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Kurtagic: Warum Konservative immer verlieren

kurtagic warum konservative immer verlieren [1]Wer in einer beliebigen westlichen Gesellschaft lebt und dennoch nicht völlig das Gefühl für Realitäten eingebüßt hat, kennt das beklemmende Gefühl, in einem Irrenhaus zu leben, in dem die Patienten sich an die Macht geputscht und die Ärzte eingesperrt haben: Es ist schlechterdings unmöglich, irgendeine Nachrichtensendung, irgendeine Politikerrede, ja selbst irgendein scheinbar harmloses Kulturereignis zu verfolgen, ohne mehr oder minder offen mit einer Ideologie bombardiert zu werden, die jeden Realitätsbezug vermissen lässt; eine „Moral“ predigt, die das exakte Gegenteil von allem darstellt, was jahrtausendelang als moralisch galt; und deren Sinn und Zweck offenkundig nur darin bestehen kann, die Grundlagen der gesellschaftlichen und politischen Ordnung zu zerstören, und zwar nicht nur einer bestimmten Ordnung, sondern von Ordnung schlechthin.

(Von Manfred Kleine-Hartlage)

Über die Urheber dieser Umwälzung und Zerstörung und über ihre Methoden ist viel geschrieben worden. (Wer nach aktuellen Büchern zu diesem Thema sucht, dem empfehle ich unter anderem Gabriele Kubys hervorragend recherchiertes Werk „Die globale sexuelle Revolution“ und Kerry Boltons empirisch ebenso sorgfältig untermauertes Buch „Revolution From Above“, das leider zur Zeit nur in englischer Sprache verfügbar ist.) Was solche Werke freilich nicht erklären, ist die eigentümliche Schwäche der Gegenseite:

Gewiss, die Linke ist nicht nur aggressiv und skrupellos, sie wird auch von ihren angeblichen Gegnern, etwa den bösen Kapitalisten des Rockefeller-Clans, großzügig unterstützt, und sie nutzt jede politische Machtposition, deren sie habhaft werden kann, dazu, das Geld des Steuerzahlers zur Finanzierung linker Ideologieproduktion und Propaganda zu veruntreuen. Warum aber ist der politische Konservatismus, der doch noch vor fünfzig Jahren im gesamten Westen stattliche Bastionen innehatte, so kraftlos und nachgiebig? Warum setzt er den Strategien der Linken, die doch alles andere als geheim sind, keine adäquaten Gegenstrategien entgegen?

Opportunismus und Verrat erklären eine ganze Menge; da aber doch bei weitem nicht alle Konservativen Opportunisten und Verräter sind, muss das Problem tiefer liegen.

Alex Kurtagic ist in seinem gleichnamigen Büchlein der Frage nachgegangen „Warum Konservative immer verlieren“ [2]. Es handelt sich um eine Sammlung von vier Essays, die zwar einzeln bereits in englischer Sprache im Netz veröffentlicht worden waren, aber erst durch ihre Zusammenstellung (in einem Band der Kaplaken-Reihe der Edition Antaios) den typischen Kaplaken-Effekt hervorrufen, ein Thema knapp und pointiert, aber dennoch umfassend und mit höchster Argumentationsdichte zu beleuchten. Kurtagic ist einer jener wilden Rechten (von denen es speziell in der Anglosphäre einige gibt), die in keine Schublade passen, und die der linke Mainstream schon deshalb vorsichtshalber ignoriert: Man kann ihnen nicht die üblichen diffamierenden Etiketten aufkleben, ohne sich lächerlich zu machen, und man kann sie nicht Argumenten bekämpfen, ohne zu verlieren.

Dabei schreckt Kurtagic vor keiner Provokation zurück:

Meine Vision der Zukunft ist so grimmig, daß es mir lächerlich vorkäme, mich über irgendwelche Schimpfnamen, die man mir geben mag, zu scheren. Der Preis für die temporäre Feigheit von heute ist der andauernde Horror von morgen.

Diese Feigheit ist freilich ziemlich weit verbreitet, und sie hat etwas mit Grundantrieben des Menschen zu tun, mit Bedürfnissen, die seinem Verhalten einschließlich seiner politischen Positionierung schon die Richtung weisen, bevor so etwas wie ein „politischer Diskurs“ überhaupt stattfinden kann, bevor mithin so etwas wie ein Argument auch nur erwogen werden kann. Dass zu diesen Grundantrieben das Bedürfnis gehört, gesellschaftlich angesehen zu sein, sich nicht zu isolieren, ein hohes Selbstwertgefühl zu haben, und ganz allgemein sich gut zu fühlen, ist eine Binsenwahrheit, die aber gerade deshalb von Konservativen gern übersehen wird:

