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AfD: Egalwahlen und Egalpublizistik

Von PETER M. MESSER | Wahrscheinlich konnte die AfD das deprimierende Wahlergebnis in NRW gar nicht vermeiden, und das liegt an einem ganz bestimmten Sieger dieser Wahl – und seinen unvermuteten Helfern.

Denn gesiegt hat wie schon in Schleswig-Holstein nicht einfach die CDU, sondern die Merkel-CDU mit den Grünen an ihrer Seite, und damit verbunden auch die mit Angela Merkel verbundene Einschätzung bürgerlicher Wählergruppen und die Strategie der asymmetrischen Demobilisierung. Die deutliche Mehrheit der wahlbereiten Bürger will einfach eine grün-schwarze Merkel-Politik, und wer etwas anderes will, der geht eben nicht wählen. Die jetzt wieder beklagte gesunkene Wahlbeteiligung ist für diese Strategie kein Problem, sondern die Grundlage ihres Erfolges.

Diese Strategie hat mittlerweile hocheffektive Helfer bekommen: große Teile der Gegenöffentlichkeit. Wie schon bei der letzten Bundestagswahl bezeichnete Tichys Einblick die NRW-Wahl als „Egal-Wahl [1]“, weil keine Partei mit Aussicht auf Regierungsbeteiligung eine politische Alternative [2] böte. Eine solche Wahl ist dann aber keine Egal-Wahl. Sondern eine Wahl, bei der eine Protestwahl unausweichlich wird. Und eine Protestwahl ist in Theorie und Praxis wirksam. Ich kann ein Kartell nur zur Veränderung seines politischen Angebotes bewegen, wenn ihm aus seinem Verhalten Kosten und Nachteile entstehen. Das geht nur durch den Verlust von Sitzen im Parlament. Verluste an Wahlbeteiligung sind völlig egal. Ganz empirisch wäre etwa die Änderung der dänischen Ausländerpolitik ohne die Erfolge der Dänischen Volkspartei nicht möglich gewesen. „Schmuddelparteien“ wählen wirkt, kommt aber für den anständigen Bürger nicht infrage.

Denn der, so erfahren wir [3], ist sich für die Wahl eines bloß kleineren Übels zu schade – das gilt dann erst recht für die Protestwahl. Nicht zu schade ist er sich aber dafür, die eigene Freiheit, Gesundheit und Vermögen dem Zugriff der dann Gewählten auszusetzen, seine Kinder frühsexualisieren und (trans-)gendern und sich selbst als den letzten Dreck behandeln zu lassen – was er eigentlich auch ist. Denn er ist kein Opfer, sondern Täter gegen sich selbst.

Während in der linksidentitären Politik noch die kleinste Minderheit nach gesellschaftlicher Sichtbarkeit strebt, verzichtet der bürgerliche Nichtwähler genau darauf. Wahrscheinlich wäre auch eine perfekte AfD kein Angebot für ihn, weil eine Identifizierung mit einer kleinen Partei die Akzeptanz einer Minderheitenposition wäre, die seinem grandiosen Selbstbild einer Gleichsetzung mit „der Realität, die sich am Ende immer durchsetzt“ widerspräche.

Wie immer auch die AfD vor oder nach einer Wahl handeln sollte – es fragt sich, wo dieses Handeln sichtbar werden könnte. Sicher nicht in den Mainstream-Medien. Auch nicht im Wahlkampf, wo mir AfD-Plakate nur in zerschnittenem Zustand am Boden begegnet sind.  Und in der Gegenöffentlichkeit? Das kann jeder selbst austesten. Man betrachte einfach die hochangesehenen Seiten achgut.com, tichyseinblick.de oder reitschuster.de und frage sich, wo dort die AfD als diskutierbares, auch kritisierbares Politikangebot auftaucht. Sie tut es so gut wie gar nicht. Bestenfalls erwähnt man die AfD bei Fragen der Meinungsfreiheit, aber nur, um die Verkommenheit des Establishments darzustellen. Aber nicht als Politikangebot bei Sachfragen. Selbst wenn ein Artikel auf einer parlamentarischen Anfrage der AfD aufbaut, wird das im Artikel [4] selbst nicht erwähnt, man muss schon die Originalanfrage aufrufen. Diese Seiten sind fast immer wie von der Antifa blankgeputzt. Stattdessen findet man Artikel wie den von Klaus-Rüdiger Mai [5], in dem er Friedrich Merz auffordert, doch endlich die in ihn gesetzten Hoffnungen zu erfüllen. Auf den Gedanken, dass diese Hoffnungen ein Irrtum sein könnten, kommt Mai nicht. Einen vergleichbar wohlwollenden Artikel über einen AfD-Politiker wird man auf den genannten Seiten nicht finden.

Die oft wirklich ausgezeichneten Sachartikel auf den Seiten dieser „bürgerlichen Gegenöffentlichkeit“ kehren sich in ihrer Wirkung leider gegen sich selbst, weil zur politischen Umsetzung ihrer Erkenntnisse immer nur die Mainstreamparteien angeboten werden, die sich doch bitte endlich der Realität anpassen sollen. Das müssen sie aber nicht, weil Politik ein eigenständiges gesellschaftliches Feld ist, das sie beherrschen. Der Vorteil Merkels und der Linken war und ist nicht etwa alleine, dass sie wissen, wie Politik funktioniert. Er liegt tiefer: darin zu wissen, dass Politik überhaupt existiert. So wird diese Gegenöffentlichkeit zur Egalpublizistik.

Eine kontinuierliche und durchaus differenzierte Berichterstattung über die AfD als Politikangebot (und nicht nur als Quelle von Streitereien) ist der Egalpublizistik unmöglich, weil sie ihre Autoren und Leser damit konfrontieren würde, dass die meisten ihrer Positionen effektiv nur zusammen mit anderen Positionen und von Menschen vertreten werden, die sie als „anständige Bürger“ ablehnen. Solche kognitiven Dissonanzen hält man nicht aus, und zur Frage nach den Gründen dafür kommt man dann nicht mehr. Also schweigt man die AfD lieber tot. So schaffen die Tichys und Reitschusters safe spaces für betreutes Jammern. Realismus im Politischen liegt aber heute nicht darin, auf ein neues 1989 zu hoffen, sondern jeden Strohhalm und Rettungsring, den man erkennen kann, zumindest darzustellen.

Es ist ganz einfach: Gegenöffentlichkeit ist nur dann Gegenöffentlichkeit, wenn sie nicht nur unterdrückte Tatsachen, sondern auch unterdrückte politische Akteure ins Zentrum ihrer Berichterstattung stellt. Über die Herren Merz und Kubicki kann ich mich auch aus den Hauptstrommedien informieren. Tut sie das nicht, erklärt sie die herrschenden Kräfte für alternativlos und trägt zu ihrer Stabilisierung bei.

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Corona: Abwägungsblockade, Menschenwürde und der Totalitarismus des Singulären

geschrieben von PI am in Corona,Deutschland | 64 Kommentare
Corona-Protest in Erfurt.

Von PETER M. MESSER | Wieso ist es heute nicht mehr möglich, widerstreitende Interessen rational abzuwägen? Wieso gilt man etwa auch dann als Unmensch, wenn die Kritik an den Corona-Maßnahmen gerade auf die Beschädigungen abzielt, die sie menschlichem Leben zufügen, und man nur eine echte Abwägung von Kosten und Nutzen will? Wieso dürfen die Schäden durch unterlassene Behandlungen und Vorsorgeuntersuchungen oder die psychischen Folgen des Lockdowns und die damit verbundenen Entwicklungsstörungen bei Kindern gar nicht erst thematisiert werden?

Im Folgenden möchte ich die These vertreten, dass solche Abwägungen heute der Gesellschaft gar nicht mehr möglich sind, gerade weil die Menschenwürde zum singulären und höchstrangigen Gut erklärt worden ist. Sie sind nicht mehr vereinbar mit einer Logik, nach der die „Gesellschaft der Singularitäten“ [6] funktioniert, wie sie Andreas Reckwitz in seinem gleichnamigen Buch beschrieben hat. Nach Reckwitz wurde die industrielle Gesellschaft bisher von einer „Logik des Allgemeinen“ dominiert: Eine Sache oder oft auch eine Person wurde danach bewertet, wie sehr sie allgemeine Maßstäbe erfüllte.

Ein Auto wurde etwa danach bewertet, wie schnell oder sparsam es war oder wie viel es transportieren konnte. Die Bildung einer Person wurde danach bestimmt, wie viel von einem bestimmten Bildungskanon man beherrschte. Nachdem aber die wesentlichen Bedürfnisse durch den technischen Fortschritt und den von ihm erzeugten Wohlstand gedeckt sind, treten andere Gesichtspunkte mehr in den Vordergrund. Beim Auto etwa das Design, die Produktidentität und das Erlebnis, das das Produkt vermittelt. Solche Effekte sind aber nicht nach allgemeinen Kriterien begründbar.

