcher sich nicht allein in Wahlerfolgen von Süd-Tiroler Freiheit (STF) und Freiheitlicher Partei Südtirols (FPS)  abzeichnete, wollte man  mit dem Ausbau der Euregio ein alternatives Modell schaffen und möglichst attraktiv machen.  So gaben  insbesondere SVP und Nordtiroler ÖVP vor, mit der Intensivierung der grenzüberschreitenden  Zusammenarbeit  werde die politische Unabhängigkeit der Landesteile gegenüber Rom, Wien und Brüssel gestärkt, was dazu beitrage, dass die Teilung Tirols im „europäischen Geiste“ überwunden werde.

Außenminister Kurz: „Ewiggestrige“

Das Werben mit der politischen „Nord-Süd-Achse“ postulierten die Regierungsparteien  in Bozen (SVP), Innsbruck (ÖVP) und Wien als „einzige realpolitische Alternative“ zur Freistaatslösung, wie sie die oppositionelle FPS vertritt, und zur Wiedervereinigung mit Tirol, mithin der Rückgliederung zu Österreich nach erfolgreicher Ausübung des Selbstbestimmungsrechts, wie sie die ebenfalls oppositionelle STF auf ihre Fahnen geschrieben hat. Zugleich erhoben die Regierungsvertreter gegenüber den Selbstbestimmungsparteien und -befürwortern scharfe Kritik. Diese nannte  der damalige österreichische Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) seinerzeit  „Ewiggestrige“, die  vom „Aufziehen neuer Grenzen“ träumten.  Zugleich verstörten er und seine  ÖVP mit der faktisch die Aufgabe des Selbstbestimmungsverlangens markierenden  (und von der neuen SVP-Führung unter Philipp Achammer sowie Landeshauptmann Arno Kompatscher stillschweigend-freudig  gutgeheißenen)  Position alle patriotischen Kräfte, wonach mit der Südtirol-Autonomie „eine besondere  Form der Selbstbestimmung  verwirklicht“ sei.

Hinsichtlich einer besseren  funktionellen  Zusammenarbeit in der „Euregio“ vereinbarten nunmehr die drei Landesregierungen, die bis dato als „träge“ geltenden Entscheidungsprozesse, wie sie etwa im Rahmen der Dreierlandtage gang und gäbe waren,  durch neue effektivere und stärker institutionalisierte Mechanismen zu ersetzen. Wenngleich die Treffen der Landtage – trotz ihres gemeinsamen Zusammentretens im Zwei-Jahres-Rhythmus – durchaus einen  politischen  Fortschritt darstellten, war durch das dort geltende Einstimmigkeitsprinzip die Entscheidungsfindung  erschwert. Daher vermied man es, im Rahmen dieses Gremiums strikt,  politisch heikle Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Dies wiederum führte dazu, dass die realpolitische Bedeutung der gemeinsamen Landtagssitzungen als sehr gering einzuschätzen war und lediglich einen symbolischen Zweck erfüllte. Daher entschieden sich die Landesregierungen am 15. Oktober 2009 zur Einrichtung  des sogenannten „Europäischen Verbunds territorialer Zusammenarbeit“ (EVTZ), um die Europaregion mit eigener Rechtspersönlichkeit und damit auch größerer politischer  Selbständigkeit auszustatten.

Die „Euregio“ als „EVTZ“

Das Konzept  fußt auf der Verordnung 1082/2006 des Europäischen Parlaments und verfolgt dabei Ziel und Zweck, „[…] regionalen und kommunalen Behörden (und auch nationalen Behörden in kleineren oder zentralisierten Ländern) sowie öffentlichen Unternehmen aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten die Einrichtung von Verbünden mit eigener Rechtspersönlichkeit zur Lieferung gemeinsamer Leistungen“ im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu ermöglichen. Die Gründung der EVTZ  rief zwar neuerlich Einspruch seitens der italienischen Regierung hervor;  der Protest fiel jedoch weitaus „gemäßigter“ aus  als beim ersten Anlauf  (s.o.). So trug  Rom jetzt lediglich „formelle Bedenken“  vor und zeigte sich zudem bereit, über das Projekt am Verhandlungstisch zu diskutieren. Bereits nach  einigen Konsultationen zog sie ihre anfänglichen Vorbehalte  zurück und stimmte schlußendlich zu, sodaß der  Eröffnung des EVTZ-Büros in Bozen nichts mehr im Wege stand.

Die Aufgabenfelder der Europaregion à la EVTZ sollten nunmehr  eine umfassende politische, wirtschaftliche und soziale Bandbreite  abdecken.  Dies führte allerdings bereits nach kurzer Zeit zu  Bedenken. So befürchtete man sogar in den jeweiligen Landesregierungen,  man könne sich dabei, wie schon einmal,  politisch übernehmen. Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher, sonst eher ein glühender EVTZ-Akteur, befand sogar zu Beginn seiner Amtszeit 2014 nüchtern, dass es der Europaregion –  mit Ausnahme des im Bau befindlichen Brenner-Basistunnels –  an großen „politischen Leuchtturmprojekten“ fehle und mahnte,  die EVTZ dürfe „nicht wieder nur  zu einem Schlagwortprojekt“ verkommen.  Daher stufte die Südtiroler Landesregierung die EVTZ  als „Projekt herausgehobener politischer Priorität” ein und stellte dafür zusätzliche Mittel bereit.

Nationalstaatliche Interessen

Nichtsdestotrotz  bleibt  abzuwarten, welche  Entwicklung die Euregio Tirol-Südtirol-Trentino in Zukunft tatsächlich nimmt, und es muß sich auch erst noch herausstellen, ob damit tatsächlich das Wiederzusammenwachsen der seit hundert Jahren getrennten Landesteile begünstigt werden  kann. Skepsis ist angesichts des eingangs (mit Bezug auf das winterlich bedingte Verkehrschaos) geschilderten  Zuständigkeitsproblems  schon im Kleinen angebracht. Und wenn es um größere Bedürfnisse geht, welche nationalstaatliche Interessen unmittelbar berühren, bleibt von der hehren Euregio wenig mehr als ein matter Schein.

Das zeigte sich 2016 in aller Deutlichkeit, als Österreich im Zuge der sogenannten „Flüchtlingskrise”, die infolge  politischen Fehlverhaltens und selbstzerstörerischer Willkommens-Signale  in Wahrheit einer Masseninvasion überwiegend junger Männer aus zuvorderst muslimisch geprägten nah- und fernöstlichen sowie afrikanischen Ländern glich, ernstlich erwog,  nach der vom damaligen Außenminister Kurz maßgeblich zustande gebrachten Unterbindung des Zustroms über die Balkan-Route  auch  jenen über die stark frequentierte  Italien-Route durch Wiedereinführung von (auch mit militärischen Mitteln unterstützten)  Brenner-Kontrollen  zu stoppen. Was jedoch  unterbleiben konnte, da sich Rom tatsächlich zur Abkehr von zuvor  eher laxem  „Durchwinke”-Verhalten bequemte.  Und seit dem mit der vorgezogenen Parlamentswahl 2018 vollzogenen  Machtwechsel hin zu der von der Fünf-Sterne-Bewegung und Lega Nord gebildeten Regierung betreibt Rom – eben im nationalen Interesse des vom einstigen königlichen Regierungschef Antonio Salandra 1915 beim Kriegseintritt  Italiens auf der Seite der Entente-Mächte Frankreich und Großbritannien geprägten  Prinzips des „Sacro egoismo” – neben den Visegrad-Vier Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen die weitaus strengste  Flüchtlings(abweisungs)politik im Rahmen der EU.

Institutionell funktionierende „Euregios”, jeweils ausgestattet  mit politischer Selbstverwaltung, Regionalparlament und -regierung, welche  tatsächlich die  vielen ursächlich von der ohne Beachtung der historisch-kulturellen Identität und Volkszusammengehörigkeit  sowie der Verweigerung   des  Selbstbestimmungsrechts  gezogenen) Grenzen  verschwinden ließen und damit auch  die dadurch erst entstandenen und bis heute fortwirkenden Probleme nationaler Minderheiten auf einen Schlag beseitigten, würden wohl nur durch Aufhebung des Nationalstaatsprinzips und demzufolge mit der herbeizuführenden Metamorphose   der Nationalstaaten  zu  einer wirklich politischen EUnion möglich. Deren Parlament müsste sich aus gewählten  Abgeordneten aller Europaregionen konstituieren und  aus dessen Mitte die EU-Regierung hervorgehen.  Derartigen  Träumen, wie sie vielleicht  in den 1990er  Jahren  von einigen  in der Minderheiten- und Volksgruppenpolitik Engagierten   geträumt worden sein mochten, stehen Entwicklung, Zustand und Lage, in der/dem sich EUropa befindet, diametral entgegen.  Es dominieren nationalstaatliche Interessen, um nicht zu sagen Egoismen, und es gewinnen auf Loslösung und Eigenstaatlichkeit bedachte Fliehkräfte – just auch innerhalb der  Nationalstaaten (beispielsweise in Spanien, Italien, Belgien, Großbritannien) – ebenso an Attraktivität wie politisches Handeln in nationalstaatlicher Fasson.

Landeseinheit durch Euregio – ein Wunschbild

Wider den in der Europa-Frage gleichsam  missionarisch  agierenden österreichischen Schriftsteller Menasse ruft der  türkisch-deutsche Literat Zafer Senocak ernüchternd den „Abschied vom Fetisch eines politisch vereinten Europa” aus und stellt fest, Europas Zukunft könne nur in der wertgebundenen Zusammenarbeit souveräner Nationalstaaten liegen. Wie diese „wertgebundene Zusammenarbeit“ in Bezug auf die Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino funktioniert, geht aus dem auf den einleitend erwähnten Meraner Andreas-Hofer-Feierlichkeiten getroffenen  Befund des Schützen-Kommandanten Elmar Thaler  hervor. Dem stellte der in Mailand angesiedelte österreichische Generalkonsul  Wolfgang  Spadinger im Beisein von Schützenformationen aus besagter Euregio auf der Gedenkfeier in Mantua am Denkmal des dort vor 209 Jahren  füsilierten Tiroler Volkshelden entgegen, Andreas Hofer sei ein „früher Vertreter der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino“ gewesen, die heute gut funktioniere. Wie dem auch sei – unter dem Aspekt der Aufhebung der Teilung des Landes und  des nach wie vor nicht aus den Augen zu verlierenden Ziels des Wiedergewinnens seiner Einheit reicht sie kaum über die Wunschbildkontur einer Schimäre hinaus.

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Heimat 2.0

geschrieben von PI am in Deutschland,Österreich | 139 Kommentare

Von DR. MARCUS FRANZ | Der Begriff Heimat hat in der letzten Zeit eine neue und positive Aufladung erfahren. Träumte man noch vor wenigen Jahren von der grenzenlosen Globalisierung, vom Global Village und von der Internationalisierung von allem und jedem, so ist man nun draufgekommen, dass die Heimat bei weitem nicht so schlecht ist wie es ihr Ruf sehr lange Zeit war.

Kein guter Ruf

In den 30er-Jahren bemächtigten sich die braunen Horden des Begriffes Heimat und verpassten ihm ein rassistisches Image. Nach der Katastrophe des Dritten Reichs erfuhr die Heimat in zahllosen Heimat-Filmen und im Wiederaufbau zwar eine positive Neubewertung – aber nur, um von den 68ern und den danach in großer Zahl auftretenden Vergangenheitsbewältigern und allen anderen linken Progressiven in einem selbstgestrickten und medial bis heute gerne verbreiteten Moralismus wieder verdammt zu werden.

Man traute sich lange Zeit nur noch in den oft scheel betrachteten Kultur-, Trachten- und Schützenvereinen von der Heimat zu reden. Dieselbe gar zu loben, war über Jahrzehnte höchstens im Sport oder bei großen offiziellen Anlässen erlaubt – etwa, wenn man die naturgemäß heimatbezogene Bundeshymne mitsang. Ansonsten klang „Heimat“ irgendwie verdächtig und die Modernisten schauten einen gleich ganz misstrauisch an, wenn man von der Heimat sprach.

Unbeirrt und heimatverbunden

Dieser konstruierte Verdacht, der ausschließlich den Zweck hatte, die bürgerlich-rechte Weltanschauung politisch zu diffamieren, legte sich wie Mehltau über die Lande und nur mutige und und bodenständige Charaktere blieben davon unbeirrt. Auch in konservativen Kreisen bemühte man sich aus lauter Angst, als „ewiggestrig“ zu gelten, sehr oft, die Heimat nur noch als Folklore erscheinen zu lassen. Klare Bekenntnisse zur deutschsprachigen Kultur, zur jahrtausendealten und prägenden eigenen Geschichte und zur Wichtigkeit des Heimatbegriffs wurden gern vermieden. Rechts-Intellektuelle, die den Mut hatten, sich positiv zu einem autochthonen Kulturbegriff und zur Heimat zu äußern, wurden stets von der linken Medien-Schickeria niedergemacht oder gleich mit der Nazi-Keule traktiert.

Heimat, reloaded

Das alles ist nun anders geworden. Das Volk hat genug vom endlos oktroyierten anti-heimatlichen Getue und es wendet sich vom öffentlichen Lechzen nach grenzenloser Internationalität immer mehr ab. Die Massenmigration hat jene natürlichen und gesunden Selbstschutz-Reflexe aktiviert, die zum Heimatbegriff dazugehören und die für ein Bestehen der eigenen Kultur und der eigenen Nation notwendig sind.

Die Erklärung, warum die „Heimat“ so eine essenzielle Wichtigkeit besitzt, findet man in einer medizinischen Analogie:  Die Heimat und ihre rechtlichen Erscheinungsformen namens Nationen, Staaten und Länder bilden eine Art Immunsystem. Die Grenzen der Nationen sind die sichtbaren Erkennungszonen, an denen Freund und Feind unterschieden werden.

Das Fremde und das Eigene

Die jeweiligen Kulturräume bieten den dort lebenden Menschen den Platz, um ihre Identität und Charakteristik zu entwickeln und zu entfalten. Ein Kulturraum kann aus historischen Gründen durchaus über seine Staatsgrenzen hinausgehen (wie etwa zwischen Österreich und Deutschland oder Südtirol), aber er wird immer eine ausgeprägte Homogenität besitzen. Ein Angehöriger einer fremden Kultur, der in Bayern oder in der Schweiz erkennbar fremd ist, wird aus ähnlichen Gründen auch in Wien oder in Bozen als fremd betrachtet werden. Es ist daher absolut gerechtfertigt und objektiv belegbar, von einer deutschen oder zumindest deutschsprachigen Kultur zu reden.

Die Natur, die Nation und den Kulturraum verbindet das immunologische Kriterium, dass alles Fremde als fremd erkannt wird. Das ist sowohl für einen Organismus wie auch für einen Staat respektive eine Kultur überlebenswichtig. Ohne diese Fähigkeit stirbt der Organismus und genauso geht es der Kultur. Das heisst nicht, dass alles Fremde immer auch ein Feind ist, sondern es geht genau um die Unterscheidungskompetenz, beides zu erkennen und auseinander zu halten. Immunsysteme, Nationen und Kulturen müssen fähig sein, möglichst rasch und eindeutig herauszufinden, was ihnen nützt, was ihnen egal sein kann und was ihnen schadet oder sie sogar vital bedroht.

Immunologische Vorgänge 

Die hochkomplexen Immunsysteme haben für diese Zwecke die Abwehrzellen und die Antikörper entwickelt. Die Nationen und Kulturen stellen aus denselben Gründen Legislative, Judikatur und Exekutive bereit. Der innere und äußere Schutz der Heimat ist letztlich genauso wichtig wie der immunologische Schutz des Individuums. Es gibt daher keine Kultur und keinen Staat auf der Welt, die nicht irgendeine Form von Abwehrkraft ihr eigen nennen. Ähnlich entwickelte Kulturen und Staaten können in diesen Fragen auch durchaus kooperieren. Die EU versucht dies, hat aber bis jetzt keine geeignete gemeinsame Immunantwort entwickeln können. Bis diese überlebenswichtige Antwort gefunden ist, müssen die einzelnen Organismen (Nationen) in Wirklichkeit also auf eigene Faust ihr Schicksal meistern.

Heimat ist ein Auftrag

Der Begriff „Heimat“ vermittelt nicht nur ein gewissermaßen archaisch bedingtes, angenehmes und vertrautes Gefühl, sondern die Heimat beinhaltet immer auch einen Auftrag zur geradezu essenziell notwendigen Existenzsicherung ihrer selbst. Das führt uns zu der Frage, warum internationalistisch agierende und gesinnungsethisch denkende Linke in allen Lagern die Heimat demontieren wollen. Was ist der Beweggrund, einer „No Border“-Philosophie anzuhängen und die Verschmelzung der Nationen und Kulturen anzustreben, wenn die eigene Heimat und Kultur doch die Seins-Bedingungen des Individuums und des Volkes sind?

Die Antwort ist simpel: Das entwurzelte und in einer post-marxistisch inspirierten Einheitskultur frei flottierende Individuum ist für die staatlichen Apparate und Machthaber am besten steuerbar. Der zynisch „frei“ genannte, aber einfach nur völlig bindungslose Mensch im anonymen Großkollektiv ist das Endprodukt eines linken (Alp-)Traums, der manchen Menschen noch immer als das Paradies auf Erden erscheint.


(Im Original erschienen auf thedailyfranz.at [1])

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Südtirol: Freiheitskämpfer versus Terroristen

geschrieben von dago15 am in Österreich | 65 Kommentare

Von REYNKE DE VOS | Kurz vor Weihnachten 2018 richteten die Kinder Heinrich Oberleiters, eines in Nordbayern lebenden Südtiroler Freiheitskämpfers der 1960 Jahre, über einen Anwalt ein Gnadengesuch für ihren Vater an den italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella.  Oberleiter ist 77 Jahre alt und einer der „Pusterer Buben“ (im Dialekt „Puschtra Buim“). Die Selbstbezeichnung der Gruppe steht für vier legendäre Aktivisten des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS), der in Wort und Tat für die den Landesbewohnern 1918/19 sowie 1945/46 verweigerte Selbstbestimmung eintrat. Oberleiter gehört, wie Sepp Forer und Siegfried Steger, die, wie ihr bereits verstorbener Kamerad Heinrich Oberlechner, nach der berühmten „Feuernacht“ 1961 nach Österreich entkommen konnten, als der BAS, um die Weltöffentlichkeit auf das Südtirol-Problem aufmerksam zu machen, rund um Bozen zahlreiche Strommasten gesprengt hatte. In Italien wurden sie, wie die meisten ihrer mehr als 100 festgenommenen BAS-Kameraden, in Abwesenheit zu langjährigen Haftstrafen verurteilt und gelten – nicht nur dort –  nach wie vor als Terroristen.

Dies zeigte sich jüngst daran, dass  nach Überstellung des einstigen Kopfes der linksextremistischen Organisation „Bewaffnete Proletarier für den Kommunismus“ (Proletari Armati per il Comunismo, PAC)  Cesare Battisti von Bolivien nach Italien der Abgeordnete Luca De Carlo an Mattarella appellierte, er möge die Begnadigung verweigern und stattdessen „Druck auf die Regierung in Wien zur Auslieferung all jener ehemaligen Südtiroler Terroristen ausüben, die sich für Verbrechen verantwortlich gemacht und in Österreich Zuflucht gefunden“ hätten. De Carlo gehört, wie 16 Kammerabgeordnete und 7 Senatoren, den „Brüdern Italiens“ (Fratelli d’Italia; FdI) an, einer neo-faschistischen Partei,  die sich in der Hervorkehrung ihrer an Mussolini gemahnenden Propaganda von der „ewigen Italianità“ (Südtirols) vielleicht nur noch von der im Bozner Kommunalparlament vertretenen „Casa Pound“-Partei übertreffen lässt. In beide Parlamentskammern konnten  FdI-Mandatsträger im März 2018 einziehen, da ihre Partei Teil des Mitte-rechts-Wahlbündnisses um Silvio Berlusconis Forza Italia (FI) und Matteo Salvinis Lega Nord (LN) war.

Salvinis Bozner Statthalter Massimo Bessone hat zwar sogleich klargelegt, dass sich die LN – im Landtag ist sie seit Januar 2019 Koalitionspartner der Südtiroler Volkspartei (SVP) – keinesfalls das Verlangen der FdI zueigen machen werde. Dennoch muss man bis zum Beweis des Gegenteils festhalten, dass sich, egal wer in Rom regiert(e), Italiens Betrachtungsweise um keinen Deut verändert(e), wonach es sich bei BAS-Kämpfern wie bei den anarcho-marxistischen Gruppierungen und linksextremistischen Organisationen  – PAC, Lotta Continua („Der Kampf geht weiter“), Potere Operaio („Arbeiter-Macht“), Nuclei Armati Proletari (NAP; „Bewaffnete Proletarische Zellen“) sowie den streng marxistisch-leninistischen Brigate Rosse („Roten Brigaden“, BR) und zahlreichen Splittergruppen ebenso um Terroristen handele wie bei der rechtsextremistischen Ordine Nuovo (ON; „Neue Ordnung) und der Avanguardia Nazionale („Nationalen Avantgarde) mitsamt Ablegern wie etwa den Nuclei Armati Rivoluzionari („Bewaffneten Revolutionären Zellen“).

Gleichmacherische Betrachtungsweise

Die gleichmacherische Betrachtungsweise beschränkt sich leider nicht auf Italien. Doch wer sie betreibt oder ihr unhinterfragt folgt, übersieht oder negiert die prinzipiellen Unterschiede nach Zielsetzung, Gewaltpotential und -ausmaß. Während sich sowohl die genannten links-, als auch die rechtsextremistischen Gruppen die Beseitigung der demokratischen Ordnung in Italien mittels bewaffneten Kampfes  bzw. Putschens und deren Ersatz durch eine Diktatur des Proletariats bzw. ein autoritäres (Militär-)Regime zum Ziel setzten, strebte der BAS nie den gesellschaftlichen Umsturz oder anti-demokratische Verhältnisse an. Der BAS verlangte vielmehr die zweimal verweigerte Selbstbestimmung der Südtiroler, zumindest aber die Einlösung der von Italien 1946 vertraglich zugesicherten, aber verwässerten Autonomie. Und kämpfte in Wort und Tat gegen Entrechtung und Entnationalisierung, d.h. gegen die auch vom „demokratischen“ Italien praktizierte Zurücksetzung ihrer Landsleute sowie die massive Ansiedlung von Italienern zum Zwecke der Umstülpung der ethnisch-kulturellen Verhältnisse. Die der existentiellen Notlage ihrer von Italien wie ein Kolonialvolk gehaltenen Landsleute geschuldeten Gewalttaten, zunächst das Sprengen von Strommasten wie in der legendären „Feuernacht“ 1961, richteten die BAS-Aktivisten ausschließlich gegen Sachen, nicht gegen Menschen. Hingegen machten links- wie rechtsextremistische Gruppen dabei keine Unterschiede. So gingen beispielsweise allein auf das Konto der Rotbrigadisten 73 Mordanschläge und zahlreiche Entführungen sowie Banküberfälle. Der Bombenanschlag von Rechtsextremisten auf der Piazza Fontana in Mailand forderte 14 Todesopfer, und bei jenem  auf den Hauptbahnhof von Bologna 1980 waren 85 Personen getötet und mehr als doppelt so viele verletzt worden.