Obwohl sie die Wissenschaft, die Daten und die logischen Argumente auf ihrer Seite hat, befindet sich die Rechte seit Jahrzehnten auf dem Rückzug. Das allein sollte genügen, um deutlich werden zu lassen, daß die Menschen mehr als nur Fakten benötigen, um zu einer Änderung ihres Verhaltens bewogen zu werden. Dennoch geben sich viele, die sich auf der Seite der Rechten sehen, der Illusion hin, daß lediglich mehr Aufklärung nötig sei: Wer an die Gleichheit glaube, wisse nichts über genetisch bedingte IQ-Unterschiede; wer an den Multikulturalismus glaube, wisse nichts über die statistische Häufigkeit der Verbrechen Schwarzer an Weißen; wer an den Liberalismus glaube, müsse einfach Spengler oder Schmitt lesen.

Die Ironie daran ist, daß wir tagtäglich das denkbar schlagendste Gegenbeispiel vor Augen haben, das uns zeigt, warum dieser Ansatz scheitern muß: die Konsumgesellschaft. (…) Die Konsumgesellschaft basiert nicht auf einer utilitaristischen Logik, sondern auf Romantik und Tagträumerei, Statusgehabe und utopischen Vorstellungen. Und der Grund dafür ist schlicht, daß diese Dinge funktionieren. (…)

Deshalb kann man mit einiger Berechtigung sagen, daß der Tagträumer, der die Fähigkeit hat, andere mit seinen Träumen anzustecken, ein größerer Pragmatiker ist als der selbsternannte, pragmatisch orientierte Rationalist, der andere über die Vernunft zu überzeugen sucht. (S. 16 f.)

Kurtagic wendet sich damit gegen die Sorte von Konservativen, die täglich einen Kniefall vor einer vermeintlichen Seriosität machen (die von ihren Feinden definiert wird), und bricht eine Lanze für die Träumer und Querdenker, die schrillen und schrägen Typen, die Paradiesvögel, die auf der politischen Rechten gar nicht so selten sind, und von denen die kreativen Impulse ausgehen müssen, wenn es eine Alternative zum Mainstream geben soll. Eine solche Opposition kann keine rein intellektuelle und politische sein, sie muss eine künstlerische und ästhetische Dimension aufweisen, sie muss ein Lebensgefühl verkörpern, einen Stil:

Wer sich für eine Wahrheit entscheidet, die vom kulturellen Establishment geächtet wurde, muß auf alternative Netzwerke und oft sogar unkonventionelle Methoden zurückgreifen … . So wird die Frage nach der Wahrheit zu einer Frage der Lebensgestaltung schlechthin … .(S. 19)

Das heißt aber nicht, dass die Gegenkultur sich auf Kunst, Stil und Ästhetik beschränken dürfte; selbstverständlich spielt die intellektuelle, die ideologische Dimension eine Rolle, wie gerade die Linken zur Genüge bewiesen haben:

Ein Slogan auf einem Plakat, ein überzeugendes Schlagwort, ja sogar ein Molotowcocktail und sein konkretes physisches Ziel haben allesamt eine Theorie hinter sich, destillieren sich aus komplexen Konzepten und Wertvorstellungen, die einer abstrakten Ebene entstammen. Millionen Worte werden geschrieben, ehe ein Spruchband ausgerollt wird, ein Schlagwort in einer Diskussion auftaucht, oder eine Flasche mit Benzin gefüllt wird. Der Randalierer mit der Sturmmütze auf dem Kopf versteht vermutlich kein einziges Wort der theoretischen Texte, die die intellektuelle Basis seiner politischen Bewegung bilden. Dennoch wird er durch die in seinem Milieu absorbierten Worte, Gefühle und Haltungen instinktiv wissen, welches Ziel sein Molotowcocktail treffen soll, und warum es genau dieses und kein anderes sein muß. (S. 77)

Wirksame Opposition kann also nur aus einer funktionierenden Gegenkultur heraus erfolgen, die auch ihre eigenen Geisteseliten und intellektuellen Diskurse hat – allein schon, damit die Hohlheit des linken Anspruchs auf „Intellektualität“ sichtbar gemacht wird. Was im Prinzip nicht allzu schwer ist: Letztlich besteht diese Intellektualität bloß darin, hochkomplizierte Argumentationsketten aufzubauen, deren einziger Zweck darin besteht, das offen Zutageliegende in Abrede zu stellen. Dass die Linken damit durchkommen, liegt daran, dass sie sich mit rein politischen Mitteln und mit einem erheblichen Maß an geistiger und finanzieller Korruption das Monopol über die ideologieproduzierende Industrie, speziell die einschlägigen Fachbereiche der Universitäten, gesichert haben.