„Doing singularity“

Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Entscheidend ist nun, dass die betrachtete Sache „einmalig“, dass sie singulär ist. Sie ist nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern Selbstzweck und hat daraus einen Eigenwert. Die Bestimmung, was singulär ist, wird zwar durchaus gesellschaftlich verhandelt und erzeugt („doing singularity“). Das zeigt sich am besten an Umwertungen wie der von ursprünglich rein funktionalen Gegenständen aus dem industriellen Umfeld, etwa einer Lampe, die zur singulären Designikone und teurem Einrichtungsobjekt geadelt werden. Aber scharf nach allgemeinen Kriterien zu begründen ist das nicht mehr.

Mehr noch als für Dinge gilt das Singularitätskriterium natürlich für Menschen und ihre Menschenwürde. Jeder soll als einzigartige Persönlichkeit wahrgenommen werden und nicht bloß Mittel zu einem Zweck sein. Damit lassen sich aber keine Interessenkonflikte mittels Abwägungen widerstreitender Interessen mehr lösen. Der Lockdown mit allen seinen Folgeschäden für bestimmte Menschen ist Mittel zu dem Zweck, andere Menschen vor Schäden durch Corona zu schützen, und in umgekehrter Blickrichtung müssen Risiken und Schäden durch Corona hingenommen werden, um andere menschliche Belange nicht zu beeinträchtigen.

Hier kollidieren absolut gesetzte Güter. Eine Gesellschaft, die von der „Logik des Singulären“ beherrscht wird, ist zu so einer Abwägung zwischen Menschenwürdebelangen nicht mehr in der Lage. Deshalb muss sie, nachdem sie einen Menschenwürdebelang herausgehoben hat, alle anderen Belange völlig verdrängen und sie delegitimieren, wie es ja allenthalben zu beobachten ist.

Kein Halten vor der totalen Inanspruchnahme

Weil die Gesellschaft der Singularitäten nicht nach allgemeinen Maßstäben urteilt, kann sie nichts nach solchen ins Verhältnis (ratio) setzen und ist im wörtlichen Sinne irrational. Ihre Werturteile sind letztlich ästhetische Urteile. Das ästhetische Urteil vollzieht sich dabei als ein emotionales Berührt- und Betroffenwerden, es wird als passives In-Anspruch-genommen-Werden erlebt. Denn die ästhetische Erfahrung ist jedenfalls heutzutage in ihrer Reinform auf die Überwältigung des Individuums ausgerichtet, das von ihr ganz in Anspruch genommen wird und das auch ganz in Anspruch genommen werden will.

[6]Nichts soll von seiner Erfassung durch das Erlebnis zurückgehalten werden, keine vermittelnde Instanz soll dazwischentreten. Das singuläre Objekt oder die singuläre Person erzeugt im Idealfall ein singuläres Erlebnis, in dem sich das Individuum als passiv ergriffen empfindet. Wissenschaftler mögen noch so sehr darauf verweisen, dass das Erlebnis immer im Individuum selbst erzeugt wird – sie werden damit kein Gehör finden, weil dies das singuläre Erlebnis zum Selbstbetrug entwerten würde.

Die Suche nach dem singulären Erlebnis fördert bei Individuum also eine Haltung des Sich-Öffnens und Empfindsam-Werdens, die eine gesuchte Passivität beinhaltet. Wenn diese ästhetische Haltung auf das moralisch singuläre Gut der Menschenwürde trifft, gibt es darum kein Halten mehr vor der totalen Inanspruchnahme.

Journalisten sind heute Teil der Politik und deren Anwälte gegen ihre Leser

Cora Stephan hatte in ihrem immer noch lesenswerten Buch „Der Betroffenheitskult“ [7] (1993, antiquarisch) behauptet, dass eine Gesellschaft, die Emotionalisierung zum Fundament von Politik mache, irgendwann handlungsunfähig werden müsse durch den Widerstreit der zahlreichen emotionalisierten Anliegen. Jetzt zeigt sich, dass diese Annahme falsch war: Die Gesellschaft der Singularitäten verfällt nicht in eine allgemeine Lähmung, sondern verklumpt um einen oder sehr wenige hochemotionalisierte Inhalte mit totalem Anspruch (Corona, Klima usw.), gegenüber denen alle anderen Anliegen verdrängt und delegitimiert werden. Sie endet in einem Totalitarismus der Singularitäten.

Der politische Diskurs holt damit unter den Bedingungen der umfassend ästhetisierten Gesellschaft der Singularitäten nur nach, was der künstlerische Diskurs vorgemacht hat. Wie Christian Demand in seinem ebenso anspruchsvollen wie unterhaltsamen Buch „Die Beschämung der Philister“ [8] beschrieben hat, wird über Inhalt und Wert von Kunst und Kunstwerken nicht mehr anhand rationaler oder überhaupt verhandelbarer Kriterien gestritten.

Stattdessen wird Kunst zu Gegenstand von „Verklärungsprosa“, die sie ohne belastbare Begründung in den Himmel hebt und gleichzeitig die Beschämung derer betreibt, die erstens dieses Urteil nicht teilen und zweitens die Träger jener Defizite sind (der Wahrnehmung, des Bewusstseins usw.), deren „Heilung“ der Kunst erst ihren Rang gibt. So wie Kunstkritiker heute Teil des Systems Kunst und deren Anwalt sind (und nicht etwa Anwalt des Publikums), so sind Journalisten heute Teil der Politik und deren Anwälte gegen ihre (moralisch und intellektuell) defizitären Leser, die sich nur durch Unterwerfung ihre Anerkennung verschaffen können.

Drei Konsequenzen für den Widerstand

Wer dagegen unterschiedliche Lebensbelange gegeneinander abwägt, betrachtet Menschen nicht nur nach der Logik des Allgemeinen, die doch Gegenstand der Logik des Singulären sein sollten. Er zeigt auch eine Distanz zu ihnen, einen Mangel an Emotionalität, der für den „singularisierten“ Menschen nicht nachvollziehbar und bedrohlich ist. Das Ergebnis der Abwägung mag noch so gut sein: Alleine die darin gezeigte Fähigkeit, sich der emotionalen Betroffenheit durch den Anderen und der Inanspruchnahme durch seinen Anblick (Emmanuel Levinas) zu entziehen, und stattdessen eine zweckrationale Logik anzuwenden, macht den Abwägenden zum Monster, das man nur noch bekämpfen kann.

Der Vertreter einer „Logik des Allgemeinen“ ist also von der Politik der Singularität doppelt ausgeschlossen: Er ist Träger einer Rationalität, die diese Politik erstens nicht teilt und gegen die sie sich zweitens geradezu definiert. Eine sinnvolle Diskussion ist mit der anderen Seite darum nicht möglich.

Diese Bedingungen von Politik in einer Gesellschaft der Singularitäten haben für den Widerstand mehrere Konsequenzen:

  1. Die vielbeschworene „Realität“, die sich am Ende angeblich immer durchsetzt, setzt sich – wenn überhaupt – nur durch als Zusammenbruch des Gesamtsystems nach Verbrauch aller Ressourcen. Die totale Hingabe ans Ziel bei gleichzeitiger Verweigerung aller Kosten-Nutzen-Betrachtungen prägt alle aktuellen politischen Kernanliegen (von Debatten kann man ja nicht mehr sprechen): Corona, Klima, Diversität, Gender, Europa. Wer daher unter Beschwörung der „Realität“ passiv bleibt, arbeitet diesen Prozessen weiter zu.
  2. Die Gesellschaft der Singularitäten ist eine Entwicklung aus der bürgerlichen Gesellschaft heraus, nicht aus der Arbeiterschaft oder dem sozialen Prekariat. Es ist darum eine leere Verklärungsformel, eine „Rückkehr zu bürgerlicher Politik“ zu fordern.
  3. Der Konflikt zwischen der Logik des Singulären und der Logik des Allgemeinen erklärt ganz einfach die Spannungen in der AfD, die man als Partei einer Logik des Allgemeinen bezeichnen kann. Diese hat aber mittlerweile zwei Trägergruppen: Einmal Reste des noch zweckrational handelnden Wirtschaftsbürgertums, der „FDP-Flügel“, der diese Haltung weiterführt, obwohl sich das Bürgertum in seiner Mehrheit davon verabschiedet hat. Zweitens den „sozialpatriotischen Flügel“, der sich wegen der eigenen materiellen Gefährdetheit die Logik des Singulären entweder schlicht nicht leisten kann oder wegen seiner Eingliederung in Bereiche, die weiter einer Logik des Allgemeinen unterliegen (Arbeiter, Handwerker), keinen Zugang dazu hat. Wahr ist dabei aber auch, dass es damit der „bürgerliche“ Teil der AfD ist, der sich bewusst werden muss, dass die Zeit über ihn hinweggegangen ist und er das Bürgertum in seiner Gesamtheit eben nicht mehr repräsentiert.
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Die politische Hinfälligkeit des Rechts

geschrieben von libero am in Deutschland | 111 Kommentare
Das Bundesverfassungsgericht unter Vorsitz des früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Stephan Harbarth (Foto) hat am Mittwoch Eilanträge gegen die "Bundes-Notbremse" abgelehnt.