„Inneritalienische Manipulation“

Die meisten der nach der „Feuernacht“ verhafteten  BAS-Kämpfer haben, sofern sie Folter und Haft überlebten, ihre Strafen verbüßt. Die entkommenen, wie die „Pusterer Buben“, können  seit gut 50 Jahren wegen der (in Abwesenheit von italienischen Gerichten)  gegen sie ergangenen Urteile nicht wieder in ihre Südtiroler Heimat zurück. Es ist menschlich allzu verständlich, dass Oberleiters Kinder um Begnadigung für ihren Vater bitten, der 2016 indes mit den Worten zitiert worden war, „ein Gnadengesuch bei Italiens Staatspräsident kommt für mich nicht infrage, da ich mich nicht im Unrecht sehe und der Meinung bin und schon immer war, dass man mit Aufrechtgehen weiter kommt als mit Kriechen.“ Ebenso verständlich ist aber auch, dass Sepp Forer und Siegfried Steger ein Gnadengesuch  für sich mit der Begründung ausschließen, damit  sei eine – von ihnen strikt abgelehnte – Schuldanerkenntnis verbunden. Und absolut nachvollziehbar ist die vom Sprecher der „Kameradschaft ehemaliger Südtiroler Freiheitskämpfer“ eingenommene Position:  Univ.-Prof. i.R. Dr. med. Erhard Hartung lehnt für sich und seinen Fall einen derartigen Schritt  mit der ebenso stichhaltigen Begründung ab, er habe die ihm – er war damals junger Arzt – im Zusammenhang mit dem  „Attentat auf der Porzescharte“ (1967) zur Last gelegte Tat  ebensowenig begangen wie seine Mitstreiter Egon Kufner – damals Unteroffizier des österreichischen Bundesheeres – und (der 2015 verstorbene, damalige Elektriker) Peter Kienesberger.

Der (Militär-)Historiker Oberst Dr. Hubert Speckner hat in seiner auf gründlichster Auswertung bisher verschlossener oder unbeachtet gebliebener Akten fußenden voluminösen Publikation „Zwischen Porze und Roßkarspitz… Der ,Vorfall‘ vom 25. Juni 1967 in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten. Mit einem Beitrag von Reinhard Olt und einem Vorwort von Michael Gehler“, Wien (Verlag Gra&Wis) 2013, schlüssig nachgewiesen, dass sich der Vorfall in der Nacht vom 24. / 25. Juni 1967 an besagtem (Grenz-)Übergang von Osttirol zur italienischen Provinz Belluno keinesfalls so ereignete wie ihn Italien darstellte (und Österreich politisch – nicht juristisch – schluckte). Vielmehr konnte sich dort nur abgespielt haben,  was der damalige österreichische Justizminister Hans Richard Klecatsky seinerzeit schon eine „rein inneritalienische Manipulation“ genannt hatte. Was aber Bundeskanzler Josef Klaus (ÖVP) weder in der Substanz noch in der Konsequenz aufgriff, sondern wider besseres Wissen ignorierte und aus (mutmaßlich vorgeblichem) „Staats-Interesse“ negierte.

So ist erwiesen, dass unmittelbar nach den von italienischen Stellen verbreiteten „Attentats“-Meldungen der Osttiroler Bezirkshauptmann Dr. Othmar Doblander sowie der ihn begleitende Bezirksgendarmeriekommandant Josef Scherer am Ort des angeblichen Geschehens waren. Doblander hielt in seinem Bericht an Hofrat Dr. Max Stocker, den Tiroler Sicherheitsdirektor, fest, dass er „mit Sicherheit auf der Porzescharte keine Minenfallen vorgefunden“ habe, die

italienische Soldaten getötet haben sollten. Dies teilte Stocker am 28. Juni auch dem Ministerialrat Dr. Franz Häusler vom staatspolizeilichen Dienst im Wiener Innenministerium mit. Die erst neun Tage nach dem Geschehen auf der Porzescharte zur Inspizierung eingesetzte gemischte italienisch-österreichische Untersuchungskommission fand indes den somit mehr als eine Woche ungesicherten „Tatort“  gänzlich anders vor als von Doblander beschrieben, woraus kein anderer Schluss zulässig sein kann, als dass er in der Zwischenzeit manipulativ verändert worden sein musste.

Spreng(stoff)technische Expertisen untermauern historische Forschungsergebnisse

Hartung ist es verständlicherweise um seine völlige Rehabilitation zu tun.  Nach Jahrzehnten des gegen ihn ergangenen (Fehl-)Urteils und demzufolge auch der Fernhaltung von  Wurzeln und Wirkungsstätte medizinisch-homöopathisch bedeutender familiärer Vorfahren – diese betrieben in Riva [2] am (vor dem Ersten Weltkrieg österreichischen) Gardasee ein von der Crème der  Gesellschaft sowie den Größen der europäischen Literatur gerühmtes Sanatorium  – wollte er  Speckners grundstürzenden (militär)historische Forschungserträge zusätzlich von  Spreng(stoff)experten abgesichert wissen. Die drei der von Hartungs eingeschalteter Wiener Kanzlei Grama Schwaighofer Vondrak Rechtsanwälte GmbH  unabhängig voneinander beauftragten Sachverständigen untermauern denn auch in ihren Privatgutachten mittels naturwissenschaftlich-technischer Expertisen Speckners Untersuchungsergebnisse:

Welche Schlüsse sind aus alldem zu ziehen? Das Unrechtsurteil von Florenz (1971) ist zu annullieren. Mit den Untersuchungsergebnissen Speckners sowie den vorliegenden Gutachten dürften genügend neue Beweismittel vorliegen, um gegebenenfalls sogar eine dazu erforderliche Verfahrenswiederaufnahme zu begründen. Und nicht zuletzt sind die trotz  Freispruchs in Österreich bis zur Stunde mit dem Makel der Porze-Täterschaft behafteten Personen höchstamtlich und überdies öffentlichkeitsvernehmlich zu rehabilitieren.

Schluss mit der Diskreditierung des Freiheitskampfs

Speckner hatte in einer weiteren opulenten Publikation „Von der ,Feuernacht‘ zur ,Porzescharte‘. Das ,Südtirolproblem‘ der 1960er Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten, Wien (Verlag Gra&Wis) 2016  insgesamt 48 andere „Attentate“ bzw. „Anschläge“ einer gründlichen Analyse unterzogen. Dabei erwies sich, dass die meisten entweder überhaupt nicht (so) stattfanden (wie von Italien dargestellt) oder unter „falscher Flagge“ verübt wurden, um den BAS dafür verantwortlich zu machen, seine Aktivisten als Terroristen zu verunglimpfen und damit den Südtiroler Freiheitskampf insgesamt zu diskreditieren. Andere Vorfälle dieser Art erwiesen sich schlicht als Unfälle.

Es ist daher dringend und zwingend geboten, die zentralen amtlichen italienischen Darstellungen zum damaligen Geschehen als das zu begreifen, was sie sind, nämlich Manipulationen und als solche Geschichtsfälschung. Italien, das dafür die Hauptverantwortung trägt, hat in den letzten Jahren unzählige Schwerverbrecher und linke wie rechte ideologisch-terroristische Gesinnungstäter begnadigt. Seinem jetzigen Staatsoberhaupt Sergio Mattarella stünde es daher gut an, nicht allein die Begnadigung Heinrich Oberleiters als Akt der Menschlichkeit zu verfügen. Sondern es wäre längst an der Zeit, dass der 12. Präsident der Republik Italien hinsichtlich all jener verbliebenen BAS-Leute, die schon seit mehr als 50 Jahren  außerhalb ihrer Heimat zubringen müssen,  fortgeschrittenen Alters sind und für niemanden eine Gefahr darstellen,  einen sauberen Schlussstrich zieht.

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Politisch korrektes Schweigen – rund um (Süd-)Tirol

geschrieben von PI am in Italien,Political Correctness,Österreich | 60 Kommentare

Von REYNKE DE VOS | Nicht alles Übel kommt aus den USA, aber viele gesellschaftliche Erscheinungen schwapp(t)en von dort zu uns West- und Mitteleuropäern herüber. „Political Correctness“ („politische Korrektheit“; des Weiteren abgekürzt „PC“) bestimmt seit geraumer Zeit Politik sowie Medien und schränkt – von der Bevölkerung kaum  wahrgenommen oder bequemlichkeitshalber ausgeblendet respektive  ignoriert – unser Dasein, vor allem unser Denken und Fühlen  ein.  PC formt mehr und mehr  den öffentlichen Diskurs, bemächtigt sich Forschung und Lehre an Hochschulen sowie des Unterrichts in  pädagogischen Einrichtungen und wirkt sich selbst auf  privates Verhalten aus.

Unsere Wahrnehmung wird zusehends bestimmt von stromlinienförmig ausgerichteten Hauptstrom-Medien, deren Wirkmacht umso größer ist, je besser es ihnen gelingt, Rezipienten (Zuschauer, Zuhörer, Leser) nicht nur Information zu übermittelt, sondern ihnen auch sofort zu zeigen, was/wie diese darüber zu denken haben. Damit ist jedweder Meinungspluralismus ad absurdum geführt, und die systemimmanente Gleichförmigkeit trägt à la longue Züge des Totalitären. Vertreter  unerwünschter Meinungen mundtot zu machen, ist mit das Schlimmste, was in einem demokratischen Gemeinwesen geschehen kann, zu dem Meinungs- und Pressefreiheit  de jure gehören, de facto indes durch PC wenn nicht bereits ausgehebelt, so doch zumindest eingeschränkt sind.

Ignoranz und/oder Verschweigen

Zu den zerstörerischen Wirkungen politischer Korrektheit zählt das Ignorieren respektive gänzliche Verschweigen von Sachverhalten, Ereignissen und (nicht nur neuen) Forschungsergebnissen. Dies insbesondere dann, wenn die akribische Auswertung und sorgfältige Analyse von ans Licht geholten Fakten, die bisher im Dunkel verblieben waren, oder die Neubeleuchtung von  Fakten  „Erkenntnisse“ grundlegend zu erschüttern vermögen, auf denen bis dato für sakrosankt erachtete, historiographisch und/oder politisch festgeschriebene sowie massenmedial verbreitete „Wahrheiten“ und/oder Meinungen respektive „Überzeugungen“ beruh(t)en. Dies lässt sich bei der Betrachtung jüngerer Vorgänge, in deren Mittelpunkt Geschichte, Politik, Wissenschaft und Publizistik stehen, an einem besonderen Beispiel auf geradezu bedrückende Weise aufzeigen.

Alljährlich gedenkt man am 8. Dezember im südlichen Landesteil Tirols, nämlich in St. Pauls (Gemeinde Eppan), der Freiheitskämpfer der 1950er und 1960er Jahre. Eigentlicher Anlass ist der Tod des an den Folgen von italienischer Folter und Haft am 7. Dezember 1964 verstorbenen Gründers des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS), Sepp Kerschbaumer. Gedacht wird zudem seiner Mitstreiter Kurt Welser, Jörg Klotz, Toni Gostner, Franz Höfler und Luis Amplatz, die wie er für die Freiheit ihrer Heimat ihr Leben ließen.

Die Genannten konnten sich seinerzeit guten Gewissens auf eine fundamentale  Sentenz berufen und davon leiten lassen, welche konditioniert die strikte Aufforderung zur Tat verlangt: „Wenn Unrecht Recht wird, wird Widerstand  Pflicht!“ Dieser wuchtige Satz entstammt der Enzyklika „Sapientiae Christianae“ („Christliche Weisheiten“) von Leo XIII. und ist die Kurzform der darin enthaltenen längeren päpstlichen Aussage vom 10. Januar 1890 darüber, dass Gesetze eines Staates im Widerspruch  zum (göttlichen und weltlichen)  Recht stehen können. In derselben Tradition – und vor dem Hintergrund der deutschen, der österreichischen und damit auch der Tiroler Geschichte – wird just auch der 1946 formulierte Lehrsatz des Gustav Radbruch schlagend:  „Wo das gesetzte Recht dazu benutzt wird, menschenverachtendes Unrecht auszuüben, wird der Widerstand für Jedermann zur Pflicht!“ Und Franz Klüber, einst Professor für katholische Soziallehre in Regensburg, hatte  in seiner aufschlussreichen, nach wie vor empfehlenswerten, 1963 erschienenen Schrift „Moraltheologische und rechtliche Beurteilung aktiven Widerstandes im Kampf um Südtirol“ ausdrücklich festgehalten, dass gegen eine als Unrechtssystem empfundene Ordnung oder Herrschaft Widerstand zu leisten nicht nur theologisch, sondern just auch juristisch begründet sei.

Wer wollte bestreiten, dass Italien gegenüber Südtirol(ern) nicht nur während der  Herrschaft von Mussolinis Schwarzhemden Unrecht für Recht setzte, sondern auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs faschistisches (Un-)Recht im „demokratischen Gewande“ des nunmehr republikanischen Staates beibehielt, nämlich den bis in unsere Tage partiell als Teil seines Strafrechts geltenden Codice Rocco? Damals wurde die darin enthaltene Bestimmung „Verbrechen gegen die Einheit des Staates“  gegenüber den  Südtiroler Freiheitskämpfern angewendet, heute bietet ihn die Staatsanwaltschaft bisweilen auf, wenn Austro-Patrioten an Eisack und Etsch Plakate mit der Aufschrift „Südtirol ist nicht Italien“ mit sich führen oder Angehörige der Liga Vèneta zwischen Gardasee und dem Golf von Venedig für die Eigenständigkeit Venetiens respektive dessen Loslösung von Italien demonstrieren. Allenfalls wenn die römische Staatsmacht eingreift sowie „Rädelsführer“ festsetzt und ihnen den Prozess macht, wird in den herkömmlichen Medien darüber berichtet und – wenn überhaupt dann politisch korrekt – wider „den Ungeist des Separatismus“ kommentiert. Ansonsten herrscht Schweigen.

Stereotypie und sakrosankte Zuschreibung

In Anbetracht der römischen Politik gegenüber den Tirolern deutscher und ladinischer Zunge zwischen Brenner und Salurner Klause sowohl in der Zwischenkriegszeit, als auch  insbesondere zwischen 1945 und dem leidvoll erkämpften und verhandelten Autonomie(paket) 1969/1972  müssen die Aktionen der Südtiroler Freiheitskämpfer als sittlich, moralisch und juristisch gerechtfertigte Widerstandshandlungen gewertet werden. Hierbei ist Wert zu legen auf die Feststellung  „aller Freiheitskämpfer“. Politisch, publizistisch und historiographisch wurden und werden nämlich Anlage und Wirkung ihrer Handlungen und Taten in Zweifel gezogen. Bis heute gilt in Politik wie Publizistik und nicht zuletzt in den Wissenschaftsdisziplinen Zeitgeschichte und Politologie die/das von Italien propagandistisch wider die BAS-Kämpfer gerichtete und verbreitete Stigmatisierung/Urteil als „Attentäter“ und „Terroristen“; und nicht nur die österreichische, sondern weithin auch die deutsche und europäische veröffentlichte Meinung folgt(e), von Hauptstrom-Politik, Hauptstrom-Medien sowie Hauptstrom-Wissenschaft und Hauptstrom-Lehre politisch korrekt instruiert, dieser stereotypen, ja sakrosankten Zuschreibung.

Zudem haben Wissenschaft, Politik und Medien den Südtiroler  Freiheitskampf einer nützlichen Segregation unterzogen, haben  Akteure und Aktivitäten säuberlich nach Zweckdienlichkeit für die politische, wissenschaftliche und publizistische Betrachtung unterteilt:

Förmliche Rehabilitation – Österreichs Verpflichtung

Dem steht entgegen, was der  (Militär-)Historiker Hubert Speckner mittels Auswertung bisher von niemandem eingesehener Akten des Österreichischen Staatsarchivs in jahrelanger Forschung nachgewiesen hat, nämlich:

Niemand in Bozen, Innsbruck und Wien rührte bisher einen Finger zur Rehabilitierung der zu Unrecht der Tat bezichtigten und in Italien unter widrigsten, von deutschen und österreichischen Höchstgerichten für menschen- und verfahrensrechtswidrig erklärten Umständen zu hohen Haftstrafen verurteilten Freiheitskämpfer Univ.-Prof. Dr. med. Erhard Hartung und Egon Kufner (sowie den 2015 verstorbenen Peter Kienesberger). Diese Urteile, die man aufgrund der Erkenntnisse Speckners  Schandurteile nennen muss, gehörten zwingend aufgehoben. Und es wäre Pflicht Österreichs, gegenüber Italien auf juristischem wie politisch-diplomatischem Wege just dafür zu sorgen. Die Republik Österreich und die Medien, zumindest die öffentlich-rechtlichen sowie alle gedruckten Organe, die für sich den Anspruch der Seriosität erheben, ihn diesbezüglich aber nicht einlösen, hätten zudem darauf hinzuwirken, dass die Genannten  fortan nicht  länger  „Attentäter“, „Terroristen“ und „Mörder“ genannt werden dürften.

In einer weiteren umfänglichen Studie  „Von der ,Feuernacht‘ zur ,Porzescharte‘. Das ,Südtirolproblem‘ der 1960er Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten, Wien (Verlag Gra&Wis) 2016  hat  Speckner anhand von aufbereiteten 48 „aktenkundig gewordenen Vorfällen“ aus der Zeit, in denen Südtiroler Freiheitskämpfer in Wort und Tat aktiv gewesen sind, akribisch nachgewiesen, dass  seine aus den Inhalten der jeweiligen österreichischen Dokumente gewonnenen Erkenntnisse essentiell von den offiziellen italienischen Darstellungen abweichen. Auch hier gilt als Befund: Ignoranz und politische Korrektheit verhindern, dass „der Wahrheit eine Gasse“ geschlagen, dass ihr ans Licht der breiten Öffentlichkeit verholfen wird.

Geschichtsrevisionistische Schlüsse

Über die luziden Befunde und schieren Erkenntnisse im Einzelnen hinaus lassen sich aus alldem einige geschichtsrevisionistische Schlüsse ziehen. So fanden Aktionen des BAS ungefähr zeitgleich eine gewisse Parallelität durch Anschläge italienische Neofaschisten. Umgehend instrumentalisierte Italien vor allem die von Speckner analysierten Vorfälle, insbesondere jene mit bis heute nicht einwandfrei geklärten Hintergründen,  und nutzte sie politisch, medial und propagandistisch gegen Österreich.

Italien hatte nach dem Zweiten Weltkrieg alles versucht, um alle Südtiroler – wegen der zwischen Hitler und Mussolini 1939 vereinbarten „Option“, woraufhin bis 1941 ungefähr 90.000 Südtiroler „ins Reich“ umgesiedelt wurden –  als Nazis zu stempeln.  Und seit Ende der 1950er-Jahre stellte Italien alle BAS-Aktivisten in die recht(sextrem)e Ecke sowie politisch wie publizistisch unter Generalverdacht des Neonazismus. Was in politischen Milieus Österreichs und Deutschlands von ganz links bis zur Mitte verfing und bis heute anhält, und womit den Aktivisten bis zur Stunde Unrecht geschieht.

Die Südtiroler Freiheitskämpfer hatten aus schierer Verzweiflung ob der kolonialistischen Unterwerfungsgeste des „demokratischen“ Nachkriegsitaliens gehandelt. Und, besonders wichtig, weil es den gewohnt politisch-zweckmäßigen wie publizistischen „Fakten“ entgegensteht: Der BAS-Grundsatz, wonach „bei Anschlägen keine Menschen zu Schaden kommen dürfen“, wurde trotz Eskalation der Gewalt zwischen 1961 („Feuernacht“) und 1969 (mehrheitliche Annahme des Südtirol-„Pakets“ durch die Südtiroler Volkspartei) respektive 1972 (Zweites Autonomie-Statut) weitestgehend eingehalten.

Der Tod nahezu aller während dieser Jahre gewaltsam ums Leben gekommenen Personen ist nicht dem BAS als solchem anzulasten, wie dies fälschlicherweise von der italienischen Justiz und den Mainstream-Medien Italiens, Österreichs und Deutschlands wahrheitswidrig festgestellt sowie verbreitet wurde und auch heute noch behauptet wird. Stattdessen handelt es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Unfälle – so im Falle des Todes von Bruno Bolognesi in der Pfitscher-Joch-Hütte am 23. Juni 1966 sowie von Herbert Volgger, Martino Cossu und Franco Petrucci am 9. September 1966 auf der Steinalm-Hütte –, bzw. um eine fixe Geheimdienstaktion – so im Falle des Todes von Olivo Dordi, Francesco Gentile, Mario Di Lecce und Armando Piva auf der Porzescharte am 25./26. Juni 1967 sowie zudem im Falle des Todes von Filippo Foti und Edoardo Martini im „Alpenexpress“ zu Trient am 30. September 1967.  Bezüglich der Todesfälle Vittorio Tiralongo (3. September 1964),  Palmero Ariu und Luigi De Gennaro (26. August 1965) und  schließlich auch des Salvatore Gabitta und des Guiseppe D’Ignoti (24. August 1966) waren die allfälligen Strafverfahren ohne Anklageerhebung zufolge nicht ausreichender Erkenntnisse ohnedies eingestellt worden.

Für einige im Zusammenhang mit der Südtirol-Frage zwischen 1961 und 1963 in Österreich geplante und/oder ausgeführte Anschläge ist dem BAS ursprünglich fälschlicherweise die Täterschaft zugeschrieben worden. Es waren dies die Detonation einer am Denkmal der Republik in Wien angebrachten Sprengladung (30. April 1961), die Sprengung des Andreas-Hofer- Denkmals in Innsbruck (1. Oktober 1961), Schüsse auf die italienische Botschaft in Wien (8. Oktober 1961), Anschlagsversuche am Wiener Heldenplatz (27. Dezember 1961) und auf das sowjetische Ehrenmal („Russendenkmal“; 18. August 1962) sowie der für den Gendarmen Kurt Gruber todbringende Sprengstoffanschlag in Ebensee (23. September 1963), bei dem es zudem zwei Schwer- und neun Leichtverletzte gab.

Diese Taten waren von italienischen Neofaschisten bzw. von österreichischen Rechtsextremisten, die nicht dem BAS angehörten oder mit ihm in Verbindung standen, begangen worden. Ein Zusammenhang zwischen den Anschlägen und dem BAS wurde und wird bis zur Stunde wahrheitswidrig von ideologisierten Personen sowie von (nicht selten bewusst) falsch informierten/informierenden Medien in Österreich, Italien und Deutschland sowie nicht zuletzt von staatlichen italienischen Stellen zur Gänze behauptet, um den BAS zu diskreditieren.

Rechtsbeugung und Opportunismus

Auf italienischen Druck hin und aus vorgeblicher Staatsräson hatte Wien damals wider besseres Wissen in vielen die Südtirol-Frage bestimmenden Angelegenheiten den römischen Forderungen nachgegeben. Und zum Nachteil von Südtirol-Aktivisten war seinerzeit, als Rom die EWG-Assoziierungsbemühungen Wiens wegen des Südtirol-Konflikts torpedierte, von beteiligten österreichischen Stellen sozusagen aus vorauseilenden Gehorsam gegenüber Italien, mitunter aber auch aus bestimmten Interessenlagen, Recht gebeugt worden. Es muss angesichts dieser instrumentalisierten Causen zutiefst bedrücken, dass Heerscharen von Betrachtern aus Politik, Kultur, Publizistik  und leider auch aus der Wissenschaft – nicht zuletzt auch in Südtirol –  der geschichtspolitisch von Italien vorgegebenen und von  Österreich sanktionierten Betrachtungsweise folg(t)en: Wider besseres Wissen, dafür aber politisch korrekt und grenzüberschreitend opportunistisch.