Der intellektuelle Bankrott der Linken ist längst eine Tatsache, die nur noch mittels künstlicher Konkursverschleppung verdeckt wird; er wird in dem Maße offenkundig werden, wie sich eine Gegenelite heranbildet – und dann werden auch die zahlreichen Menschen, die linken Ideen nur deshalb anhängen, weil die vermeintlichen Geisteseliten es auch tun, wenig Schwierigkeiten haben, die Seiten zu wechseln.

Leider sind gerade Konservative am wenigsten geeignet, eine solche Gegenkultur und ein solches Gegenparadigma zu entwickeln, weil ihre ganze Mentalität es ihnen nicht erlaubt: Konservative leben aus der Angst vor Veränderung, neigen deshalb zu steriler Defensive, wenn solche Veränderungen ohne ihr Zutun stattfinden, um sich ihnen schließlich seufzend zu ergeben und zu finden, dies sei eben der Zeitgeist, verharren in Nostalgie, fixieren sich auf eine Vergangenheit, die sie nicht wiederherstellen können und daher wenigstens zu musealisieren hoffen, verbreiten damit vor allem Langeweile und sind geborene Verlierer ohne Sex-Appeal. Niemand, der sich klarmacht, dass Konservative dazu geboren sind, dem Zeitgeist murrend hinterherzutrotten, wird sich über den ständigen Verrat von Parteien wie der CDU wundern:

Im Zeitalter des Liberalismus ist der Konservatismus grundsätzlich liberal: Er verteidigt nicht die Tradition, deren Vergessen er zu einem Großteil mitbefördert hat, sondern lediglich eine ältere Form des Liberalismus.(S. 44)

Dies bedeutet übrigens auch, dass Parteiprojekte, die von enttäuschten Konservativen gegen den vorhandenen Mainstreamkonservatismus initiiert werden, bestenfalls darauf hinauslaufen, den Liberalismus von vorgestern gegen den Liberalismus von gestern zu verteidigen (der sich seinerseits in der Defensive gegenüber dem Liberalismus von heute befindet). Wer mehr und Anderes erwartet, macht sich etwas vor.

Die rechte Option, die nicht in die Falle dieses Konservatismus läuft, ist nicht etwa der Rechtsextremismus, sondern etwas, das Kurtagic – mit einem m.E. missverständlichen und daher etwas unglücklichen Begriff – „Traditionalismus“ nennt. (Ich selbst schließe mich lieber dem Vorschlag von Norbert Borrmann an, das Gemeinte einfach „rechts“ zu nennen [3], und die Unschärfe dieses Begriffs in Kauf zu nehmen.) Mit diesem Traditionalismus ist freilich gerade nicht das gemeint, was man sich gemeinhin darunter vorstellt und auf die Musealisierung des Vergangenen hinausliefe. Gemeint ist vielmehr, was Martin Lichtmesz, Gustav Mahler zitierend, in seinem Vorwort so umschreibt:

Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers. (S. 9)

Und Kurtagic erläutert:

Angesichts der Ignoranz unserer Zeit in solchen Dingen muß ausdrücklich betont werden, daß die Tradition nicht danach trachtet, zu einer phantasievoll ausgemalten Vergangenheit zurückzukehren oder vergessene Praktiken wieder aufzunehmen, wo sie liegengelassen wurden. Daß sie liegengeblieben sind, mag gute Gründe gehabt haben, und oft ist die Einsetzung einer neuen Praktik notwendig, um eine Tradition erfolgreich am Leben zu erhalten. Eine wiederentdeckte Tradition muß mit dem Blick nach vorne weitergeführt werden. Fortführung bedeutet nicht endlose Wiederholung des Gleichen.

Wem das noch zu abstrakt ist: Ein plastisches Beispiel für die Konfrontation einer im Sinne Kurtagics traditionalistischen Position (nämlich meiner eigenen) und einer typisch konservativen findet sich in meinem Artikel „Das Krautkrämertum“ in meinem Blog „Korrektheiten“ [4].

Fazit: Kurtagics Büchlein löst seinen Anspruch zu erklären, „warum Konservative immer verlieren“, voll und ganz ein. Es handelt sich um eine prägnant formulierte (und von Martin Lichtmesz nicht minder prägnant übersetzte) schlüssige Analyse und einen bedeutenden Beitrag zu einer Debatte, die überfällig ist und unbedingt geführt werden muss. Kurtagic zeigt Wege auf, die die Gegner der Linken gehen und Richtungen, in die sie denken müssen, wenn sie endlich aufhören wollen, sich von Enttäuschung zu Enttäuschung zu hangeln.

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