Von PETER M. MESSER | Konservative glauben bekanntlich, dass sich die Realität am Ende durchsetzt. Für die Realität, die sich mit der Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes und der Billigung des Einstiegs in Schuldenunion und Öko-Diktatur durch das Bundesverfassungsgericht in der letzten Woche durchgesetzt hat, gibt es unter Verwaltungsrechtlern eine griffige Formel: Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht.

Der Urheber dieses Satzes, Otto Mayer, beschrieb im Jahre 1924 damit eine Erfahrung, die sich noch mehrfach wiederholen sollte. Die Verfassung hatte sich vom Kaiserreich zur Weimarer Republik fundamental gewandelt, aber das Verwaltungshandeln, also die rechtliche Form des Handelns der Staatsgewalt gegenüber dem Bürger, war unverändert geblieben. Nicht das Recht, das die Staatsmacht formte und band, sondern das Recht, das den Bürger band und dadurch unterschiedlichen Herren dienlich war, überdauerte.

Das alles ist weder überraschend noch skandalös. Die Geschichte zeigt auf den ersten Blick, dass sich Verfassungen ständig ändern und dass das Recht das Produkt von Politik ist. Das sagt auch unsere Verfassung, indem sie die Verfahren der Gesetzgebung einschließlich der Einschränkung von Grundrechten und der Änderung der Verfassung selbst festlegt. Sogenannte Wesensgehaltsgarantien bieten hier nur Schutz vor gelegentlichen Ausreißern der Gesetzgebung. Wenn sich erst einmal die gesamtgesellschaftlichen Vorstellungen zur Legitimität einer Verfassungsbestimmung geändert und politisch artikuliert haben, wird kein Gericht sich dagegen behaupten können – oder wollen. Das Bundesverfassungsgericht hat das gerade gezeigt. [9]

Das Problem sind dabei weder das Recht noch die Gerichte. Das Problem ist die hartnäckige Weigerung der Bürgerlichen und Konservativen, im Recht mehr als das Produkt von Politik zu sehen und den Primat des Politischen anzuerkennen. Das Recht ist nichts Heiliges, nichts Überzeitliches und nichts Überreales. Es gab hier einen kurzen Lichtblick bei der Diskussion um den rechtlich unverbindlichen, aber politisch und real höchst wirksamen UN-Migrationspakt, als der Rechtswissenschaftler Dr. Ulrich Vosgerau knapp formulierte, dass die Legalität der Legitimität folgt – und die wird im politischen Diskurs bestimmt. Aber das hat keine Wurzeln im konservativen Denken geschlagen. Konservative argumentieren nach wie vor bevorzugt mit der Legalität oder Illegalität einer Sache, gestehen damit die mangelnde Legitimität ihrer Sache ein und haben ein völlig ungerechtfertigtes Vertrauen in rechtliche Institutionen.

Alles geltende Recht war aber mal neues Recht, und neues Recht wird immer von denen gemacht, die sich NICHT an das gerade geltende Recht halten. Sei es, dass sie seine Auslegung ändern, es in den vorgesehenen Verfahren ändern oder schlicht und einfach erfolgreich brechen. Dass die Legalität der Legitimität folgt heißt auch, dass der erfolgreiche, also faktisch gesellschaftlich akzeptierte Rechtsbruch der Legitimität einer Sache nicht schadet, sondern sie sogar steigert, weil er die faktische Kraftlosigkeit des formell geltenden Rechts offenlegt, das eben niemand mehr durchsetzen will. Die Linke führt das ständig vor, wenn sie nach nachteiligen Gerichtsurteilen wie etwa zum Mietendeckel ihren politischen Willen zur Weiterverfolgung ihres Zieles umso kraftvoller artikuliert oder Gewalt gegen den politischen Feind mehr oder weniger offen billigt. Das ist bitter, aber wahr.

Konservative lassen sich dagegen unverändert durch das Recht blenden und versklaven bzw. tun dies selbst. Sie glaubten an die dauerhafte Anwendung des reformierten Asylrechts und ließen die Republikaner fallen, sie glaubten an die Geltung des Subsidiaritätsprinzips beim Marsch in die EU und an das Bailout-Verbot beim Euro. Immer haben sie sich getäuscht, nie haben sie etwas daraus gelernt.

Es hilft also nichts: Meine Bindung an die Verfassung beruht auf meinem Verfassungsverständnis, und dieses Verständnis beruht auf meiner politischen Positionierung. Ich kann darum die Verfassung immer nur politisch verteidigen. Dadurch stehe ich in der paradoxen Situation, dass ich mich, wenn ich mich für das Recht einsetzen will, nicht auf das Recht verlassen darf, zumal ich ja nie dem Recht selbst gegenüberstehe, sondern den Institutionen, die es anwenden, und die sind immer politisch bestimmt. Wenn sich die politische Lage ändert und zeitversetzt dann auch die Rechtsprechung, kann es deshalb passieren, dass man sich als Mensch, der die Grundrechte und die deutsche Eigenstaatlichkeit wirklich ernst nimmt, plötzlich außerhalb des herrschenden Verfassungsverständnisses wiederfindet. Der Liberale ist auf dem Weg dazu, zum Verfassungsfeind gemacht zu werden – das ist ein schon fast lustiges Ergebnis der letzten Woche.

Dabei wäre es eine geradezu zwingende Frage für eine auf Wirksamkeit ausgerichtete Metapolitik gewesen, die Unterschiede zwischen einem juristischen und einem politischen Verhältnis zu Welt und Ich herauszuarbeiten: Was sind die Unterschiede zwischen einem juristisch orientierten Menschen, der nur die Umsetzung einer bereits politisch getroffenen Entscheidung fordert, und einem politisch orientierten Menschen, der diese Entscheidung erst selbst herbeiführen will und dafür eine ganz andere Energie und Entschiedenheit aufbringen muss? Muss der politische Mensch dem juristischen Menschen nicht schon deshalb notwendig „radikal“ erscheinen, während er selbst sich „Maß und Mitte“ nur deshalb leisten kann, weil er die politische Frage für geregelt hält und glaubt, die Institutionen des Rechts würden sich schon darum kümmern? Es ist aber völlig logisch, dass sich diese Institutionen dann an den Forderungen der politischen Menschen ausrichten, weil der juristische Mensch seine Gefolgschaft ihnen gegenüber nie aufkündigen wird und sie kein Risiko eingehen, wenn sie seine Erwartungen enttäuschen und sich an denen ausrichten, die das geltende Recht ändern wollen. Dies wird von den bisherigen Erfahrungen denn auch eindeutig bestätigt.

Man wird sich endlich von diesem Fetischismus des Rechts [10] lösen müssen, wenn man die Verfassung, das eigene Land und das eigene Leben wirksam verteidigen will.

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Herr Maaßen und das Mehr

geschrieben von libero am in Deutschland,Konservative | 109 Kommentare

Von PETER M. MESSER | An die Kandidatur Hans Georg Maaßens in Thüringen knüpfen viele Hoffnungen an eine Rückkehr der CDU zu ihren angeblich konservativen Wurzeln. Wenn das nicht wie bisher immer in einer Enttäuschung enden soll, müssen mindestens drei einfache Fragen beantwortet werden.

Denn die Grundsätze des Erkennens durch Erfahrung gelten nicht nur für Linke, sondern auch für Konservative. Wie immer man den konservativen Kern der CDU definiert und in welche Epoche auch immer man sich zurücksehnt: Diese CDU konnte dem allgemeinen Linkstrend mindestens nicht widerstehen, tatsächlich hat sie ihn selbst oft gefördert und umgesetzt. Die konservative Substanz der CDU war darum nachweislich zu schwach. Was also müsste hinzukommen, um sich gegen die Linke behaupten zu können?

Zweitens vollzog sich die Linksbewegung der CDU unter Umständen, die dem Konservatismus viel freundlicher oder zumindest weniger feindselig gegenüberstanden als heute, in Medien, Wirtschaft und Gesellschaft. Für die heutige Lage muss sich Maaßen nur die Reaktion des Establishments auf seine Wahl vergegenwärtigen. Was soll also zum alten konservativen Kern hinzukommen, um sich unter verschlechterten Bedingungen durchzusetzen?

Drittens scheiterte die angeblich konservative CDU nur an der Aufgabe des Bewahrens. Angesichts des schon Verlorenen kommt ein heutiger Konservatismus des Bewahrens über den Inhalt der aktuellen CDU nicht hinaus. Es kommt stattdessen darauf an, etwas zurückzugewinnen, den linken Wandel zurückzudrehen. Das erfordert ein Mehr an inhaltlicher Festigkeit, Entschiedenheit und Energie.  Wie soll dieses Mehr beschaffen sein, und wo soll es herkommen?