Weiterführend:
» PI-Serie: Kleine Geschichte Südtirols [4]

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Österreichs Staatsbürgerschaft für Südtiroler souveräne Entscheidung Wiens

geschrieben von dago15 am in Österreich | 77 Kommentare

Von REYNKE DE VOS | Rom hält die Absicht Wiens, Südtirolern, die dies wünschen, die österreichische Staatsbürgerschaft zu gewähren, für eine „unangebrachte und grundsätzlich feindliche Initiative“. Dies ging unlängst aus einer Verlautbarung des Ministers für Parlamentsbeziehungen, Riccardo Fraccaro, als Reaktion auf Agentur- und Presseberichte hervor, wonach der die Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler ermöglichende österreichische Gesetzesentwurf „bis auf wenige textliche Präzisierungen“ bereits ausgearbeitet sei und schon zur nächsten Sitzung der die gesetzlichen Grundlagen erarbeitenden Strategie-Gruppe (Rechtswissenschaftler, Anwälte, Juristen der beteiligten österreichischen Ministerien) vorgelegt werden könne. Außenminister Enzo Moavero Milanesi, der mit den Worten „Der Doppelpass für Südtiroler ist mehr als ein feindseliger, ein kurioser Akt, über dessen Sinnhaftigkeit wir uns befragen“ zitiert wurde, wies den italienischen Botschafter in Wien an, von der österreichischen Regierung eine Stellungnahme zu verlangen und ersuchte die österreichische Botschaft in Rom um „Erklärung“. Botschafter René Pollitzer pflegte daraufhin einen „freundschaftlichen Meinungsaustausch zum Thema Doppelpass für Südtiroler“ mit Milanesi. Dabei dürfte er ihn mit der Wiederholung der von seiner Außenministerin Karin Kneissl vorgegebenen Formel – die auch die offizielle Position der türkis-blauen Wiener Regierung ist – beruhigt haben, die sinngemäß und stereotyp wie folgt lautet: Das „im EUropäischen Geiste“ angelegte Vorhaben solle „im permanenten Dialog mit Rom und in enger Abstimmung mit Bozen“ verwirklicht werden.

Maxime eines Seitenwechslers

Sollte es bei einer anderen öffentlichen Festlegung Wiens bleiben, den Südtirolern die österreichische Staatsbürgerschaft nur im „Einvernehmen mit Italien“ zu erteilen, so liefe dies unweigerlich auf eine politische Selbstfesselung Österreichs hinaus. Warum? Italien lässt wohl kaum von seiner unverrückbar scheinenden Verweigerungshaltung ab, welche Politik und Diplomatie am Tiber in wohllautende Formeln zu kleiden vermögen, in denen Österreich sozusagen als Störenfried der – übrigens längst nicht mehr existenten – „gemeinsamen staatsbürgerschaftsrechtlichen Verfahrensweise“ und also der (auch in anderen Angelegenheiten ins Wanken geratenen) EUropäischen „Ordnung“ erscheinen soll. Seit der Annexion des südlichen Landesteils Tirols und der durch den (Un-)Friedensvertrag von Saint-Germain-en-Laye 1919 legitimierten Einverleibung dieser mittels 1915 vollzogenen Seitenwechsels erlangten Kriegsbeute gilt für Rom die vom einstigen Ministerpräsidenten Antonio Salandra (1853-1931) geprägte national(istisch)e Maxime vom „heiligen Eigennutz“ („sacro egoismo“).

Römische Anmaßungen

Schon als bekannt geworden war, dass sich die österreichischen Koalitionäre ÖVP und FPÖ im Regierungsabkommen auf die antragsgebundene Erteilung der Staatsbürgerschaft für berechtigte Südtiroler geeinigt hatten – für die „Türkisen“ eine eher lustlos (und wider einige dagegen Stimmung machende ÖVP-„Granden“ sowie das Duo Achammer und Kompatscher an der Spitze der SVP) eingegangene Angelegenheit; für die „Blauen“ ein junktimierend vorgetragenes Verlangen – reagierte Rom demonstrativ abweisend. Als Außenministerin Kneissl sowie Innenminister Herbert Kickl im März 2018 Südtiroler Landtagsabgeordnete zu Gesprächen über die österreichische Initiative nach Wien eingeladen hatten, erhob der damalige Außenminister Angelino Alfano (Chef der von Berlusconis „Forza Italia“ abgespaltenen „Nuovo Centrodestra“) in der Regierung des Paolo Gentiloni (PD): „Ein Dialog über Südtirol kann nur zwischen Rom und Wien stattfinden, nicht auf gleichberechtigter Basis mit Südtirol, das eine Provinz der Republik Italien ist“.

Ganz gleich, wer nach 1945 in Rom die Regierung bildet(e) – stets betrachtet(e) Italien trotz der auf UN-Resolutionen beruhenden, international gültigen Verträge sowie allen seinen (in Wien, Innsbruck und Bozen meist dankbar aufgenommenen) Bekundungen, wonach die zwischen Brenner und Salurner Klause geltende Autonomie ein beispielhaftes Vorzeige-Modell sei und damit zusammenhängende Fragen stets „im europäischen Geiste“ beantwortet würden, Südtirol als inneritalienische Angelegenheit. Die derzeit amtierende, aus Lega Nord (LN) und Movimento 5 Stelle (M5S; Fünf-Sterne-Bewegung) gebildete Regierung dürfte das wohl kaum anders sehen. Darauf weisen erste, die Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler betreffende kritische bis ablehnende Bekundungen von Südtiroler und Trientiner Funktionären beider Parteien hin.

Staatsoberhaupt Mattarella heuchelt

Umso mehr als sich die „starken Männer“ in der Regierung des (formell parteilosen) Giuseppe Conte, Innenminister Matteo Salvini (LN) sowie Arbeits- und Sozialminister Luigi Di Maio (M5S) nicht klar zu dieser bilateralen Angelegenheit äußern, hat das Wort des italienischen Staatspräsidenten Gewicht. Sergio Mattarella nannte das österreichische Vorhaben unverblümt eine „ohne Bedacht gefasste Initiative“, welche ein Jahrhundert nach Ende des Ersten Weltkriegs sozusagen das „Rad der Geschichte“ zurückzudrehen beabsichtige. Das könne – „nach „Überwindung der Grenzen, der großen Errungenschaft der Geschichte und der Menschheit“ – zu neuerlicher Abgrenzung führen.

Doch diese Position des italienischen Staatsoberhaupts ist pure Heuchelei. Natürlich weiß Mattarella, dass sein Land italienischstämmigen Bürgern überall auf der Welt auf Antrag die italienische Staatsbürgerschaft erteilt. Davon machten mehr als eine Million Menschen (insbesondere in Süd- und Nordamerika) Gebrauch. Italien hat übrigens das 1975 getroffene Europaratsabkommen zur „Verringerung von Fällen mehrfacher Staatsangehörigkeit“ eigens aufgekündigt und mit dem Gesetz Nr. 91 (1992) nicht nur sein (aus dem Jahre 1912 stammendes) Staatsbürgerschaftsgesetz entsprechend geändert, sondern mit Gesetz Nr. 124 (2006) den im slowenischen Küstenland sowie in Kroatien (Istrien, Fiume, Dalmatien) ansässigen ethnischen Italienern die Möglichkeit des Erwerbs seiner Staatsbürgerschaft eröffnet. Davon wiederum machten 37.000 Personen Gebrauch.

Italien hat allen Auslandsitalienern auch das aktive und passive Wahlrecht sowie feste Parlamentssitze (12 Vertreter in der Abgeordnetenkammer und 6 Vertreter im Senat) zugestanden. Kein anderer Staat, um dessen primäre Staatsbürger es dabei ja ging, ist um sein Einverständnis ersucht worden; Italien hat in seinem nationalen Interesse die Voraussetzungen und kraft eigener Souveränität die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen.

„Quod licet ….“

Österreich hingegen soll nicht Gleichartiges für den deutsch-österreichischen und ladinisch-österreichischen Bevölkerungsteil Südtirols tun dürfen, deren Vorfahren Staatsbürger Österreichs waren wie die Istrianer, Fiumener und Dalmatiner (respektive die Nachfahren der nach Brasilien, Argentinien bzw. in die Vereinigten Staaten ausgewanderten Italiener) Staatsbürger Italiens? Soll also gelten, worauf die italienische Haltung – so etwa in der Selbstbestimmungsfrage, die es 1945/46 hinsichtlich Südtirols gegenüber Österreich verweigerte, 1954 aber für Triest und das Hinterland gegenüber Jugoslawien beanspruchte – hindeutet, nämlich die altrömische Maxime „Quod licet Iovi non licet bovi“ („Was Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt“)?.

Vorgesehener Personenkreis

Keineswegs. Niemand, auch Rom nicht, kann Wien untersagen, im eigenen nationalen Interesse zu handeln und kraft eigener Souveränität die rechtliche Grundlage für die im Koalitionsvertrag/Regierungsübereinkommen von ÖVP und FPÖ (vom 19. Dezember 2017) vorgesehene Erteilung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu schaffen, welche für „die Angehörigen der Volksgruppen deutscher und ladinischer Muttersprache in Südtirol, für die Österreich auf der Grundlage des Pariser Vertrages und der nachfolgenden späteren Praxis die Schutzfunktion ausübt“, gelten soll. Besagter Personenkreis bliebe, sofern von den 528.379 Südtirolern (Wohnbevölkerung im 1. Quartal 2018 laut Landesstatistik-Institut ASTA) alle gemäß dieser Definition Anspruchsberechtigten (62,3 % deutschösterreichischer Ethnizität = 329.180 Personen; 4,1% ladinischösterreichischer Ethnizität = 21.663 Personen) tatsächlich den österreichischen Pass beantragten und annähmen, weit unter der Zahl der gut 1,2 Millionen Auslandsitaliener, denen Rom aufgrund seines Staatsbürgerschaftsrecht den italienischen Paß zuerkannte.

Im Übrigen hätten, wenn Österreich den Kreis der Anspruchsberechtigten nach Art Italiens festlegen wollte, auch die Nachfahren aller vor dem Ersten Weltkrieg aus dem Trentino Ausgewanderten ein Anrecht auf die österreichische Staatsbürgerschaft; denn die ausgewanderten Trentiner, formell zuvor Staatsbürger Österreich(-Ungarn)s, konnten sich seinerzeit gemäß Friedensvertrag von Saint-Germain-en-Laye entweder für die österreichische oder für die italienische Staatsbürgerschaft entscheiden. Dieses Faktum wurde in Süd- und Nordamerika, wohin sie einst emigrierten, entweder nicht bekannt, oder sie machten nicht davon Gebrauch. Mit dem Gesetz 91/1992 schuf Rom ihren Nachkommen die Möglichkeit der „Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft“. Faktum ist, dass nach übereinstimmenden italienischen Zeitungsberichten „mehr als eine Million Auslandsitaliener“ an der vorgezogenen Parlamentswahl am 4. März 2018 teilnahmen.

Und Trentiner?

Sofern Wien darin eine historisch-politische Verpflichtung sähe, müsste es – nach italienischem Vorbild; siehe Ethno-Italiener in Slowenien und Kroatien – eigentlich weitere Personengruppen zum Kreis der Anspruchsberechtigten zulassen. So wurden im Trentino erste Stimmen laut, die das Recht, wie es den Südtirolern zuteilwerden soll, auch für jene Trentiner einfordern, die „in der k.u.k.-Monarchie wurzeln“. Die Trentiner Autonomistenpartei PATT mahnte, Österreichs Regierung möge beim Thema Doppelpass „die im Trentino lebenden Nachkommen ehemaliger Bürger der k.u.k.-Monarchie nicht vergessen. Auch unsere Vorfahren waren Bürger von Österreich-Ungarn. Auch unsere Großväter sind im Ersten Weltkrieg zu Tausenden in den Reihen des Heeres Kaiser Franz Josefs gestorben“, schrieben PATT-Vorsitzender Federico Masera und sein Vize Simone Marchiori in ihrer Verlautbarung.

Drei exkorporierte ladinische Gemeinden

Darüber hinaus wäre es nur folgerichtig, auch die Ladiner der Gemeinden Cortina d’Ampezzo (ladinisch Anpezo, deutsch Haiden), Colle Santa Lucia (ladinisch Col, deutsch Verseil) und Livinallongo del Col di Lana (ladinisch Fodom, deutsch Buchenstein) in den Kreis der Anspruchsberechtigten aufzunehmen, deren unbestreitbare Tiroler bzw. altösterreichische Geschichte in nichts von den übrigen Gemeinden Südtirols abweicht – außer dass sie unter dem Faschismus gegen den Willen der Bevölkerung der Provinz Belluno inkorporiert wurden. Die drei Gemeinden haben just im „demokratischen Italien“ immer wieder vergeblich versucht, die 1923 erzwungene Exkorporierung aus (Süd-)Tirol zu revidieren. Selbst einem Referendum, in dem sich 2007 mehr als 70 Prozent der Abstimmungsberechtigten für die Rückgliederung an die Region Trentino-Südtirol aussprachen, ist von Rom nicht entsprochen worden.

Kanaltal und Sprachinseln?

Darüber hinaus wären gewiss auch die Bewohner des Kanaltals (Gebiet Tarvisio, deutsch Tarvis, in der Provinz Udine) historisch-politisch anspruchsberechtigt. Das Kanaltal gehörte bis 1919 zu Kärnten. In Saint-Germain wurde es Italien zugesprochen, obwohl 79,1 Prozent der Bevölkerung Deutsch, 20,8 Prozent Slowenisch und nur 0,1 Prozent (oder zehn Personen) Italienisch als Umgangssprache angegeben hatten. Auch die Bewohner der eine Sonderstellung einnehmenden deutschen Sprachinseln Tischlwang (Timau/Tamau; 520 Einwohner; Gemeinde Paluzza; Provinz Udine), Zahre (Sauris; 410 Einwohner; Provinz Udine), Bladen/Plodn (Sappada, 1320 Einwohner; Provinz Udine), des Fersentals (kam im Vertrag von Saint-Germain an Italien) und Luserns (Luserna; 273 Einwohner; Provinz Trient), sowie die der Sieben Gemeinden (Sette Comuni; auf der Hochebene von Asiago; ca. 21.000 Bewohner; Provinz Vicenza) und der Dreizehn Gemeinden (Tredici Comuni; am Südabhang der Lessinischen Alpen; ca. 14.000 Einwohner; Provinz Verona) hätten eigentlich ein Anrecht auf gewissenhafte Prüfung der Anspruchsberechtigung für die österreichische Staatsbürgerschaft.

Im nationalen Interesse Österreichs

Würden letztgenannte Personenkreise Berücksichtigung finden – was nach der im Wiener Koalitionsabkommen enthaltenen Vorgabe und den aus der sogenannten Strategie-Gruppe durchgesickerten spärlichen Informationen auszuschließen ist – so wäre unter dem von Regierungsseite bekundeten Aspekt unbedingter Einvernahme mit (dem ohnedies sperrigen bis unwilligen) Italien das Vorhaben überfrachtet und höchstwahrscheinlich chancenlos. Angesichts dessen fragt man sich unwillkürlich, wieso niemand aus der österreichischen Regierung den Schneid besitzt, dem italienischen Gegenüber und der internationalen Öffentlichkeit nicht nur dessen eigenes Verhalten in Staatsbürgerschaftsangelegenheiten vorzuhalten, sondern auch auf das alleinige Recht des souveränen Österreich hinweisend zu bestehend, seine Staatsbürgerschaft zu verleihen wem immer es will.

Es gibt schließlich sowohl im nachbarschaftlichen Verhältnis als auch in der internationalen Politik nicht nur Partner, sondern auch (und vor allem nationale) Interessen. Wien hat es nicht nötig, in Rom zu antichambrieren. Hasenfüßigkeit zahlt sich schon gar nicht aus. Außenministerin Kneissl sollte sich daher beim Wort nehmen und ihre absolut zutreffende Sentenz, welche sie unlängst – auf die Außen- und Energiepolitik der EU bezogen – in einem Beitrag für die Zeitung „Die Presse“, verwandt hat, als Handlungsmaxime vorgab: Es sei „hoch an der Zeit“ für „eine von eigenen Interessen geleitete Politik“, schrieb sie. In der „Causa Staatsbürgerschaft für Südtiroler“ wird sie ebenso daran gemessen werden, wie die gesamte österreichische Bundesregierung.

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„Befreiungsausschuss Südtirol“ – Opfer für die Freiheit

geschrieben von PI am in Geschichte | 43 Kommentare

Von REYNKE DE VOS | Die rechtliche Verankerung der Selbstverwaltung des 1919 Italien zugeschlagenen und auch nach dem Zweiten Weltkrieg im Stiefelstaat verbliebenen südlichen Landesteils Tirols in Form einer mit Sonderautonomie ausgestatteten Provinz wird bisweilen als „Modell“ für die Entschärfung oder gar Lösung anderer Konflikte mit nationalen Minderheiten genannt.  So „friedlich“, wie die „Lösung des Südtirol-Konflikts“ letztlich durch Installation eines Autonomiestatuts für das Gebiet zwischen Brenner und Salurner Klause meist im sonntagsrednerischen Rückblick gepriesen wird, verlief sie ganz und gar nicht.

„Pariser Abkommen“ – von Italien nicht erfüllt

Das am 5. September 1946 in Paris zwischen dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide de Gasperi und dem österreichischen Außenminister Karl Gruber getroffene Übereinkommen hatte zwar eine autonome Gesetzgebung und Verwaltung vorgesehen. Doch im Ersten Autonomiestatut von 1948, mit dem Rom vorgab, das „Pariser Abkommen“ erfüllt zu haben, wurde die Selbstverwaltungsbefugnis  auf die Region Trentino-Alto Adige übertragen, worin die Provinzen Bozen-Südtirol und Trentino zwangsvereint und die Südtiroler aufgrund des weit überwiegenden Bevölkerungsanteils ethnischer Italiener majorisiert wurden. Überdies führte das „demokratische” Italien die faschistische Zuwanderungs- und Entnationalisierungspolitik ungehemmt weiter.

Kanonikus Gamper: „Auf dem Todesmarsch“

Weshalb Kanonikus Michael Gamper, sozusagen der geistige Führer der deutschen Volksgruppe, am 28. Oktober 1953 in der Zeitung „Dolomiten” schrieb:

„Die gewollte Unterwanderung unseres Volkes geht weiter. Viele Zehntausende sind nach 1945 und nach Abschluß des Pariser Vertrages aus den südlichen Provinzen in unser Land eingewandert, während zur gleichen Zeit die Rückkehr von einigen Zehntausenden unserer umgesiedelten Landsleute unterbunden wurde … Es ist ein Todesmarsch, auf dem wir Südtiroler uns befinden, wenn nicht noch in letzter Stunde Rettung kommt.”

Der massive, staatlicherseits geförderte Zuzug von Italienern nach Südtirol, das Errichten von „Volkswohnbauten“ und das Schaffen von Arbeitsplätzen nahezu ausnahmslos für sie, diskriminierte nicht nur die angestammte Bevölkerung und die rückkehrenden Optanten, sondern führte zur unübersehbaren Abwanderung junger Südtiroler. Weshalb Gamper zurecht vom „Todesmarsch“ sprach – und es zu erstem, auch gewaltbereitem Aufbegehren dagegen kommen musste.

Von ersten Anschlägen zum „Los von Trient“

So verübte die „Gruppe Stieler“ zwischen September 1956 und (ihrer Verhaftung und Misshandlung im) Januar 1957 Sprengstoffanschläge auf besagte „Volkswohnbauten“, um Zeichen zu setzen. 1957 kam es auch zu einer  –  in ihrer historischen Bedeutung  nachhallenden – politischen Großkundgebung gegen die römische Politik. Der italienische Arbeitsminister Guiseppe Togni hatte am 1. Oktober 1957 den Bau eines neuen Bozner Stadtviertels mit 5000 Wohneinheiten für italienische Zuwanderer angekündigt. Woraufhin Silvius Magnago, Obmann der Südtiroler Volkspartei (SVP) und nachmals auch langjähriger Landeshauptmann, in seiner Ansprache vor den am 17. November auf Sigmundskron zusammengeströmten ca. 35 000 Teilnehmern die „Erfüllung des Pariser Vertrages“ und unter der Devise „Los von Trient!” eine „echte Autonomie für Südtirol“ verlangte.

Aufwühlende Jahre der Repression

Bis es dazu mit der 1969 auf der SVP-Landesversammlung nur äußerst knapp gebilligten Grundlage zum dann erst 1972 in Kraft getretenen Zweiten Autonomiestatut kam, durchlebten die Südtiroler aufwühlende Jahre, die sie und ihr Dasein nicht nur daran erinnerten, sondern geradezu in die schlimmsten Zeiten längst überwunden geglaubter faschistischer Herrschaftsmethoden  zurückführten. Die einheimische, will sagen: ethnisch nicht-italienische Bevölkerung war fortwährend staatlicher Repression, Verhöhnung, Anpöbelung und Diffamierung ausgesetzt. Italienische Schlägertrupps, vornehmlich aus Parteigängern und Sympathisanten des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI), störten Versammlungen der ethnisch deutschen respektive ladinischen Südtiroler. Rigoros wandte die italienische Justiz  die politischen Unterdrückungs-Paragraphen des nach wie vor in Geltung befindlichen faschistischen Strafgesetzbuches „Codice Rocco“ an. Das Bemalen von Fensterläden in den Tiroler Landesfarben wurde ebenso strafrechtlich geahndet wie das Hissen der Landesfahne.

Zahlreiche Südtiroler wurden wegen angeblicher Schmähung des Staates bzw. der „italienischen Nation” verurteilt. Die staatlichen „Ordnungshüter” der diversen Polizei-Organe waren darauf aus,  jedwede Regung gelebter Tirolität  (Sitten, Gebräuche, Riten etc.) im Keim zu ersticken. Eines von vielen Beispielen:  Als Messebesucher am 21. Februar 1960 nach dem Gottesdienst an dem auf dem Platz vor der Bozner Pfarrkirche befindlichen Denkmal für Peter Mayr, den Freiheitskämpfer von 1809,  einen Kranz niederlegten und das Andreas-Hofer-Lied anstimmten, schlugen Polizisten der Einsatzgruppe „Celere” mit Knüppeln auf sie ein („Knüppelsonntag“).  „Rädelsführer“ wurden verhaftet und vom Gericht als „Unruhestifter” zu Haftstrafen verurteilt.

Verhärtung Roms trotz UN-Resolutionen

Eine graduelle Besserung schien in Aussicht zu kommen, nachdem sich Österreich als Vertragspartner von 1946 und somit als „Schutzmacht“ Südtirols auf Initiative des damaligen Außenministers Bruno Kreisky an die Vereinten Nationen (UN) gewandt und die Weltorganisation am 31. Oktober 1960 mit der Resolution 1497 Italien und Österreich zu Verhandlungen über die Erfüllung des Pariser Abkommens aufgefordert hatte. Doch Rom betrieb, um jegliche Zugeständnisse mit der Parole von der „inneren Angelegenheit Italiens“ vermeiden zu können, eine Destruktionspolitik und ließ alle Verhandlungen ergebnislos enden. Daran änderte sich auch nach der zweiten hinsichtlich des Südtirol-Konflikts ergangenen UN-Resolution 1667 vom 28. November 1961 zunächst nichts Wesentliches.