Das war’s? Das war’s. Aber diese Fragen werden Herr Maaßen und seine Unterstützer überzeugend beantworten müssen, sonst werden auch sie nur ein weiteres Glied in der Kette bürgerlicher Selbsttäuschungen gewesen sein.

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Der Seismograph aus der Uckermark

geschrieben von libero am in Deutschland | 92 Kommentare

Von PETER M. MESSER | Angela Merkel wird oft vorgeworfen, dass sie Krisen zur Durchsetzung bestimmter Politikentwürfe [11] ausgenutzt habe. Sie hat sich wohl eher wie ein Seismograph verhalten, der anhand der von den Krisen ausgelösten Erschütterungen die tatsächliche Verteilung politischer Handlungsbereitschaft erkundet und sich nach dem Ergebnis ausgerichtet hat.

Krisen bewirken intensive Thematisierungen einer Sache im gesellschaftlichen Diskurs. Jeder ist zur Positionierung aufgerufen, und so wie man am Verlauf der Schockwellen eines Erdbebens im Boden seine Struktur und seine Dichteverhältnisse erkennen kann, so zeigt sich in Krisen, wer für oder gegen eine Sache aufsteht oder eben nicht. Und gegen Energiewende, gegen Eurorettung und Grenzöffnung sind einfach zu wenige aufgestanden. Merkel hat sich immer auf die Seite des am intensivsten geäußerten politischen Willens gestellt und nichts auf angebliche schweigende Mehrheiten gegeben. Dass die Medien dabei linke Positionen vergrößern, ist auch nicht vom Himmel gefallen, sondern Ergebnis einer jahrzehntelangen Linksdrift der Medien und auch der bürgerlichen Presse, die ihre Konsumenten nun mal hingenommen haben. Der Seismograph wies auf linken Fels und bürgerlich-konservative Hohlräume fehlenden politischen Willens, die unter Belastung schnell einbrachen.

Diesen konservativen Zusammenbrüchen gingen regelmäßig sprachliche Vorbeben voraus, in denen dem eigentlichen Konflikt mit viel Pathos ausgewichen wurde, indem man ihn verschob. Beim Konflikt um Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ [12] etwa wurde der Streit von vielen seiner Unterstützer von der Migrationsfrage zur Frage der Meinungsfreiheit verschoben, eine ausdrückliche inhaltliche Unterstützung seiner Thesen erfolgte oft eben nicht.

Diese Ausweichbewegungen lassen sich einmal als zukünftig-institutionelle klassifizieren: Der Schritt nach links wird mitgegangen, aber zukünftig müssten die Gerichte dann auf die Einhaltung von Verträgen und Gesetzen achten und die Regierung streng sachlich und pragmatisch handeln – gehandelt werden muss also nicht jetzt, und nicht von mir.  Oder das Ausweichen erfolgt geschichtlich-fundamental: Es sei sowieso alles verloren, weil man sich zu lange dem linken „Zeitgeist“ angepasst, dem Liberalismus und Individualismus hingegeben oder vom Christentum verabschiedet habe.

Aktuelles Beispiel für diese Ausweichbewegung ist die Behauptung von Fabian Schmidt-Ahmad in der „Jungen Freiheit“ [13], man habe in den großen Grippeepidemien am Anfang der 70er-Jahre keinen Lockdown durchgeführt, weil man anders als heute noch an die Zukunft geglaubt habe. Es geht also mal wieder um Dekadenz. Es dürfte eher daran gelegen haben, dass das Konzept Lockdown noch nicht erfunden war, die Finanzierung horrender Defizite durch Gelddrucken in den inflationsgeneigten 70ern nicht denkbar und Homeoffice und Homeschooling in einer noch stark auf die Güterproduktion durch Menschen ausgerichteten Wirtschaft ohne heutige EDV- und Kommunikationstechnik nicht machbar war. So aber kann man ebenso geistig gepflegt wie folgenlos klagen.

Die Besonderheit der Corona-Lockdownpolitik und des Kampfes um Öffnungen ist nun, dass der in allen vergangenen Krisen abstrakt in der Tiefe vorhandene Grundkonflikt offen und unverschiebbar zu Tage getreten ist. Es ging nämlich immer um die Abgrenzung gegen einen Anderen, um mir selbst einen Vorteil zu sichern: Ich will mein Land und seine Ressourcen nicht mit Migranten teilen (Migrationspolitik) und nicht den Vorteil meiner stabilen Währung und meiner Bonität mit anderen Europäern (Euro). Auch beim Streit um die Kernkraft war es ja nicht so, dass die damit einhergehenden Risiken alleine von den Kernkraftbefürwortern getragen worden wären, sondern von allen. Aggressivität und Egoismus hatten hier durchaus eine erhebliche Bedeutung.

In der Corona-Krise kann man das nicht mehr verdecken: Wenn ich ein Geschäft, ein Restaurant oder ein Sportstudio betrete, dann gehe ich nicht nur ein Risiko für mich ein, sondern setze auch ein erhöhtes Infektionsrisiko für andere und ein Belastungsrisiko für das Gesundheitssystem, auch wenn diese Risiken viel kleiner sein dürften als offiziell behauptet.  Die Vermeidung dieses Risikos für andere führt aber jetzt und direkt zur weitgehenden Lähmung meines Lebensvollzuges und für viele zur Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz sowie weiteren Schäden. Dass eine Anti-Lockdown-Haltung auch dem Anderen einen erweiterten Freiheitsgebrauch zubilligt, nützt aber nichts, wenn er das nicht will. Folglich ist der egoistische Fremdgefährder das Feindbild in allen Kämpfen gegen „Öffnungsorgien“, und Grundrechte werden als egoistische und damit unerhebliche Positionen angesehen.

Auch die Corona-Politik Merkels war lange Zeit stark mehrheitsfähig, und ihr Absturz dürfte weniger mit dem Wunsch nach Öffnung als mit der schlechten Umsetzung dieser Politik, Stichwort Impfchaos, zusammenhängen. Schließlich kommen die CDU-Verluste nicht nur öffnungsorientierten Parteien wie der AfD, sondern mehr noch den Grünen zugute.

Lisa Maria Kaus hat kürzlich auf Achgut [14] zum Platz der Konservativen und Liberalen im politischen Diskurs knapp festgestellt: “Sie sind raus.“ Merkel wusste aus ihren seismographischen Beobachtungen schon länger: Sie waren nie wirklich drin, nicht als jemand, der selbst etwas als bewussten Ausdruck eigener Interessen will. Immer beschworen die Anständigen konservativer oder liberaler Prägung Realität und Recht und meinten, für die politische Drecks- bzw. Ausgrenzungsarbeit Personal vom einfachen Vollzugsbeamten bis zum Verfassungsrichter zu haben. Damit ist der bürgerliche Anstand im Politischen abschließend beschrieben. Menschen, die aus Sorge um ihre kostbare Reinheit nichts wollen wollen, haben denen, die etwas wollen, nichts entgegenzusetzen. Darum traf der Marsch der Linken durch die Institutionen auf keinen nennenswerten Widerstand.

Natürlich hat Merkel die Konservativen in der CDU auch niedergedrückt, musste dazu aber wenig Kraft aufwenden. Denn diese hatten sich spätestens mit der Zustimmung zum Euro unter Helmut Kohl längst selbst aufgegeben. Merkel hat bloß nicht zugelassen, dass das Erscheinungsbild der CDU von Menschen ohne Machtbasis und Machtwillen verunklart wird.

Im Juli 2018 hatte ich die These aufgestellt [15], dass die Fixierung auf Angela Merkel in der Gegenöffentlichkeit den Aufbau einer stabilen politischen Grundlage für eine echte Opposition verhindert und weiter die durchaus vorhandenen Verstrickungen der Konservativen mit der Merkel zugeschriebenen Politik verdeckt. Diese These hat sich leider bewahrheitet, nicht nur in der Krise der AfD, sondern vor allem in der immer noch zunehmenden Fixierung auf Merkel, obwohl sie in wenigen Monaten abtreten wird. Die Autoren der Gegenöffentlichkeit können schon mal die Einrichtung von Selbsthilfegruppen darüber planen, wie man Artikel ohne Merkelbezug schreibt.

Mit Nietzsche hat Merkel das Fallende gestoßen und ist so in allen Krisen oben geblieben. Und sie wird ihre auf sie fixierten Kritiker bis zur letzten Sekunde ihrer Amtszeit überragen – wann immer die sein mag.

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Linksliberal? Scheinliberal!

geschrieben von libero am in Buch-Tipp,Deutschland | 31 Kommentare

Von PETER M. MESSER | Kampfbegriffe sollen den Gegner demaskieren und nicht in seiner Selbstdarstellung bestätigen. Die Gegenöffentlichkeit ist voll von Beispielen, wie der herrschende Konsens in Politik und Gesellschaft unser Leben beschädigt und unsere Freiheit verletzt. Warum nennen wir ihn dann linksliberal?

Denn auch linksliberal wäre immer noch hauptsächlich liberal. Linksliberal, das war mal der linke Flügel der FDP. Nun sollen es die Grünen und die CDU sein? Die Grünen und die gesellschaftlich herrschenden Schichten – und das sind mehr als die Eliten, das umfasst auch die „neuen Mittelschichten“ – als linksliberal zu bezeichnen, ist bereits sprachlich falsch.

Man unterscheidet ja aus gutem Grund auch zwischen einer sozialistischen und einer sozialen Politik, nämlich einem ideologisch formulierten Anspruch einerseits und einer erreichten Wirklichkeit andererseits. Bekanntlich ist eine sozialistische Politik in den seltensten Fällen im Ergebnis sozial. Der herrschende politische Konsens redet zwar von Freiheit, erzeugt aber immer mehr Zwang. Darum wäre er nicht liberal, sondern liberalistisch zu nennen.

Präziser: liberalistisch-apertistische Gesellschaft

Auch das Wort liberalistisch verdeckt aber, dass diese Politik nichts mit Freiheitsformen anfangen kann, die in der Abgrenzung des Individuums gegen andere bestehen. Stattdessen wird der Einzelne ständig den Ansprüchen Dritter auf Umverteilung, Hinnahme von Beeinträchtigungen, Anerkennung und „Toleranz“ ausgesetzt.

Präziser müsste man darum einen Begriff gebrauchen, den Andreas Reckwitz in seinem Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“ [16] geprägt hat, und von einer liberalistisch-apertistischen (d. h. öffnungsorientierten) Gesellschaft sprechen. Liberalistisch-apertistisch zu nennen ist eine Rhetorik von Freiheit als Öffnung und Auflösung von Grenzen und Strukturen, die am Ende auch Nation und Individuum, kollektive und individuelle Grenzen und Identitäten auflöst.

Für einen effektiven Kampfbegriff ist liberalistisch-apertistisch aber zu neu und zu schwerfällig. Hier gilt es, vom Wort Lügenpresse zu lernen. Das war erfolgreich, weil es den mit dem etablierten Begriff Presse verknüpften Wahrhaftigkeitsanspruch radikal verneinte, ohne neue Begriffe einzuführen, und weil es die persönliche Betroffenheit ansprach. Denn wo es einen Lügner gibt, da gibt es auch einen Belogenen.

Statt „linksliberal“ künftig „scheinliberal“

Statt linksliberal sollte es darum künftig scheinliberal heißen, um der Liberalitätsbehauptung der Herrschenden direkt entgegenzutreten und immer daran zu erinnern, dass unsere persönliche Freiheit durch sie eingeschränkt wird. Das hätte auch den netten Effekt, dass die von den Systemmedien als Feind von Demokratie und Freiheit verteufelte Opposition sich genau die Freiheit des Einzelnen auf die Fahnen geschrieben hätte.

Viele Rechte und Konservative werden den Kampfbegriff scheinliberal aber nicht übernehmen wollen, weil sie die aktuellen Verhältnisse dem Liberalismus als ganzes anlasten wollen, um ihn zu diskreditieren – obwohl sie oft zeigen könnten, dass ihre Ordnungen dem Individuum und seiner Freiheit besser dienen als solche, die nur liberalistisch und im Ergebnis eben nicht liberal sind.

Diese Weigerung verkennt aus mehreren Gründen die Lage. Denn erstens kann ich mich als Konservativer oder Rechter den von mir bevorzugten Ordnungen nicht unterordnen, weil sie gar nicht mehr existieren. Nation und Volk sind schon weitgehend aufgelöst und existieren nur noch in den Vorstellungen der effektiv Machtlosen. Sie müssen erst durch persönlichen Freiheitsgebrauch wiederhergestellt werden; durch ein, wie die Linke sagen würde, revolutionäres Subjekt.

Freiheit als einziger Brückenkopf

Zweitens ist Freiheit der einzige Brückenkopf, den wir noch im herrschenden Diskurs haben, und auch das nur noch eher theoretisch, wenn man sich die verächtliche Weise ansieht, wie in der Corona-Politik mit Grundrechten umgegangen wird. Und drittens werde ich oft den Eindruck nicht los, dass viele Rechte und Konservative sich hinter etwas Überindividuellem verstecken wollen, weil sie ihre Politik nicht wirklich selbst, als „Ich“, verantworten möchten. Aber das war bisher noch nie von Erfolg gekrönt.

Ersetzen wir also linksliberal durch scheinliberal: Scheinliberale CDU, scheinliberale Grüne, scheinliberale Elite, scheinliberale Mitte. Hört sich doch gut an, oder?

Buchempfehlungen zum Thema:

» Andreas Reckwitz: „Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne“ – hier bestellen [16]
» Thor Kunkel: „Das Wörterbuch der Lügenpresse“ – hier bestellen [20]
» Manfred Kleine-Hartlage: „Die Sprache der BRD. 145 Unwörter und ihre politische Bedeutung“ – hier bestellen [21]

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Merkel, die Mitte und die Moria-Migrassoren

geschrieben von libero am in Asyl-Irrsinn,Siedlungspolitik | 171 Kommentare

Von PETER M. MESSER | Die Entscheidung zur Aufnahme der Moria-Migrassoren wird mal wieder überwiegend Angela Merkel alleine angelastet. Da sei ein Hinweis auf eine Personalie erlaubt, die zeigt, dass Merkels politisches Handeln in voller Tradition der Kohl-CDU steht.

Die Merkelfixierten leiden nämlich an einem fundamentalen Selbstwiderspruch. Man kann Merkel vorwerfen, dass sie sich immer den aktuellen Stimmungen und dem „linken Zeitgeist“ anpasst. Man kann ihr auch vorwerfen, dass sie die CDU nach links gesteuert hat. Man kann beides aber nicht gleichzeitig tun. Der Vorwurf der Anpassung an den „Zeitgeist“ ist letztlich ein Vorwurf an die Konservativ-Bürgerlichen selbst: Wenn sie nämlich mehr Druck machen würden, standfester wären, wirkliche Überzeugungen hätten, würde sich Merkel nach ihnen richten.

Warum sie das nicht tut, zeigt jetzt wieder die Entscheidung zu Moria: die Fraktion grummelt und zeigt „Unbehagen“, fügt sich aber am Ende. Der Kern, die Substanz der Christdemokratie, gibt einen Widerstand gegen diese Pläne nicht her, und zwar schon lange nicht mehr.

Das beweist wunderbar die Person Wolfgang Schäubles, dem Udo Geißler auf „eigentümlich frei“ ein entlarvendes Porträt [22] gewidmet hat. Denn Schäuble ist als Bundestagspräsident das letzte noch politisch bestimmende Mitglied der Kohl-CDU, das deren Politik schon lange vor der Wende prägte. Und er ist sich, wie Geißler darstellt, über die Jahre treu geblieben. Mit Lüge, Rechtsbruch und der strategischen Ausnutzung von Krisen treibt er eine Politik gegen Deutschland und das deutsche Volk voran: „Der Widerstand gegen Veränderung wird in der Krise geringer. Wir können die Wirtschafts- und Finanzunion, die wir politisch bisher nicht zustande gebracht haben, jetzt hinbekommen.“ Gemeint ist die Corona-Krise. „Wolfgang Schäuble war als kalter Partei-Apparatschik ein wichtiger Teil in Kohls Kosmos bis zu dessen Sturz. Heute ist er im System Merkel nicht wegzudenken und einer der schlimmsten Vertreter, wenn es darum geht, wider die Interessen des größten Teils des eigenen Volkes zu handeln“, so Geißler.

Merkel handelt aktuell nicht anders. Auch sie nutzt die von der Lügenpresse hochgeschriebene Moria-Krise dazu, die Grenzen noch weiter zu öffnen und die Hochzeit der CDU mit den Grünen vorzubereiten, gewissermaßen mit Moria als Verlobungsgeschenk. Das Miteinander von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble beweist überdeutlich, dass die Merkel-CDU die logische Fortentwicklung der Kohl-CDU ist. Damit entfällt auch jede Grundlage für die nostalgische Sehnsucht nach der Kohl-CDU als politische Verkörperung einer „konservativen bürgerlichen Mitte“, eine Fata Morgana, die die AfD und die Gegenöffentlichkeit ständig in die Irre führt. Kein Geringerer als Thorsten Hinz [23] hat kürzlich dazu in der JUNGEN FREIHEIT geschrieben:

„Ob eine „liberal-konservative Partei mit seriösem, bürgerlichem Habitus“ nach dem Bild Jörn Kruses die Politik der Selbstabschaffung verhindern, verzögern oder wenigstens benennen kann? (…) Zur Erinnerung: Von 1982 bis 1998 regierte unter Helmut Kohl eine konservativ-liberale Koalition aus CDU, CSU und FDP, die damals allesamt in besserer Verfassung waren als heute. Doch erwiesen diese bürgerlichen Parteien sich schon damals als unfähig, die Grenzen zu schützen. Sie waren es auch (gemeinsam mit der SPD), die dem Land den Euro und damit die Schuldenunion bescherten. Vor dem aggressiven Antifaschismus der Linken sind sie immer weiter zurückgewichen; inzwischen haben sie ihn sich zu eigen gemacht.“

Dem ist nichts hinzuzufügen außer dem Merksatz: Der größte Dreck im ganzen Staat ist und bleibt der Christdemokrat. Moria macht das wieder deutlich.