Sepp Kerschbaumer und seine Getreuen

Weil sich Italien nicht nur nicht bewegte, sondern alle politischen Verhandlungen ins Leere laufen ließ, trat in dem von Hoffnungslosigkeit bis Verzweiflung schwankenden südlichen Tirol eine bereits seit 1957 insgeheim wirkende Gemeinschaft von für die Freiheit des Landes und  dessen angestammte Bewohner kämpfenden Aktivisten stärker denn je zuvor seit ihrer Gründung ins Rampenlicht. Sie wollte mittels spektakulärer Maßnahmen die internationale Öffentlichkeit auf den Konflikt und auf die kujonierende Entrechtung der deutschen und der ladinischen Volksgruppe Südtirols aufmerksam zu machen. Die um den Frangarter Kaufmann (und anfänglichen SVP-Ortsobmann) Sepp Kerschbaumer im „Befreiungsausschuß Südtirol“ (BAS) versammelten Gleichgesinnten aus beiden Teilen Tirols – einige auch aus anderen österreichischen Bundesländern sowie der Hauptstadt Wien – protestierten zunächst mittels Flugblättern, Rundbriefen und an öffentlichen Gebäuden sowie auf Straßen angebrachten Aufschriften.  Kerschbaumer hatte auf Sigmundskron  BAS-Flugblätter unter den Kundgebungsteilnehmern verteilen lassen, auf denen es hieß:

„Landsleute! Noch nie in den fast 40 Jahren italienischer Herrschaft hat sich unser Volk in einer so gefährlichen Lage befunden wie heute. Was dem Faschismus in nahezu 20 Jahren mit gewaltsamen Unterdrückungsmethoden nicht gelungen ist, hat das demokratische Italien in nahezu 10 Jahren beinahe erreicht. Trotz des Pariser Vertrages! Noch 10 Jahre ‚christlich-demokratische‘ Herrschaft in Südtirol und sie haben es erreicht, was sie sich von Anfang an zum Ziele gesetzt haben: Die Südtiroler im eigenen Lande in die Minderheit zu drängen … Landsleute! Es ist fünf vor zwölf … Südtirol erwache! Rüstet euch zum Kampf! Zum Kampf um unsere Existenz. Es geht um Sein oder Nichtsein unseres Volkes! Es geht um den Bestand unserer Kinder, unserer Kindeskinder! Frei wollen wir wieder werden in unserem Lande, frei wie unsere Vorväter es gewesen über 1000 Jahre im deutschen Südtirol!”

Der BAS schlägt punktuell zu

Doch mit derartigen Mahnungen und Aufrufen war es umso weniger getan, als sich die Unnachgiebigkeit Roms zusehends verhärtete. So gingen die BAS-Aktivisten  – einfache Bauern, Arbeiter, Handwerker, Kleingewerbetreibende – zu gezielten Anschlägen gegen Symbole der unterdrückenden Staatsmacht über. In der Nacht vom 29. auf den 30. Januar 1961 sprengten BAS-Leute aus Nord- und Südtirol beispielsweise den sogenannten „Aluminium-Duce”, ein überdimensioniertes Mussolini-Denkmal vor dem Kraftwerk in Waidbruck, welches zu dessen Lebzeiten die verherrlichende Widmung „Al Genio del Fascismo” („An den Genius des Faschismus”) trug. Und am 1. Februar 1961 sprengte der Neumarkter BAS-Aktivist Josef Fontana ein Loch in die Wand der Villa des  faschistischen Senators Ettore Tolomei, der einst die Maßnahmen zur Entnationalisierung der Südtiroler entworfen hatte. Es kam auch zu weiteren Anschlägen auf Neubauten, in denen Wohnungen für italienische Zuwanderer errichtet werden sollten.

Mitwisser dies- und jenseits des Brenners

Österreichische Politiker wie Kreisky (SPÖ) und die Nordtiroler Landesräte Aloys Oberhammer (ÖVP) sowie Rupert Zechtl (SPÖ) und weitere bedeutende Persönlichkeiten waren mehr oder weniger „eingeweiht“, wussten von den Plänen der Freiheitskämpfer des BAS. Dessen Ziel war es, lediglich Sachschäden anzurichten; Menschen sollten auf Weisung des tiefgläubigen  Kerschbaumer  keinesfalls zu Schaden kommen. In Südtirol zählten der SVP-Obmannstellvertreter und Landtagsabgeordnete Hans Dietl, die SVP-Landtagsabgeordneten Friedl Volgger und Peter Brugger sowie einige andere SVP-Funktionäre – wie etwa das Parteiausschussmitglied Franz Widmann – zu den Vertrauensleuten des BAS. Ihre Namen wurden von den nachmals Verhafteten trotz erlittener Folter nicht preisgegeben.

Auch Parteiobmann und Landeshauptmann Magnago war in groben Zügen unterrichtet, denn Kerschbaumer und sein enger Mitstreiter Georg („Jörg“) Klotz – der Schützenmajor und Schmied aus Walten im Passeier war einer der leidenschaftlichsten Freiheitskämpfer –  hatten ihm unmissverständlich klargemacht, dass sie Widerstandshandlungen begehen würden. Magnago bestritt dies Jahrzehnte später auch nicht, erklärte aber, Kerschbaumer und Klotz von illegalen Aktionen abgeraten zu haben. Wie auch immer – in Einzelheiten bevorstehender Aktionen wurde Magnago tatsächlich nicht eingeweiht; man wollte ihn nicht kompromittieren und seine Partei nicht gefährden.

Der „große Schlag“ – die „Feuernacht“

Zum wirklich „großen Schlag“ des BAS sollte es indes erst in der denkwürdigen „Feuernacht“ kommen. Dem waren abermals ergebnislos verlaufene Südtirol-Verhandlungen Kreiskys mit dem damaligen italienischen Außenminister Antonio Segni am 25. Mai 1961 in Klagenfurt vorausgegangen. In der Nacht zum „Herz-Jesu-Sonntag“ vom 11. auf den 12. Juni wurden an markanten Stellen Südtirols, besonders rund um Bozen, mehr als 40 Hochspannungsmasten durch Sprengladungen zerstört oder stark beschädigt. Die Freiheitskämpfer suchten ihre Anschlagsziele so aus, dass nach menschlichem Ermessen  Menschenleben nicht gefährdet waren. So hatte es Sepp Kerschbaumer von seinen Kameraden verlangt, und alle waren sich darin einig gewesen: Der Freiheitskampf sollte unblutig sein. Dennoch kam es zu einem tragischen Vorfall: Der Straßenarbeiter Giovanni Postal entdeckte nahe Salurn eine nicht detonierte Sprengladung, wollte sie eigenhändig vom Mast entfernen, wobei sie nunmehr losging und er zu Tode kam. Es sollte hinfort nicht der einzige Tote bleiben.

Mit der „Feuernacht” hatte der BAS ein wesentliches politisches Ziel erreicht: Die Welt blickte auf Südtirol, auf einen Konfliktherd im Herzen Europas. Dorthin beorderte Rom zusätzliche Carabinieri-, Polizei- und Heereskräfte, sodass alsbald ungefähr 40.000 bewaffnete Uniformträger das Land in ein Heerlager verwandelten.

Purgatorium der Freiheitskämpfer

Im Juli war in Laas der Schützenmajor Franz Muther verhaftet und in der Carabinieri-Kaserne von Meran einer  „Sonderbehandlung” unterzogen worden, bis er unter der Folter Namen von Mitverschwörern preisgab. Die nächsten Verhaftungen mit anschließender Folter galten Schützenmajor Jörg Pircher aus Lana und Sepp Kerschbaumer selbst. Bis Ende September 1961 wurden mehr als 140 BAS-Leute verhaftet und skrupellos der Folter ausgesetzt; höhnisch erklärten ihnen ihre Peiniger, Innenminister Mario Scelba persönlich habe ihnen  „carta bianca” – „freie Hand” – gelassen, damit sie mit den Häftlingen anstellen könnten, was immer ihnen beliebe. Infolge der Folterung starben die Südtiroler Franz Höfler und Anton Gostner; und die Folter-Folgen führten auch bei Sepp Kerschbaumer im Gefängnis von Verona 1964 zum Tode. Weitere Folteropfer trugen, wie der Unterhasler-Bauer Sepp Mitterhofer, lebenslange Gesundheitsschäden davon, andere verstarben vorzeitig.

Rom: „Vorbildlicher Einsatz“ der Folterknechte

44 Südtiroler Häftlinge erstatteten gegen 21 namentlich bekannte Carabinieri  Anzeige wegen Folterns. Lediglich deren sieben  wurden justiziell berücksichtigt und nur zehn  „Foltercarabinieri“ 1963 in Trient vor Gericht gestellt, die anderen amnestiert. Im laufenden Verfahren wurden zwei Carabinieri verurteilt und unmittelbar nach dem Urteilsspruch amnestiert, die übrigen Folterer sofort freigesprochen. Anschließend wurden sie allesamt in Rom von General  Giovanni De Lorenzo, dem Oberbefehlshaber der Carabinieri,  Geheimdienstchef und späteren neofaschistischen Kammerabgeordneten, öffentlich für ihren „vorbildlichen Einsatz” belobigt, ausgezeichnet und einige sogar befördert.

Die meisten der verhafteten BAS-Aktivisten wurden indes zu hohen Haftstrafen verurteilt, ihre gesamte Habe wurde eingezogen. Einige wenige  blieben trotz der Verhaftungswelle nach der „Feuernacht“ unerkannt, andere konnten in letzter Minute über die Grenze nach Österreich entkommen: So der legendäre Schützenmajor Georg Klotz (1919 – 1976), der Schützenleutnant Luis Amplatz aus Bozen-Gries (1926 – 1964) und die „Pusterer Buben“ (im Volksmund „Puschtra Buim”) Siegfried Steger, Sepp Forer, Heinrich Oberlechner und Heinrich Oberleiter. Sie flüchteten nach Österreich und kamen zu gegebenen Anlässen allein oder zusammen mit österreichischen Kameraden immer wieder über die Grenze, um ihren Kampf weiterzuführen – nach Bekanntwerden der Folterungen bewaffnet weiterzuführen: Denn sie waren fest entschlossen, eher im Feuergefecht zu sterben, als  Folterern in die Hände zu fallen. Es kam zu weiteren bewaffneten Aktionen, und es gab Opfer auf der Seite der italienischen Sicherheitskräfte wie auf Seiten der Freiheitskämpfer.

Die Rolle der italienischen Geheimdienste

Eine besonders düstere Rolle spielten die beteiligten italienischen Geheimdienste. Luis Amplatz wurde in der Nacht auf den 7. September 1964 in einem Heustadel auf den „Brunner Mahdern” im Passeier von Christian Kerbler, einem vom Militärgeheimdienst Servizio Informazioni Forze Armate (SIFAR) – danach Servizio Informazioni Difesa (SID) – gedungenen Mörder, im Schlaf erschossen. Sein Kamerad Georg Klotz wurde dabei schwer verwundet und konnte sich wie durch ein Wunder aus eigener Kraft über die Grenze nach Nordtirol in Sicherheit bringen.

Im Zusammenhang mit späteren Vorkommnissen dürften Geheimdiensteinflüsse  eine noch weit größere Rolle gespielt haben. Jüngere Forschungsergebnisse des österreichischen (Militär-)Historikers Hubert Speckner  legen offen, dass die meisten Anschläge/Attentate, die dem BAS verbundenen nachmaligen Freiheitskämpfern und Gruppierungen zugeschrieben wurden, eher auf das Konto italienischer Dienste respektive von Angehörigen der von Geheimdienstlern und neofaschistischen Parteigängern bzw. Sympathisanten durchsetzten „Gladisten“, Angehörigen des italienischen Zweigs der „Stay behind“-Verbände der Nato, gehen dürften.

„Attentate“, die keine waren

So zeigen Speckners auf bis dato unausgewerteten sicherheitsdienstlichen und juristischen österreichischen Unterlagen fußenden Untersuchungen, dass der als „schlimmstes Attentat“ geltende „Porzescharte“-Vorfall  vom 25. Juni 1967 (vier Tote) keinesfalls so abgelaufen sein konnte wie er von italienischen Stellen offiziell dargestellt und von politischer Seite Österreichs sowie von der journalistischen wie wissenschaftlichen Publizistik als gegeben erachtet wurde und bis zur Stunde wird. Die völlige Rehabilitierung der 1971 in Florenz verurteilten, in Österreich hingegen freigesprochenen Beschuldigten Erhard Hartung, Peter Kienesberger (verstorben 2015) und Egon Kufner steht indes aus. Desgleichen gilt für eine zweite, ebenso voluminöse Studie Speckners, in welcher er anhand von 48 Geschehnissen, für welche (nicht allein) Italien den BAS verantwortlich machte, nachweist, dass die offizielle Darstellung nicht der Wirklichkeit, folglich auch nicht der Wahrheit entspricht.

Ohne Wirken des BAS kein Autonomiepaket

Ob die Aktionen des BAS der Südtiroler Sache  geschadet oder  genutzt haben, ist insofern umstritten, als Befunde im Kleide „wissenschaftlich begründeter“ Aussagen dazu stets unter der Prämisse des sogenannten „erkenntnisleitenden Interesses“ zustande gekommen und zu bewerten sind. Der unter maßgeblichem Einfluss der „Innsbrucker Schule“ der Zeitgeschichtsforschung und -schreibung sozusagen als wissenschaftliche „Opinio communis“ geltenden „Erkenntnis“, wonach die Autonomie(lösung) für Südtirol „nicht wegen, sondern trotz“ (!) der Anschläge des BAS zustande gekommen sei, stehen nicht minder begründete fundierte Aussagen von Politikern und Zeitzeugen der Erlebnisgeneration gegenüber, wonach die entscheidende  Neunzehner-Kommission, welche „Paket-Maßnahmen“ sowie „Operationskalender“ als  Grundlagen für das Zweite Autonomiestatut ausarbeitete, ohne die öffentlichkeitsaufrüttelnden Taten der Freiheitskämpfer kaum eingesetzt worden und somit das Einlenken Roms kaum zustande gekommen wäre.

Eine Ausstellung aus der Verpflichtung zum Gedenken

Aus alldem leitet sich die Verpflichtung zu redlichem Gedenken für die BAS-Aktivisten ab, die infolge ihres selbstlosen  Einsatzes im Freiheitskampf zu Tode gekommen sind, sowie für jene, die infolge ihres Wirkens für das angestammte Tiroler Volk im südlichen Landesteil Gesundheit, Hab und Gut, Familie(nangehörige) sowie  Heimat verloren. Ihnen allen, den Toten wie den (noch) Lebenden, gilt die zeitgeschichtlich bedeutsame, auf Dauer angelegte Ausstellung „BAS – Opfer für die Freiheit“, welche das Geschehen  während der 1960er Jahre in all seinen Facetten vergegenwärtigt und veranschaulicht.

Die Ausstellung befindet sich in Bozen, Lauben 9, und ist von Dienstag bis Samstag (jeweils von 10–12 Uhr und von 15-17 Uhr) geöffnet. Nach Vereinbarung

( Kontakt:  https://bas.tirol [5] ; Tel. 0039 0471 214 169; E-Post:  info@bas.tirol [6] ) sind Gruppenführungen auch außerhalb dieser Zeiten möglich. Initiatoren sind der Andreas-Hofer-Bund Tirol (AHB; Innsbruck) und der Südtiroler Heimatbund (SSB; Bozen). Großzügiges Mäzenatentum der (von der in Australien lebenden Österreicherin Dr. Helga Christian 1966 eingerichteten) Laurin-Stiftung (Liechtenstein) hat ihre Einrichtung als Dauerausstellung erst  ermöglicht.

„BAS – Opfer für die Freiheit“ verherrlicht keineswegs Gewalt und/oder Terrorismus. Sie legt anhand von Einzelobjekten offen, wozu  Männer und Frauen imstande sein können (und müssen), die keinen anderen Weg mehr sehen, als zur Tat zu schreiten, um die im Lügengewand des „demokratischen Staates“ ausgeübte Gewaltherrschaft gegen die in fremdnationaler Umgebung zu leben gezwungenen Landsleute durch gezielte Attacken zu unterminieren –  wenn der gütlichen Worte genug gewechselt sind, ohne dass sich Besserung/Befriedung einstellt.

Erstmals öffentlich präsentierte Exponate

Die Ausstellung „BAS – Opfer für die Freiheit“ erinnert an Verdienste, Leiden und Opfer der Verfolgten und ihre(r) Familien – auch und gerade weil sie in der überwiegenden Zahl der Fälle ohne Dank geblieben sind. Die meisten der erstmals in aller Öffentlichkeit präsentierten Exponate entstammen der „Mitterhofer-Sammlung“. Sepp Mitterhofer aus Meran-Obermais, ein bisher von der Südtiroler Politik unbedankt gebliebener BAS-Aktivist der ersten Stunde, jetzt Ehrenobmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB), in dem sich  am 9. Februar 1974  ehemalige Freiheitskämpfer zusammenschlossen, hat sie über Jahrzehnte hin zusammengetragen und beherbergt. Seine Sammlung bildet den Kern der Ausstellung „BAS – Opfer für die Freiheit“.

Ausgestellt werden zudem weitere Objekte aus dem Besitz von BAS-Aktivisten bzw. deren Nachkommen. Aus dem  „BAS-Archiv“, dem im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck vorhandenen Vorlass der BAS-Aktivisten Herlinde und Klaudius Molling, sind Leihgaben ausgestellt, welche die mitunter einfachen Methoden veranschaulichen, derer sich die Freiheitskämpfer bedienen mussten. Ein reichhaltig ausgestatteter Ausstellungskatalog stellt in Wort und Bild eindrucksvoll den inneren Zusammenhang von Exponaten und Geschehenshistorie her.

Herausforderungen

Eine Herausforderung für diese erstmalige Ausstellung über den BAS bestand darin, dass sowohl die „offizielle“ italienische, als auch die wissenschaftliche und journalistische Publizistik  im deutschsprachigen Raum deren Aktivisten politisch in die „recht(sradikal)e Ecke“ stellt(e). Das wird jedoch weder den handelnden Personen noch ihrer Sache  gerecht. In den für die damalige Südtirol-Politik entscheidenden Jahren waren unter den BAS-Leuten (in Südtirol wie in Österreich und Deutschland) fast alle gängigen politischen Weltanschauungen vertreten; ihren führenden Köpfen ging es vor allem darum, dass „etwas geschehen muss“.

Die allen Bevölkerungsschichten entstammenden Südtiroler BAS-Aktivisten handelten schlicht und ergreifend aus dem Beweggrund, als Tiroler Patrioten Heimat und  Volkskultur vor der schieren Gefahr  „ewiger Italianità“, der vom „demokratischen Italien“ bruchlos übernommenen Zielsetzung des Faschismus, somit vor dem von Kanonikus Gamper beschworenen „Todesmarsch der Südtiroler“ (s.o.) zu bewahren. Dies just auch  für die Anschauung  Nachgeborener nachvollziehbar zu machen, ist das hehre Ziel dieser durch und durch für gelungen zu erachtenden Ausstellung.

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Irrlichternde römische Polit-Cäsaren

geschrieben von PI am in Italien,Österreich | 30 Kommentare

Von REYNKE DE VOS | Der Ausgang der italienischen Parlamentswahl zeitigte nicht nur ein politisches Erdbeben in einem bisweilen von verheerenden geologischen Erschütterungen heimgesuchten Land.  Die Ergebnisse des Urnengangs legten sowohl eine parteifarbliche, als auch eine geopolitische Dreiteilung des Landes offen.

Im vergleichsweise prosperierenden Norden bis hin zur Salurner Klause dominieren Matteo Salvinis Lega mitsamt Silvio Berlusconis Forza Italia nebst Anhängseln wie den neofaschistischen „Brüdern Italiens“ (Fratelli d’Italia). Der dezimierte Partito Democratico (PD) des wie eine Sternschnuppe verglühten (Kurzzeit)-Ministerpräsidenten und Parteichefs Matteo Renzi und seines adeligen Nachfolgers Paolo Gentiloni konnte sich hingegen lediglich in Italiens Mitte, vornehmlich in der Emilia Romagna sowie in der Toskana, halten.

Parteipolitisch drei-, sozioökonomisch zweigeteilt

Nahezu das gesamte Terrain von den Marken über die Abruzzen und Apulien  bis zur  Stiefelspitze – mit Ausnahme Kalabriens, wo das Rechtsbündnis siegte –  sowie Sardinien sind von den „Grillini“, der Protestpartei „MoVimento 5 Stelle“ (M5S), erobert worden, deren juveniler Spitzenkandidat Luigi Di Maio ebenso wie Lega-Chef Salvini Anspruch auf die Regierungsbildung erhebt. Man ist geneigt, eine abgewandelte Zeile aus Cäsars „Gallischem Krieg“ zu übertragen:  „Italia est omnis divisa in partes tres ….“.

Sieht man die als Folge der Kammer- und Senatswahl hervortretende parteipolitisch dreigeteilte Einfärbung vor dem Hintergrund der sozialökonomischen Zweiteilung des Landes (in „reichen“ Norden und „armen“ Süden),  so kommt einem unwillkürlich  in den Sinn:  Mit der (1861 formell erzielten) „Einheit Italiens“, die Verfassungsartikel 5 („die eine, unteilbare Republik“) und einschlägige Strafrechtsbestimmungen des nach wie vor geltenden faschistischen „Codice Rocco“ (Artikel 241 „Anschlag auf die Einheit des Staates“ und  Artikel 283 „Anschlag auf die Verfassung“) geradezu beschwören, kann es nicht allzu weit her sein.

Autonomer Pyrrhussieg

In Südtirol, als wirtschaftlich vergleichsweise erfolgreiche Autonome Provinz Bolzano-Alto Adige einer der kleinsten, aber wohl am besten verwalteten Teile Italiens, treibt der Wahlausgang den maßgeblichen Vertretern der seit 70 Jahren dominanten Volkspartei  Sorgenfalten auf die Stirn. Zwar bejubeln sie ihren Wahlerfolg, denn die SVP kann drei Abgeordnete (zudem eine der Partei verbundene und in einem Südtiroler Wahlbezirk auch von SVP-Sympathisanten zur Stimmenmehrheit verholfene PD-Abgeordnete) in die Kammer sowie drei Senatoren (zudem einen ihr verbundenen und in einem Südtiroler Wahlbezirk auch von SVP-Sympathisanten zur Mehrheit verholfenen PD-Senator) in die zweite Parlamentskammer nach Rom entsenden.  Doch trotz hymnisch orchestrierter Verlautbarungen der Parteiführung erweist sich ihr Wahlerfolg als klassischer Pyrrhussieg.

Im Vergleich mit den Parlamentswahlen von 2013 hat die SVP gut 20.000 Stimmen verloren. Die Wahlbeteiligung in Südtirol ist gegenüber jener von vor fünf Jahren um durchschnittlich 13 Prozentpunkte gesunken. In 15 Gemeinden fiel sie  um mehr als 20 Prozentpunkte. In absoluten Zahlen ausgedrückt: Am 4. März 2018 machten sich 42.328 Wahlberechtigte weniger als fünf Jahre zuvor zum Urnengang auf. Weitere Fakten: 2013 hatte  das von der SVP  geführte Bündnis für die Kammerwahl 176.128 Wähler hinter sich scharen können; jetzt waren es nur mehr deren  134.102 – ein Minus von rund 24 Prozent an Wählerstimmen. Die Wahlbeteiligung lag 2013 bei 82,1 Prozent, diesmal bei  68,9 Prozent. Ähnlich das Bild bezüglich der Wahl in den Senat: Konnte die SVP  2013 mit ihren Bündnispartnern  153.561 Stimmen holen, so waren es in diesem Jahr  nur deren 126.091. Dies entspricht einem Wählerabgang von 27.470 Stimmberechtigten und damit einem Minus von rund 22 Prozent im Vergleich zu 2013.  Zugleich sank die Beteiligung an der Wahl zur zweiten Parlamentskammer von 82,5 auf durchschnittlich 70,2 Prozent.