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Abgrenzung für Deutschland

geschrieben von libero am in Alternative für Deutschland (AfD) | 83 Kommentare
Wie auch immer die Zukunft der AfD aussehen wird - eine "Fähnchen im Wind"-Partei will wohl keiner...

Von PETER M. MESSER | In der Printausgabe des SPIEGEL vom 23. Mai wurde die Machtübernahme der „Völkischen“ in der AfD an die Wand gemalt. Kurz darauf wünschte sich Dieter Stein in der JUNGEN FREIHEIT eine „sympathisch und gewinnend“ [24] auftretende AfD nach erfolgreicher Distanzierung gegen Rechtsaußen. Zu beidem eine kurze Anmerkung.

Jedem Versuch, sich von dem Vorwurf des „Völkischen“ reinzuwaschen, kann sich die AfD schon deshalb sparen, weil der Begriff des „Völkischen“ kein Kernbegriff des politischen Gegners ist, mit dem er seinen Feind bestimmt. Die Kernbegriffe sind vielmehr „Abgrenzung“ und „Ausgrenzung“. Die Grenze in allen ihren Erscheinungsformen ist der Feind schlechthin, und damit auch jegliche feste Struktur. Das „Völkische“ ist hier nur eine geschichtlich besonders gruselaffine Abgrenzungsform.

Selbst wenn die AfD in einer fairen Diskussion einen klar bestimmten Vorwurf des „Völkischen“ widerlegen könnte, bliebe es dabei, dass ihre Politik voll von Abgrenzungen (von Nation, Volksvermögen usw.) ist und dadurch immer eine Gemeinsamkeit mit „völkischen“ Positionen konstruierbar wäre – und so in der Begriffshandhabung der Gegenseite zu solchen Positionen führen könnte. Solche Ähnlichkeiten und Überführbarkeiten reichen bei den Feinden jeder Abgrenzung völlig aus, um eine Sache mit einer anderen gleichzusetzen, so dass man doch wieder dem Vorwurf des „Völkischen“ ausgesetzt wäre. Man kann auf den Versuch also verzichten.

Stattdessen sollte man endlich den eigentlichen und flügelübergreifenden Kern der eigenen Politik akzeptieren: Eine „Alternative für Deutschland“ zu sein heißt Abgrenzungsarbeit für Deutschland zu leisten, und damit auch für jeden einzelnen Deutschen. Egal ob es um den Schutz vor Massenmigration, Schuldenunion, gegen den Genderismus oder auch den Schutz der Freiheit des Einzelnen geht: im Kern geht es immer um die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von Grenzen und Strukturen.

Als Grenzschützer ist man aber nicht nett und sympathisch (es sei denn aus Sicht der willentlich Geschützten). Man will ja andere vom Eigenen abwehren, nicht mit ihnen teilen und sich nicht dem Refugee empathisch öffnen.

Türsteher des eigenen Landes

Es gibt darum leider keine Grundlage für Dieter Steins Sehnsucht nach einer „sympathisch und gewinnend“ auftretenden AfD, die „einer Phantasie Raum gibt, die andere politische und gesellschaftlichen Mehrheiten vorbereitet.“ Das ist Rhetorik aus dem Kreativseminar. Stattdessen kommt es darauf an, Türsteher seines eigenen Landes und seines eigenen Lebens zu sein, und das setzt die Mentalität und am besten auch die Körperlichkeit eines Türstehers voraus. Dieter Steins „Unentschlossene“, für die ein „sympathisches und gewinnendes“ Auftreten der AfD entscheidend wäre, werden spätestens dann wieder abspringen, wenn ihnen der eigentliche Konflikt klar wird.

Das enthebt den angeblich „völkischen“ Flügel der AfD aber nicht aller Kritik. Eben wegen der Härte des realen politischen Konflikts zwischen Abgrenzern und Auflösern ist jedes Hantieren mit der deutschen Unheilsgeschichte nicht nur überflüssig. Es deutet vielmehr sogar auf eine mangelnde Konfliktfähigkeit hin, weil man sich und seine Interessen hinter einem hochglanzpolierten Deutschlandbild verstecken zu müssen glaubt.

Umgekehrt muss sich der liberal-konservative Flügel der Tatsache stellen, dass die Positionierung etwa gegen eine Schuldenunion oder für eine rationale Einwanderungspolitik die notwendige „Abgrenzungsenergie“ nicht alleine in sich selbst tragen, sondern der Stützung durch Nation und Volk als notwendiger Abgrenzungsfundamente bedürfen.

Nett und sympathisch wird es dabei in keinem Fall zugehen.

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Doppelmoral aufs Kreuz legen

geschrieben von libero am in Alternative für Deutschland (AfD),Linke,Verfassungsschutz | 89 Kommentare

Von PETER M. MESSER | Dieser Artikel über die Wahl einer aktuell vom Verfassungsschutz beobachteten linken Verfassungsrichterin und den Rauswurf eines möglicherweise einmal vom Verfassungsschutz beobachteten AfD-Landeschefs ist kein Artikel über doppelte Maßstäbe, sondern über zwei für uns nachteilige Geschehensabläufe – und wie man sie neutralisieren kann, indem man sie verknüpft.

Die CDU hat zusammen mit SPD und der Linken Barbara Borchardt, die der vom Verfassungsschutz beobachteten „Antikapitalistischen Linken“ angehört, zur Richterin am Verfassungsgerichtshof von Mecklenburg-Vorpommern gewählt (PI-NEWS berichtete hier [25] und hier [26]). Davon werden alle Beteiligten profizieren. Die Linke wird zum Teil der akzeptablen „Mitte“ und kann sagen: Seht her, uns kann man sogar dann die Verfassung anvertrauen, wenn wir vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Die angestrebte Abschaffung von Marktwirtschaft und kapitalistischer Eigentumsordnung ist dafür kein Hinderungsgrund. Linksradikales Denken wird so mittefähig.

Für die CDU bringt die Zusammenarbeit mit der Linken nicht nur neue Koalitions- und Machtoptionen. Die Verschiebung des politisch Sagbaren weiter nach links erlaubt ihr, sich trotz der von ihr angestrebten Auflösung Deutschlands in Europa weiter als bürgerlich-konservative Partei darzustellen. Natürlich gibt es einige Aufregung über diese Aktion der CDU. Aber nicht bei denen, die sie noch wählen.

Im Übrigen wird die CDU vor negativen Folgen ihrer weiteren Linksbewegung zuverlässig von Menschen wie dem Bundestagsabgeordneten Arnold Vaatz abgesichert. Er tut das, indem er die Wahl kritisiert, sie als Ausdruck des Bestrebens auch der CDU sieht, die Revolution von 1989 „kleinzuhacken“ [27], aber natürlich weiter der CDU angehört. Er stellt so durch seine Person sicher, dass diesem Projekt konservative Wählerstimmen zufließen und die Revolution von 1989 und unser Land auch wirklich zuverlässig kleingehackt werden. Die Aufregung über die Wahl von Barbara Borchardt wird also folgenlos verebben.

Die Aufregung um den Ausschluss von Andreas Kalbitz aus der AfD wird dies nicht tun. Nachdem die Parteiführung ihn hochgekocht hat, wird er so oder so Schaden an der AfD hinterlassen. Scheitert der Ausschluss, werden Systemparteien und Systempresse dies als Beleg für die Unterwanderung der AfD durch „Rechtsextreme“ darstellen, und es wird zu Verlusten am bürgerlichen Rand kommen. Gelingt er, wird es zu Verlusten am patriotischen und ernsthaft oppositionellen Rand kommen, ohne dass die von den Bürgerlichen gewünschte Ruhe eintritt.

Das System wird sich neue Opfer suchen, sogar verstärkt. Seht her, wird man sagen, selbst die AfD musste einen erfolgreichen Landeschef ausschließen, weil er zu rechts war, und das war doch wohl nur die Spitze des Eisberges. Die Extremismusvorwürfe werden anhalten, und deshalb wird auch in diesem Fall der bürgerliche Rand bröckeln. Mit dem Verweis, dass man die eigenen Regeln eben ernster nehme als der Gegner, wird man dort nicht punkten können. Denn die Bürgerlichen werden glauben, dass man das auch müsse, weil man als Rechter eben viel gefährlicher sei.

Das Nebeneinander dieser beiden Abläufe verstärkt die Legitimierung der Linken und die Delegitimierung der Rechten noch weiter. Man kann sie nur neutralisieren, indem man sie dauerhaft im öffentlichen Bewusstsein miteinander verknüpft: Indem die Annullierung der Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz ausdrücklich unter Verweis auf die Wahl Barbara Borchardts zurückgenommen wird.

Prof. Meuthen müsste erklären, dass er keinen Sinn darin sehe, bei Parteimitgliedern auf deren ehemaligen Mitgliedschaften zu achten, wenn die aktuelle Mitgliedschaft in einer vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppierung der Wahl zur Verfassungsrichterin nicht entgegensteht. Er sollte das leicht zynisch, leicht gelangweilt und ganz locker aus dem Handgelenk tun.

Das wird Meuthen natürlich nicht machen. Aber die AfD-Brandenburg könnte sich so positionieren und so sicherstellen, dass bei jeder Erwähnung der Causa Kalbitz in den Medien die Wahl Barbara Borchardts immer mitgedacht werden muss. Das kann man auch visuell einfallsreich tun, etwa mit Borchardt-Bildern auf den Tischen im Landtag oder einem dezenten Borchardt-Button am Revers von Herrn Kalbitz.

Dieter Stein, der den Kalbitz-Rauswurf bekanntlich unterstützt, schreibt in der aktuellen JUNGEN FREIHEIT [28]: „Die systematische Ächtungsstrategie, die sowohl von den übrigen etablierten Parteien als auch vielen Medien gegen die AfD verfolgt wird, hat in den vergangenen Jahren zu einem stetigen Aderlass an gemäßigten Funktionären und Mitgliedern geführt.“ Richtig, aber diese Ächtungsstrategie wird nicht mit Kalbitz enden. Man braucht sich dazu nur die aktuellen Angriffe der Europhilen auf das Bundesverfassungsgericht nach seiner EZB-Entscheidung anzusehen. Man wird diese Strategie weiterführen, solange sie erfolgreich ist, ohne Rücksicht auf sachliche Gründe.

Sprache und Diskurs sind kein Geschehen der Wahrheit, sondern ein Geschehen der Macht. Als Machtloser kann man sich nur an den Worten und Taten der Mächtigen emporziehen und ihre Fehler für sich nutzen. Und selbst die werden schnell vergessen, wenn sie nicht an beständig sichtbaren Fakten festgemacht werden. So gesehen sind Barbara Borchardt und Andreas Kalbitz ein Traumpaar, mit dem sich die Verlogenheit der Anstandsfiktionen des Establishments dauerhaft sichtbar halten lässt.

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Von Revolutionen, Realitäten und Klimamodellen

geschrieben von PI am in Deutschland | 169 Kommentare

Von PETER M. MESSER | Vielleicht ist die größte Belastung, die uns der vor 30 Jahren beginnende Zusammenbruch des Ostblocks hinterlassen hat, der Glaube, dass sich am Ende immer die Realität gegen die Ideologie durchsetze und dann alles gut werde. Man kann aus 1989 kaum falschere Lehren ziehen.

Das beginnt damit, dass nicht die „Realität“ die Ideologie besiegte, sondern Menschen, und zwar nicht nur die Revolutionäre, die auf die Straße gingen, sondern auch diejenigen auf der anderen Seite, in Regierungen, Armeen und Parteien, die darauf verzichteten, dagegen mit aller Härte vorzugehen, von Gorbatschow abwärts. Das geschah aus einer ganzen Bandbreite von Haltungen heraus, von der Einsicht in die Notwendigkeit von Veränderungen bis zur schlichten Demoralisierung, und es war nicht selbstverständlich. Das Beispiel Nordkorea zeigt, dass eine harte Repression durchaus hätte Erfolg haben können. Nicht erst eine veränderte Realität, sondern erst die veränderte Bewertung dieser Realität, und zwar auf beiden Seiten, ermöglichte den politischen Wandel.

Das gilt besonders für die asiatischen sozialistischen Staaten wie China und Vietnam, die durch Wirtschaftsreformen den Zusammenbruch abwenden konnten, weil sie sich nicht erst durch übermächtige Realitäten zu etwas zwingen ließen, sondern rechtzeitig die Notwendigkeit von Veränderung erkannten.

Diese Banalitäten müssen leider deshalb herausgestellt werden, weil der seit 30 Jahren fortlebende Mythos von der sich selbst durchsetzenden Realität weiter dazu genutzt wird, eine Änderung des eigenen politischen Bewusstseins, eine entschiedene eigene politische Positionierung und entsprechendes Handeln zu vermeiden. Schuld sind immer die anderen, die Linken und Einzelpersonen wie Angela Merkel. Schuld sind nie die tatsächlich regierenden Parteien, nicht das gesellschaftlich dominierende Bürgertum, das die soziale Heimat der 68er ist, nicht der antipolitische Aberglaube an die Gerichte und ihre Unabhängigkeit von der Politik, nicht der globalisierte Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form, nicht die Kirchen. Hier glaubt man, dass diese doch nur endlich die Realität anerkennen müssten, um endlich auf die eigene Linie einzuschwenken. Auf die Idee, dass hier schlicht andere Zielvorstellungen und andere Interessen am Werke sein könnten, kommt man nicht. So ist man weder in der Lage, die Menschen, von denen man den Umschwung erhofft, aus ihren Bindungen an die gegen sie gerichteten Institutionen und die sie tragenden Gruppen zu lösen, noch die Träger dieses Systems zu demoralisieren (sofern möglich, etwa bei den „Bürgerlichen“).

Ebenso ermüdend wie unverzichtbar ist der Hinweis darauf, was für eine Realität die sozialistische Ideologie überwand: Keine positive Realität von blühenden Landschaften, die sichtbar wurden, nachdem der Vorhang des Sozialismus weggezogen worden war. Sondern die negative des Zusammenbruchs des Systems, nachdem dieses die Ressourcen von Volk und Land fast vollständig aufgebraucht hatte. Die betroffenen Länder haben sich davon bis heute nicht erholt, man denke nur an die umfangreichen Bevölkerungsverluste durch die Abwanderung in den Westen.

Die Realität kommt also immer zu spät. Wer das Eintreten von Schäden verhindern will, muss rechtzeitig aus eigenem Entschluss handeln, solange er noch eine Wahl hat. Das wollen die Beschwörer der Realität aber gerade vermeiden. Hinter ihrem Realitätskult steckt die Sehnsucht, dass die eigene Politik nicht Ausdruck ihrer Interessen und Wertungen ist, die bei anderen Menschen auch anders sein können, sondern einer objektiven Notwendigkeit für alle entspricht und damit alternativlos ist ¬ damit sie selbst schuldlos an den damit verbundenen Härten für andere sein können. Alternativlosigkeit ist nicht umsonst ein Lieblingswort von Angela Merkel, die die Sehnsüchte anständiger Bürger letztlich besser verstanden hat als diese selbst.

Diese Haltung ist aber nun völlig unrealistisch. Die Interessenlage eines Eingeborenen ist eine andere als die eines Immigranten, die eines sich frei im globalistischen Kapitalismus bewegenden Anywheres eine andere als die eines ortsgebundenen Menschen. Und sobald es an die Details geht, helfen Realitätsbeschwörungen ohnehin nicht mehr. Wenn es darum geht, wie viel Einwanderung man hinnehmen will, was das kosten darf und was man dabei aushalten muss, dann lässt sich das nur über die Formulierung eigener Interessen beantworten und die zu ihrer Durchsetzung notwendigen Willensbetätigungen verwirklichen. Die Durchsetzung eigener Interessen bedeutet darum immer auch ein unterschiedlich starkes, aber immer vorhandenes Ja zu Egoismus, Ausgrenzung und der damit verbundenen strukturellen Gewalt. Die realitätsbeschwörenden Konservativen scheitern politisch immer deshalb, weil sie glauben, Politik machen zu können, ohne politisch zu sein.

Die Notwendigkeit eigener Wertungen und Entscheidungen ist heute umso größer, als sich die Lage von 1989 mit der heutigen nicht vergleichen lässt. Der gesellschaftsweite Druck der Mangelwirtschaft fehlt, und die Grenzen zwischen angeblicher Ideologie und angeblicher Realität sind viel unschärfer. Damals waren Systemgrenzen auch Staatsgrenzen, hinter denen die feindliche Ideologie alles zusammenfasste. Internationalismus war damals eine Sache des Sozialismus, heute ist er eine Sache des Kapitalismus, der längst eine Synthese mit linken Vorstellungen von Gesellschaft und Kultur eingegangen ist. Heute muss der Einzelne darum viele größere Orientierungs- und Entscheidungsleistungen erbringen als nur eine angebliche Realität anzuerkennen. Die Realitätsbeschwörungen schaden hier sogar. Denn wenn die Linken auf die in jeder politischen Positionierung notwendig enthaltenen Wertungen und Interessen hinweisen, brechen die Realitätsbeschwörer regelmäßig zusammen (das eigentliche Erfolgsrezept des Dekonstruktivismus). Und was die rechtspopulistischen Kräfte angeht, die man als Wiederkehr der Revolutionäre von 1989 ansehen will, so haben die letzten Monate gezeigt, wie zerbrechlich deren Stellung ist. In Italien und Österreich haben einzelne politische Fehler schon genügt, um sie aus der Regierung zu entfernen, und in den USA hängt alles an der Einzelperson Trump, der das gesamte Establishment gegen sich hat. Hier setzt sich keine Realität machtvoll durch, sondern zeigt sich eher die letzte Chance für bestimmte gesellschaftliche Gruppen, ihre völlige Überwältigung vielleicht doch noch abzuwenden.