Ein auf die SVP zugeschnittenes Wahlgesetz….

Kein Wunder also, dass die deutschtiroler Oppositionsparteien Freiheitliche (FPS) und Süd-Tiroler Freiheit (STF) in alldem eine schwindende Zustimmung zur SVP sehen. FPS- Fraktionssprecherin Ulli Mair lastete der SVP an, sich „ohne Not und vor allem ohne Zukunftsperspektive dem PD ausgeliefert und Südtirol eine schwere Hypothek aufgeladen” zu haben, zumal da der „SVP-Bündnispartner und große Wahlverlierer PD Südtirol in eine Position der Schwäche gegenüber dem Zentralstaat manövriert“ habe.

Rückgang der Wahlbeteiligung und Stimmeneinbußen für die SVP sind auch der „Uniformität“ des für Südtirol geltenden Wahlgesetzes geschuldet, welches deren Ex-Senator Karl Zeller mit ausgehandelt und seine Partei außerordentlich begünstigt hat. Es legte die Hürden so hoch, dass von vornherein nur SVP-Kandidaten (oder solche verbündeter Parteien) eine Chance auf Einzug in Kammer oder Senat hatten;  weshalb die deutschtiroler Opposition gar nicht erst  antrat und empfahl, entweder der Wahl fernzubleiben oder „weiß“ zu wählen.

….und landesfremde Kandidaten

Dieser Effekt machte sich besonders im Wahlkreis Bozen-Unterland bemerkbar, wo den Wählern die aufgrund des (im römischen Parlament wie im Bozner Landhaus/Landtag gültigen) SVP-PD-Bündnisses provinzfremden PD-Kandidaten Maria Elena Boschi (für die Kammer) und Gianclaudio Bressa (für den Senat) vorgesetzt wurden. Wobei gegen die vormalige Ministerin für Verfassungsreformen und Beziehungen zum Parlament der Regierung Renzi die Vorbehalte besonders groß waren (sogar unter SVP-Anhängern). Denn die 2013 in der Toskana in die  Abgeordnetenkammer Gewählte und alsbald in die PD-Führung Aufgestiegene war zusammen mit Renzi die größte Verfechterin der geplanten (2016 aber am staatsweiten Referendum gescheiterten) zentralistischen Verfassungsreform. Ausgerechnet  in Südtirol hatte seinerzeit die SVP-Führung unter Obmann Philipp Achammer und Landeshauptmann Arno Kompatscher – gegen den Rat ihrer „Altmandatare“, insbesondere des Experten und langjährigen Senators Oskar Peterlini –  aus Verbundenheit mit „Freund Renzi“ und Bündnistreue mit dessen PD zur Zustimmung aufgerufen.  Wenngleich just Frau Boschi damals der Ansicht war,  die Autonomie sei ein „Ressourcen verschwendendes Relikt der Vergangenheit“  und gehöre daher abgeschafft. Doch jetzt vor der Parlamentswahl  gerierte sie sich  als „glühende Verteidigerin der Interessen Südtirols und seiner Autonomie“. Alle Ergebnisse zeigen, dass weder Boschi noch Bressa ohne die SVP-Wahlkreisstimmen  der Einzug in Kammer und Senat verwehrt geblieben wäre.

Italophilie statt parteiübergreifender Strategie  

Aus alldem ergeben sich einige Befunde. Das Interesse an römischer Politik ist südlich des Brenners deutlich gesunken. Für  Italien ist aufgrund der Wahlergebnisse eine Art Interregnum sowie politische Instabilität zu erwarten.  Südtirol  bleibt davon nicht unberührt, es ist, ganz im Gegenteil, stark davon betroffen. Die SVP, die sich jahrzehntelang in Äquidistanz zu den römischen Parteien gehalten hatte, hat unter Führung ihres italophilen Duos Achammer – Kompatscher eine deutliche Quittung für ihr Zweckbündnis mit dem PD bekommen. Jetzt gibt sie sich der Hoffnung hin, von den autonomiekritischen bis -feindlichen Wahlsiegern bei deren Poker um die Regierungsübernahme möglicherweise als „Zünglein an der Waage“ gebraucht zu werden und sich dies „autonomiepolitisch“ entgelten zu lassen.

Ob’s das spielt, ist höchst zweifelhaft. Die angeblich international  gut abgesicherte, „modellhafte“ Südtirol-Autonomie  hatte schon unter der PD-Regierung sowie deren Vorgängern, insbesondere in der Ägide des vormaligen EU-Kommissars Monti, einen schweren Stand. Geht aus den Gewinnern der Parlamentswahl 2018  – Kräften, die den Austritt aus dem Euro und der EU fordern und von Rom aus möglichst zentralistisch durchregieren wollen – irgendwann eine wie auch immer colorierte Regierung hervor, kann es für die von der SVP verabsolutierte Autonomie eigentlich nur noch schlimmer werden.  Allmählich rächt es sich, dass sich aus der SVP jene Mandatare und Funktionäre, die dem über Parteigrenzen hinaus gepflegten volkstumspolitischen Gedankengut positiv gegenüberstanden, zurückgezogen haben oder ausgeschieden worden sind. Denn spätestens jetzt wäre „Denken über den Tellerrand hinaus“ vonnöten; noch besser wäre sozusagen die Ausarbeitung eines  „Plans B“ zur Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts, wobei alle deutschtiroler Parteien Südtirols an einem Strang ziehen müssten.

Lackmustest Doppelstaatsbürgerschaft

Justament in diesem Zusammenhang wird die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft zum Lackmustest. Mit der Wiedererlangung der erstmals von einer österreichischen Regierung – wenn auch versehen mit  abschwächenden Formeln –  in Aussicht gestellten Staatsbürgerschaft für Südtiroler hätte Bozen einen starken Schutzschild gegen zu erwartende römische Angriffe auf die Autonomie in der Hand. Doch auch hierbei zeigt sich die Janusköpfigkeit der SVP.  Obmann Achammer  und Landeshauptmann Kompatscher  gaben zunächst deutlich zu erkennen, dass sie sogar jenen Beschluss des höchsten Parteigremiums, der SVP-Landesversammlung, aushebeln wollten, die sich 2012 einstimmig für die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler ausgesprochen hatte.

Sodann rügte die Parteiführung in aller Öffentlichkeit  jene mutigen sieben SVP-Landtagsabgeordneten, die den von insgesamt 19 Landtagsabgeordneten unterzeichneten Brief an den österreichischen Bundeskanzler (und ÖVP-Obmann) Sebastian Kurz sowie den Vizekanzler (und FPÖ-Obmann) Heinz-Christian Strache mit dem entsprechenden Ersuchen um Erteilung der Staatsbürgerschaft an Südtiroler mitunterzeichnet haben. Erst als  die gut vernetzte „Vereinigung der SVP-,Altmandatare‘“ ihr Gewicht  in die Waagschale warf und sich auch positive Stimmen aus der (Nord-)Tiroler ÖVP (Landeshauptmann Günther Platter und dessen Vorgänger Herwig van Staa sowie Wendelin Weingartner) pro Staatsbürgerschaftsbegehr vernehmen ließen, suchten Achammer und Kompatscher von ihrem  destruktiven Verhalten loszukommen.

Fakten schaffen – statt Kotau vor Rom

Jedoch hat es immer wieder den Anschein, als tue just  Kompatscher einiges, um die Sache dennoch zu hintertreiben. In Wien hat sich Kanzler Kurz  ohnehin nur widerwillig auf des Koalitionspartners FPÖ Drängen in der Staatsbürgerschaftsfrage eingelassen. Er dürfte sich bei seinen Bremsmanövern stets auf Italien herausreden und infolge der  neuen politischen Verhältnisse in Rom, die in der Staatsbürgerschaftsfrage für die Südtiroler kaum mehr als nichts erwarten lassen, deren ungeliebtes Begehr dem Sankt-Nimmerleinstag anheimzugeben trachten.  Es ist daher an der FPÖ, Druck auszuüben und Fakten zu schaffen. Alle Rechtsgutachten besagen nämlich, dass es allein der souveränen Entscheidung Österreichs obliegt, den Südtirolern, deren Vorfahren sie vor hundert Jahren genommen wurde, seine Staatsbürgerschaft wieder zu erteilen. Ein Einvernehmen mit irrlichternden italienischen Polit-Cäsaren ist ebenso wenig vonnöten wie ein unwürdiger Kotau vor römischen Palazzi.

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„Herzensangelegenheit Südtirol“

geschrieben von PI am in Österreich | 36 Kommentare
Rund 300 Personen nahmen Anfang Oktober an der Kundgebung der Süd-Tiroler Freiheit für Selbstbestimmung und d0ppelte Staatsbürgerschaft am Brenner teil.

Von REYNKE DE VOS | Die unlängst an der „Unrechtsgrenze“ zwischen Österreich und Italien abgehaltene Brenner-Kundgebung, die das seit bald hundert Jahren unerfüllt gebliebene Selbstbestimmungsverlangen der Tiroler aus Aktualitätsbezug mit der Unterstützung des Unabhängigkeits- und Eigenstaatlichkeitsbegehrs der Katalanen verband, stand just im Zeichen der seit einigen Jahren von Südtirolern geforderten und bislang mit allerlei Ausflüchten vom offiziellen Wien abgelehnten Forderung nach Erteilung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Der FPÖ-Nationalratsabgeordnete Werner Neubauer, Südtirol-Sprecher seiner Partei, ergriff dort das Wort, unterstrich „die große Bedeutung der doppelten Staatsbürgerschaft für die Südtiroler“ und nannte die wünschenswerte Erteilung einen  „volkstumspolitischen Meilenstein in der Geschichte des Landes“.

Die Koalitionsverhandlungen

Neubauer ist nicht der einzige Freiheitliche, der in dieser Angelegenheit das Wort führt(e). Auch der nach einer Phase erzwungener Abwesenheit aus dem österreichischen Parlament wieder dort einziehende Abgeordnete Martin Graf und andere volkstumspolitisch engagierte Mandatsträger setz(t)en sich vehement dafür ein. Da die FPÖ als einzige Partei diesen Wunsch, seit er von Südtiroler Seite aufkam, konsequent unterstützte, richten sich im Rahmen der  Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP die Augen derer, die ihn hegen, naturgemäß umso mehr darauf, als tatsächlich erstmals die Chance zum Greifen nahe zu sein scheint.  Sofern sie nicht anderen, für die jeweils klientelistisch interessegeleiteten Verhandlungspartner „wichtigeren“ Sachthemen, über die Volkspartei  und Freiheitliche  nach Übereinkünften suchen, sozusagen „zum Opfer fallen“.

Alle bisherigen Anläufe vereitelt

Ruft man sich ins Gedächtnis, was sich in der Doppelstaatsbürgerschaftsfrage  ereignete, seit sie gestellt worden ist, und wer sich im politischen Geviert Bozen – Innsbruck – Wien – Rom seitdem wie verhielt, so ist ob der „Durchschlagskraft“ Neubauers und seiner Mitstreiter  selbst unter positiver Gestimmtheit beim Herangehen und der Standfestigkeit williger Proponenten eine gehörige Portion Skepsis hinsichtlich deren Erfolgsaussicht angebracht. Denn wenngleich sie seit der Machtübernahme des politisch hochtalentierten Studienabbrechers Sebastian Kurz als „Die neue Volkspartei“ daherkommt, hat just die ÖVP, mit der die FPÖ die Doppelstaatsbürgerschaftsfrage im Rahmen des Verhandlungskomplexes „Staat und Gesellschaft“ – mit den (Untergruppen-)Materien Medien, Justiz, Sport, Kunst und Kultur, Verwaltungsreform und Verfassung, Europa- und Außenpolitik, Integration – erörtern muss, auf maßgebliche Weise alle bisherigen, d.h. seit 2009 stattgehabten Anläufe vereitelt. Dem schloss sich die seit 1945 zwischen Brenner und Salurner Klaus Regierungsverantwortung tragende Südtiroler Volkspartei (SVP) – namentlich unter ihrer jetzigen, eher italo- denn austrophilen Führung  –  an und scheint, wie in manchen anderen politischen Fragen, bequemerweise und um das für sie nutzbringende Arrangement mit Rom nicht zu gefährden, diese Haltung beizubehalten.

Die Initiatoren

Dabei waren es der vormalige SVP-Obmann Siegfried Brugger, ehedem Abgeordneter in der römischen Kammer, sowie sein Parteifreund und Abgeordnetenkollege Karl Zeller – beide Juristen und Anwälte – , die im Dezember 2009 im Einklang mit den im Landhaus/Landtag zu Bozen vertretenen deutschtiroler Oppositionsparteien sowie den österreich-patriotischen Kräften (namentlich Schützenbund und  Heimatbund) den Wunsch  in die Öffentlichkeit trugen und in Wien deponierten. Begründung: Juristisch sei dies über eine Ausnahmeregelung im österreichischen Staatsbürgerschaftsrecht ohne weiteres möglich; und auch Italien ermögliche ethnischen Italienern überall auf der Welt die  Doppelstaatsbürgerschaft, ja behalte diesen „Auslandsitalienern“ in Kammer und Senat sogar 18 Sitze vor. Das 2006 im Blick auf die ethnischen Italiener in Istrien, Fiume und Dalmatien noch einmal novellierte italienische Staatsbürgerschaftsgesetz von 1992 erlaube  italienischen Staatsbürgern ausdrücklich den Erwerb einer zweiten Staatsbürgerschaft, ohne dass sie die italienische abgeben müssten – was folgerichtigerweise  auch für die Südtiroler  gelte.

Umfaller

Aus berufenem Munde war zu erfahren, dass Brugger vom ÖVP-Granden und gebürtigen Südtiroler Andreas Khol, mit dem er seinerzeit die Angelegenheit besprach, zunächst „in geradezu euphorischer Weise“ Zustimmung  sowie dessen  Unterstützungszusage erhielt.  Doch wenige Tage später hatte sich Khol dem Vernehmen nach vom „unbedingten Befürworter“ zum Gegner verwandelt, wie aus seiner in der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ am 16. Januar 2010 publizierten Stellungnahme hervorging: Eine  Doppelstaatsbürgerschaft würde Italien provozieren, dem Pariser Abkommen von 1946 zuwiderlaufen und sich nachgerade als „gefährlich“ erweisen. Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter hatte schon zu Weihnachten 2009 den „Dolomiten“ gegenüber das Südtiroler Verlangen, welches selbstredend auch  sein Bozner Pendant Luis Durnwalder damals unterstützte, als „Vorwand für eine neuerliche Diskussion um die Verschiebung der Staatsgrenzen“ qualifiziert und hinzugefügt, derlei zeuge „von Verantwortungslosigkeit und mangelndem Geschichtsbewusstsein.“

Bremser

Nicht zuletzt brachte der damalige Bundesparteiobmann, Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger seine Haltung zum Ausdruck. Besagter FPÖ-Nationalratsabgeordneter Neubauer gab den Inhalt eines Gespräches mit ihm über die Staatsbürgerschaftsfrage wie folgt wieder:  „Spindelegger erklärte mir unverblümt, dass es für ihn nicht infrage komme, Italien zu verärgern (….)  und er nicht im Entferntesten daran denke, diesem Wunsch der Südtiroler zu entsprechen.“Und in einem am 12. Februar 2010 erschienenen „Dolomiten“-Interview befand Spindelegger, man dürfe „keine falschen Hoffnungen wecken“; von einer Unterschriftenaktion für die doppelte Staatsbürgerschaft, wie sie eine überparteiliche Initiative unter Führung der im Bozner Landhaus/Landtag vertretenen Partei „Süd-Tiroler Freiheit“ (STF)  organisierte, riet er ab, weil diese eher „zu Irritationen führen“ könne.

„Keine verfassungsrechtlichen Bedenken“

Bald darauf übergaben die  Südtiroler Landtagsabgeordneten Eva Klotz und Sven Knoll  (beide STF) im Nationalrat zu Wien 22.500 Unterstützungsunterschriften an die Abgeordneten Neubauer (FPÖ), Herrmann Gahr (ÖVP), Gerhard Huber (BZÖ) und Alexander van der Bellen (Grüne). Die Unterschriften waren trotz politischer wie medialer Kontrapunktion  zusammengekommen; sie stellten daher keine vernachlässigbare Größe dar. Dies umso mehr, als das Bundeskanzleramt die Initiatoren der Unterschriftensammlung mit Schreiben vom 28. April 2011 wissen ließ, dass gegen eine Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler „keine allgemein verfassungsrechtlichen Bedenken“ bestünden.  Und Ende Mai 2011 stellte der Innsbrucker Verfassungsrechtler Walter Obwexer ein fundiertes Gutachten zum Thema vor, das zu erstellen ihn just die SVP beauftragt hatte. Obwexer kam darin zu dem Schluss, daß „der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Südtiroler grundsätzlich möglich“ sei. Und wider alle Unkenrufe von Vorsichtlern und Rücksichtlern vornehmlich aus der ÖVP stellte er fest, daß dies auf relativ einfache Weise realisierbar sei:  Weder völkerrechtlich, noch auf EU-Ebene gebe es rechtliche Hindernisse.

Enttäuschende Entscheidung

Schließlich sprach sich der Südtiroler Landtag am 9. März 2012  mit großer Mehrheit für die Doppelstaatsbürgerschaft aus. Als Verfassungs- und Völkerrechtsexperten sodann in einer Anhörung vor dem Südtirol-Unterausschuss (des Außenpolitischen Ausschusses) des Nationalrats übereinstimmend dargelegt hatten, daß der Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler rechtlich keine Hürden entgegenstünden, stellte Karl Zeller, der einst zusammen mit SVP-Obmann Brugger den Vorstoß unternommen hatte, zurecht fest: „Jetzt ist es nurmehr eine politische Entscheidung, ob den Südtirolern der Doppelpass ermöglicht wird oder nicht“.

Die Entscheidung ließ nicht allzulange auf sich warten und enttäuschte alle, die sich in der Causa engagiert hatten.  Am 5. Juli 2013 legte nämlich der von Außenminister – formell: „Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten“ – Spindelegger vorgelegte  „Bericht an den Nationalrat“ in aller Deutlichkeit offen, daß die österreichische Bundesregierung eine Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler  nicht wünschte. Entgegen den aus dem Südtirol-Unterausschuss bekannten Einlassungen der Rechtsexperten (und zeitgeistfromm politisch-korrekt  mit genderisierendem Binnen-I versehen) hieß es darin: „Die Einführung eines vereinfachten Erwerbs der österreichischen Staatsbürgerschaft für SüdtirolerInnen“ sei mit „völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Hürden  verbunden“. Woraufhin die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP im Verein mit den Grünen den FPÖ-Antrag abschmetterten, den Südtirolern die österreichische Staatsbürgerschaft einfachgesetzlich mittels geringfügiger Korrektur – nämlich Einfügens eines einzigen Absatzes – des geltenden Staatsbürgerschaftsgesetz zu ermöglichen. Zutreffenderweise ließ FPÖ-Südtirolsprecher Neubauer dazu verlauten:  „Die Bundesregierung hat sich damit gemeinsam mit den Grünen geweigert, unseren Landsleuten südlich des Brenners diesen Herzenswunsch zu erfüllen.“

Rückzug

Auch der neuerliche Anlauf der FPÖ im Nationalrat  zwei Jahre später endete wie der erste: SPÖ, ÖVP und Grüne lehnten wiederum ab. Mittlerweile rückte auch die unter neuer Führung stehende SVP von der ursprünglichen Zielsetzung ab. Als wenig verwunderlich erscheint dabei der juvenile politische Gleichklang zwischen dem (mittlerweile zum neuen ÖVP-Bundesobmann avancierten) Außenminister Sebastian Kurz und dem mit ihm befreundeten Südtiroler Politjungstar Philipp Achammer, seinem Pendant von der „Schwesterpartei“ SVP. Der das Trio komplettierende   Arno Kompatscher  hatte bereits vor der Landtagswahl 2013, zu der er als Kandidat für die Nachfolge des scheidenden Landeshauptmanns  Durnwalders antrat, in einem gemeinsamen Auftritt mit dem ÖVP-Südtirolsprecher  Gahr das Abrücken der SVP vom Staatsbürgerschaftsverlangen mit der  Formulierung  verbrämt, er nehme „wenig Begeisterung in der Südtiroler Bevölkerung für den Doppelpass“ wahr und „zur Kenntnis, daß auch in Österreich die Voraussetzungen dafür politisch nicht gegeben“ seien.

Reservation

An dieser ÖVP-SVP-Positionierung  hat sich bis zur Stunde nichts Wesentliches geändert, sondern sie hat sich geradezu stereotyp verfestigt. Sozusagen in vorauseilendem Gehorsam gegenüber der maßgeblich aus dem ÖVP-geführten Außenministerium  bestimmten regierungsamtlichen Wiener Linie machte Kompatscher – schon vor einem formellen Besuch Anfang 2015 bei Ressortchef  Kurz –  „noch viel Klärungsbedarf“ aus: „Es besteht die Gefahr, daß uns die Debatte mehr schaden könnte, als sie uns Nutzen bringt. (…) Wir wissen, daß sich in Wien und Tirol die Begeisterung in Grenzen hält, weil viele Fragen der praktischen Anwendung unklar sind“. Auch Kurz blieb reserviert: „Daß das ein emotionaler Wunsch der Südtiroler ist, verstehen wir selbstverständlich, aber es gibt in Österreich andere rechtliche Gegebenheiten“; man wolle „Doppelstaatsbürgerschaften vermeiden“.

Entkräftete Vorbehalte

Seit 2010 hat die österreichische Regierung Südtiroler Doppelstaatsbürgerschaftswünschen  stets  mit der Begründung, es sei zuvor eine „intensive juristische Prüfung“ notwendig, nicht entsprochen. Dabei sind die Rechtsfragen längst  fundiert  beantwortet: Weder müßte die österreichische Verfassung geändert werden, noch müsste Wien  völkerrechtliche Verträge kündigen; stattdessen würde eine einfache Änderung des österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetzes  ausreichen. Überdies erlaubt das „Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit“  vom 6.11.1997 nicht nur die Doppel-, sondern sogar die Mehrstaatsbürgerschaft. Gründe, die als entgegenstehend angeführt werden – beispielsweise, daß   Doppelstaatsbürgerschaft  Auswirkungen auf Steuern und Pensionen/Renten hätte – sind nicht stichhaltig: Steuern sind unabhängig davon zu entrichten und Pensionen unabhängig davon auszuzahlen, wo die steuerpflichtige respektive  pensions- bzw. rentenberechtigte Person  ihren gewöhnlichen Aufenthalt  (= Wohnsitz) hat. Entgegen anderslautenden Begründungen wären Südtiroler Doppelstaatsbürger gegenüber Südtirolern mit  Einfachstaatsbürgerschaft keinesfalls bessergestellt; denn Rechte und Pflichten, welche aufgrund der italienischen Rechtsordnung sowie der in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol geltenden Autonomiebestimmungen gelten, sind ja nicht davon abhängig, ob jemand (auch) die österreichische Staatsbürgerschaft innehat.

Interessen und ….

In politischen Sonntagsreden heißt es meist, Südtirol sei eine „österreichische Herzensangelegenheit“. Die Doppelstaatsbürgerschaft ist der Wunsch vieler Südtiroler deutscher und/oder ladinischer (ja vielleicht sogar einiger italienischer) Zunge, aber vaterländisch-österreichischer Gesinnung. Dennoch wurde nämlichem Wunsch in Wien nicht entsprochen.  Die bisherigen Regierungen und die sie tragenden Parteien SPÖ und ÖVP haben sich (nicht allein) in der Doppelstaatsbürgerschaftsfrage als Zauderer erwiesen. Man wird auch kaum fehlgehen, ihr und beiden Parteien (ebenso wie der SVP in Bozen) zu unterstellen, das Verhältnis zu Rom gegenüber der aus dem jahrzehntelangen Südtirol-Konflikt erwachsenen Schutz(macht)pflicht für die Tiroler unterm Brenner als vor-, wenn nicht erstrangig zu erachten. Ein solches Verhalten untergräbt Identität und Österreich-Orientierung der Südtiroler und spielt dem von Italien seit der Annexion im November 1918 verfolgten Plan in die Hände, die Südtiroler – trotz vielgepriesener (aber immer wieder von römischer Aushöhlung geschwächter) Autonomie – zu entnationalisieren, zu assimilieren und damit die seit dem Mussolini- Faschismus erstrebte „ewige Italianità“ des seit 1200 Jahren dem deutsch-österreichischen Kulturraum zugehörigen Landstrichs zu erlangen.

…. Glaubwürdigkeit

Die grundsätzliche Frage, welche  Interessen für Wien wichtiger sind, die der Südtiroler oder jene der römischen Politik, stellt sich daher auch – und nunmehr vor allem – der künftigen österreichischen Bundesregierung. Beantworten müssen sie die beiden Koalitionspartner. Auf das Wie darf man gespannt sein.  „Sollte die Freiheitliche Partei in Koalitionsverhandlungen kommen, dann wird in einer Regierungsvereinbarung die doppelte Staatsbürgerschaft drinnen sein müssen. Ansonsten wird es zu keiner Regierungsbeteiligung kommen!“ Es sind starke Worte, die der FPÖ-Nationalratsabgeordnete Werner Neubauer, seines Zeichens Südtirol-Sprecher,  auf der eingangs erwähnten, von patriotischen Kräften aus allen Teilen Tirols an der  „Unrechtsgrenze“ abgehaltenen Brenner-Kundgebung von sich gegeben hat. Es sind Worte von einer so verbindlichen Konditionalität, daß es einem enormen Gesichtsverlust für ihn und seine Gesinnungsgemeinschaft gleichkäme,  blieben sie folgenlos. Eine derartige Conditio sine qua non nicht einzulösen, würde ein nicht zu unterschätzendes  Glaubwürdigkeitsproblem  bereiten. Es sei denn, man befolgte schulterzuckend die Maxime „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“.

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Konspirative politische Händel zu Ungunsten Südtirols

geschrieben von PI am in Geschichte,Italien,Österreich | 26 Kommentare

Von REYNKE DE VOS | Wie ein bisher weitgehend im Dunkel verborgener Emissär das Nachkriegsgeschehen zwischen Wien und Rom hinter den Kulissen zu beeinflussen vermochte: Die Brenner-Grenze ist wieder da. Unter völkerwanderungsartig anschwellendem Zustrom afrikanisch-orientalischer Migranten über die „Italien-Route“ nach Mitteleuropa nimmt der enge Gebirgseinschnitt wieder seine Rolle als neuralgisches Kontroll-Areal am Übergang zum Bundesland Tirol ein, welches seit dem Schlagbaum-Abbau nach Österreichs EWG-Beitritt  (1. Januar 1995) als  obsolet galt.

Verschwunden war sie ja nicht wirklich, sondern lediglich „nicht mehr spürbar“, wie eine medial widerhallende stereotypisierte Politformel besagte und eher oberflächliche Betrachtung von Fahrzeuginsassen darüber hinwegrollender Automobilkolonnen  nahelegte.

Ob unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich die Chance für die in vielfachen eindrücklichen Willensbekundungen der Bevölkerung sowie die in politischen und kirchlichen Petitionen zum Ausdruck gebrachte Forderung nach Wiedervereinigung des 1918/19 geteilten Tirols bestand, ist unter Historikern umstritten.

Unumstritten ist, dass das Gruber-De Gasperi-Abkommen vom 5. September 1946 [13],  Grundlage für die (weit später erst errungene) Autonomie der „Provincia autonoma di Bolzano“,  dem die regierenden Parteien sowie der zeitgeistfromme Teil der Opposition in Wien, Innsbruck und Bozen heute den Rang einer „Magna Charta für Südtirol“ zubilligen, sich für Österreichs Politik jahrzehntelang als  „furchtbare Hypothek“ (Bruno Kreisky) erwies.

Gruber und De Gasperi

Allem Anschein nach fügte sich der österreichische Außenminister  Gruber seinerzeit ebenso seinem italienischen Gegenüber Alcide De Gasperi  wie den drängenden Siegermächten, um überhaupt etwas mit  nach Hause bringen zu können. Es waren jedoch  nicht allein die aus der (geo)politischen Lage herrührenden Umstände und die Unzulänglichkeiten des damals zur Pariser Friedenskonferenz entsandten österreichischen Personals sowie das mitunter selbstherrliche Gebaren Grubers respektive der Druck, den die (west)alliierten Siegermächte  auf die Beteiligten ausübten und schließlich ein anderes als das von den (Süd-)Tirolern erhoffte Ergebnis zeitigten. Eine soeben erschienene  Dokumentation des Linzer Zeithistorikers  Helmut Golowitsch zeigt, dass auch hinter den Kulissen  Akteure emsig und weitgehend inkognito am Geschehen beteiligt waren.

Insbesondere ein Kärntner Unternehmer übte einen bisher weithin unbekannten und im Blick auf das von der weit überwiegenden Bevölkerungsmehrheit in beiden Tirol sowie in ganz Österreich erhoffte Ende der Teilung des Landes fatalen Einfluss aus. Sein lautloses Mitwirken inkognito erstreckte sich nahezu auf den gesamten für den Südtirol-Konflikt zwischen Österreich und Italien bedeutsamen Geschehensablauf vom Kriegsende bis zur sogenannten „Paket“-Lösung Ende der 1960er Jahre, bisweilen lenkte er ihn in bestimmte Bahnen.

 Hinter den Kulissen

[14]Der Mann hieß Rudolf Moser, war 1901 in Wien geboren und in der christlich-sozialen Bewegung politisch sozialisiert worden. In Sachsenburg (Kärnten) leitete er die „A. Moser & Sohn, Holzstoff- und Pappenfabrik“, und als Industrieller gehörte er der vor allem auf die regierende Österreichische Volkspartei (ÖVP) stark einwirkenden Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft an. Mit dem ersten Bundeskanzler Leopold Figl, den er als seinen „engsten Jugendfreund“ bezeichnete, verband ihn wie er vermerkte, „in allen Belangen …. stets gegenseitige und vollständige Übereinstimmung und Treue“.

[15]

Der Emissär

In Italien, wohin seine Firma gute Geschäftskontakte unterhielt,  hielt sich Moser häufig für länger auf und kam mit namhaften Persönlichkeiten des  Staates ebenso wie mit katholischen Kreisen und dem Klerus in engen Kontakt. Moser, den auch Papst Pius XII.  mehrmals in Rom persönlich empfing, wirkte zudem als Vertrauensmann des Vatikans. Insofern nimmt es nicht wunder, dass sich der die italienische Sprache mündlich wie schriftlich nahezu perfekt beherrschende und absolut diskret agierende Moser nach 1945  geradezu ideal für die Aufnahme, Pflege und Aufrechterhaltung einer trotz Südtirol-Unbill dennoch äußerst belastbaren Verbindung zwischen ÖVP und Democrazia Cristiana (DC) eignete, die sich weltanschaulich ohnedies nahestanden. Dazu passte,  dass er sich der Rolle des (partei)politischen Postillons und verdeckt  arbeitenden Unterhändlers mit geradezu missionarischem Eifer hingab.

Verkaufte „Herzensangelegenheit“

Das erste für das Nachkriegsschicksal der Südtiroler bedeutende und in seiner Wirkung fatale Wirken Mosers ergab sich im Frühjahr 1946. Während nämlich die österreichische Bundesregierung offiziell – besonders Kanzler Figl, der in seiner Regierungserklärung am 21. Dezember 1945 vor dem Nationalrat gesagt hatte: „Eines aber ist für uns kein Politikum, sondern eine Herzenssache, das ist Südtirol. Die Rückkehr Südtirols nach Österreich ist ein Gebet jedes Österreichers“  – die  Selbstbestimmungslösung mittels Volksabstimmung verlangte, die Außenminister Gruber gegenüber den Siegermächten und dem Vertreter Italiens in Paris bis dahin einigermaßen aufrecht erhalten hatte, wurde Rom auf der Ebene parteipolitischer Beziehungen vertraulich darüber in Kenntnis gesetzt, dass sich Wien gegebenenfalls auch mit einer Autonomielösung anstelle eines Plebiszits  einverstanden erklären könne. Das Signal dazu gab Figl via Moser, der über  Vermittlung eines  Priesters aus dem Trentino den gebürtigen Trientiner De Gasperi am 3. April 1946  im Palazzo del Viminale, dem  Amtssitz des italienischen Ministerpräsidenten,  zu einer ausgiebigen geheimen Unterredung traf.

[16]

Dass das Duo Figl/Moser  damit Grubers Aktivitäten konterkarierte, dürfte auch dem Umstand geschuldet  gewesen sein, dass die beiden ÖVP-Politiker  Figl und  Gruber  einander sozusagen „in herzlicher Abneigung“ zugetan waren. Dass es dem Kanzler  primär um gutnachbarschaftliche politische (und wirtschaftliche) Beziehungen Wiens zu Rom sowie vielleicht mehr noch um freundschaftliche Verbindungen zwischen seiner ÖVP mit De Gasperis DC  zu tun war und dass er damit der alldem entgegenstehenden Sache Südtirols – wider alle öffentlichen Bekundungen und Verlautbarungen – schadete, spricht Bände.

Widersprüchliches Gebaren

Dieses widersprüchliche politische Gebaren sollte sich, wie die von dem oberösterreichischen Forscher Helmut  Golowitsch erstellte Dokumentation zeigt, unter allen auf Figl folgenden ÖVP-Kanzlern bis in die für das österreichisch-italienische Verhältnis äußerst schwierigen 1960er Jahre fortsetzen, unter der ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus ihren Kulminationspunkt erreichen  und darüber hinaus – wie man als Beobachter späterer Phasen hinzufügen muss – gleichsam eine politische Konstante bilden, der in aller Regel die beanspruchte Schutz(macht)funktion  Österreichs für Südtirol untergeordnet worden ist. Allen damals führenden  ÖVP-Granden stand Rudolf Moser als emsig bemühtes,  lautlos  werkendes und wirkendes Faktotum zur Seite: Sei es als Organisator konspirativ eingefädelter Spitzentreffen inkognito – mehrmals in seinem Haus in Sachsenburg – , sei es als Emissär,  mal als besänftigender Schlichter, mal  operierte er als anspornender Impulsgeber.  Mitunter war er verdeckt als Capo  einer geheimen ÖVP-Sondierungsgruppe unterwegs oder auch gänzlich unverdeckt als Mitglied einer offiziellen  ÖVP-Delegation auf DC-Parteitagen zugegen. Und nicht selten nahm er die Rolle eines Beschwichtigers von ÖVP-Politikern und -Funktionären wahr.

 Geheime Treffen

So regte er die erste geheime Begegnung Figls mit De Gasperi an, wie aus einem mit Briefkopf des Kanzlers versehenen Schreiben vom 16. Juli 1951 an Moser  hervorgeht. Das „inoffizielle Zusammentreffen“  fand im August 1951 – der genaue Tag ließ sich nicht rekonstruieren – im Hinterzimmer eines Gasthauses am Karerpass in Südtirol statt, wohin der in Matrei (Osttirol) sommerfrischende österreichische und der in Borgo (Valsugana) urlaubende italienische Regierungschef reisten, um sich „auf halbem Wege“ und „nach außen hin zufällig“ zu treffen.  Über Inhalt und Ergebnis dieses ersten Geheimtreffens, worüber es keine Aufzeichnungen gibt – und weiterer konspirativer Begegnungen mit anderen Persönlichkeiten – wurden weder  Süd- noch Nordtiroler Politiker informiert.  Während des gesamten Zeitraums, für die Golowitschs Dokumentation steht, agierten ÖVP-Kanzler und ÖVP-Parteiführung  unter  gänzlichem Umgehen der dem südlichen Landesteil naturgemäß zugetanen Tiroler ÖVP.

[17]Als der Nordtiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer (Foto, li) erkennen musste, dass die Tiroler ÖVP von der Wiener Parteizentrale in Südtirol-Angelegenheiten ständig übergangen wurde, plante er eine Abspaltung der Landespartei von der „Mutterpartei“ nach CSU-Vorbild. [Foto: Archiv Golowitsch]

Das ging sogar so weit, dass der legendäre  Landeshauptmann Eduard Wallnöfer wegen „wachsender Unstimmigkeiten mit der Wiener Parteizentrale“  – insbesondere während der Kanzlerschaft  des Josef Klaus, zu dem er ein „unterkühltes Verhältnis“ gehabt habe (Michael Gehler  –  eine „Unabhängige Tiroler Volkspartei“ (nach Muster der bayerischen CSU)  ernsthaft in Erwägung zog.  Indes war der aus dem Vinschgau stammende Wallnöfer   – nicht allein wegen der Südtirol-Frage, aber vor allem in dieser Angelegenheit  –  dem   Außenminister und nachmaligen Kanzler  Bruno Kreisky (SPÖ)  ausgesprochen freundschaftlich verbunden.

Delikate Besuche

Für das zweite  Geheimtreffen Figls mit De Gasperi am 18. und 19. August 1952 sorgte Moser, der es arrangiert hatte, auch eigens dafür, den  Ministerpräsidenten inkognito über den Grenzübergang Winnebach nach Osttirol zu schleusen und von dort aus auf sein Anwesen in Sachsenburg (Bezirk Spittal/Drau)  zu geleiten. Während zweier Tage  unterhielten sich De Gasperi und Figl bei ausgedehnten Spaziergängen unter vier Augen, niemand sonst war zugegen.

[18]

In einem späteren Rückblick, angefertigt zu Weihnachten 1973, vermerkte  Moser:

„Seit 1949 gab es in meinem Kärntner Landhaus gar viele Zusammenkünfte, Besprechungen, Beratungen und Konferenzen, aber nicht selten wurden auch in fröhlichem Zusammensein weitreichende Beschlüsse gefaßt. Im Gästebuch dieses ,Hauses der Begegnung‘, wie es vielfach genannt wurde, gibt es von den delikaten Besuchen fast keinerlei Eintragungen, weil ja jedwede Dokumentation vermieden werden sollte.“

[19]

Auf Figl folgte Julius Raab. Auch er war in Sachsenburg zu Gast, bediente sich Mosers Diensten hinsichtlich Italiens aber kaum. Das war auch gar nicht erforderlich, denn die politischen Prioritäten Wiens waren während Raabs Ägide vornehmlich auf das Ausverhandeln des Staatsvertrags (1955) und damit das Wiedererlangen der Souveränität gerichtet. Was dazu führte, dass es –  worüber   in Bozen und Innsbruck  Unmut herrschte  –  in der Südtirol-Politik zu keinen nennenswerten Aktivitäten oder Initiativen mehr kam.

Handreichung für Folterer

Nach De Gasperi, mit dem sich Moser auch weiterhin freund(schaft)lich austauschte, wechselten in Italien die Regierungschefs beinahe jährlich; bis 1981 war das Amt des „Presidente del Consiglio dei Ministri“ stets  sozusagen  ein „Erbhof“ der DC. Bis zum Abschluss des Südtirol-Pakets 1969 unter Mario Rumor, der zwischen 1968 und 1970 drei wechselnden, DC-geführten und dominierten (Koalitions-)Regierungen vorstand, hatten sieben DC-Regierungschefs 14 Kabinetten vorgestanden. Mit allen pflegte(n) Moser (und die ÖVP)  mehr oder weniger enge Kontakte.

[20]Zu Mario Scelba (Foto, li: Archiv Golowitsch), der später traurige Berühmtheit erlangte, weil unter seiner  Billigung 1961 in Carabinieri-Kasernen  politische Häftlinge aus den Reihen des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) gefoltert worden waren und er  als damaliger Innenminister den Folterknechten  dazu  „freie Hand“ („mani libere“) gelassen hatten, waren sie ebenso intensiv wie zu Fernando Tambroni, Antonio Segni, Amintore Fanfani und Aldo Moro. 1962 hatte Moser ein  geheimes Treffen zwischen dem stellvertretenden DC-Generalsekretär Giovanni Battista Scaglia sowie der DC-Fraktionsvizechefin  Elisabetta Conci  und ÖVP-Generalsekretär Hermann Withalm sowie Außenamtsstaatssekretär Ludwig Steiner eingefädelt, das in seinem Beisein  am 12. Mai in der  am Comer See gelegenen „Villa Bellini“ der mit ihm  befreundeten Papierfabrikantin Anna Erker-Hocevar  stattfand. Einmütiger Tenor des Treffens: Südtiroler „Friedensstörer“ seien  „gemeinsame Feinde“ und als solche  „unschädlich zu machen“. (Den italienischen Ministerpräsidenten und späteren Innenminister Mario Scelba (DC), der  Südtiroler  foltern ließ, nannte Moser seinen „guten Freund“.)

[21]

Moser bekundete stets, man müsse, wie er selbst, beseelt sein vom Willen „engster vertraulicher Zusammenarbeit …mit den aufrechten Europäern und jenen Christen, welche den Mut haben, solche der Tat zu sein“  sowie beitragen zur „gemeinsamen Verurteilung jeder Äußerung von unzeitgemäßem Nationalismus und unchristlichen Gewalttaten“ und mithelfen, jene Kräfte zu isolieren und auszuschalten,  „die unbedingt Gegner einer Einigung, einer Versöhnung sind“.  An Scelba schrieb er am 16. September 1961, er möge „im Alto Adige  jene wahnsinnigen Radikalen  isolieren, welche mit verbrecherischen Taten sich als Handlanger des Bolschewismus erweisen“.

 ÖVP-Geheimdiplomatie

Mosers Engagement ging so weit, dass er sich nicht scheute, daran mitzuwirken, hinter dem Rücken des damaligen Außenminister Kreisky (SPÖ) sozusagen „christdemokratische Geheimdiplomatie“ zu betreiben und dessen mit Giuseppe Saragat ausgehandeltes „Autonomie-Maßnahmenpaket“  zu desavouieren, welches die Südtiroler Volkspartei (SVP) dann auch am 8. Januar 1965  für „zu mager“ befand und infolgedessen verlangte, es müsse nachverhandelt werden. Schon am 6. Januar 1962  hatte er in einer an zahlreiche ÖVP-Politiker und -Funktionäre verschickten „Südtirol-Denkschrift“ bemerkt, Kreisky betreibe „eine dilettantisch geführte Außenpolitik.“  Das bezog sich just auf den  seit den  verheerenden Auswirkungen des Gruber-De Gasperi-Abkommens ersten zielführenden und erfolgreichen Schritt   der Wiener Südtirol-Politik, nämlich der Gang Kreiskys 1960 vor die Vereinten Nationen. Die Weltorganisation zwang mittels  zweier Resolutionen  Italien zu „substantiellen Verhandlungen zur Lösung des Streitfalls“ mit Österreich, womit der  Konflikt zudem internationalisiert und der römischen Behauptung, es handele sich um eine „rein inneritalienische Angelegenheit“ die Grundlage entzogen worden war.

Ludwig Steiner und Kurt Waldheim

In den Rom-freundlichen Kreisen der Bundes-ÖVP war dies jedoch mit Unwillen registriert  worden. Zunächst hatte ÖVP-Staatssekretär Ludwig Steiner versucht, Kreisky zu bewegen, „die österreichische UNO Initiative zurückzunehmen“,  denn „seiner Meinung nach  habe Italien in einer UNO Debatte d[er]z[ei]t. eine bessere Stellung und im Übrigen solle man  nicht die westlichen Freunde Österreichs strapazieren.“ Kreisky vermerkte über  Steiner: „Seit seinem Eintritt als Staatssekretär haben die Intrigen gegen die gemeinsame Außenpolitik in hohem Maße zugenommen.“ Ebenso vergeblich wie Steiner hatten auch (der spätere ÖVP-Außenminister)  Kurt Waldheim und der damalige Leiter der Politischen Abteilung des Außenministeriums,  Heinrich Haymerle, versucht, Kreisky, wie dieser festhielt,  „in stundenlangem Gespräch zu überreden, dass wir uns jetzt aus der Affäre ziehen sollten … Andernfalls würde Österreich als ein Störenfried betrachtet werden, und dies wäre uns keineswegs zuträglich“.

Mosers vielfältiges und nicht eben einflusslos gebliebenes Wirken  beschränkte sich indes nicht auf die eines Kontaktknüpfers oder Verbindungsmannes zwischen ÖVP und DC. Er betätigte sich auch auf  internationalem  Parkett  und vertrat die ÖVP auf den seit 1947 stattfindenden jährlichen Parteikongressen der DC sowie auf den Jahrestagungen  der „Nouvelles Équipes Internationales“ (NEI), die sich 1965 in  „Union Européenne des Démocrates-Chrétiens“ (EUDC) / „Europäische Union Christlicher Demokraten“ (EUCD) umbenannte. Die von Gegnern als „Schwarze Internationale“ verunglimpfte  EUCD ging  1998 in der Europäischen Volkspartei (EVP) auf.

Josef Klaus beugt sich römischem Druck

Der italophile Moser  ist nicht selten als politischer Stichwortgeber auszumachen, wenn es um den Versuch der in Wien Regierenden – insbesondere der von der ÖVP gestellten Bundeskanzler  der ersten 25 Nachkriegsjahre – ging, sich des mehr und mehr als lästig empfunden Südtirol-Problems zu entledigen. Dies trifft in Sonderheit auf die „Ära Klaus“ zu. Rudolf  Moser fungierte just in der Südtirol-Causa als dessen enger Berater und wirkte, wie stets zuvor, als graue Eminenz.  Die Regierung Klaus ließ sich – von Rom in der von Wien angestrebten  EWG-Assoziierung  massiv unter Druck gesetzt – auf (verfassungs)rechtlich äußerst fragwürdige (bis unerlaubte)  Händel ein, so  beispielsweise auf die auf  sicherheitsdienstlicher Ebene mit italienischen Diensten insgeheim verabredete Weitergabe polizeilicher Informationen über Südtiroler, obwohl dies für politische Fälle unzulässig war. Das Wiener Justizministerium und die für Rechtshilfe zuständigen Institutionen wurden dabei kurzerhand übergangen. Für all dies und einiges mehr gab Klaus, der hinsichtlich der Südtirol-Frage ähnlich dachte wie sein deklarierter Freund  Rudolf Moser, allen Forderungen der italienischen Seite bereitwillig nach. Moser hatte alles getan, um sowohl 1965 in Taormina, wo ein UECD-Kongress stattfand, als auch im Sommer 1966 ein geheimes Treffen in Predazzo, wohin Klaus im Anschluss an seinen üblichen Urlaub (in Bonassola an der Ligurischen Küste) reiste, mit Aldo Moro zustande zu bringen.