Und das bringt uns zu den aus der Debatte um die Erderwärmung bekannten Klimamodellen. Gegen die wird ja eingewendet, dass sie nicht in der Lage seien, die tatsächliche Entwicklung des Klimas im 20. Jahrhundert nachzuvollziehen und darum zur Vorhersage der zukünftigen Entwicklung auch nicht tauglich wären. Dann muss man sich auf konservativer und rechter Seite die Frage gefallen lassen, ob die eigenen politischen Modelle die tatsächliche politische Entwicklung seit 1989 vorauszusagen in der Lage waren, also etwa die Linksdrift der bürgerlichen Parteien, das notwendige Scheitern des geänderten Asylrechts ohne den andauernden begleitenden Druck einer rechten Oppositionspartei wie den Republikanern und das Scheitern aller Hoffnungen auf das Bundeverfassungsgericht als Schutz Deutschlands in Sachen Euro und EU. Wer das nicht kann, der muss seine Annahmen eben so ändern, dass sein Modell die Entwicklung wenigstens nachträglich nachzeichnen kann. Hier sind viele Varianten möglich, aber keine Fortsetzung der bekannten Realitätsbeschwörungen. Die haben nämlich seit 30 Jahren keinen Erfolg. Ohne die Erkenntnis, dass ich in der Politik meine eigenen Interessen vertreten und gegen andere durchsetzen muss, und dass meine Interessen nicht mit der Realität an sich übereinstimmen, ist keine Politik zu machen. Dieses Bewusstsein ist unverzichtbar und muss beim einzelnen Bürger und Wähler geschaffen werden. Keine Selbstverharmlosung, keine Beschwörung der Mitte und kein angeblicher „politischer Verismus“ kann das ersetzen, denn letzterer ist, sofern er die Interessenfreiheit politischer Positionierungen behauptet, selbst eine Lüge. Dieser Realität muss man sich endlich stellen.

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Simon Strauß und das Lob der Spaltung

geschrieben von PI am in Alternative für Deutschland (AfD),Lügenpresse | 95 Kommentare

Von PETER M. MESSER | Der AfD wird gerade wieder besonders stark vorgeworfen, dass sie „das Land spalte“. Feuilleton-Redakteur Simon Strauß hat dazu am 3. September einen noch in seinen Widersprüchen erkenntnisstarken Text [29] in der FAZ veröffentlicht (hinter Bezahlschranke), der nähere Betrachtung verdient.

Die goldene Durchblickermedaille mit Geistesblitzen am Band verdient er für folgende Erkenntnis zur Wiedervereinigung:

Vielleicht kann man sagen, dass die ostdeutsche Mentalität damals zwischen die Räder zweier paradoxer, sich eigentlich ausschließender Integrationsbewegungen kam: die der bundesrepublikanischen Einheit auf der einen und die der gleichzeitig betriebenen Integration Deutschlands in die Europäische Union auf der anderen Seite. Während die eine Tendenz auf die Schaffung eines nationalen Staates abzielte, stellte die andere ebenjenen in Frage. Die Paradoxie besteht bis heute.

Exakt. Schön, dass es mal einer merkt. Und diese „Paradoxie“ reicht bis in Adenauers Zeit zurück. Floskeln wie „ein vereintes Deutschland in einem vereinten Europa“ waren immer politisch unsinnig, weil man in einem vereinten Europa kein vereintes Deutschland mehr braucht. Und der Spruch von Franz Josef Strauß „Bayern ist meine Heimat, Deutschland ist mein Vaterland, Europa ist meine Zukunft“ hieß letztlich, ganz wörtlich genommen, dass Heimat und Vaterland keine Zukunft mehr haben, und so kommt es ja auch gerade.

Mit dieser Erkenntnis entzieht Simon Strauß aber seiner Hauptthese die Grundlage: Er fordert, gegen die AfD den nationalen Gedanken und den Begriff „Deutschland“ in Stellung zu bringen, weil die AfD wieder spalte in Ost und West, wobei es sich nicht mehr um geografische Kategorien handele:

Ost steht für ein kritisches Bewusstsein gegenüber Politik und Medien, West für den verblendeten Zusammenhang zwischen Wirtschaftstreue und Doppelmoral. So hätten sie es gerne, die Damen und Herren von der antideutschen Alternative.

Aber so ist es halt.

Doch wie soll denn ein nationaler Gedanke von und mit denen gelebt werden, die die Nation überwinden wollen, die ihre persönliche Identität gerade gegen ein Deutschsein bestimmen, ja oft sogar gegen Europa und den Westen? Die Wiedervereinigung und die Erinnerung daran könnten nur dann einen nationalen Sinn haben, wenn es darum gegangen wäre, zusammen etwas anders als andere zu machen. Wenn es darum gegangen wäre, einen Zusammenhang aus Menschen, Raum, politischem, kulturellem und wirtschaftlichem Kapital eigenständig und eigenwillig zu gestalten, was auch heißt: ihn vor dem Zugriff anderer zu schützen – durch Abgrenzung. So wie Kohl und seine Nachfolger die Wiedervereinigung vollzogen haben, war sie nur Teil des globalistischen Prozesses, der Auflösung Deutschlands erst in Europa, dann in der Welt.

Es gibt also weder ein gespaltenes Land noch ein gespaltenes Volk. Es gibt Deutsche, die ihr Land und ihr Volk als etwas Konkretes und Besonderes erhalten wollen, und es gibt schon länger hier Lebende, die das gerade nicht wollen. Letztere haben schon lange begriffen, dass es hier keine vereinigende Synthese geben kann, und erstere darum als Feind rücksichtslos bekämpft.  Die AfD ist erst dabei, hier gleichzuziehen, und dass man ihr „Spaltung“ vorwirft, zeigt nur, dass sie Wirkung erzielt und auf dem richtigen Weg ist.

Dieser Weg muss notwendig auf eine dritte Gruppe zielen: Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft, die sich zwischen diesen beiden Gruppen entscheiden müssen, und das setzt zuerst die Erkenntnis der Notwendigkeit dieser Entscheidung voraus. Das größte Hindernis sind hierfür nicht die Linken, sondern diffuse Begriffe und Schlagworte, in denen sich weitere lähmende Paradoxien verbergen, wie der angebliche Gleichlauf von deutscher und europäischer Einigung. Dazu zählen Schlagworte wie „bürgerlich“, die keinen konkreten Gehalt haben als den, ja nie eine entschiedene Position zu beziehen. Dazu gehört die Bereitschaft, in jedem nur leicht von der CDU-Parteilinie abweichenden Politiker wie Friedrich Merz oder Michael Kretschmer den Ausdruck einer eigentlich konservativen CDU zu sehen, als ob die heutigen Verhältnisse nicht über Jahrzehnte von den Christdemokraten herbeigeführt worden wären, und zwar als bewusste, auf ihren politischen Grundentscheidungen beruhende Politik. Man kann eben nicht darauf verzichten, die Christdemokratie als Christdemokratie (und nicht als bloßen Unterfall des Liberalismus) metapolitisch  zu erfassen und zu entlarven, und weil dies bisher kaum geschehen ist, kommt man bei jeder Diskussion um eine angebliche Radikalisierung der AfD ins Schwimmen, weil das Phantom einer eigentlich anständigen und eigentlich konservativen CDU immer noch als Maßstab im Raume steht.

Die Bereitschaft zu Abgrenzung und Grenzziehung, die Menschen wie Simon Strauß der AfD vorwerfen, müsste letztlich bejaht und als Teil des Kerns des eigenen Politikverständnisses begriffen werden. Und zwar nicht nur bei der Verteidigung von Nation und Volk, sondern als notwendige Voraussetzung von Politik überhaupt, weil nur so die Konturen des Projektes überhaupt deutlich werden können, das verwirklicht werden soll. Es dürfte vielleicht kein Zufall sein, dass in den Bereichen Infrastruktur, Bildung, Verteidigung und vielen anderen Politikfeldern nichts mehr gelingen will und gleichzeitig alle mit dem Begriff der Grenze verbundene Vorstellungen so verteufelt werden.

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