Aus dem Dunkel ans Licht

Mosers konspiratives Wirken endete 1969/70.  Bevor er sich als Pensionist aufs Altenteil  in seine Geburtsstadt Wien zurückzog, hinterließ er seine gesamten Aufzeichnungen, Dokumente und Photographien  einem Kärntner Nachbarn. Begünstigt von einem glücklichen Zufall war es  Helmut  Golowitsch nach langwierigen Recherchen  gelungen,  an den zeitgeschichtlich  wertvollen Fundus zu gelangen, in den zuvor  noch nie ein Historiker ein Auge geworfen hatte.  (Fotos: Archiv Golowitsch):

Ergänzt durch Material aus dem im niederösterreichischen Landesarchiv verwahrten Nachlass Figls sowie durch einige Dokumente aus dem Österreichischen Staatsarchiv und dem Tiroler Landesarchiv hat er ihn umsichtig aufbereitet, ausgewertet  und nunmehr in dieser voluminösen Dokumentation publiziert, worin  er die für die Geschehenserhellung brisantesten Notizen Mosers erfreulicherweise faksimiliert wiedergibt. Alle Moser’schen Dokumente hat  Golowitsch zudem zu jedermanns Einblick und Nutzung dem Österreichischen Staatsarchiv übergeben. Seiner Publikation, die ein bisher im Dunkel verborgenes wichtiges Kapitel der mitteleuropäischen Nachkriegsgeschichte ins Licht hebt und, wie der Salzburger Historiker Reinhard Rudolf  Heinisch  zurecht in seinem Vorwort schreibt,  „durch dessen Ergebnisse die tragische Geschichte Südtirols nach 1945 in vielen Bereichen umgeschrieben werden muss“, ist weite Verbreitung zu wünschen.

» Helmut Golowitsch: Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis.Wie sich die österreichische Politik ein unliebsames Problem vom Hals schaffte, Graz (Stocker-Verlag) 2017, Hardcover, 607 Seiten [26],  ISBN 978-3-7020-1708-8,  Preis 34,80 €

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Stachel im Fleisch der Politik

geschrieben von PI am in Freiheit,Geschichte,Italien,Österreich | 38 Kommentare

Von REYNKE DE VOS | Jedweden Widrigkeiten zum Trotz halten die Schützen im Süden des 1919 geteilten Landes an der Wiedervereinigung Tirols fest. Wer sich mit historischen Publikationen zum Thema (Süd-) Tirol befasst und die mediale Berichterstattung der letzten Jahre verfolgt hat, konnte folgenden Eindruck gewinnen: Mit der 1969 zustande gekommenen und 1972 statutarisch verankerten Selbstverwaltung für die „Provincia autonoma di Bolzano – Alto Adige“ und dem unlängst in Meran, Bozen und Wien politisch-medial beweihräucherten Rückblick auf „25 Jahre österreichisch-italienische Streitbeilegung“ von 1992 sei die seit Ende des Ersten Weltkriegs schwärende Wunde der Teilung Tirols ein für allemal geschlossen. Weit gefehlt.

Demoskopische Erhebungen förderten zutage, dass in Österreich – insbesondere im Bundesland Tirol [27] – wie im von Italien 1918 annektierten südlichen Teil Tirols das Empfinden historischen Unrechts sowie das Gefühl der Verbundenheit und Zusammengehörigkeit nach wie vor ausgeprägt sind.

Die große Mehrheit aller Befragten bekundete auch das Verlangen nach (einem Referendum zwischen Brenner und Salurner Klause über die) Ausübung des sowohl nach dem Ersten, als auch nach dem Zweiten Weltkrieg der dortigen Bevölkerung verweigerten Selbstbestimmungsrechts. Dafür sprachen sich sogar viele der befragten ethnischen Italiener in der benachbarten Provinz Trient aus, mit der Bozen-Südtirol in einer „Regione Autonoma Trentino-Alto Adige“ zwangsvereint ist.

In Südtirol selbst waren sich die Befragten – trotz unterschiedlicher Vorstellungen der maßgeblichen politischen Kräfte über die anzustrebende weitere Entwicklung des Landes (Vollautonomie; Freistaat; Rückgliederung an Österreich) – mehrheitlich darüber einig, dass dessen Zukunft jedenfalls in der Unabhängigkeit von Italien, mithin im „Los von Rom“, zu suchen sei.

Bewahrung der Tiroler Identität

Dass Loslösung von Italien im öffentlichen Raum ein Diskussionsthema ist und bleibt, dafür sorgen (neben drei deutschtiroler Oppositionsparteien, die seit der Landtagswahl von 2013 im Parlament zu Bozen zusammen 10 von 35 Abgeordneten stellen) der Südtiroler Heimatbund (SHB), die Vereinigung ehemaliger Freiheitskämpfer, sowie vor allem der Südtiroler Schützenbund (SSB). Dieser mitgliederstarke Traditionsverband, dessen Wurzeln ins frühe 16. Jahrhundert zurückreichen, tritt in Treue fest für die Bewahrung der Tirolität im fremdnationalen Staat sowie unerschütterlich für die Aufrechterhaltung des Ziels der Landeseinheit ein. Wiewohl politisch gänzlich unabhängig, bilden mehr als 6000 Mitglieder, von denen über 5000 in 140 Schützenkompanien sowie in 3 Schützen(musik)kapellen aktiv sind, samt Familienangehörigen ein ansehnliches gesellschaftliches Potential.

Wann und wo immer sie aufmarschieren in ihrer pittoresken Montur, sind sie eine Augenweide fürs Publikum. Im alpinen Tourismus würden ihre Farbtupfer fehlen, träten sie nicht in Kompaniestärke oder gar noch größeren Formationen auf, wenn es gilt, gelebte Tradition augen- und ohrenfällig werden zu lassen. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass zwischen Oberbayern und Welschtirol (Trentino) beheimatete Schützenformationen an den meisten Urlaubsorten von Besuchern allzu gerne als folkloristische Draufgabe auf ihren wohlverdienten Ferienaufenthalt empfunden werden.

Ursprünge des Schützenwesens

Wer indes einmal einen Blick in eine Ortschronik oder gar in ein Geschichtsbuch wirft, dem wird sich die historische Dimension des Schützenwesens alsbald erschließen. Dies gilt samt und sonders für jene Landstriche im Dreieck zwischen Konstanz, Kufstein und Ala an der Etsch (südlich Rofreit/Rovereto nahe dem Gardasee),  die einst die „Gefürstete Grafschaft“ respektive das „Land im Gebirg’“, wie es oft in Urkunden bezeichnet wird, mithin das alte Tirol ausmachten. Überall dort geht die Existenz der Schützen auf das sogenannte Landlibell Kaiser Maximilians I. (1459–1519) zurück.

Der „letzte Ritter“, wie man ihn auch nennt, erließ 1511 jenen urkundlich verbrieften Rechtsakt, in welchem er die Freiheiten der Tiroler Stände festlegte und damit zugleich das Wehrwesen und also die Organisation der Landesverteidigung durch Aufgebote städtischer und ländlicher Bewohner mitsamt einer Aufteilung der Mannschaftskontingente regelte. Das Landlibell legte fest, dass die Tiroler nicht verpflichtet waren, für einen Herrscher außerhalb der Landesgrenzen in den Krieg zu ziehen. Dafür sicherten die Stände zu, bei Feindeseinfall Tirol zu verteidigen.

Volksheld Andreas Hofer

Weithin bekannt wurde das Tiroler Schützenwesen vor allem durch die Abwehrkämpfe während der kriegerischen Einfälle der Bayern 1703 sowie der Franzosen (nebst ihrer bayerischen Verbündeten) in den Jahren 1796/97 und 1809. Die Bergisel-Schlachten unter dem aus dem Südtiroler Passeiertal stammenden Kommandanten und Volkshelden Andreas Hofer – plastisch und drastisch nachzuverfolgen am „Riesenrundgemälde“ im Tirol-Panorama, einem eigens 2010 errichteten Museum am gleichnamigen Berg nahe Innsbruck – trugen wesentlich dazu bei, dass der Mythos vom wehrhaften Bergvolk, das selbst Napoleon trotzte, in ganz Europa bekannt wurde.

Das Landlibell galt im Kern bis zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, und selbst während des Ersten Weltkriegs wurden Tiroler Standschützen stets nur zur Verteidigung der Heimat und eben nicht auf außertirolischen Kriegsschauplätzen eingesetzt. Daran und an „500 Jahre Landlibell als Geburtsurkunde der Tiroler Schützen“ war 2011 in Innsbruck im Beisein von deren Abordnungen aus eben jenem historischen Tirol – des österreichischen Bundeslandes sowie der italienischen Provinzen Bozen-Südtirol und Trentino – feierlich erinnert worden.

Heutiges Engagement

Nirgendwo dort fehlen Schützen bei einer größeren Festveranstaltung. Fast in jeder Gemeinde gibt es eine Kompanie, die bei festlichen Anlässen „ausrückt“ und mittels Gewehrsalven eines Schützen-Detachements den Festcharakter lautstark unterstreicht. Heutzutage haben diese Waffen tragenden Tiroler in ihren schmucken, regional und sogar lokal unterschiedlichen Uniformen feindliche Truppen nicht mehr abzuwehren, wenngleich Degen und Karabiner zu ihrer „Standardausrüstung“ gehören. Der wehrhafte Geist ist ihnen indes ganz und gar nicht abhandengekommen, wenn sie sich – im engeren wie im weiteren Sinne – um die „Heimat“ kümmern: Sie initiieren und beteiligen sich aktiv an Renovierungsaktionen für Bauwerke; dasselbe gilt für Reinigungsaktivitäten besonders dort, wo das Wegwerfgut des Massentourismus zu beseitigen ist.

Vor allem aber engagieren sie sich in der sozialen Fürsorge für ältere Mitbürger. Trotz äußerlicher Verschiedenheit, wie sie an Gewand und Hüten, an Uniform-/Tracht- und Hutschmuck sowie an ihren Fahnen auszumachen ist, eint sie Tradition und Heimatverbundenheit, wie sie sich in den Grundsätzen des Schützenwesens manifestieren (dazu gehören „Treue zu Gott und dem Erbe der Väter“, „Schutz von Heimat und Vaterland“ sowie „Einheit des Landes“).

Kampf für die Landeseinheit

Letzteres führte mitunter zu Auseinandersetzungen in und zwischen den drei maßgeblichen Schützenverbänden – sehr stark beeinflusst von den in den Tiroler Landesteilen dominanten politischen Kräften respektive regierenden Parteien, von denen im Bundesland Tirol die ÖVP und in der Provinz Bozen-Südtirol deren Pendant SVP seit dem Zweiten Weltkrieg ununterbrochen an der Macht sind. Dass Streit über die Landeseinheit mittlerweile als „Schnee von gestern“ gelten darf, ist in erster Linie dem Betreiben des SSB und dessen Landeskommandanten Major Elmar Thaler sowie der Mitwirkung seines Pendants im Norden – Major Fritz Tiefenthaler, Kommandant des Bundes Tiroler Schützenkompanien (BTSK) – zuzuschreiben.

Hieß der übergreifende Grundsatz zwischen Nord und Süd in den 1990er Jahren „geistige und kulturelle Landeseinheit“, so ist in den letzten Jahren, weitgehend inauguriert vom SSB, immer stärker auch die „politische Einheit des Landes“ in den Mittelpunkt gemeinsamer Zielsetzungen gerückt. Und mit der Neugründung eines (die ansonsten eigenständigen Schützenverbände Tirols, Südtirols und Welschtirols) vereinigenden „Verbandes Tiroler Schützen“ (VTS) wurde die „Landeseinheit Tirols“ in dessen Statut fixiert. Jedes Jahr übernimmt ein anderer Landeskommandant die Führung der darin vereinten mehr als 20.000 Schützen Gesamttirols.

Freiheitsmarsch

Sichtbarster Ausdruck der Veränderung vom „unpolitischen“ – und von zeitgeistfrommen Zeitgenossen abschätzig „heimattümelnd“ genannten – Charakter zu einem durchaus ernstzunehmenden politischen Faktor in beiden Teilen Tirols war der „Freiheitsmarsch“ der Schützen 2012 in Bozen. Damit war erstmals auch die personifizierte gesamttirolische Verbandseinheit dokumentiert worden, indem der Südtiroler Landeskommandant Elmar Thaler, der Nordtiroler Fritz Tiefenthaler und der Welschtiroler Giuseppe Corona an der Spitze den farbenprächtigen Zug von Tausenden ihrer Mannen nebst Marketenderinnen und Sympathisanten in gleichem Schritt und Tritt quer durch die Stadt auf den Platz vor das Landhaus (Landtag) zur Abschlusskundgebung führten.

„Unser Staat ist das nicht“

Dort fassten sie zusammen, was die einzelnen Kompanien in griffige Parolen gekleidet auf Spruchbändern mit sich geführt hatten und was Ziel des demonstrativen, aber gänzlich unmartialisch verlaufenen Aufmarschs sein sollte: Der „Mut zum Bekenntnis und zur Tat“ gipfelte in dem wider Italien gerichteten Bekenntnis „Unser Staat ist das nicht“, respektive im Verlangen „Schluss mit der italienischen Verwaltung“.

In Anlehnung an den November 1989 in der damaligen DDR hieß es auch auf rotweißen Spruchbändern, die der Tiroler Adler zierte: „Wir sind das Volk“. Womit zugleich das Verlangen nach Wiedervereinigung des seit Ende des Ersten Weltkriegs geteilten Tirols Ausdruck fand. All das verdichtete sich in den beiden markanten Parolen von der „Ausübung des Selbstbestimmungsrechts“ und der „Verabschiedung aus Italien“, mithin dem „Los von Rom“.

Es fehlte auch nicht an Schelte für „Politiker, die der Landeseinheit im Wege stehen“. Vom SSB initiierte und organisierte „Unabhängigkeitstag“ in Meran 2013 und in Bruneck 2016, zu denen sich Vertreter zielgleicher nationaler Minderheiten aus Europa einfanden, gerieten zu selbstbewussten Manifestationen wider assimilatorische Entnationalisierung sowie des unbedingten Willens zur Selbstbehauptung und des Verlangens nach Verwirklichung des in der UN-Charta verankerten Selbstbestimmungsrechts.

Die neue SVP-Führung ist italophil

Die Schützen wissen, dass sie mit derartigen Aktivitäten mitunter auf Ablehnung stoßen: nicht allein in Rom (zur Gänze) sowie (weithin) in der politischen Klasse Wiens und Innsbrucks, sondern auch und vor allem bei der SVP. Die 1945 gegründete „Sammelpartei“ hat sich längst mit den obwaltenden, weil mitgestalteten Verhältnissen arrangiert.

Dem Arrangement fiel das in ihren Parteistatuten als Gründungszweck und hehres Verwirklichungsziel verankerte Selbstbestimmungsbegehr „realpolitisch“ ebenso zum Opfer wie ihr die einst auch von ihr als höchsten Daseinszweck propagierte Landeseinheit faktisch obsolet geworden ist. Dies legte die seit der Streitbeilegung 1992 immer öfter ins Auge stechende, dem Machterhalt dienende und für Funktions- und Amtsträger sowie dem sozial und ökonomisch nutznießenden Teil der eigenen Wählerklientel einträgliche Maxime des „Kompromisses um jeden Preis“ offen. Man tritt der gegenwärtigen SVP-Führung und dem Gros ihrer Parlamentarier gewiss nicht zu nahe, wenn man sie, wie es einer ihrer früheren Mandatare tut, als italophil bezeichnet.

Dass dies zwangsläufig zu Konflikten mit dem Schützenbund führen muss(te), dessen Wiedergründung ohne Beistand und Rückhalt der SVP 1957 kaum denkbar gewesen wäre und zu dessen erstem Kommandanten infolgedessen der damalige Landeshauptmann Dr. Alois Pupp bestimmt worden war, ist in den letzten Jahren häufig zutage getreten. Das Wiederaufleben des im italienischen Faschismus verbotenen Schützenwesens geschah gegen den hartnäckigen Widerstand des „demokratischen Italiens“, das – in Südtirol übrigens bis heute – zäh sein geistiges faschistisches Erbe verteidigt. In Rom war und ist man sich der Bedeutung des Schützenwesens bewusst, dessen traditioneller Daseinszweck auf Bewahrung der Identität und Freiheit der Tiroler sowie auf Wiedererlangen der Landeseinheit gerichtet ist.

In Treue fest zur Heimat

Von den 1950er bis zu den frühen 1980er Jahren herrschte hinsichtlich dieser Ausrichtung weithin Übereinstimmung mit der SVP, zudem bestand eine gewisse personelle Identität. Man tut wohl niemandem Unrecht, wenn man den SSB bis zur zäsuralen „Schützenrevolte“ auf der denkwürdigen Landesversammlung (dem Parteitag) 1986 in Meran als eine der SVP-„Vorfeldorganisationen“ charakterisiert.

Das hat sich seitdem fundamental geändert. Zwischen SVP und SSB, der sich von ihr emanzipierte und mehr und mehr zum Stachel im Fleische der Politik wurde, ist heute der Bruch unübersehbar. Die Schützen haben wieder und wieder bewiesen, dass sie trotz (gesellschafts)politischen Gegenwinds an ihrem historisch begründeten und legitimierten Auftrag sowie an ihrem tradierten Wertegefüge festhalten und standfest bleiben. Daher ist es vornehmlich ihnen zu danken, dass das letzte Wort bezüglich der Zukunft (Süd-)Tirols wohl noch lange nicht gesprochen ist.

Ein soeben erschienenes Buch [28], worin eine Fülle exklusiver Informationen aufgeboten ist, die man sowohl in der journalistischen, als auch in der bisherigen wissenschaftlichen Publizistik vergeblich sucht, legt all dies offen. Diese facettenreiche Publikation über den Südtiroler Schützenbund stellt daher zugleich eine detaillierte Beschreibung der ins österreichisch-italienische Verhältnis eingebetteten politischen Handlungen beider Tirol dar. Mithin schließt die Darstellung auch eine Lücke in der Aufarbeitung der jüngeren Zeitgeschichte.

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50 Jahre Porzescharte: Italienische Manipulationen in Südtirol

geschrieben von PI am in Geschichte,Italien,Österreich | 23 Kommentare
Peter Kienesberger beim Prozess in Wien im Dezember 1968 (der mit einem Freispruch endete).

Von REYNKE DE VOS | 50 Jahre nach dem Vorfall auf der Porzescharte wäre es höchst an der Zeit, dass Österreich für die völlige Rehabilitierung der damals zu Unrecht Verurteilten sorgte.

Am Abend des 24. Juni 1967 steigen der Arzt Dr. Erhard Hartung, der Elektrotechniker  Peter Kienesberger und der Unteroffizier des österreichischen Bundesheeres Egon Kufner auf zur Porzescharte.  Der als unbewacht geltende Grenzkamm zwischen dem Osttiroler Bezirk Lienz und der italienischen Provinz Belluno wurde seinerzeit von Kämpfern des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) als Nachschub- und Fluchtweg benutzt. Kienesberger, der Anführer der Gruppe, war, wie die drei später aussagten, kurzfristig davon verständigt worden, dass auf der Porzescharte  ein verwundeter BAS-Aktivist zur Weiterbehandlung in Österreich übernommen werden müsse. Daher nähern sie sich bis auf eine ungefähre Gehzeit von einer halben Stunde dem Grenzgebirgsübergang zwischen Österreich und Italien. In einer geschützten Mulde lässt Kienesberger seine Kameraden zurück und tastet sich noch ein Stück Wegs weiter nach oben, um , wie üblich, Funkkontakt mit den am Grat vermuteten wartenden Südtirolern aufzunehmen. Doch Antworten auf Funksignale bleiben aus, stattdessen gewahrt er oben kurz aufscheinendes Licht von einer Taschenlampe oder einem Feuerzeug und vernimmt Geräusche sowie Stimmen. Dies kommt ihm ungewöhnlich vor, denn Südtiroler Kameraden hatten sich stets lautlos verhalten und kein Licht gebraucht, weshalb Kienesberger der Sache misstraut, sie abbricht und mit seinen Kameraden in die Ortschaft Obertilliach zurückkehrt. Dort besteigt die Gruppe eine Stunde nach Mitternacht, mithin am 25. Juni,  jenen von dem Studenten Christian Genck chauffierten VW Käfer, mit dem sie  gekommen waren.

Just am  25. Juni sollen – so die offizielle und letztlich für die Gruppe verhängnisvolle italienische Darstellung – auf besagter Porzescharte (ital. Benennung „Cima Vallona“) vier italienische Soldaten zu Tode gekommen und einer verletzt worden sein. Aufgeschreckt von einer nächtlichen Detonation seien sie  zum Grenzübergang geeilt, wo – wie ein Jahr zuvor – ein Strommast gesprengt worden war. Einer der Männer, der Alpini-Soldat Armando Piva, war  diesen Angaben zufolge durch die Detonation einer vergrabenen Sprengfalle schwer verletzt worden und noch am selben Tag gestorben. Angehörigen einer eingeflogenen Spezialeinheit sei dasselbe passiert: Carabinieri-Hauptmann Francesco Gentile und die Fallschirmjäger Mario di Lecce und Olivo Dordi hätten eine zweite Sprengfalle ausgelöst: Dabei seien sie getötet sowie ihr Kamerad Marcello Fagnani, ein vierter Angehöriger des Kommandos,  schwer verwundet worden.

Freispruch in Österreich, lebenslang in Italien

Des von Politik, Sicherheitsbehörden und Militär in Italien und Österreich sowie in Medien beider Länder und darüber hinaus so genannten „blutigsten Attentats des Südtirol-Terrorismus“ werden daraufhin  der im Zusammenhang mit früheren BAS-Aktionen namhafte  Kienesberger, der bis dahin unauffällige  Dr. Hartung sowie  Kufner bezichtigt, (in Österreich) inhaftiert und schließlich sowohl in Österreich, als auch in Italien angeklagt. In Florenz lautet das Urteil für Kienesberger und Hartung lebenslänglich, Kufner soll für 24 Jahre hinter Gitter.  Die drei  waren durch „Geständnisse“ belastet worden, welche zwei im Keller der Carabinieri-Kaserne in der Bozner Drusus-Straße gefolterte österreichische BAS-Aktivisten unterzeichnet hatten.

Die „Behandlungen“ durch mehrere Folterer und in  mehrtägiger Dunkelhaft – über einen Tisch gespannt und mit brutalen Schlägen auf die Genitalien  sowie der Drohung der „Erschießung auf der Flucht“ gefügig gemacht, um nur weniges aus dem „Werkzeugkasten“ der besonders bei Südtirolern angewandten „Cautio criminalis“ –  ließen sie Protokolle unterschreiben, welche der berüchtigte Bozner Untersuchungsrichter Mario Martin, den nicht nur der Schriftsteller Rolf Hochhuth sowie der Strafrechtler Ingo Müller oder der Kriminologe Arthur Kreuzer einen „furchtbaren Juristen“ nennen würden, zu deren Anklage verwendete; zudem waren sie im Verfahren zu Florenz von Bedeutung.  Erschütternd ein Zeitzeugenbericht (Teil 1 [29] und Teil 2 [30]).

Die florentinischen Urteilssprüche ergingen in Abwesenheit der Angeklagten und fußten auf Gesetzen aus der Zeit des italienischen Faschismus. Aufgrund späterer  Erkenntnisse/Urteile österreichischer und deutscher Höchstgerichte verstieß das Verfahren in Florenz vor allem dadurch, dass die Angeklagten nicht zur Hauptverhandlung geladen wurden und ihnen weder die Anklageschrift noch das Urteil zugestellt worden war, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).

In Österreich hingegen wurden die drei freigesprochen. Der  Freispruch war – wider gewisse justizielle Bemühungen, welche heute weithin als konstruiert, politisch beeinflusst und zudem auf fingierten italienischen „Beweismitteln“ beruhend gelten dürfen, die Täter mittels Schuldnachweis zu überführen – letztlich auf ein mittels Sachverständigengutachten  untermauertes Hauptargument der Verteidigung zurückzuführen.

Dieses förderte zutage, dass die den Dreien zur Last gelegten Taten im mehrfach bezeugten Zeitrahmen nicht zu bewerkstelligen war, wofür die Anwälte  das gutachterliche Weg-Zeit-Diagramm ins Feld führen konnten.  Ein weiteres von der Staatsanwaltschaft auf dem Einspruchswege in Gang gesetztes Gerichtsverfahren ließ der österreichische Bundespräsident Dr. Rudolf Kirchschläger 1975 endgültig einstellen.

Neue Forschungsergebnisse stellen vieles in Frage

Die italienische Verurteilung vom 15. Mai 1970 ist indes  nach wie vor in Kraft; würden Hartung und Kufner nach Italien reisen – Kienesberger ist am 14. Juli 2015 verstorben – müssten sie mit Verhaftung rechnen. Sie gelten nach wie vor als „Terroristen“, „Attentäter“, „Mörder“ – nicht allein im Stiefelstaat und dessen (zumindest unter rechtshistorischem Aspekt) fragwürdiger Justiz, sondern auch weithin in der Publizistik und, was ebenso schlimm ist,  in der wissenschaftlichen Südtirol-Geschichtsschreibung. Die  vor vier Jahren publizierten akribischen Forschungsergebnisse des österreichischen Militärhistorikers Hubert Speckner („Zwischen Porze und Roßkarspitz…“ Der „Vorfall“ vom 25. Juni 1967 in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten; Wien, Verlag Gra&Wis, 2013 ) zur Causa  vermochten daran wenig zu ändern.   Speckner wies anhand der Aktenlage akribisch nach, dass die Ereignisse auf der Porzescharte nicht so stattgefunden hatten, wie es von italienischer Seite behauptet wurde und dass die von Italien Beschuldigten nicht die „Täter“ gewesen sein konnten.

Zu hoffen ist, dass  seine jüngst erschienene, großformatige Publikation (Von der „Feuernacht“ zur „Porzescharte“. Das „Südtirolproblem“ der 1960er Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten; Wien, Verlag Gra&Wis, 2016), in der Speckner auf nahezu 800 Seiten anhand zahlreicher damaliger Geschehnisse offenlegt, wie Italien (nicht nur) während der „Bombenjahre“ in Südtirol manipulierte und täuschte, das zeitgeschichtliche Bild endlich zu revidieren vermag.  Seine Erkenntnisse, Ertrag  langjähriger umsichtiger und disziplinierter Quellenstudien im Österreichischen Staatsarchiv/Archiv der Republik – Auswertung von  der breiteren Öffentlichkeit nicht zugänglichen Beständen der Staatspolizei (StaPo) und der Justiz sowie von einschlägigen Dokumentationen des Entschärfungsdienstes des Innenministeriums sowie von „streng geheimen“ Beständen des Verteidigungsministeriums über den Einsatz des Bundesheeres an der Grenze zu Italien anno 1967 –  unter Einbeziehung neuerlicher Expertisen von Spreng(mittel)sachverständigen und mehrerer militärfachlicher Erkundungen des Geländes rund um die Porzescharte, zeigen nämlich klipp und klar, dass die amtliche italienische Darstellung von einst nie und nimmer der Wahrheit entspricht.

Justizielle Fernwirkung

Es wäre daher an der Zeit, von Wien, Innsbruck und Bozen aus alles zu unternehmen, um Rom dazu zu bewegen, besagtes florentinisches Fehlurteil, das eines Rechtsstaats(anspruchs) unwürdig ist,  zu annullieren.  Zumal da es  jüngst  in einer anderen Causa  just ad personam Hartung ganz offensichtlich auf  höchst zweifelhafte mehrinstanzliche justizielle Entscheidungen zwischen Bozen, Trient und Rom seine negative zeitliche Fernwirkung entfaltete. Wie das? Die von der in Australien lebenden Österreicherin Dr. Helga Christian gegründete „Laurin-Stiftung“ greift seit Jahren in Nöten befindlichen Personen, Verein(igung)en und Verbänden Südtirols ideell und finanziell unter die Arme, was gewissen Politikern, politisch-korrekten Journalisten und den Interessen der römischen Staatsmacht vorauseilend willfahrenden Justizbeamten im „Alto Adige“ ein Dorn im Auge war [31] und ist.  Weshalb (der vermeintliche „Porze-Attentäter“) Hartung,  Kuratoriumsmitglied der Stiftung, unlängst wiederum in Italien zu einer sechsmonatige Haftstrafe verurteilt worden ist, wohin ihn Österreich indes immerhin nicht ausliefert.

Was gegen Italiens Darstellung spricht

Im Rückblick auf die Geschehnisse von vor nunmehr 50 Jahren ist es Speckners Forschungsergebnissen zufolge höchst zweifelhaft, ob seinerzeit die vier „Attentatsopfer“ überhaupt auf der Porzescharte zu Tode gekommen waren. Weder die österreichische noch die italienische Seite legte in den in Österreich stattgehabten Gerichtsverfahren Totenscheine, Obduktionsbefunde oder eine amtliche Tatortbeschreibung vor.

Innenminister Dr. Franz Hetzenauer  (ÖVP) und Dr. Stocker von der Sicherheitsdirektion Tirol (Fernschreiben  an das Innenministerium vom 28.06 1967),  sowie der Osttiroler Bezirkshauptmann Dr. Othmar Doblander ( Bericht  vom 27.06.1967), die unmittelbar nach der italienischen Geschehensmeldung  unabhängig voneinander den Tatort besichtigten und dort nichts gewahrten, was nach Tod und Verderben aussah, wurden nicht zu den 1968 beginnenden mehrinstanzlichen Prozessen geladen und ihre Berichte offensichtlich bewusst zurückgehalten. Diese belegen, dass der angebliche Tatort ungesichert war und anders aussah, als ihn die eingesetzte italienisch-österreichische „Untersuchungskommission“ vorfand, die ihn erst nach zehn Tagen (sic!) in Augenschein nahm.  Was den (parteifreien) damaligen österreichischen Justizminister Prof. Dr. Hans Richard Klecatsky († 23. 04. 2015) davon überzeugt sein ließ, dass es sich bei dem „angeblichen Attentat um eine rein inneritalienische Manipulation auf der Porzescharte“ handelte, womit er aber in der ÖVP-Regierung Klaus kein Gehör fand.

Aus den von Speckner erstmals ausgewerteten Quellen  geht hervor,  dass sich in den  Erhebungen dieser „Untersuchungskommission“ zahlreiche Unstimmigkeiten finden und dass sich vieles von dem, was den damaligen Justizverfahren gegen die „Attentäter“ zugrunde gelegt worden war, so nicht ereignet haben konnte.  Es ergaben sich aus seiner Untersuchung objektive Befunde, welche den Aussagen von Zeugen,  besonders jenen des italienischen Militärs, diametral entgegenstehen. Andere Befunde lassen sich  nicht zweifelsfrei klären/objektivieren, da italienische (Geheimdienst-)Akten – weil „Secreto di Stato“ (Staatsgeheimnis) – unzugänglich sind.

Manöver-Unglück  oder „Gladio“-Aktion?

Ob es sich tatsächlich um ein Attentat, um ein Manöver-Unglück auf dem Kreuzbergsattel (ital. „Passo di Monte Croce di Comelico“), wo das italienische Heer eine Verminungsübung durchführte, oder um eine Falle für Südtiroler Freiheitskämpfer  gehandelt hat, in die dann, bedingt durch schlechte Koordination, eigene Leute hineinliefen, oder ob es  eine Geheimdienst- bzw. „Gladio“-Aktion im Rahmen der „Strategie der Spannung“ war, bei der selbst das Leben eigener Leute in Kauf genommen ward: Das dürfte erst verifizierbar sein,  wenn Italien die entsprechenden Archivalien, sofern nicht ohnehin längst vernichtet, freigibt. Erhebliche Zweifel an der offiziellen Version hegten neben österreichischen Blättern – zumindest anfangs –  auch italienische Journalisten wie etwa Giuseppe Gaddi.

Der Wiener „Expreß“ meldete,  die österreichischen Behörden gelangten immer mehr zu der Überzeugung, dass der angebliche „Terroristenanschlag“ in Wahrheit ein Unglück gewesen sei: „Inzwischen sind Zweifel an der Echtheit des Attentats aufgetaucht. Die österreichischen Behörden glauben immer mehr, daß der Terroristenanschlag ein Unglück war. Aussagen bestätigen, daß zur Zeit der Explosion italienische Fallschirmjäger ganz in der Nähe eine militärische Übung abhielten. E-Werks-Angestellte hätten auch keinerlei Fußspuren am Tatort feststellen können.“ Und die „Tiroler Tageszeitung“, alles andere als den Südtiroler Freiheitskämpfern wohlgesonnen, blieb aufgrund eigener Recherchen beharrlich dabei, dass es sich bei dem Vorfall um ein Unglück gehandelt habe: Der sich ständig widersprechende Kommandant des zuständigen IV. Armee-Korps, General Marchesi, und die ebenso wechselnden Aussagen der amtlichen italienischen Nachrichtenagentur ANSA seien dafür Hinweis genug.

Tatsächlich hatte ANSA am Nachmittag des 26. Juni, also ein Tag nach dem Vorfall auf der Porzescharte, gemeldet, die vier Soldaten seien bei einem „Manöver-Unglück“ (!) am Kreuzbergsattel ums Leben gekommen seien. Wenig  später wurde diese Meldung zurückgezogen, statt des Unglücks nun ein Attentat  und als Ort des Geschehens die Porzescharte genannt.

Tirols Altlandeshauptmann Dr. Wendelin Weingartner rügte in einem Beitrag in der Südtiroler „ZETT – Zeitung am Sonntag“ am 8. September 2013 eine Publikation der „Europaregion Südtirol-Tirol-Trentino“, in welcher die italienische Version des Geschehens auf der Porzescharte unkritisch wiedergegeben wurde.

Vorwand, Wien unter Druck zu setzen

Plausibel begründet lautet daher eine von Speckners Hypothesen, die auf dem unweit gelegenen Kreuzbergsattel einem Unfall zum Opfer Gefallenen könnten herbeigeschafft worden sein, um im damals angespannten bilateralen Verhältnis Rom-Wien Österreich der „Begünstigung von Terroristen“, ja selbst des „Staatsterrorismus“ zu bezichtigen. Politisch nahm Italien das angebliche „Porze-Attentat“ zum Vorwand, um sein Veto gegen den Beginn von Verhandlungen über Österreichs EWG-Assoziierungsbegehr einzulegen.

Außenminister Amintore Fanfani hatte die italienische Delegation bei der Hohen Behörde der Montanunion, dem Vorgängerorgan der EG-Kommission, am 28. Juni angewiesen, sich der Aufnahme von Verhandlungen mit Österreich, dessen Regierung am 15. Dezember 1966 einen entsprechenden Antrag gestellt hatte, so lange  zu widersetzen, bis Wien bewiesen habe, dass sein Staatsgebiet „nicht länger als Operationsbasis der Terroristen diene, die in Italien Attentate verübten“. Am 1. Juli unterrichtete er seine Botschafter in den EWG-Staaten, dass Rom weitere Verhandlungen Österreichs mit der EWG nicht zulassen werde, bis Wien widerlegen könne, dass sein Territorium „zur Vorbereitung und Verherrlichung von Terrorakten sowie Beherbergung für die Südtirol-Attentäter“ diene.

Im Zeichen des italienischen Kampfes gegen die sogenannten „Südtirol-Terroristen“ wurde das vermeintliche Ereignis auf der Porzescharte also genutzt, um Österreich politisch unter Druck zu setzen. Infolgedessen erhielt das Bundesheer  den Auftrag, unter dem Kennwort „Grenzeinsatz Süd“ den Gendarmerie-Einheiten bei Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen zu assistieren.

Regierung Klaus: Staatspolitisch notwendige Vorgangsweise

Die ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus (1966-1970) war sichtlich bemüht, den Konflikt möglichst rasch beizulegen. Der Tiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer (1963-1987), sein Parteifreund, musste Einsicht für die „staatspolitisch notwendige Vorgangsweise“ zeigen, wenngleich er  BAS-Leute in Schutz nahm und ihnen die Flucht nach Bayern ermöglichte.

Der aus Tirol stammende Innenminister Franz Hetzenauer (ÖVP) war in einer delikaten „Zwittersituation“, wie er es selbst nannte. Österreich übernahm noch vor Erstellung des ersten „Tatort“-Protokolls der italienisch-österreichischen „Untersuchungskommission“ auf der Porzescharte mit Ministerratsbeschluss vom 4. Juli die offizielle italienische Darstellung, erklärte das Ereignis zu einem „Anschlag“ und fahndete nach den vermeintlichen Attentätern. Wiewohl das von Italien an Österreich übergebene „Beweismaterial“ mehr Zweifel hätte entstehen lassen als Klarheit erbringen müssen, wurden die drei „Tatverdächtigen“ Kienesberger, Hartung und Kufner verhaftet. Und im Rahmen der österreichischen Porzescharten-Prozesse wurden  Richter von Regierungsseite  nachweislich  darauf aufmerksam gemacht, dass eine Verurteilung  „außenpolitisch von Vorteil“ wäre.

„Strategie der Spannung“

Der Vorfall auf der Porzescharte passte im Rahmen der gesamten Südtirol-Problematik auch nur allzugut in die „Strategie der Spannung“. Mit der „strategia della tensione“ trachteten verschwörerische Kreise – organisiert in geheim(bündlerisch)en Vereinigungen neofaschistischen Zuschnitts wie „Ordine nuovo“ und Avanguardia Nazionale“, aber auch verankert in Teilen italienischer Dienste sowie des geheimen „Gladio“-Netzwerks des Militärs – danach, die gesellschaftliche Unterfütterung für einen (letztlich erfolglos gebliebenen) Wechsel in Italien hin zu einem autoritären Regime zu bereiten. Im Rahmen dieser Strategie gab es durchaus nicht wenige „getürkte“ Attentat(sversuch)e, von denen Senator Marco Boato im 1992 veröffentlichten parlamentarischen Untersuchungsbericht auch auf Südtirol bezogene auflisten ließ. Höchst aufschlussreich sind Passagen,  in denen die Namen der besonders in die verschwörerischen Südtirol-Aktivitäten involvierten Personen aufgelistet sind  und in denen der Carabinieri-Oberst Amos Spiazzi bekundet, dass „der Staatsapparat in den Südtirol-Terrorismus involviert gewesen“ sei.

Schon 1990 hatte der venezianische Untersuchungsrichter Felice Casson  aufgrund seiner Recherchen in den Archiven des Militär-Abschirmdienstes SISMI die Existenz einer „geheimen komplexen Struktur innerhalb des italienischen Staates“ aufgedeckt, 622 Gladio-Mitglieder namhaft gemacht und herausgefunden, dass

zwischen 1960 und 1980 „zahlreiche politisch motivierte Terroranschläge und Morde in Italien begangen“ hatten. Oberster Drahtzieher war General Giovanni De Lorenzo, ursprünglich Leiter des Militärgeheimdienstes SIFAR, danach Kommandeur der Carabinieri-Truppe, aus der heraus er Vertrauensleute ins Gladio-Netz einschleuste.

Geheim(dienstliche)e Umtriebe

Der Gladio-Prozeß  in Rom 1994 warf  ein bezeichnendes Licht auf die Umtriebe De Lorenzos und seiner Mannen, auch in Südtirol. Angeklagt waren unter anderen General Paolo Inzerilli, ehemaliger SISMI-Chef und Kommandeur der illegalen Gladio-Einheiten sowie das Gladio-Mitglied Francesco Stoppani. Eigens dazu angeworben, sollte Stoppani Kienesberger entweder nach Italien entführen oder liquidieren. Inzerilli hatte in dem Verfahren die früheren Minister Attilio Ruffini und Virginio Rognoni – beide bekleideten in diversen Kabinetten Ministerämter –  beschuldigt, von alldem gewusst zu haben.  Schließlich und endlich stellte Peppino Zangrando,  als Präsident der Belluneser Anwaltskammer von hoher Reputation,  in der „Causa Porzescharte“, in der er jahrelang recherchiert hatte, ein Attentat des BAS  in Abrede. 1994 wollte er den Fall neu aufrollen, sein Wiederaufnahmeantrag scheiterte aber an der Staatsanwaltschaft.

Erlittenes Unrecht

Was folgt aus alldem? Der BAS hat 1967 auf der Porzescharte kein Attentat verübt. Die dafür verantwortlich gemachten Personen (Prof. Dr. med. Erhard Hartung, Egon Kufner  sowie der mittlerweile verstorbene Peter Kienesberger)  sind  zu Unrecht verfolgt worden. Ein halbes Jahrhundert nach dem Geschehen, das sich offenkundig anders denn offiziell dargestellt abspielte, wäre es an der Zeit, das florentinische Schandurteil aus der Welt zu schaffen, mit denen sie gänzlich wahrheits- und rechtswidrig  für eine offenkundig nicht begangene Tat verurteilt und damit zu Mördern gestempelt worden sind. Es versteht  sich daher eigentlich  von selbst, dass die  trotz  Freispruchs (in Österreich) nach wie vor mit dem Makel der Täterschaft behafteten und in ihrer persönlichen (Reise-)Freiheit eingeschränkten Personen endlich offiziell und überdies öffentlich vernehmlich zu rehabilitieren sind.

Leisetreter am Ballhausplatz

Ein aus dem Österreichischen Nationalrat (Parlament) heraus an den damaligen Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) gerichteter dahingehender Versuch des FPÖ-Abgeordneten Werner Neubauer vom 17.12.2013 erwies sich als ergebnislos. Faymann gab sich in seiner schriftlichen Antwort vom 17.02.2014 (GZ: BKA-353.110/0008-I/4/2014) auf Neubauers umfangreichen Fragenkatalog ahnungslos – sowohl gegenüber den Erkenntnissen aus Speckners Forschungsergebnissen, als auch gegenüber Fragen nach eventuell vorliegenden Unterlagen zur „Intervention des Kanzlers Klaus bezüglich der Prozessführung durch den Richter Dr. Kubernat im Dezember 1968 beim Landesgerichtspräsidenten“. Und in allen anderen Fragen erklärte Faymann das Kanzleramt für unzuständig.

Auch an das österreichische Staatsoberhaupt gerichtete Anfragen erwiesen sich letztlich als nicht zielführend. Der damalige Bundespräsident Dr. Heinz Fischer hatte zwar,  „Auftrag gegeben, dieses Buch eingehend zu studieren. Erst nachher wird die Beurteilung der Frage möglich sein, ob sich über den bisher schon bekannten Sachverhalt hinaus neue Gesichtspunkte in dieser Angelegenheit ergeben.“, wie er am 28. August 2013 an den „sehr geehrten Herrn Klubobmann des Freiheitlichen Parlamentsclubs, Abg. z. NR Heinz-Christian Strache, FPÖ Bundesparteiobmann“ schrieb.

Doch am 7. Februar 2014 teilte er diesem  mit: „Wie ich in meinem Schreiben vom 28. August 2013 in Aussicht gestellt habe, wurde dieses Buch von Mitarbeitern der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei durchgelesen. Ein Beweis dahingehend, dass die vom italienischen Geschworenengericht verurteilten Personen nicht ,die Täter gewesen sein konnten‘, ist aus dem Buch nach Ansicht meiner Mitarbeiter nicht eindeutig abzuleiten. Was mögliche Begnadigungen anlangt, darf ich auf die Ihnen bekannten, bisher schon gesetzten Schritte hinweisen. Ich werde dieses Thema bei geeigneten Gelegenheiten auch in Zukunft im Auge behalten.“

Auf neuerliches Nachsetzen des Abgeordneten Neubauer (Schreiben vom 1. 12. 2014) ließ Fischer am 12.12. 2014 seinen „Berater  für europäische und internationale Angelegenheiten“, Botschafter Dr. Helmut Freudenschuss, antworten (GZ S130040/221-IA/2014). In dem Schreiben hieß es, es gehe „nicht um die Bewertung des Buches, sondern ausschließlich darum, ob die darin enthaltenen Ausführungen über die bereits gesetzten Schritte hinaus eine weitere Intervention gegenüber den italienischen Organen nahelegt. Sie wissen sicher, dass der Herr Bundespräsident das Thema der Begnadigungen immer wieder – zuletzt am 11. November 2014 – im Gespräch mit dem italienischen Staatspräsidenten zur Sprache gebracht hat. Die italienischen Vorbedingung – nämlich Gnadengesuche der Betroffenen – ist aber offenbar nicht erfüllbar.“

Unziemliche Empfehlungen und Schande für Österreich

Seit Jahren raten und/oder empfehlen regierende österreichische Bundes- und Landespolitiker (vornehmlich jene Tirols und zuvorderst jene von ÖVP und SPÖ), aber auch Politiker des 1919 von Italien annektierten südlichen Teils Tirols, vorzugsweise jene der Südtiroler Volkspartei (SVP), „Betroffenen“, deren Taten –  seien sie bewiesen oder unbewiesen; seien sie begangen oder nichtbegangen; seien sie von BAS-Aktivisten verübt oder diesen durch italienische Manipulationen untergeschoben worden – bereits ein halbes Jahrhundert und länger zurückliegen, mögen doch bitteschön Gnadengesuche einreichen.   Mit Verlaub – das ist Chuzpe.

Abgesehen davon, dass italienische Staatsoberhäupter längst  Terroristen aus den Reihen  der „Roten Brigaden“ respektive aus dem rechtsextremistischen Milieu begnadigten, sich bisher aber stets ablehnend gegenüber den letzten verbliebenen Südtirolern wie etwa den legendären „Pusterer Buben“ verhielten, setzt der Gnadenakt für Südtiroler deren Gnadengesuch voraus. Alle unrechtmäßig Beschuldigten und zudem menschenrechtswidrig Verurteilten – und um solche handelt es sich bei den drei „Betroffenen“ der „Causa Porzescharte“, von denen nurmehr Univ.Prof. Dr. med. Erhard Hartung und Egon Kufner unter den Lebenden weilen – wären doch von allen guten Geistern verlassen, so sie um Gnade bettelten für eine Tat, die sie nicht begangen haben.

Dass  indes maßgebliche Organe der Republik Österreich, die sich damals schon hasenfüßig und Italien gegenüber unterwürfig verhielten, auch 50 Jahre danach noch ihrer Fürsorgepflicht für zwei ihrer  jahrelang politisch und justiziell verfolgten Staatsbürger (offenkundig)  nicht nachkommen (wollen), darf man mit Fug und Recht eine Schande nennen.

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